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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 02.10.2008
Aktenzeichen: 34 Wx 10/08
Rechtsgebiete: BayPAG, FGG, FreihEntzG, VersG


Vorschriften:

BayPAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 b
BayPAG Art. 18 Abs. 2
BayPAG Art. 18 Abs. 3
FGG § 12
FreihEntzG § 5 Abs. 1
FreihEntzG § 13 Abs. 2
VersG § 17 a Abs. 2 Nr. 1
VersG § 27 Abs. 2 Nr. 2
1. Die in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG enthaltenen Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung; es handelt sich dabei nicht um Regelbeispiele sondern um Prognosekriterien, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von einem unmittelbaren Bevorstehen der Straftat ausgegangen werden kann.

2. Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert; das sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur Vermummung dienen.

3. Ein Halstuch ist ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung (§ 17 a Abs. 2 Nr. 1, § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG) bestimmt, wenn es vom Betroffenen als solches verwendet wird, indem dieser durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begeht.

4. § 5 Abs. 1 FreihEntzG verlangt zwingend eine mündliche Anhörung (nur) vor der Anordnung einer Freiheitsentziehung; bei nachträglichen Entscheidungen über eine bereits beendete Freiheitsentziehung kann sich der Richter einen Eindruck über die Verfassung und den Zustand des Betroffenen gerade zur Zeit der Polizeihaft im Allgemeinen nicht mehr verschaffen.


Tatbestand:

Der Antragsteller begehrt als Betroffener eines polizeilichen Gewahrsams die nachträgliche Feststellung, dass die Freiheitsentziehung durch die Polizei am Samstag, den 2.12.2006, in der Zeit vom 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr rechtswidrig war.

Am 2.12.2006 führten Anhänger der NPD einen Marsch durch die Augsburger Innenstadt mit anschließender Kundgebung durch. Der Betroffene, der Teilnehmer einer genehmigten Gegendemonstration war, hatte sich für die Zeit von 13.29 Uhr bis 13.34 Uhr ein schwarzes Tuch vor das Gesicht gebunden, das vom Kinnbereich bis unter die Augen reichte. Bei seiner vorläufigen Festnahme gegen 13.45 Uhr hatte der Betroffene, nach Aufforderung durch einen Polizeibeamten, das Tuch bereits wieder abgenommen. Er wurde zum Polizeipräsidium gebracht und dort bis gegen 15.15 Uhr als Beschuldigter wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vernommen. Anschließend wurde der Betroffene aufgrund polizeilicher Anordnung bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr in einer Arrestzelle festgehalten. Die Polizeibehörde stützte die Maßnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 PAG darauf, dass der Betroffene bereits am 27.5.2006 wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz durch Mitführen von Gegenständen zur Verhinderung der Identitätsfeststellung aufgefallen und deshalb davon auszugehen sei, der Betroffene werde nach einer sofortigen Entlassung an den Demonstrationsort zurückkehren und sich wieder vermummen. Eine richterliche Vorführung fand nicht statt.

Der Antragsteller hat am 20.12.2006 beim Amtsgericht beantragt, festzustellen, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an dem Grunde nach rechtswidrig war. Mit Beschluss vom 30.8.2007 stellte das Amtsgericht fest, dass die Ingewahrsamnahme sowohl dem Grunde als auch ihrer Ausgestaltung nach rechtmäßig war. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme für die Zeit von 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr beschränkt wurde, mit Beschluss vom 20.12.2007 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er wiederholte den beim Landgericht gestellten (beschränkten) Antrag. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.

Gründe:

1. Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung ist statthaft, da sie vom Landgericht zugelassen wurde (Art. 18 Abs. 2 Satz 4 PAG), ist und auch im Übrigen zulässig (Art. 18 Abs. 2, Abs. 3 Sätze 2 und 3 PAG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, §§ 20, 22 Abs. 1, § 29 Abs. 1 und 4 FGG).

Gegenstand der Rechtsbeschwerde bildet nach den gestellten Anträgen die Haft als solche, nicht deren konkrete Ausgestaltung, mag darauf auch in der Begründung erneut eingegangen sein. Auf die umstrittene Frage, ob die Rechtswegregelung des Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 PAG auf polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ingewahrsamnahme auszudehnen (BayVGH NJW 1989, 1754; Schmidbauer/Steiner Bayerisches Polizeiaufgabengesetz 2. Aufl. Art. 18 Rn. 13) und damit auch insoweit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, kommt es nicht an. Ebenso nicht angegriffen ist die Entscheidung des Amtsgerichts zur Zulässigkeit der Festhaltung bis zur Beendigung strafprozessualer Maßnahmen gegen 15.15 Uhr.

2. Das Landgericht hat zur Sache ausgeführt:

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen sei unbegründet.

a) Die ursprünglich von der Polizeibehörde herangezogene Norm des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG sei nicht anwendbar, da der Betroffene in der Vergangenheit nicht mehrfach aus vergleichbarem Anlass bei der Begehung von Straftaten betroffen worden sei. Vor seiner Ingewahrsamnahme sei der Betroffene nur in einem Fall wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz auffällig geworden.

b) Jedoch seien die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG erfüllt. Die von der Polizeibehörde getroffene Prognoseentscheidung, der Betroffene werde unmittelbar nach einer eventuellen Entlassung aus dem Polizeigewahrsam gegen 15.15 Uhr erneut Straftaten begehen, sei nicht zu beanstanden. Aufgrund des hohen Rangs des Freiheitsrechts müsse nach den konkreten Umständen eine Wiederholung der verbotenen Verhaltensweise erwartet werden. Der Betroffene habe vor seiner Festnahme gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, weil er mit einem Tuch vermummt an einer Demonstration teilgenommen habe. Bei dem Betroffenen sei ein sonstiger Gegenstand i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG aufgefunden worden, der erfahrungsgemäß zur Tatbegehung - der Vermummung - bestimmt gewesen sei. Bei der Prognoseentscheidung seien auch die konkreten örtlichen Verhältnisse und Umstände in die Überlegung mit einzubeziehen gewesen. Mittels der in kurzen Zeittakten verkehrenden Straßenbahn habe der Betroffene problemlos umgehend an den Demonstrationsort zurückkehren können und damit genügend Zeit für einen erneuten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zur Verfügung gehabt. Ein Tuch oder einen Schal zum Vermummen hätte sich der Betroffene ohne Probleme erneut besorgen können. Diese Gefahr habe trotz der erkennungsdienstlichen Maßnahmen bestanden. Das ergebe sich u.a. auch daraus, dass der Betroffene bereit am 27.5.2006 im gleichen Verhaltensspektrum auffällig geworden sei. Wenn der Betroffene vortrage, dass seine Vermummung nur zum Schutz gegen Nazi-Fotografen habe dienen sollen, so würde dies die polizeiliche Prognoseentscheidung nur stützen. Denn aus der Sicht des Betroffenen wäre eine Vermummung erforderlich und würde bei einer erneuten Teilnahme an der Gegendemonstration wieder notwendig.

Auch sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Schutz eines bedeutenden Rechtsgutes, nämlich des friedlichen Verlaufs von Demonstrationen zu gewährleisten gewesen sei. Vermummte Teilnehmer würden provozierend, eskalierend und einschüchternd auf andere wirken. Vor allem aber bestehe für vermummte Demonstrationsteilnehmer ein erhöhter Anreiz, sich nicht friedlich zu verhalten, da sie davon ausgehen könnten, dass sie aufgrund ihrer Vermummung bei strafrechtlich relevanten Aktionen nicht erkannt und zur Verantwortung gezogen werden könnten.

c) Die Beurteilung der Polizeibehörde, dass eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme bis zum Ende der Demonstration gegen 18.00 Uhr nicht hätte herbeigeführt werden können, sei zutreffend gewesen. Für eine umfassende richterliche Würdigung der Prognoseentscheidung hätten Beweise wie die Vernehmung der Polizeibeamten und die Sichtung des gefertigten Film- und Videomaterials erhoben werden müssen. Mit einer richterlichen Entscheidung vor 18.00 Uhr wäre daher nicht zu rechnen gewesen.

d) Schließlich sei auch die Art und Weise des Gewahrsams rechtmäßig gewesen.

3. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung durch den Senat (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO) stand.

a) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den polizeilichen Präventivgewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG lagen vor.

(1) Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit scheidet aus, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung über die polizeiliche Ingewahrsamnahme der Betroffene nicht mehr Teilnehmer einer Versammlung war. Vielmehr war er wegen einer Straftat (§ 17 a Abs. 2, § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG) aus der Versammlung rechtmäßig entfernt worden. Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen amtsgerichtlichen Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme von 13.45 bis 15.15 Uhr.

(2) Die in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG enthaltenen Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um Regelbeispiele, sondern um Prognosekriterien, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von einem unmittelbaren Bevorstehen der Straftat ausgegangen werden kann. Die erneute Begehung einer Straftat ist zu befürchten, wenn eines der Regelbeispiele des Art. 17 Abs. 1 PAG erfüllt ist. Bestimmte Verhaltensweisen indizieren dabei die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose (OLG Rostock vom 30.8.2007, 3 W 107/07 Rn. 29 zitiert nach juris). Nur ausnahmsweise kann im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalles ausreichen, wenn sich bereits daraus die sichere Prognose für das Vorliegen einer Gefahr ergibt (OLG Rostock aaO. Rn. 30 zitiert nach juris).

aa) Zutreffend geht die Kammer davon aus, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG nicht erfüllt sind. Denn mindestens zwei vorausgegangene Fälle aus vergleichbarem Anlass (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 57) können dem Betroffenen nicht nachgewiesen werden. Ein bloß einmaliger Verstoß gegen das Versammlungsgesetz reicht in diesem Zusammenhang nicht aus.

bb) Demgegenüber hatte der Betroffene nach den tatrichterlichen Feststellungen das Kriterium von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG durch das Mitführen und Benützen des Halstuches als Vermummungsmittel erfüllt.

Zu den sonstigen Gegenständen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG gehört alles, was die Tatbegehung fördert. Dies sind neben aktiven Aggressionsmitteln auch Gegenstände, die wie etwa Masken oder Kapuzen zur Vermummung dienen (Schmidbauer Art. 17 PAG Rn. 49). Dies wird durch die amtliche Begründung (LT-Drs. 11/9078, S. 5) bestätigt, wonach die Polizei in die Lage versetzt werden soll, die ungehinderte Ausübung der Versammlungsfreiheit im Rahmen des Art. 8 GG zu ermöglichen.

Das Halstuch war nach den tatrichterlich festgestellten Umständen ersichtlich zur Begehung einer Straftat, nämlich der verbotenen Vermummung (§ 17 a Abs. 2 Nr. 1, § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG), bestimmt, da es vom Betroffenen als solches verwendet worden war. Dieser hatte nämlich durch das Hochziehen des Halstuches bis knapp unter die Augen einen strafbewehrten Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begangen.

cc) Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b PAG vor, so folgt daraus nicht zwangsläufig die Befugnis zur Ingewahrsamnahme. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass die vorhandenen Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall befürchten lassen, der Betroffene werde im Fall seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen.

Die Auffassung des Landgerichts, die polizeiliche Prognoseentscheidung sei nicht zu beanstanden gewesen, ist rechtsfehlerfrei. Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene bereits wenige Monate zuvor wegen eines gleichartigen Delikts während einer Versammlung aufgefallen war und dass nicht davon auszugehen ist, der Betroffene werde sich durch die vorangegangenen Polizeimaßnahmen davon abhalten lassen, zur Demonstration zurückzukehren, um daran erneut im vermummten Zustand teilzunehmen. Diesen Schluss konnte der Tatrichter auch aus dem Motiv des Betroffenen ziehen, der sein Verhalten damit erklärt hat, er habe sich zum Schutz vor Fotografen der NPD vermummt; dieser Grund hätte nämlich nach einer etwaigen Freilassung noch während der laufenden Demonstration unverändert fortgegolten. Darauf, dass die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht die einzig möglichen, d.h. nicht zwingend sind, oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte, kann die Rechtsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42 m.w.N.).

Nach den fehlerfreien Feststellungen des Landgerichts wäre es dem Betroffenen auch möglich gewesen, innerhalb kürzester Zeit wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren, so dass auch insoweit nichts gegen die Annahme spricht, die Begehung einer neuen, ähnlich strukturierten Straftat stehe unmittelbar bevor.

Beim Verstoß gegen das Vermummungsverbot handelt es sich um eine Straftat (vgl. § 27 Abs. 2 VersG) in Form eines Vergehens (§ 12 Abs. 2 StGB). Auf etwaige zu Gunsten des Betroffenen eingreifende Entschuldigungsgründe kommt es nicht an, da präventiv-polizeiliches Einschreiten kein Verschulden voraussetzt (OLG Frankfurt vom 20.6.2007, 20 W 391/06 = NVwZ-RR 2008, 244). Polizeigewahrsam ist zur Verhinderung von Straftaten allgemein zulässig, nicht nur von "Straftaten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit". Diese Einschränkung bezieht sich nur auf Ordnungswidrigkeiten (BayObLG vom 28.5.1998, 3 Z BR 66/98 = NVwZ 1999, 106). Darüber hinaus obliegt der Polizei der Schutz einer friedlichen Demonstration. Sie ist gehalten, den Teilnehmern die Ausübung dieses Grundrechts zu ermöglichen.

dd) Die Gewahrsamnahme war auch unerlässlich und der angestrebte Zweck nicht mit einfacheren Mitteln zu erreichen. Ein Platzverweis (Art. 16 PAG) als milderes Mittel hätte nicht ausgereicht, um den Betroffenen davon abzuhalten, in wenigen Minuten wieder an den Demonstrationsort zurückzukehren. Bei einem Halstuch handelt es sich zudem um einen Gegenstand, der unschwer sofort wieder beschafft werden könnte. Davon, dass der Betroffene allein durch die Identitätsfeststellung und Beschuldigtenvernehmung so beeindruckt war, um von der erneuten Begehung einer Straftat abgehalten zu sein, brauchte aus Rechtsgründen nicht ausgegangen zu werden. Die gegenteilige Annahme wird vielmehr durch die Tatsache gestützt, dass der Betroffene erst wenige Monate zuvor wegen einer ähnlichen Handlung aufgefallen war und selbst durch das damalige Ermittlungsverfahren nicht davon abzuhalten war, sich erneut zu vermummen.

Die vom Tatrichter bestätigte Prognose der Polizei ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Der Gewahrsam des Betroffenen war auch nicht wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (vgl. Art. 104 Abs. 2 GG, Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG), rechtswidrig.

Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in diesem Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (z.B. BVerfG NJW 2002, 3161). Diese Verpflichtung wird in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG für die polizeiliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Gefahrenabwehr einfachrechtlich nachvollzogen.

Das Merkmal der "Unverzüglichkeit" i.S. des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfG NJW 2002, 3161; OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfG aaO.).

Eine Ausnahme von der in Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung wird allgemein angenommen, wenn die polizeiliche Prognose ergibt, dass eine richterliche Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist. Andernfalls würde die Regelung zu einer mit ihrem Rechtsschutzzweck nicht zu vereinbarenden Verlängerung der Freiheitsentziehung führen (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2005, 540 m.w.N.). Demgemäß sieht Art. 18 Abs. 1 Satz 2 PAG, verfassungsrechtlich bedenkenfrei, eine Ausnahme von der Pflicht zur Vorführung vor, wenn eine richterliche Entscheidung voraussichtlich erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde.

Nach diesem Maßstab ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme gegen 15.15 Uhr stand bereits fest, dass der Betroffene gegen 18.00 Uhr, nämlich nach Beendigung der abgehaltenen Demonstration, entlassen würde. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Polizeibehörden davon ausgingen, innerhalb dieser Zeit werde eine richterliche Entscheidung nicht herbeizuführen sein. Die richterliche Entscheidung darf nur aufgrund konkreter nachgeprüfter Tatsachen ergehen. Dabei darf der Richter sich nicht allein auf das Vorbringen der Polizei stützen. Er hat vielmehr nach Art. 104 Abs. 2 GG selbst über die Zulässigkeit einer weiteren Freiheitsentziehung zu entscheiden und die Tatsachen festzustellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen (BVerfG NVwZ 2006, 579/580; Senat vom 28.10.2005, 34 Wx 125/05 Rn. 12 zitiert nach juris). Dafür ist es nicht nur erforderlich, dass die Polizei dem Richter mehr als nur einen kurzen Aktenvermerk vorlegt. Vielmehr benötigt der Richter wenigstens neben einer Sachverhaltsschilderung auch ggfs. schriftliche Zeugenaussagen sowie eine mündliche Anhörung des Betroffenen und eventuell auch der Zeugen. Zur Erstellung einer derartigen Akte bis zur Einschaltung des Richters muss der Polizei eine gewisse Zeit zugestanden werden; tagsüber reicht eine Zeit von zwei bis drei Stunden im Allgemeinen aus (OLG Rostock vom 16.7.2008, 3 W 79/07 = NVwZ-RR 2008, 173/176). Da anschließend der Richter sowohl die Akten lesen und den Betroffenen persönlich anhören muss, um sodann eine schriftlich nachvollziehbar begründete Entscheidung zu treffen, ist der hier gezogene Schluss, dass in weniger als drei Stunden eine richterliche Entscheidung nicht habe erwartet werden können, nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene bereits gegen 13.45 Uhr aufgrund strafprozessualer Befugnisse festgenommen wurde. Die Einschaltung eines Richters zu diesem Zeitpunkt war noch nicht erforderlich, da über die Gewahrsamnahme erst nach Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen und der dabei gewonnenen Erkenntnisse entschieden wurde.

c) Die Ingewahrsamnahme wurde auch nicht durch die Art und Weise ihres Vollzugs dem Grunde nach rechtswidrig. Der Betroffene trägt dazu vor, dass er in der Zelle wegen (zur polizeilichen Eigensicherung erfolgter) Wegnahme von Pullover und Stiefeln gefroren habe. Zwar kann die Art und Weise der Ingewahrsamnahme, wenn auf Grund einer Gesamtschau aller Umstände schwerwiegende Verstöße gegen verfassungsrechtlich geschützte Grundwerte vorliegen, dazu führen, dass die Maßnahme dem Grunde nach auch bei ursprünglicher Befugnis aus Art. 17 PAG rechtswidrig wird. Dies ist hier nach den Feststellungen des Landgerichts ersichtlich nicht der Fall. Dass gesundheitliche Schäden gedroht hätten, wurde nicht einmal vorgetragen. Bloße Unbequemlichkeiten oder Beschwernisse stellen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme jedoch nicht in Frage (BVerfG vom 13.12.2005, 2 BvR 447/05 = NVwZ 2006, 579/580).

d) Schließlich beruhen die nach § 12 FGG ausreichenden Feststellungen des Tatrichters auch auf einer im Übrigen verfahrensfehlerfreien Grundlage.

Das Amtsgericht wie das Landgericht haben von einer mündlichen Anhörung des anwaltlich vertretenen Betroffenen, der sich umfassend zur Sach- und Rechtslage eingelassen hat, abgesehen. Eine weitergehende Sachaufklärung versprach die mündliche Anhörung nicht. Zwar hat das - inzwischen aufgelöste - Bayerische Oberste Landesgericht entschieden (BayObLG NVwZ 1990, 194/196; siehe auch Berner/Köhler PAG 19. Aufl. Art 18 Rn. 12; Schmidbauer Art. 18 PAG Rn. 20; offen gelassen in BayVerfGH NJW 1992, 1499), dass auch bei der Nachprüfung einer vor gerichtlicher Entscheidung beendeten Freiheitsentziehung der Betroffene grundsätzlich in allen Tatsacheninstanzen mündlich anzuhören ist, und dies mit § 13 Abs. 2, § 5 Abs. 1 FreihEntzG begründet. Jedoch verlangt § 5 Abs. 1 FreihEntzG zwingend eine mündliche Anhörung (nur) vor der Anordnung einer Freiheitsentziehung (BVerfG InfAuslR 1996, 198). Sinn der Vorschrift ist es u.a., dass sich der entscheidende Richter einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen kann. Bei nachträglichen Entscheidungen über eine bereits beendete Freiheitsentziehung kann sich der Richter einen Eindruck über die Verfassung und den Zustand des Betroffenen gerade zur Zeit der Polizeihaft aber im Allgemeinen nicht mehr verschaffen. Aus § 13 Abs. 2 FreihEntzG lässt sich für die Anhörungspflicht Entscheidendes nicht entnehmen. Insbesondere ist es nicht zwingend, dass wegen der Verweisung auf das Verfahren nach dem FreihEntzG über den eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 FreihEntzG hinaus eine mündliche Anhörung auch bei einer nachträglichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit grundsätzlich (Ausnahme: § 5 Abs. 2 FreihEntzG) unerlässlich wäre (ebenso OLG Celle FGPrax 2005, 48/49). Vielmehr erschiene es unangemessen und verfassungsrechtlich bedenklich, eine Person, die gerade um ihre Rehabilitierung wegen einer Freiheitsentziehung kämpft, nur aus formalen Gründen, erneut einer Einschränkung ihrer Freiheitsrechte durch richterliche Vorladung, ggf. mit der in § 5 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG verbundenen Sanktion, auszusetzen. Auch eine Parallelbetrachtung des Verwaltungsgerichtsverfahrens führt zu keinem anderen Ergebnis, weil dieses nicht in allen Fällen zwingend die mündlichen Anhörung eines Beteiligten erfordert (vgl. §§ 83, 95 VwGO). Zum anderen besteht kein grundrechtlich abgesicherter Anspruch auf eine mündliche Anhörung (vgl. BayVerfGH NVwZ 1991, 664/669). Art. 103 Abs. 1 GG begründet nur einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor einer gerichtlichen Entscheidung. Dieses kann auch schriftlich erfolgen (vgl. Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 152 m.w.N.).

Auch wenn danach eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1 FreihEntzG im Fortsetzungsfeststellungsverfahren nicht zwingend ist, so ist eine persönliche Anhörung des Betroffenen, sei es in einer oder auch in beiden Tatsacheninstanzen, nicht ausgeschlossen. Wegen § 12 FGG wird sie sogar im Allgemeinen unerlässlich sein.

Ende der Entscheidung

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