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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 09.01.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 101/05
Rechtsgebiete: BGB, GG, WEG


Vorschriften:

BGB § 1004 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2
GG Art. 14 Abs. 1 Satz 1
WEG § 14
WEG § 15 Abs. 3
Besteht für einen Bewohner einer Eigentumswohnanlage im Hinblick auf ein verfassungsmäßig geschütztes Recht auf Informationsfreiheit Anspruch auf Empfang einer angemessenen Anzahl ausländischer Programme, so ist dieses Recht, wenn es um die Befugnis zur Anbringung einer Parabolantenne geht, abzuwägen gegen das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht der Wohnungseigentümer. Die Abwägung obliegt in erster Linie den Tatgerichten und kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt überprüft werden.
Tatbestand:

Die Antragstellerin ist eine größere Wohnungseigentümergemeinschaft. Den türkischstämmigen Antragsgegnern gehört die Wohnung Nr. 197 im zweiten Obergeschoss. In dieser Wohnung ist ein Kabelanschluss vorhanden. Über diesen kann der staatliche türkische Fernsehsender TRTint empfangen werden. Insgesamt sechs bzw. acht türkischsprachige Programme könnten gegen entsprechende Kosten und Gebühren bei Anschluss einer digitalen "Set-Top-Box" empfangen werden.

Nach § 4 Nr. 4 der Gemeinschaftsordnung (GO) dürfen Schilder, Reklameeinrichtungen oder Antennen nur in der vom Verwalter zu bestimmenden Art und Form angebracht werden.

In der Eigentümerversammlung vom 17.3.2003 beschloss "die Gemeinschaft" bestandskräftig, die Eigentümer, bei deren Wohnungen Parabolantennen so aufgestellt sind, dass sie von außen wahrgenommen werden können, zu verpflichten, diese Antennen abzubauen. Sollte nach gehöriger Fristsetzung die Parabolantenne nicht abgebaut werden, wurde die Verwalterin beauftragt und bevollmächtigt, den Anspruch "der Gemeinschaft" auf Beseitigung gerichtlich geltend zu machen und hierzu Prozessvollmacht zu erteilen.

Gemäß der Hausordnung in der am 25.3.2004 beschlossenen Fassung (Punkt 03: Balkone und Terrassen) dürfen auf Balkonen und Terrassen keine Gegenstände wie Parabolantennen, Schränke, Regale aufgestellt werden, die über die Balkonbrüstung hinausragen.

In der Eigentümerversammlung vom 12.5.2005 wurde der Eigentümerbeschluss vom 17.3.2003 in der Weise ergänzt, dass Parabolantennen nicht beanstandet werden, wenn sie von den Verkehrswegen nicht beeinträchtigend wahrgenommen werden können, wobei als Grenze ein Hinausragen von 10 cm über die oberste Brüstungskante der Balkonkonstruktion festgelegt wurde.

Die Antragsgegner haben auf dem Balkon ihrer Wohnung eine Parabolantenne angebracht, um türkischsprachige Fernseh- und Radiosender empfangen zu können. Die dazugehörige Satellitenschüssel ist oberhalb der Balkonbrüstung installiert und von außen zur Gänze sichtbar.

Die Antragstellerin, vertreten durch die Verwalterin, hat beim Amtsgericht beantragt, die Antragsgegner zu verpflichten, die im Bereich ihres Sondereigentums angebrachte Parabolantenne zu entfernen und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.

Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 1.9.2004 abgewiesen. Auf die gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das Landgericht die Entscheidung durch Beschluss vom 11.7.2005 aufgehoben und die Antragsgegner samtverbindlich zur Entfernung der Antenne verpflichtet. Gleichzeitig hat es angeordnet, dass die Antragsgegner samtverbindlich die Gerichtskosten beider Instanzen zu tragen haben und dass eine Erstattung außergerichtlicher Kosten in keinem Verfahrenszug stattfindet. Gegen den landgerichtlichen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner. Die Antragstellerin widersetzt sich dem Rechtsmittel und beantragt ihrerseits im Wege der Anschließung, den Antragsgegnern in Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Die Rechtsmittel hatten im Wesentlichen keinen Erfolg.

Gründe:

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Antragsgegner ist unbegründet; berichtigt entsprechend § 319 ZPO hat der Senat lediglich die genaue Bezeichnung der Lage der zu entfernenden Antenne auf dem Balkon im 2. Obergeschoss. Ebenfalls erfolglos ist die Anschlussrechtsbeschwerde der Antragstellerin.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Antragstellerin könne sowohl aufgrund des Eigentümerbeschlusses vom 17.3.2003 als auch aus § 22 Abs. 1, § 14 Nr. 1 WEG, § 1004 BGB die Beseitigung der Antenne verlangen. Der Eigentümerbeschluss vom 17.3.2003 sei nicht nichtig. Insbesondere enthalte er kein generelles Aufstellverbot von Parabolantennen, sondern ordne lediglich die Beseitigung bestimmter bereits angebrachter Anlagen an. Die Schüssel der Antenne rage hier in vollem Umfang über die Balkonbrüstung hinaus und begründe einen Nachteil, der nach § 14 Nr. 1 WEG nicht hingenommen werden müsse. Die Antragsgegner könnten ihr verfassungsrechtlich geschütztes Informationsinteresse auf den Empfang heimatsprachlicher Sender zumutbar über den Bezug eines zusätzlichen digitalen Kabelprogramms decken. Insbesondere seien auch die hierdurch entstehenden Kosten hinnehmbar.

Da die Antragsgegner zur Beseitigung der Antenne verpflichtet worden seien, sei es angemessen, ihnen die Gerichtskosten beider Rechtszüge aufzuerlegen. Für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten bestehe dagegen mangels besonderer Rechtfertigung kein Anlass.

2. Die Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Wie der Senat in seinen Beschlüssen vom 12.12.2005 (34 Wx 083/05) und vom 14.12.2005 (34 Wx 084/05, 096/05 und 100/05) ausgeführt hat, ergibt sich aus dem Eigentümerbeschluss vom 17.3.2003, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft als teilrechtsfähiger Verband beauftragt und bevollmächtigt wurde, die Individualansprüche der Eigentümer auf Störungsabwehr in Verfahrensstandschaft zu verfolgen. Beteiligte auf Antragstellerseite ist somit die Gemeinschaft als solche. Für diese wiederum konnte die Verwalterin als Bevollmächtigte tätig werden.

b) Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Beseitigung der Parabolantenne zusteht. Grundlage sind insoweit § 14 Nr. 1, § 15 Abs. 3 WEG, § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit dem bestandskräftigen Beschluss der Eigentümerversammlung vom 17.3.2003, der durch Beschluss vom 12.5.2005 ergänzt und konkretisiert wurde. Darauf, ob das Anbringen der Antenne als bauliche Veränderung im Sinn von § 22 WEG anzusehen wäre, kommt es nicht an (vgl. Beschluss des Senats vom 19.10.2005, 34 Wx 098/05).

(1) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass der Eigentümerbeschluss vom 17.3.2003 nicht nichtig ist.

Bei der gebotenen objektiven Auslegung nach Wortlaut und Sinn, wie er sich aus der Sicht eines unbefangenen Betrachters als nächstliegende Bedeutung ergibt (BGHZ 139, 288/292), hat der Beschluss die Regelung bestimmter Einzelfälle zum Inhalt und legt nicht entgegen § 4 Nr. 4 GO ein generelles, in die Zukunft wirkendes Verbot fest, Parabolantennen aufzustellen. Das Landgericht hat unter Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere unter Auswertung der vorgelegten Lichtbilder, den Schluss gezogen, dass die Antenne der Antragsgegner von außen gut sichtbar ist und somit von dem Eigentümerbeschluss vom 17.3.2003 auch in seiner durch Beschluss vom 12.5.2005 abgeänderten Form erfasst wird.

(2) Darüber hinaus hat die Beschwerdekammer zutreffend das Vorliegen eines Nachteils bejaht, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß (§ 14 Nr. 1 WEG) hinausgeht. Ob durch das Anbringen einer Parabolantenne andere Wohnungseigentümer durch die Veränderung des optischen Gesamteindrucks der Wohnanlage über das zulässige Maß hinaus beeinträchtigt werden, obliegt in erster Linie tatrichterlicher Würdigung und ist durch das Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt nachprüfbar (Beschluss des Senats vom 19.10.2005 , 34 Wx 098/05; BayObLG WuM 2004, 358). Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei anhand der vorliegenden aussagekräftigen Lichtbilder eine Beeinträchtigung bejaht. Hierbei hat es insbesondere berücksichtigt, dass die Schüssel der Parabolantenne in vollem Umfang über die Balkonbrüstung hinausragt.

(3) Das grundgesetzlich geschützte Informationsinteresse der Antragsgegner (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG) steht dem Beseitigungsanspruch nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 157, 322) kann das besondere Informationsinteresse eines ausländischen Wohnungseigentümers auch bei vorhandenem Kabelanschluss dazu führen, dass die übrigen Wohnungseigentümer die Nachteile hinnehmen müssen, die für den optischen Gesamteindruck der Wohnanlage mit dem Vorhandensein einer Parabolantenne verbunden sind. Das Recht der Antragsgegner auf Informationsfreiheit ist jedoch fallbezogen abzuwägen mit dem aus Art. 14 Abs. 1 GG resultierenden Eigentumsrecht der übrigen Wohnungseigentümer, das auch das Recht beinhaltet, nachteilige Veränderungen nicht hinnehmen zu müssen. Die grundlegende Bedeutung des Rechts auf Informationsfreiheit lässt es insbesondere nicht zu, dass der ausländische Wohnungseigentümer auf einen Kabelanschluss verwiesen wird, der ihm gar keinen oder keinen ausreichenden Zugang zu seinen Heimatprogrammen verschafft, oder dass den Eigentumsrechten der übrigen Wohnungseigentümer von vornherein der Vorrang eingeräumt wird (vgl. BGH ZMR 2005, 436 zum Mietrecht). Die insoweit dem Tatrichter obliegende Abwägung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt, nämlich auf Rechtsfehler überprüft werden. Solche lässt die angefochtene Entscheidung nicht erkennen. Wie das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, wäre es den Antragsgegnern nach Anschaffung einer digitalen "Set-Top-Box" für etwa 200 EUR möglich, bei einer einmaligen Freischaltgebühr von 35 EUR und monatlichen Anschlussgebühren von 5,95 EUR sechs türkischsprachige Programme, bei monatlichen Gebühren von 19,95 EUR zwei weitere Programme zu empfangen. Der Senat folgt der Auffassung der Beschwerdekammer, dass den Antragsgegnern vor diesem Hintergrund die Nutzung einer Kabelanlage zugemutet werden kann (vgl. auch BVerfG NZM 2005, 252; BGH ZMR 2005, 436; siehe Hogenschurz DWE 2005, 63/65). Unabhängig davon bleibt es den Antragsgegnern, sofern auf diese Weise ein Empfang technisch sichergestellt werden kann, unbenommen, die derzeit in vollem Umfang sichtbare Schüssel der Antennenanlage so zu installieren, dass sie sich innerhalb des durch die Eigentümerbeschlüsse vom 17.3.2003 und vom 12.5.2005 gezogenen Rahmens hält. Seitens der Antragsgegner wurde insoweit lediglich vorgetragen, dass sich die Parabolantenne nicht so an- und unterbringen lasse, dass sie von außen "gar nicht" gesehen werden könne.

c) Das Anschlussrechtsmittel der Antragstellerin mit dem Ziel der Überprüfung der vorangegangenen Entscheidung im Kostenpunkt ist zulässig (Weitnauer/Mansel WEG 9. Aufl. § 45 Rn.2), bleibt jedoch ohne Erfolg.

Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Kostenerstattung abzusehen, ist eine Ermessensentscheidung, die der Senat nur beschränkt, nämlich auf Rechtsfehler überprüfen kann (st. Rspr., zuletzt Senat vom 19.12. 2005, 34 Wx 006/05). Das Ergebnis der Ermessensausübung ist der Nachprüfung entzogen. Ermessensfehler des Landgerichts sind nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass es den gesetzlichen Regelfall in Wohnungseigentumssachen bildet, wenn jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt. Davon abzuweichen bestand kein Anlass. Dass die Antragsgegner die Antenne eigenmächtig anbrachten, ohne sich zuvor um eine Zustimmung der Verwalterin zu bemühen, ändert nichts. Denn wie auch die Entscheidung des Amtsgerichts zeigt, war die Rechtslage für die Antragsgegner nicht von vornherein eindeutig erkennbar.

Ende der Entscheidung

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