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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 06.02.2008
Aktenzeichen: 34 Wx 11/08
Rechtsgebiete: AufenthG, FreihEntzG
Vorschriften:
AufenthG § 62 Abs. 2 | |
AufenthG § 106 Abs. 2 Satz 2 | |
FreihEntzG § 4 Abs. 1 | |
FreihEntzG § 12 |
Gründe:
I.
Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines indischen Staatsangehörigen. Dieser reiste vermutlich im Jahr 2006 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne im Besitz eines Reisepasses oder Visums gewesen zu sein. Bei einer polizeilichen Kontrolle am 29.11.2006 wies er sich mit einer total gefälschten französischen Identitätskarte aus. Einen Asylantrag vom 11.12.2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 23.1.2007 ab. Gleichzeitig forderte es den Betroffenen unter Androhung der Abschiebung nach Indien auf, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Der Bescheid ist seit dem 13.2.2007 unanfechtbar. Der Betroffene hielt sich vom 18.8.2007 bis zu seiner Festnahme am 24.8.2007 nicht in der ihm zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft auf. Bereits zuvor hatte er die Unterkunft zweimal für jeweils mehrere Wochen mit unbekanntem Ziel verlassen.
Am 24.8.2007 hat das Amtsgericht Nürnberg auf Antrag der Ausländerbehörde mit sofortiger Wirksamkeit Abschiebungshaft gegen den Betroffenen bis zur möglichen Abschiebung, längstens bis 23.11.2007, angeordnet.
In der Zeit vom 26.10.2007 bis 4.12.2007 verbüßte der Betroffene eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen unerlaubter Einreise, unerlaubtem Aufenthalt, unerlaubtem Aufenthalt ohne Pass und Urkundenfälschung.
Auf Antrag der Ausländerbehörde vom 29.11.2007 hat das Amtsgericht Hof nach Anhörung des Betroffenen am 4.12.2007 die Dauer der gegen den Betroffenen verhängten Abschiebungshaft um drei Monate bis 3.3.2008 verlängert und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die sofortige Beschwerde hat das Landgericht nach Anhörung des Betroffenen am 10.1.2008 zurückgewiesen. Gegen den Beschluss des Landgerichts richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er macht im Wesentlichen geltend, die Ausländerbehörde habe das Beschleunigungsgebot verletzt, indem sie nicht rechtzeitig alles zur Passersatzbeschaffung Erforderliche getan habe. Auch habe er sich nicht der Abschiebung entziehen wollen, wenn er sich auch mehrfach außerhalb der räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsgestattung aufgehalten habe, dies jedoch nur, um der Ausübung seiner Religion als Sikh nachzugehen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und dieser Pflicht nicht nachgekommen. Es bestehe der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG, nämlich der Verdacht, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wolle, da er bereits mehrfach unbekannten Aufenthalts gewesen sei. Zudem habe er sich mit gefälschten französischen Identitätspapieren ausgewiesen und auch mehrfach gegen die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung verstoßen. Der Betroffene selbst habe angegeben, nicht freiwillig nach Indien ausreisen zu wollen. Außerdem sei er seiner Verpflichtung zur Mitwirkung an der Beschaffung von Heimreisepapieren nicht genügend nachgekommen. Zwar habe die Ausländerbehörde bereits seit dem 25.9.2007 gewusst, dass die Identität des Betroffenen anlässlich der Vorführung beim indischen Generalkonsulat in München nicht habe geklärt werden können. Sie habe mit einer Anfrage an die Deutsche Botschaft in Neu-Delhi dann noch bis 14.12.2007 zugewartet. Diese Handhabung verstoße aber nicht gegen das Beschleunigungsgebot, da die Behörde sich darauf habe verlassen können, dass das Generalkonsulat, wie in solchen Fällen üblich, selbst die weiteren nötigen Schritte einleiten werde. Die Abschiebungshaft sei auch verhältnismäßig. Im Hinblick auf die laufenden Bemühungen, die Identität des Betroffenen zu klären und für ihn Heimreisepapiere zu beschaffen, gehe die Kammer davon aus, dass dies demnächst gelingen werde. Es stehe nicht fest, dass die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate stattfinden könne.
2. Die Entscheidung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO).
a) Das Amtsgericht Hof war für die Entscheidung über die erneute Anordnung von Abschiebungshaft gegen den Betroffenen zuständig. Als gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zuständig ist für Entscheidungen über die Fortdauer zwar das die Abschiebungshaft erstmalig anordnende Gericht. Nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann dieses Gericht für die Entscheidung über die Fortdauer der Abschiebungshaft das Verfahren durch Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft vollzogen wird. Kommt es zu einer solchen Abgabe nicht, verbleibt es für die Entscheidung über die Haftfortdauer bei der bisherigen Zuständigkeit, was sich aus § 12 FreihEntzG ergibt, der in seiner Verweisung § 4 FreihEntzG ausdrücklich ausschließt (siehe Senat FGPrax 2006, 185 und st. Rspr.).
Jedoch ist die Entscheidung des Amtsgerichts Hof keine solche über die Fortdauer, weil jedenfalls ab 24.11.2007 die ursprüngliche Haftanordnung des Amtsgerichts Nürnberg durch Zeitablauf wirkungslos geworden war. Eine Entscheidung über die Fortdauer setzt voraus, dass die ursprünglich angeordnete Frist noch nicht abgelaufen ist. Ist hingegen mit deren Ablauf die Maßnahme beendigt, kann sie nur neu angeordnet, nicht hingegen verlängert werden (vgl. Sonnenfeld in Jansen FGG 3. Aufl. § 70i Rn. 9). Für die erneute Anordnung gilt § 12 FreihEntzG nicht; für die Zuständigkeit des Gerichts ist deshalb auf § 4 Abs. 1 FreihEntzG abzustellen (ebenso schon Senat vom 19.7.2006, 34 Wx 074/06 = FGPrax 2006, 233). Damit war nach § 4 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG das Amtsgericht Hof als Gericht des Haftorts zuständig.
Eine andere Sichtweise würde unzuträgliche Schwierigkeiten bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters mit sich bringen. Denn in allen Fällen, in denen sich die "Fortdauer" nicht unmittelbar an den vorangegangenen Haftzeitraum anschließt, müsste nach wertenden Gesichtspunkten eine Abgrenzung stattfinden, ob die Haft noch fortdauert oder schon neu angeordnet wird. Dies ist nicht möglich. Klarstellend ist anzumerken, dass im Fall der Neuanordnung die Beschränkungen in § 62 Abs. 3 AufenthG davon unabhängig gelten und nach der so genannten "relevanten Zäsur" zu bestimmen sind (vgl. OLG Schleswig FGPrax 1996, 39; KG FGPrax 2000, 84).
b) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist und seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG bejaht. Die Entziehungsabsicht konnte der Tatrichter aus der Identitätstäuschung (z.B. OLG Düsseldorf NVwZ-Beilage 1998, 77; OLG Karlsruhe/Senate Freiburg FGPrax 1995, 207) und seinem einstweiligen Untertauchen (BayObLGZ 1995, 17/21) entnehmen. Ob auch die mangelnde Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisepapieren eine Entziehungsabsicht begründet, kann auf sich beruhen.
c) Das Beschwerdegericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht vorliegen. Denn es steht nicht fest, dass aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Nach derzeitigem Sachstand spricht einiges dafür, dass die in der Anhörung vom 4.12.2007 angegebenen und der Ausländerbehörde auch schon im August 2007 bekannten Personalien zutreffend sind. Wäre dem aber so, ist sowohl unmittelbar über die Behörden des Heimatstaates wie auch unter Mithilfe der nun eingeschalteten Deutschen Auslandsvertretung in Neu-Delhi eine abschließende Identifizierung des Betroffenen und die Ausstellung von Passersatzpapieren nicht ausgeschlossen. Insoweit muss sich der Betroffene auch eine etwaige schleppende Arbeitsweise der Heimatbehörden zurechnen lassen.
d) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist gegenwärtig nicht erkennbar. Der Betroffene hat es sich selbst zuzuschreiben, dass die Ausländerbehörde für ihn Passersatzpapiere beschaffen muss. Dass er nicht sogleich am 25.9.2007 beim Generalkonsulat identifiziert werden konnte und die Ausländerbehörde erst im Dezember 2007 weitere Ermittlungsbemühungen über die Deutsche Botschaft vor Ort in die Wege geleitet hat, begründet keinen Umstand, der dem Haftvollzug gegenwärtig entgegenstünde. Ersichtlich wurden auch unmittelbar über die indischen Heimatbehörden Überprüfungen zur Identitätsklärung eingeleitet. Diese waren nicht mit der Feststellung, die Identifizierung bei der Vorführung im Generalkonsulat habe nicht sogleich stattfinden können, abgeschlossen. Vielmehr stehen, wie dem Schreiben der Zentralen Rückführungsstelle vom 25.9.2007 entnommen werden kann, die abschließende Überprüfung vor Ort und die Benachrichtigung der deutschen Stellen über das Ergebnis noch aus. Es ist nicht unüblich und nach Sachlage meist - so auch hier - vertretbar, zunächst den Ausgang eines solchen Verfahrens abzuwarten. Spätestens dann, wenn in einem angemessenen Zeitraum keine - positive wie negative - Auskunft eingeht, ist die Behörde gehalten, über andere Wege weitere Nachforschungen anzustellen. Ob dies unter den verschärften Bedingungen des § 62 Abs. 4 AufenthG auch eine Haftverlängerung über sechs Monate hinaus rechtfertigen würde, kann an dieser Stelle auf sich beruhen.
e) Aus den vorliegenden Ausländerakten ergibt sich, dass gegen den Betroffenen wegen verschiedener ausländerrechtlicher Verfehlungen, auch im Zusammenhang mit Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde und anhängig ist oder war (vgl. Bl. 269 ff. der Ausländerakte). Dass insoweit ein Hindernis für die Abschiebung bestünde, ist nicht ersichtlich. Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung (vgl. § 72 Abs. 4 AufenthG) muss nicht zwingend schon zu dem Zeitpunkt bestehen, in dem die Haft angeordnet wird.
Ende der Entscheidung
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