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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 14.11.2005
Aktenzeichen: 34 Wx 135/05
Rechtsgebiete: FGG, AufenthG, FreihEntzG


Vorschriften:

FGG § 12
AufenthG § 60a Abs. 5 Satz 4
FreihEntzG § 5
1. Die in bestimmten Fällen bestehende Pflicht zur Ankündigung der Abschiebung einen Monat vor deren Durchführung begründet eine Sperrfrist, vor der die Abschiebung nicht durchgeführt werden darf. Die Sperrfrist steht einer Haftanordnung nicht entgegen, wenn sie nicht länger läuft als die zur Abschiebung notwendige Haft.

2. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob in Verfahren nach dem Freiheitsentziehungsgesetz auch die Mutter eines gemeinsamen nichtehelichen Kindes gehört werden muss.


Tatbestand:

Die Ausländerbehörde betrieb bis zum 10.10.2005 die Abschiebung des Betroffenen, eines der Volksgruppe der Ashkali angehörenden serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen aus dem Kosovo. Dessen Asylantrag wurde am 8.9.1995 rechtskräftig abgelehnt, auch ein Asylfolgeantrag war erfolglos. Mit Bescheid vom 14.5.2002, bestandskräftig seit 3.9.2002, wurde der Betroffene aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Im Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung angedroht. Der Betroffene wurde in der Folgezeit geduldet, da die Ausländerbehörde von einer zwangsweisen Rückführung in den Kosovo im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur Minderheit der Ashkali absah. Seit Mai 2005 werden auch Angehörige dieser Volksgruppe wieder in ihre Heimat abgeschoben. Der Aufenthalt des Betroffenen war auf die Stadt und den Landkreis R. beschränkt. Zeitweise war er unbekannten Aufenthalts. Zuletzt verbüßte er bis zum 29.6.2005 in der Justizvollzugsanstalt R. eine Restfreiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Der Aufforderung, sich nach seiner Entlassung bei dem für ihn zuständigen Ausländeramt der Stadt R. zu melden, kam der Betroffene nicht nach. Am 25.7.2005 sprach er beim Ausländeramt in D. vor. Trotz des Hinweises, dass er mit seiner Verhaftung zu rechnen habe, meldete er sich nicht bei der Ausländerbehörde in R. Am 29.8.2005 wurde er zufällig im Stadtgebiet von R. angetroffen und von der Polizei festgenommen.

Mit Beschluss vom 30.8.2005 hat das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit Sicherungshaft für die Dauer von zwei Monaten angeordnet. Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 7.9.2005 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 21.9.2005. Er macht geltend, dass die Bestimmung des § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG nicht eingehalten worden sei. Da er länger als ein Jahr geduldet gewesen sei, hätte man ihm die Abschiebung einen Monat vorher ankündigen müssen. Außerdem sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht hinreichend gewahrt worden. Seine deutsche Lebensgefährtin, mit der er eine gemeinsame vierjährige Tochter habe, sei nicht gehört worden. Auch sei die zwischen ihm und seiner Tochter bestehende Beistandsgemeinschaft nicht hinreichend berücksichtigt worden. Das Landgericht habe zudem ihn selbst nicht angehört.

Am 7.10.2005 teilte die Mutter des gemeinsamen Kindes dem Kreisjugendamt mit, sie wolle zusammen mit dem Betroffenen das Sorgerecht ausüben. Nachdem der Betroffene am 10.10.2005 ebenfalls seine Bereitschaft zur Übernahme der gemeinsamen Sorge erklärt hatte, hat die Ausländerbehörde den Haftantrag am gleichen Tag zurückgenommen; der Betroffene wurde aus der Haft entlassen.

Der Betroffene beantragt nunmehr, festzustellen, dass die angeordnete Abschiebungshaft rechtswidrig war. Das Rechtsmittel erwies sich als unbegründet.

Gründe:

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig. Zwar hat sich die Hauptsache dadurch erledigt, dass die Ausländerbehörde den Haftantrag zurückgenommen hat und der Betroffene am 10.10.2005 aus der Haft entlassen wurde. Eine Erledigung der Hauptsache lässt das Rechtsschutzbedürfnis für ein gegen die Freiheitsentziehung eingelegtes Rechtsmittel jedoch nicht entfallen. Der Rechtsmittelführer kann sein Rechtsmittel mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der aufgrund der angefochtenen Haftanordnung vollzogenen Freiheitsentziehung einlegen oder aufrecht erhalten; er kann aber auch sein Rechtsmittel auf die Kostenfrage beschränken mit dem Ziel, nach § 16 FreihEntzG eine Erstattung seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erlangen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Beschluss vom 24.10.2005, 34 Wx 140/05). Vorliegend hat der Betroffene der Erledigung der Hauptsache in der Weise Rechnung getragen, dass er nunmehr in zulässiger Weise beantragt, die Rechtswidrigkeit der gerichtlichen Haftanordnungen festzustellen.

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Nachprüfung stand (§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Der Vollzug der Abschiebungshaft ist nicht zu beanstanden.

a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Anordnung der Abschiebungshaft auf den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gestützt. Der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen will, setzt voraus, dass konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen und Verhaltensweisen des Ausländers, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahe legen, dieser beabsichtige unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (vgl. BGHZ 98, 109/112 f.). Diese Beurteilung obliegt dem Tatrichter und kann vom Senat lediglich auf Rechtsfehler überprüft werden. Das Landgericht hat die Tatsache, dass sich der Betroffene nach seiner Haftentlassung trotz Aufforderung nicht unverzüglich in R. gemeldet hat, sondern im Stadtgebiet von R. erst am 29.8.2005 zufällig aufgegriffen werden konnte, als Untertauchen gewertet. Dies ist nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene Ende Juli 2005 bei den Behörden in D. vorstellig wurde, um sich dort anzumelden. Eine Adresse, unter der ihn die Ausländerbehörde hätte erreichen können, teilte er nicht mit. Der Betroffene war damit weiterhin unbekannten Aufenthalts und für die Ausländerbehörde nicht erreichbar. Sein Verhalten rechtfertigt damit die Annahme, er werde sich der Abschiebung entziehen.

b) Der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung steht § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist für den Fall des Erlöschens einer seit mehr als einem Jahr bestehenden Duldung die Abschiebung einen Monat vorher anzukündigen. Dies gilt auch für den Betroffenen. Maßgeblich ist nicht, ob ein Antrag auf Duldung gestellt und förmlich verbeschieden worden ist. Es genügt vielmehr auch die nach der bestandskräftigen Ablehnung des Asylantrags erfolgte faktische Aussetzung der Abschiebung. Die Monatsfrist soll dem betroffenen Ausländer die Möglichkeit geben, sich rechtzeitig auf die Aufenthaltsbeendigung einzustellen und seine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen. Es handelt sich insoweit um eine Sperrfrist, vor deren Ablauf die Abschiebung nicht vorgenommen werden darf. Der aufenthaltsrechtliche Status des Betroffenen wird dadurch jedoch nicht berührt (vgl. BVerwG InfAuslR 1998, 217).

Vorliegend hat die Ausländerbehörde im Haftantrag vom 30.8.2005 erklärt, den Betroffenen durch Sammelrückführung auf dem Luftweg am 25.10.2005 abschieben zu wollen. Der Antrag wurde dem Betroffenen am gleichen Tag bekannt gegeben. Die Ausländerbehörde hat damit ihrer Pflicht nach § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG Genüge getan. Zwar fiel damit der Lauf der Monatsfrist in den Zeitraum der Festnahme und Inhaftierung des Betroffenen. Dies wird in § 62 Abs. 2 AufenthG jedoch nicht ausgeschlossen. Die Pflicht der Behörde zur rechtzeitigen Ankündigung der Abschiebung beinhaltet kein Recht des Betroffenen, sich während des Fristlaufs in Freiheit im Bundesgebiet aufzuhalten. Insbesondere wenn der Verdacht besteht, der Betroffene werde sich seiner Abschiebung entziehen, würde eine vorherige Ankündigung der Abschiebung ohne Inhaftnahme den Sinn der Abschiebungshaft vereiteln. Der Betroffene kann auch aus der Haft heraus seine persönlichen Belange bis zum Vollzug der Abschiebung regeln (vgl. BayOblG Beschluss vom 25.5.2004, 4Z BR 43/04 zur Fristsetzung nach § 36 Abs. 1 AsylVfG). Unzulässig wäre die Haftanordnung nur dann, wenn feststünde, dass bis zum Ablauf der Haftzeit eine Abschiebung wegen der noch laufenden Frist des § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG nicht vollzogen werden könnte. Denn in diesem Fall könnte die Haft von vorneherein ihren Zweck, nämlich die Sicherung der Abschiebung, nicht erfüllen (vgl. BayOblG Beschluss vom 11.5.2004, 4 Z BR 29/04 bei Anordnung einer zweiwöchigen Haft nach § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG).

c) Auch der Umstand, dass der Betroffene eine Tochter hat, die deutsche Staatsangehörige ist, hinderte nicht von vorneherein die Anordnung von Sicherungshaft. Grundsätzlich ist es Sache der Verwaltungsgerichte, zu entscheiden, ob das berechtigte Interesse des Betroffenen am Umgang oder der Betreuung seines deutschen Kindes einer Abschiebung entgegensteht. Allerdings sind auch im Rahmen der Anordnung von Sicherungshaft den verfassungsrechtlich geschützten Belangen aus Art. 6 GG Rechnung zu tragen. Zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung lagen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, dass wegen des vorrangigen Schutzes der Familie von der Anordnung von Sicherungshaft abzusehen gewesen wäre. Erst in der Rechtsbeschwerdeinstanz haben die Kindsmutter und der Betroffene ihre Absicht erklärt, künftig die elterliche Sorge für die Tochter gemeinsam ausüben zu wollen. Dem hat die Ausländerbehörde durch sofortige Rücknahme des Haftantrags Rechnung getragen.

d) Es begründet keinen zur Aufhebung der Entscheidung führenden Verfahrensfehler, dass das Landgericht von der nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG grundsätzlich gebotenen Anhörung des Betroffenen abgesehen hat. Der Betroffene war kurze Zeit vorher vom Amtsgericht mündlich ausführlich angehört worden. Entscheidungserhebliche Gesichtspunkte, zu denen eine erneute Anhörung geboten gewesen wäre oder die beim Amtsgericht nicht hinreichend aufgeklärt wurden, lagen zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung nicht vor.

e) Nicht zu beanstanden ist auch, dass weder das Amtsgericht noch das Landgericht die Mutter des gemeinsamen Kindes angehört haben. Nach § 5 Abs. 3 Sätze 2 und 3 FreihEntzG ist nur die Anhörung des nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten und Lebenspartners gesetzlich vorgeschrieben (dazu OLG Celle InfAuslR 2005, 423). Eine förmliche Pflicht zur Anhörung der Kindsmutter besteht dagegen nicht. Auch im Rahmen der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 12 FGG) mussten weder das Amtsgericht noch das Landgericht unmittelbar Erkundigungen bei der Kindsmutter einholen. Es bestand keine Lebensgemeinschaft des Betroffenen mit der Kindsmutter und dem gemeinsamen Kind. Auch eine Erziehungs- und Beistandsgemeinschaft zwischen dem Betroffenen und seinem Kind war nicht erkennbar. Der Tatrichter konnte sich daher anhand der Erklärungen des Betroffenen und der Ausländerbehörde ein ausreichendes Bild von den Umständen machen. Tatsächlich musste der Betroffene auch nicht aufgrund von Tatsachen, die die Vorinstanzen bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt hatten, entlassen werden, sondern aufgrund von nachträglich eingetretenen Umständen.

Ende der Entscheidung

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