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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 16.11.2005
Aktenzeichen: 34 Wx 147/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 1 Satz 1
1. Die Anordnung von Vorbereitungshaft setzt voraus, dass

(1) die von der Ausländerbehörde beabsichtigte Ausweisung hinreichend sicher ist,

(2) die Ausländerbehörde nach Erlass der Ausweisungsverfügung die Ausreisepflicht des Betroffenen mittels Abschiebung durchsetzen will und hierzu die Inhaftnahme des Betroffenen erforderlich ist (Haftgrund),

(3) mit der Ausweisungsverfügung innerhalb eines Zeitraums von in der Regel höchstens sechs Wochen zu rechnen ist.

2. Der Haftgrund, der die Anordnung von Vorbereitungshaft rechtfertigt, unterliegt strengeren Anforderungen als der Haftgrund, der die Anordnung von Sicherungshaft erlaubt; denn bei Vorbereitungshaft steht die Ausreiseverpflichtung des Ausländers noch nicht fest.


Tatbestand:

Die Ausländerbehörde betrieb die Ausweisung und Abschiebung des Betroffenen, eines serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen. Der Betroffene reiste erstmals am 24.6.1992 in das Bundesgebiet ein. Nach erfolglosem Asylverfahren wurde er am 1.12.2000 nach Serbien-Montenegro abgeschoben. Der Betroffene reiste erneut am 23.1.2005 mit einem Visum zur Eheschließung in das Bundesgebiet ein und heiratete am 27.1.2005 eine deutsche Staatsangehörige. Am 2.2.2005 erhielt er eine befristete Aufenthaltserlaubnis bis 26.7.2006.

Nach wiederholten Anrufen der Ehefrau des Betroffenen, dieser sei aus der ehelichen Wohnung ausgezogen bzw. er ziehe aus der Wohnung nicht aus und betreibe Psychoterror, erklärte Frau M. am 21.7.2005 bei der Ausländerbehörde, ihre Ehe sei eine Scheinehe. Am 25.7.2005 widerrief sie ihre Erklärung. Am 17.8.2005 erstattete sie gegen den Betroffenen Strafanzeige wegen Scheinehe, Bedrohung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und anderem. Das Ausländeramt beabsichtigte daraufhin den Erlass einer Ausweisungsverfügung nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 AufenthG und beantragte am 26.8.2005, den Betroffenen bis zum Abschluss des Ausweisungsverfahrens für sechs Wochen in Vorbereitungshaft zu nehmen. Am 26.8.2005 hat das Amtsgericht antragsgemäß Vorbereitungshaft auf die Dauer von sechs Wochen und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Hiergegen hat der Betroffene am 30.8.2005 sofortige Beschwerde eingelegt. Am 2.9.2005 erklärte die Ehefrau des Betroffenen schriftlich, sich mit ihrem Ehemann versöhnt zu haben. Am 7.9.2005 hat die Ausländerbehörde den Antrag auf Vorbereitungshaft zurückgenommen. Der Betroffene wurde am selben Tag aus der Haft entlassen. Er hat daraufhin beantragt, die Rechtswidrigkeit des amtsgerichtlichen Beschlusses, mit dem die Vorbereitungshaft gegen ihn angeordnet worden war, festzustellen. Diesen Antrag hat das Landgericht mit Beschluss vom 26.9.2005 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Das Rechtsmittel des Betroffenen erwies sich als zulässig und in der Sache auch begründet.

Gründe:

1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die sofortige Beschwerde des Betroffenen zulässig ist. Zwar hat sich die Hauptsache nach Beschwerdeeinlegung durch die Entlassung des Betroffenen aus der Vorbereitungshaft erledigt. Dies stand jedoch einem fortwirkenden Rechtsschutzinteresse nicht entgegen. Denn die auf der Grundlage dieses Beschlusses erfolgte Inhaftierung greift in schwerwiegender Weise in das Grundrecht auf Freiheit der Person ein. Die Haftanordnung beinhaltet auch den Vorwurf gesetzwidrigen Handelns und ist geeignet, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen (siehe BVerfGE 104, 220; ständige Senatsrechtsprechung, etwa Beschluss vom 26.9.2005, 34 Wx 127/05). Der Rechtsmittelführer braucht sein Rechtsmittel nicht auf die Kostenfrage zu beschränken, sondern kann sein Rechtsmittel mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Haftanordnung feststellen zu lassen, weiter verfolgen.

2. Das Rechtsmittel des Betroffenen ist erfolgreich. Das Landgericht hat zu Unrecht dem Feststellungsantrag nicht stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Verhängung von Vorbereitungshaft gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 AufenthG waren nicht gegeben.

a) Das Landgericht hat ausgeführt, es hätten konkrete Umstände vorgelegen, die den Erlass einer Ausweisungsverfügung mit Wahrscheinlichkeit erwarten ließen. Diese Umstände hätten sich aus den nicht nur einmaligen, sondern wiederholten Hinweisen der Ehefrau des Betroffenen ergeben, die Ehe sei eine Scheinehe. Dies hätte die Ehefrau des Betroffenen insbesondere bei ihrer polizeilichen Zeugeneinvernahme detailreich und glaubhaft geschildert. Vor diesem Hintergrund habe der Erlass einer Ermessensausweisung nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG als hinreichend sicher gelten können. Auch habe die Ausländerbehörde beabsichtigt, nach Erlass der Ausweisungsverfügung die Ausreisepflicht mittels Abschiebung durchzusetzen. Die beabsichtigte Abschiebung sei ohne Inhaftnahme des Betroffenen, wie sich aus dessen bisherigen Verhalten ableiten lasse, wesentlich erschwert gewesen. Der Betroffene sei bereits 1992 in das Bundesgebiet eingereist, sei nach wiederholtem Fortzug immer wieder zugezogen und habe sich mehrfach und nachhaltig um Asyl bemüht. Daraus sei der Schluss zu ziehen, der Betroffene werde alles daransetzen, im Bundesgebiet bleiben zu können. Dies werde durch die - glaubhaft behauptete - Scheinehe noch unterstrichen. Hinzu käme das drohende Strafverfahren infolge der Anzeige der Ehefrau. Zudem habe der Betroffene zuletzt in einer Obdachlosenunterkunft gewohnt und sei bereits einmal abgeschoben worden.

b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Inhalt und Reichweite der Bestimmung des § 62 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind so auszulegen, dass sie der Bedeutung der Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 GG gerecht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.3.1998, 2 BvR 2270/96 = NJW 1998, 1774). Die Vorschrift ist daher eng auszulegen, zumal es in der Regel um Haft gegen eine Person geht, die sich zu Recht in der Bundesrepublik aufhält und deren Aufenthaltsrecht erst noch beendet werden soll. Die Anordnung von Haft setzt daher voraus, dass

(1) die von der Ausländerbehörde beabsichtigte Ausweisung hinreichend sicher ist,

(2) die Ausländerbehörde nach Erlass der Ausweisungsverfügung die Ausreisepflicht des Betroffenen mittels Abschiebung durchsetzen will und hierzu die Inhaftnahme des Betroffenen erforderlich ist (Haftgrund),

(3) mit der Ausweisungsverfügung innerhalb eines Zeitraums von in der Regel höchstens sechs Wochen zu rechnen ist.

c) Bereits die ersten beiden Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

(1) Im Zeitpunkt der Haftanordnung war der Erlass einer Ausweisungsverfügung nicht hinreichend sicher. Wie die Ausländerbehörde auf Anfrage des Senats mitteilte, konnte die Ausweisungsverfügung nicht vor dem Haftantrag ergehen, da die Ermittlungen der Polizei hinsichtlich der angezeigten Scheinehe des Betroffenen, eines Vergehens nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, noch nicht abgeschlossen waren. Solange jedoch die Ausweisung eines Betroffenen vom Ergebnis eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens abhängt, ist die beabsichtigte Ausweisung gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht hinreichend sicher, weil sich die Frage strafrechtlich relevanten Verhaltens des Betroffenen ohne das Ergebnis des Strafverfahrens nicht hinreichend zuverlässig beurteilen lässt (vgl. BayObLG InfAuslR 1999, 82/83).

Auch ein Ausweisungsgrund gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG lag nicht hinreichend sicher vor. Danach ist erforderlich, dass der Ausländer falsche oder unvollständige Angaben zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels gemacht hat. Eine Ausweisungsverfügung, die sich auf falsche Angaben des Betroffenen über das Bestehen der Ehe stützt, konnte nicht hinreichend sicher angenommen werden.

Die Tatsachenwürdigung des Beschwerdegerichts ist darauf nachprüfbar, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt (§ 12 FGG) und sich bei der Beurteilung des Beweisstoffes mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt (§ 25 FGG) hat (vgl. Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42). Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die Ausweisungsverfügung als hinreichend sicher angesehen. Es hat nämlich entscheidungserhebliche, gegen falsche Angaben des Betroffenen sprechende Umstände übergangen. Der Senat kann aus dem verwertbaren Akteninhalt ergänzend feststellen, dass die Eheleute in ehelicher Gemeinschaft gelebt haben. Zudem ergibt sich aus den bei den Akten befindlichen Vermerken der Ausländerbehörde, dass die Ehefrau ihre Aussagen sehr sprunghaft ändert. Der Betroffene hatte sich bis dahin, auf den Rat seiner Anwältin, zur Sache nicht geäußert. Das Vorliegen einer Scheinehe war daher keineswegs sicher.

(2) Auch die von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen erfüllen nicht die an einen Haftgrund zu stellenden Voraussetzungen. Bei der Vorbereitungshaft muss mit einem höheren Grad von Wahrscheinlichkeit, als er bei der Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erforderlich ist, zu erwarten sein, dass ohne Inhaftnahme des Ausländers das Gelingen der späteren Abschiebung gefährdet ist (BGHZ 75, 375/379; BayObLGZ 1993, 379/380). Die hierzu festgestellten Tatsachen rechtfertigen schon nicht eine Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG. Das Ermittlungsverfahren (geschweige denn das Strafverfahren) bezüglich der dem Betroffenen vorgeworfenen Straftaten war noch nicht abgeschlossen. Soweit der Betroffene bei seinem Aufenthalt in den 90er Jahren mehrfach Asyl beantragt hat, hat er dabei von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch gemacht. Dies rechtfertigt die Anordnung von Haft nicht.

Auch ein Untertauchen des Betroffenen ist nicht festgestellt und lag auch tatsächlich nicht vor. Vielmehr hat er, als er die eheliche Wohnung nicht mehr betreten durfte, sich bei der zuständigen Stadtverwaltung obdachlos gemeldet; ihm wurde eine entsprechende Unterkunft zugewiesen. Sein Aufenthalt war daher bekannt.

Ende der Entscheidung

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