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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 28.04.2005
Aktenzeichen: 34 Wx 45/05
Rechtsgebiete: AufenthG, FGG, FreihEntzG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2
FGG § 12
FreihEntzG § 5 Abs. 1 Satz 1
1. Die Voraussetzungen, unter denen Abschiebungshaft gegen Minderjährige verhängt werden darf, sind strenger als bei volljährigen Personen.

2. Ob ein Betroffener, der in Abschiebungshaft genommen werden soll, volljährig oder minderjährig ist, hat das Gericht von Amts wegen aufzuklären.


Tatbestand:

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines chinesischen Staatsangehörigen. Der Betroffene reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt innerhalb der vergangenen drei Monate auf dem Landweg nach Deutschland ein. Am 25.2.2005 wurde er bei einer Autobahnkontrolle zusammen mit drei weiteren Chinesen festgenommen. Der Betroffene gab an, seine Flucht aus China sei von Schleppern organisiert worden. Hierfür habe er 5.000 bis 6.000 EUR zu bezahlen, die er in Italien abarbeiten solle.

Die Ausländerbehörde hat beim Amtsgericht die Anordnung von Abschiebungshaft gegen den Betroffenen beantragt. Bei der Anhörung durch das Amtsgericht hat der Betroffene erklärt, Asyl beantragen zu wollen. Mit Beschluss vom 26.2.2005 hat das Amtsgericht Abschiebungshaft für die Dauer von sechs Monaten gegen den Betroffenen und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht am 29.3.2005 mit der Maßgabe zurückgewiesen wurde, dass die Höchstdauer der Abschiebungshaft drei Monate beträgt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

Der Betroffene hat am 10.3.2005 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesamtes vom 1.4.2005 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde, für die seit 1.1.2005 nach Art. 11a AGGVG, § 10 Abs. 1 BayObLGAuflG das Oberlandesgericht München zuständig ist, hatte in der Sache insoweit Erfolg, als sie zur teilweisen Aufhebung der Beschwerdeentscheidung führt. Das Landgericht wird nach Maßgabe der folgenden Gründe erneut über die sofortige Beschwerde zu entscheiden haben, soweit es ihr hinsichtlich der Haftdauer nicht ohnehin stattgegeben hat.

Gründe:

Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung, soweit sie die sofortige Beschwerde zurückweist, nicht stand.

1. Zutreffend ist das Landgericht jedenfalls vom Vorliegen eines Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG ausgegangen. Ob auch der vom Landgericht bejahte Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gegeben ist, kann im Hinblick auf den aus der Abschiebungshaft heraus gestellten Asylantrag zweifelhaft sein (vgl. OLG Düsseldorf, FG Prax 2004, 254 einerseits, BayObLGZ 1999, 97 andererseits), braucht aber nicht entschieden zu werden (siehe auch BayObLG InfAuslR 2001, 343).

Das Asylgesuch des Betroffenen beim Haftrichter im Rahmen seiner Anhörung hindert die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaftanordnung nicht, da es kein Aufenthaltsrecht gemäß § 55 Abs. 1 AsylVfG begründet. Der Betroffene reiste auf dem Landweg und damit in jedem Fall über einen sicheren Drittstaat (§ 26a Abs. 2 AsylVfG) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei einer solchen Fallgestaltung setzt die Erlangung einer Aufenthaltsgestattung (§ 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) einen förmlichen Asylantrag im Sinne des § 14 AsylVfG voraus (vgl. BGHZ 153,18). Ein formloses Asylgesuch kann eine Aufenthaltsgestattung nur dann begründen, wenn der Antragsteller nicht aus einem sicheren Drittstaat einreist und sich deswegen auf die verfassungsrechtliche Asylgarantie berufen kann. Der aus einem sicheren Drittstaat unerlaubt eingereiste Ausländer genießt aber nach Art. 16a Abs. 2 GG kein Asylrecht, so dass in diesen Fällen für eine Vorverlagerung des Aufenthaltsrechts keine Veranlassung besteht (vgl. BGHZ 153, 18/21).

Auch durch seinen formellen Asylantrag vom 10.3.2005 hat der Betroffene keine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben, da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Haft befand. Die Abschiebungshaft wurde auch wegen eines Haftgrundes gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG angeordnet. Damit steht der förmliche Asylantrag der Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft nicht entgegen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG).

Die vierwöchige Frist, binnen der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über den formellen Asylantrag entscheiden muss, damit die Abschiebungshaft weiter aufrechterhalten werden kann (§ 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG), war im Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts am 29.3.2005 noch nicht abgelaufen. Im Übrigen wurde der Asylantrag des Betroffenen mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1.4.2005 als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

2. Dennoch ist der Beschluss des Landgerichts, soweit er das Rechtsmittel zurückweist, aufzuheben, weil das Gericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und somit gegen § 12 FGG verstoßen hat. Zudem hat das Landgericht den Betroffenen nicht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung persönlich angehört (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG; Bassenge/Herbst/Roth FGG 10. Aufl. Einl. Rn. 72). Eine weitere Aufklärung war hier aber unerlässlich, weil der ausweislose Betroffene Personalien angegeben hat, nach denen er minderjährig ist, Ermittlungen des Gerichts zum tatsächlichen Alter des Betroffenen bisher jedoch nicht stattgefunden haben.

3. Sollte das Landgericht nach entsprechender Überprüfung auch unter Würdigung des erweiterten Tatsachenvortrags der Ausländerbehörde im Rechtsbeschwerdeverfahren zu dem Ergebnis kommen, der Betroffene sei tatsächlich noch minderjährig, so ist Folgendes zu berücksichtigen:

Die Minderjährigkeit eines Ausländers schließt nicht generell die Anordnung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG aus (BayObLG Beschluss vom 26.6.2003, 4Z BR 38/03; BayObLGZ 2000, 203, jeweils zu § 57 Abs. 2 AuslG). Jedoch sind erhöhte Anforderungen an die Beachtung des Beschleunigungsgebots und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu stellen. Minderjährige sind besonders schutzbedürftig. Sie werden durch den Vollzug der Haftanordnung typischerweise erheblich betroffen und können dadurch dauerhafte psychische Schäden davontragen. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs wird es deshalb regelmäßig erfordern, dass die Ausländerbehörde prüft, ob mildere Mittel als Haft zur Sicherung der zwangsweisen Ausreise in Betracht kommen, z.B. die Unterbringung in einer Jugendeinrichtung (vgl. OLG Frankfurt am Main vom 30.8.2004, 20 W 245/04 bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang; KG Beschluss vom 18.3.2005, 26 W 84/04; OLG Köln vom 11.9.2002, 16 Wx 164/2002 bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Falls die Ausländerbehörde solche Möglichkeiten nicht sieht, hat sie dies im Einzelnen darzulegen.

Ende der Entscheidung

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