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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 29.06.2005
Aktenzeichen: 34 Wx 49/05
Rechtsgebiete: BGB, WEG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1004
WEG § 14 Nr. 1
WEG § 21 Abs. 3
WEG § 22 Abs. 1
WEG § 23 Abs. 2
ZPO § 309
1. In Wohnungseigentumssachen müssen nicht alle Richter, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben.

2. An die Bezeichnung des Gegenstandes der Beschlussfassung bei der Einberufung einer Wohnungseigentümerversammlung dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden.

3. Der Verwalter kann durch Eigentümerbeschluss beauftragt werden, eine auf dem Gemeinschaftseigentum von einem Wohnungseigentümer errichtete, die übrigen Wohnungseigentümer beeinträchtigende bauliche Veränderung zu entfernen.


Tatbestand:

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Der Antragstellerin gehört die Erdgeschosswohnung Nr. 2 mit einer vorgelagerten Terrasse, an der ihr ein Sondernutzungsrecht zusteht. An die Terrasse schließt eine Böschung an, die in den Garten führt. Böschung und Garten gehören zum Gemeinschaftseigentum.

Durch Eigentümerbeschluss vom 14.5.1998 gestatteten die Wohnungseigentümer der Antragstellerin, "auf eigene Kosten eine kleine Treppe mit Türchen gemäß der vorlegten Zeichnung" von der Terrasse hinunter in den Garten anzulegen. Welche Zeichnung dieser Beschlussfassung zu Grunde lag, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Im Jahr 2002 ersetzte die Antragstellerin die nach der Beschlussfassung vom 14.5.1998 errichtete Treppe. Zwischen den Beteiligten herrscht Streit darüber, ob die neue Treppe den Vorgaben des Eigentümerbeschlusses vom 1998 entspricht oder ob eine bauliche Erweiterung, verbunden mit einer optischen Beeinträchtigung gegeben ist.

In der Eigentümerversammlung vom 11.5.2004 fassten die Wohnungseigentümer unter Tagesordnungspunkt (TOP) 4 mehrheitlich folgenden Beschluss:

"a) Die Verwaltung wird beauftragt, das eigenmächtig von Frau K. (Antragstellerin) errichtete Treppenwerk auf dem Gemeinschaftsgrund an der Terrasse des Wohnungseigentums Nr. 2 neben der Garage bestehend aus Granit- und sonstigen Steinen nebst Befestigungsmaterialien, Fundament und Lampe, Pflanzentrögen und Pflanzen entfernen zu lassen.

b) Die Kosten der Entfernung trägt Frau K..

c) Nach Durchführung vorstehender Maßnahmen wird Frau K. gestattet, auf eigene Kosten eine kleine Treppe mit Türchen gemäß der beigefügten Zeichnung von der Terrasse der Wohnung Nr. 2 in den Garten anzulegen: bestehend aus fünf Stufen 30 cm Tiefe und 60 cm Breite aus Holz, die am Fuße der Böschung endet.

d) Sollte Frau K. diesen Beschluss nicht anfechten, beteiligt sich die Wohnungseigentümergemeinschaft an den Kosten für den Rückbau mit 50 %, jedoch maximal mit 2.500,- EUR."

Dieser TOP war in der Einladung zur Eigentümerversammlung mit "Treppenveränderung vor der Wohnung von Frau K." angekündigt worden.

Die Antragstellerin hat beantragt, den Eigentümerbeschluss zu a) bis c) für ungültig zu erklären. Das Amtsgericht hat dem Antrag am 7.10.2004 stattgegeben. Hiergegen haben die Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt. Im Lauf des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsstellerin ihr Begehren dahingehend eingeschränkt, dass der Beschluss zu TOP 4 c) nicht mehr angefochten wird. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 4.4.2005 den Anfechtungsantrag unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde erwies sich als unbegründet.

Gründe:

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Eigentümerbeschluss vom 11.5.2004 sei formell ordnungsgemäß zustande gekommen; insbesondere liege kein Einberufungsmangel vor.

Der Beschluss entspreche, soweit er angefochten sei, auch inhaltlich den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Er sei nicht deswegen für ungültig zu erklären, weil er den Verwalter zur Ausübung verbotener Eigenmacht beauftrage. Die einzelnen Wohnungseigentümer seien Mitbesitzer der auf dem Gemeinschaftseigentum errichteten Treppe, weswegen Besitzschutzansprüche hier nicht in Betracht kämen. Schutzwürdige Belange der Antragstellerin, die sich aus dem Beschluss vom 14.5.1998 ergäben, würden durch den angefochtenen Beschluss nicht verletzt. Die bauliche Umgestaltung der Treppe stelle eine Veränderung dar, die die übrigen Eigentümer über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtige und deshalb nach § 22 Abs. 1 WEG der Zustimmung aller Miteigentümer bedurft hätte. Da diese nicht vorliege, entspreche das Verlangen auf komplette Beseitigung, nicht nur auf Rückbau, ordnungsmäßiger Verwaltung. Als Handlungsstörerin hafte die Antragstellerin auch für die Beseitigungskosten.

2. Die Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts führen würde, liegt nicht darin, dass an dem Beschluss eine Richterin mitgewirkt hat, die nicht an der mündlichen Verhandlung der Beschwerdekammer teilgenommen hat. In Wohnungseigentumssachen soll zwar der Richter mit den Beteiligten in der Regel mündlich verhandeln (§ 44 Abs. 1 WEG); dies gilt auch für das Beschwerdegericht. Im Gegensatz zum Zivilprozess findet aber der in § 309 ZPO verankerte Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit, wonach ein Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann, die an der dem Urteil zu Grunde liegenden mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, keine Anwendung, da die mündliche Verhandlung nicht die alleinige Entscheidungsgrundlage darstellt (BayObLGZ 1990, 173/175; Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 44 Rn. 2; Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 44 Rn. 26).

b) Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht davon aus, dass der angefochtene Eigentümerbeschluss nicht wegen eines Einberufungsmangels für ungültig erklärt werden muss.

Nach § 23 Abs. 2 WEG ist es zur Gültigkeit eines Beschlusses erforderlich, dass der Gegenstand bei der Einberufung bezeichnet ist. Der Inhalt der Bezeichnung ist von der Bedeutung des Beschlussgegenstands abhängig und richtet sich nach dem berechtigten Informationsbedürfnis der Wohnungseigentümer. An die Bezeichnung dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. In der Regel genügt eine schlagwortartige Bezeichnung, so insbesondere, wenn die Wohnungseigentümer schon auf Grund einer früheren Beratung, einer vormaligen Beschlussfassung oder auf Grund eines gerichtlichen Verfahrens mit der Angelegenheit vertraut sind (BayObLGZ 1992, 79/84 f.; Merle in Bärmann/Pick/Merle § 23 Rn. 79).

Vorliegend hatte sich bereits die Eigentümerversammlung vom 25.2.2003 mit der von der Antragstellerin vorgenommenen Erneuerung der Treppe befasst; das Bayerische Oberste Landesgericht hat den dort gefassten Beschluss, durch den die Antragstellerin zum Rückbau der Treppe verpflichtet werden sollte, durch Entscheidung vom 10.3.2004 (2Z BR 16/04 = WuM 2004, 425) für ungültig erklärt. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass vor diesem Hintergrund die Bezeichnung "Treppenveränderung" ausreichend ist, um auch eine Beschlussfassung über eine Entfernung der Treppe mit Gestattung der Neuerrichtung genügend zu bezeichnen.

c) Der Eigentümerbeschluss vom 11.5.2004 entspricht ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 21 Abs. 3 WEG).

aa) Der Beschluss richtet sich nach seiner nächstliegenden Bedeutung auf die Beseitigung der von der Antragstellerin errichteten Treppe, also auf die Beseitigung einer baulichen Veränderung (vgl. BayObLG NZM 2004, 747). Zwar stellt die Beseitigung einer baulichen Veränderung wiederum eine bauliche Veränderung dar, die grundsätzlich nach § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedarf (Niedenführ/Schulze § 22 Rn. 29a). Hier geht es aber nach der Zielrichtung des angefochtenen Beschlusses um die Rückgängigmachung einer aus Sicht der Mehrheit der Wohnungseigentümer unzulässigen Veränderung. Insoweit ergibt sich die Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung aus dem Recht zur Störungsabwehr. Sofern den Wohnungseigentümern durch die Treppe Nachteile entstehen, die über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehen, können sie von der Antragstellerin als Handlungsstörerin Beseitigung verlangen (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, § 14 Nr. 1 WEG). Mit der (erforderlichenfalls auch gerichtlichen) Geltendmachung eines derartigen Beseitigungsanspruchs können die Wohnungseigentümer den Verwalter durch Eigentümerbeschluss beauftragen.

bb) Der angefochtene Beschluss geht aber darüber hinaus und soll dem Verwalter eine Befugnis zur unmittelbaren Durchführung der Beseitigung geben.

(1) Unzweifelhaft kann der Verwalter in der Eigentümerversammlung mit der tatsächlichen Durchführung bestimmter Maßnahmen im Bereich des Gemeinschaftseigentums (z.B. Renovierungsarbeiten, Gartengestaltung) beauftragt werden (vgl. BayObLG WuM 1993, 207). Deren Durchführung stellt keine verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 2 BGB) gegen die bei der Beschlussfassung "unterlegenen" Wohnungseigentümer dar. Besitzschutzansprüche bestehen insoweit also nicht.

Die Treppe wurde hier unstreitig auf einer im Gemeinschaftseigentum stehenden Grundstücksfläche errichtet. Sie wurde aus der Sicht der Antragstellerin als der Errichtenden fest und nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck mit Grund und Boden verbunden. Somit ist die Treppe wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden (vgl. § 94 Abs. 1, § 95 Abs. 1 BGB). An im Miteigentum stehenden Bestandteilen des Grundstücks kommt zwar regelmäßig Mitbesitz aller Wohnungseigentümer in Betracht (Pick in Bärmann/Pick/Merle § 13 Rn. 205). Nach § 866 BGB findet aber im Verhältnis der Mitbesitzer zueinander ein Besitzschutz insoweit nicht statt, als es sich um die Grenzen des dem Einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt. Anderes gilt nur im Falle der völligen Besitzentziehung (Pick in Bärmann/Pick/Merle aaO; Palandt/Bassenge BGB 64. Aufl. § 866 Rn. 5). Eine solche Besitzentziehung kommt hier aber ohnehin schon deswegen nicht in Betracht, weil der Antragstellerin die Nutzung des Gemeinschaftseigentums als solches erhalten bleibt.

(2) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht festgestellt, dass der Eigentümerbeschluss vom 14.5.1998 die von der Antragstellerin vorgenommene Veränderung der Treppenanlage nicht deckt. Dies gilt unabhängig davon, welche Zeichnung dem Beschluss tatsächlich zu Grunde lag. Denn nach den Feststellungen der Beschwerdekammer, an die der Senat als Rechtsbeschwerdegericht gebunden ist (§ 27 Abs.1 S. 2 FGG; § 559 Abs. 2 ZPO), sah keine der in Betracht kommenden Skizzen einen geschwungenen Verlauf der Treppe am Fußende, eine Verlängerung der Stufenkanten über die Trittfläche hinaus, die Anbringung einer zusätzlichen Mauer oder einer Granitstele sowie einer Beleuchtung vor, wie sie die nunmehr bestehende Treppe aufweist. Die gegen die Tatsachenfeststellung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Soweit die Rechtsbeschwerdeführerin geltend macht, aus beiden Zeichnungen gehe hervor, dass die Treppenstufen noch 90 Grad um die Mauer herumliefen, kommt es hierauf im Ergebnis nicht an. Denn aus den vorliegenden Lichtbildern ist eindeutig ersichtlich, dass die Treppe jedenfalls nicht - wie nach beiden Bauskizzen vorgesehen - an der Mauerkante endet, sondern mindestens um eine Stufe darüber hinaus reicht. Soweit das Beschwerdegericht ausführt, den übrigen Wohnungseigentümern sei durch die bauliche Veränderung ein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil entstanden (§ 14 Nr. 1 WEG), obliegt die Beurteilung dem Tatrichter und kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden (vgl. zuletzt BayObLG Beschluss vom 27.1.2005 - 2Z BR 207/04). Rechtsfehlerfrei nimmt das Landgericht an, dass bereits in der Überschreitung des Umfangs der ursprünglich erteilten Genehmigung ein solcher Nachteil zu sehen ist. Auf die Frage des Vorliegens einer zusätzlichen optischen Beeinträchtigung kommt es letztlich nicht an.

(3) Das Landgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob nach den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen ein "Rückbau" statt der kompletten Beseitigung der Treppe in Frage kommt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte insoweit zusätzliche Ermittlungen nach § 12 FGG erfordert. Der Senat kann die zu ergänzenden Feststellungen jedoch anhand des unstreitigen Akteninhalts selbst treffen. Danach stellt die gegenwärtige Treppe in Gestaltung und Ausmaß ein deutliches "Aliud" gegenüber der ursprünglich genehmigten Treppenanlage dar. Insbesondere wies die frühere Treppe unstreitig weder einen Monolithen noch Beleuchtungskörper auf und insbesondere auch keine Stützmauer sowie keine verlängerten Stufenkanten. Nach den vorgelegten Lichtbildern und Skizzen kann das Gesamtbauwerk nicht derart "zurückgebaut" werden, dass die Treppe wieder der ursprünglich bestehenden Anlage entspricht.

cc) Im Hinblick auf die in TOP 4 b) des angefochtenen Beschlusses getroffene Kostenregelung geht das Landgericht davon aus, dass diese deswegen für sich genommen nicht zu beanstanden sei, weil die Antragstellerin als Handlungsstörerin ohnehin für die Kosten der Beseitigung aufzukommen habe. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Auf die Frage, inwieweit durch Eigentümerbeschluss selbständige Ansprüche begründet werden können (vgl. insoweit Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 4. Aufl. Rn. 467; BayObLG ZMR 2003, 433), kommt es nicht an. Der Senat legt den Beschluss dahingehend aus, dass er seiner nächstliegenden Bedeutung nach keinen eigenständigen Anspruch begründen soll, sondern lediglich auf die ohnehin geltende Rechtslage verweist.

3. Es entspricht der Billigkeit, die Antragstellerin als Unterlegene mit den Gerichtskosten zu belasten (§ 47 S. 1 WEG). Für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten besteht schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Entscheidungen der Vorinstanzen keine Veranlassung (§ 47 S. 2 WEG).

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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