Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: 34 Wx 52/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 4
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose, ob die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate möglich erscheint, ist auch im Fall der Überhaft der Erlass der Haftanordnung, nicht der mutmaßliche Beginn des Vollzugs der Abschiebungshaft.
Tatbestand:

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines mit Bescheid vom 25.11.2003 bestandskräftig ausgewiesenen serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen (Kosovo-Albaners). Über eine Verfassungsbeschwerde, die der Betroffene gegen die Ausweisung und Abschiebungsandrohung erhoben hat, ist bislang nicht entschieden.

Der Betroffene verbüßt derzeit eine dreijährige Haftstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Betrugs und anderem. Mit Ablauf des 17.4.2006 wäre die Strafe vollständig vollstreckt. Eine vorzeitige Haftentlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe hat der Betroffene abgelehnt, da er nicht in seine Heimat abgeschoben werden will.

Auf Antrag der Ausländerbehörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10.3.2005 Sicherungshaft mit sofortiger Wirksamkeit für die Dauer von drei Monaten im Anschluss an die Strafhaft angeordnet. Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 17.3.2005 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er macht geltend, eine Abschiebung sei nicht möglich, da sein Pass in der Haft unter ungeklärten Umständen abhanden gekommen sei. Das zulässige Rechtsmittel, für das seit 1.1.2005 nach Art. 11 a AGGVG, § 10 Abs. 1 BayObLGAuflG das Oberlandesgericht München zuständig ist, hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die angefochtene Entscheidung hält mit der Maßgabe einer zeitlichen Beschränkung der Sicherungshaft im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt rechtsfehlerfrei festgestellt. Die den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen tragen die auf § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gestützte Haftanordnung.

Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG ist ein ausreisepflichtiger Ausländer zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Dies setzt voraus, dass konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahe legen, der Ausländer beabsichtige unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden könnte (vgl. BGHZ 98, 109/112 f). Ein erhebliches Indiz kann die Begehung von Straftaten sein, die auf eine rechtsfeindliche Gesinnung und damit auf die Bereitschaft schließen lassen, sich der Abschiebung zu entziehen, wie beispielsweise die Verstrickung in den Rauschgifthandel (vgl. BayOblGZ 1993, 265/266).

Vorliegend ist der Betroffene unter anderem wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtskräftig zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Wie er bei seiner Anhörung vor dem Landgericht bekundet hat, ist er nicht bereit, freiwillig in den Kosovo zurückzukehren. Eine vorzeitige Entlassung aus der Haft hat er abgelehnt, um nicht abgeschoben zu werden. Hinzu kommt, dass der Betroffene keinen Pass mehr besitzt, seine Ausreise somit gemäß § 58 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG überwachungsbedürftig ist. Ob der Betroffene zudem für das Verschwinden seines Passes in der Haftanstalt verantwortlich gemacht werden kann, kann dahinstehen. Die Annahme des Landgerichts, dass sich der Betroffene im Falle seiner Haftentlassung einer Abschiebung nicht freiwillig stellen wird, ist auch ohne Aufklärung der näheren Umstände über den Verlust der Papiere gerechtfertigt.

Gründe, die einer Abschiebung innerhalb der Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG entgegenstehen, liegen nicht vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose, ob die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate möglich erscheint, ist auch im Fall der Überhaft der Erlass der Haftanordnung, nicht der mutmaßliche Beginn des Vollzugs der Abschiebungshaft (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 24.5.2002, Az. 16 Wx 91/02). Das Landgericht hat sich zwar nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob angesichts der andauernden längerfristigen Strafhaft und der bis dahin noch fehlenden Zustimmung der Staatsanwaltschaft innerhalb der dreimonatigen Frist eine Abschiebung erfolgreich durchgeführt werden kann. Der Senat kann die dazu erforderlichen Feststellungen jedoch aus dem ihm zugänglichen Akteninhalt nachholen (BayObLGZ 1997, 379/380). Demnach hindern weder der derzeitige Vollzug der Freiheitsstrafe noch das Fehlen des Passes den umgehenden Vollzug der Abschiebung. Die Staatsanwaltschaft hat nämlich mittlerweile ihr Einverständnis mit der Abschiebung des Betroffenen gemäß § 456 a StPO erklärt. Nach Mitteilung der Ausländerbehörde ist für die Abschiebung des Betroffenen in den Kosovo weder der Pass noch ein Passersatzpapier erforderlich, vielmehr kann die Behörde jederzeit ein EU-LP-Papier (laissez passer) ausstellen.

Die Anordnung von Abschiebungshaft im Anschluss an die Strafhaft ist auch erforderlich. Der Betroffene hat einen erheblichen Teil seiner Strafe verbüßt. Auch wenn er im März 2005 eine vorzeitige Haftentlassung abgelehnt hat, kann er seine Meinung jederzeit ändern, einen aussichtsreichen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB stellen und damit eine alsbaldige Haftentlassung erwirken (vgl. OLG Zweibrücken, NStZ-RR 2001, 311).

Allerdings ist die Sicherungshaft als Überhaft strikt auf das notwendige Maß zu begrenzen; sie kann nicht sozusagen auf Vorrat ungeachtet der Umstände des Einzelfalles angeordnet werden. Die Ausländerbehörde hat die Pflicht, die Abschiebung so beschleunigt wie möglich zu vollziehen, um unnötige Haftzeiten im Anschluss an die Strafhaft zu vermeiden (vgl. BayObLGZ 1991, 258/260). Sie hat insbesondere auch die Zeit zu nutzen, in der sich der Betroffene in Untersuchungs- bzw. Strafhaft befindet. Nachdem das Einverständnis der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung des Betroffenen nunmehr vorliegt, erscheint ein Zeitraum von längstens vier Wochen ausreichend, um die noch erforderlichen organisatorischen Maßnahmen zu ergreifen und die geplante Abschiebung durchzuführen. Die Überhaft ist dementsprechend bis zum 20.6.2005 zeitlich zu begrenzen (siehe auch BayObLG EZAR 135 Nr. 14).

Ende der Entscheidung

Zurück