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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 03.05.2007
Aktenzeichen: 34 Wx 55/07
Rechtsgebiete: FGG, FreihEntzG, GG


Vorschriften:

FGG § 27
FreihEntzG § 3 Satz 2
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 104 Abs. 1
1. Ein in der fehlenden örtlichen Zuständigkeit liegender Verfahrensfehler wird durch eine Sachentscheidung des Beschwerdegerichts jedenfalls dann geheilt, wenn das tätig gewordene und das zuständige Gericht zum Bezirk des Beschwerdegerichts gehören (im Anschluss an BGH vom 8.3.2007 - V ZB 149/06).

2. Die versehentlich unterbliebene Ladung des Verfahrensbevollmächtigten zur mündlichen Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht kann grundsätzlich durch das Beschwerdegericht dadurch geheilt werden, dass es den Betroffenen mündlich anhört und seinem Bevollmächtigten Gelegenheit gibt, an der Anhörung teilzunehmen.


Gründe:

I.

1. Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, war durch bestandskräftige Verfügung vom 17.10.2000 aufgrund rechtskräftiger Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz mit zunächst unbefristeter Wirkung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Er reiste daraufhin im Oktober 2003 freiwillig in die Türkei aus. Von dort betrieb er erfolglos eine nachträgliche Befristung des Wiedereinreiseverbots. Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt reiste der Betroffene mit einem gefälschten, auf andere Personalien lautenden türkischen Reisepass erneut in das Bundesgebiet ein, wo er am 30.12.2005 festgenommen wurde.

Auf Antrag der Ausländerbehörde vom 30.12.2005 hat das Amtsgericht Erlangen am selben Tag gegen den Betroffenen mit sofortiger Wirksamkeit unter Bezugnahme auf den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zur Sicherung seiner Abschiebung bis längstens 30.3.2006 Abschiebungshaft angeordnet. Die Beschaffung von Heimreisedokumenten scheiterte zunächst, weil der Betroffene jegliche Mitwirkung an der Ausfüllung der erforderlichen Formulare verweigerte. Anlässlich einer Vorführung am 14.3.2006 beim türkischen Generalkonsulat behauptete der Betroffene wahrheitswidrig, am 30.3.2006 noch eine Gerichtsverhandlung vor sich zu haben. Das türkische Generalkonsulat stellte daraufhin die Ausstellung eines Heimreisescheins zunächst zurück.

Der Betroffene befand sich inzwischen in der Justizvollzugsanstalt Nürnberg. Die Ausländerbehörde hat daraufhin am 23.3.2006 beim Amtsgericht Nürnberg einen Antrag auf Verlängerung der angeordneten Abschiebungshaft bis längstens 30.6.2006 gestellt. Diesem Antrag hat das Amtsgericht Nürnberg mit Beschluss vom 28.3.2006 nach vorhergehender mündlicher Anhörung des Betroffenen entsprochen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen, der sich am 9.1.2006 unter Vollmachtsvorlage gegenüber dem Amtsgericht Erlangen bestellt hatte, ist nicht beteiligt worden.

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 29.3.2006 hat das beiden Amtsgerichten übergeordnete Landgericht Nürnberg-Fürth nach vorheriger Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit seines Verfahrensbevollmächtigten mit Beschluss vom 22.5.2006 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Betroffene wurde am 23.5.2006 in die Türkei abgeschoben.

Mit der sofortigen weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth beantragt der Betroffene die Feststellung, dass die Verlängerung der Abschiebungshaft durch das Amtsgericht Nürnberg vom 28.3.2006 rechtswidrig war. Mit Schriftsatz vom 1.9.2006 hat der Verfahrensbevollmächtigte Prozesskostenhilfeantrag gestellt.

2. Die sofortige weitere Beschwerde wird damit begründet, das Amtsgericht Nürnberg sei zur Entscheidung örtlich nicht zuständig gewesen. Zudem sei der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen vom Amtsgericht Nürnberg nicht zur Anhörung geladen worden. Darüber hinaus sei der Betroffene verheiratet gewesen, eine Anhörung der Ehefrau sei jedoch unterblieben.

3. Der Senat hat mit Beschluss vom 19.9.2006 (Az. 34 Wx 080/06 = FGPrax 2006, 280) die sofortige weitere Beschwerde dem Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 FGG zur Entscheidung vorgelegt. Der Senat hat in dem Vorlagebeschluss die sofortige weitere Beschwerde zwar für zulässig, jedoch im Ergebnis für unbegründet gehalten, er hat sich jedoch an einer abschließenden Entscheidung durch den Beschluss des Oberlandesgericht Oldenburg vom 28.2.2006 (13 W 04/06 = InfAuslR 2006, 333/334) gehindert gesehen.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 8.3.2007 (Az. V ZB 149/06) die Sache dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben, da in vorliegendem Fall eine Divergenz nicht bestehe.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Tenor der landgerichtlichen Entscheidung war von Amts wegen zu berichtigen. Denn die sofortige Beschwerde des Betroffenen richtete sich nicht gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 28.3.2006, sondern gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom selben Tag. Es handelt sich um ein offensichtliches Schreibversehen; auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist § 319 ZPO anwendbar (Bassenge/Herbst/Roth FGG 10. Aufl. § 18 Rn. 20). Die Berichtigung kann durch das Rechtsmittelgericht erfolgen (BGHZ 106, 370/373; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 64. Aufl. § 319 Rn. 26).

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 3 Satz 2, § 7 Abs. 1 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden.

Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht die zwischenzeitlich erfolgte Abschiebung des Betroffenen nicht entgegen. Durch die Abschiebung des Betroffenen hat sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt. Der Betroffene hat jedoch seinen Antrag den geänderten Umständen in zulässiger Weise angepasst, indem er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vom Amtsgericht Nürnberg angeordneten Haftfortdauer begehrt (gefestigte Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 104, 220/235; Senat vom 1.12.2006, 34 Wx 125/06, vom 21.12.2006, 34 Wx 139/06 und vom 27.3.2007, 34 Wx 029/07).

3. Die sofortige weitere Beschwerde ist unbegründet, weil die vorliegenden Verfahrensverstöße die Haftanordnung nicht insgesamt rechtswidrig machen.

a) Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil er gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG unerlaubt eingereist sei. Denn er sei weder im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Passersatzes noch im Besitz eines gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitels gewesen. Zudem sei der Betroffene aufgrund seiner rechtskräftigen Ausweisung mit einem mindestens bis zum 29.10.2015 befristeten Wiedereinreiseverbot im Sinne des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG belegt und auch nicht im Besitz einer kurzfristigen Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 AufenthG gewesen.

Darüber hinaus bestehe beim Betroffenen der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, weil er durch mangelnde Mitwirkung bei der Ausfüllung der ihm vorgelegten Antragsformulare zur Beschaffung von Heimreisedokumenten und durch Verweigerung seiner Unterschrift gegen die ihm gemäß § 82 AufenthG obliegenden Mitwirkungspflichten verstoßen habe. Außerdem habe er bei seiner Vorführung im türkischen Generalkonsulat wahrheitswidrig erklärt, infolge einer von ihm eingereichten Klage finde am 30.3.2006 eine Verhandlung statt, woraufhin das Konsulat die Ausstellung eines Heimreisescheines zurückgestellt habe. Der Betroffene habe sich daher der Abschiebung vorwerfbar in sonstiger Weise entzogen.

Außerdem begründe das bisherigen Verhalten des Betroffenen den Verdacht, er werde sich im Falle seiner Entlassung aus der Sicherungshaft der Abschiebung entziehen, so dass auch der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vorliege. Der Betroffene zeige ein erhebliches Interesse an der Fortsetzung seines Aufenthalts im Bundesgebiet und schrecke daher auch vor keiner Täuschung und keinem Rechtsbruch zurück.

Ein Ausnahmefall gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG liege nicht vor. Es stehe auch nicht fest, dass der Betroffene die Gründe, die seine Abschiebung innerhalb der verlängerten Sicherungshaft bislang nicht zugelassen hätten, nicht selbst zu vertreten habe (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG).

b) Diese rechtliche Würdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Senat teilt sie und nimmt hierauf Bezug. Ergänzend ist festzuhalten, dass die Verlängerung der Haft den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt hat und Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot nicht erkennbar sind.

Entgegen der mit der sofortigen weiteren Beschwerde vorgetragenen Auffassung liegt auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG nicht vor. Denn zum ersten ergibt sich bereits aus der Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht Nürnberg, dass er von seiner Ehefrau dauernd getrennt lebte; zum zweiten ergibt sich aus dem bei den Akten befindlichen Schreiben der Ausländerbehörde vom 3.5.2006, dass es sich um eine Scheinehe zur Vorbereitung einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handelt.

c) Der Beschwerdeführer beanstandet allerdings zu Recht, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 28.3.2006 an zwei Verfahrensmängeln leidet:

(1) Zum ersten hat das Amtsgericht Nürnberg zu Unrecht seine örtliche Zuständigkeit angenommen. Örtlich zuständig auch zur Entscheidung über die Haftverlängerung und damit gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist das die Abschiebungshaft erstmalig anordnende Gericht, dessen Zuständigkeit sich nach § 4 Abs. 1 FreihEntzG bestimmt. Nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann dieses Gericht für die Entscheidung über die Fortdauer der Abschiebungshaft das Verfahren durch Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft vollzogen wird. Kommt es zu einer solchen Abgabe nicht, verbleibt es für die Entscheidung über die Haftfortdauer bei der bisherigen Zuständigkeit. Dies ergibt sich aus § 12 FreihEntzG, wonach die in § 4 FreihEntzG genannten, eine örtliche Zuständigkeit des Gerichts begründenden Tatsachen im Verfahren über die Fortdauer der Haft nicht maßgeblich sind (siehe auch OLG Zweibrücken FGPrax 2000, 212/213; OLG München FGPrax 2006, 185).

(2) Zum zweiten hat das Amtsgericht Nürnberg den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen nicht zur mündlichen Anhörung nach § 5 Abs. 1 FreihEntzG geladen, obwohl das Gericht schon dem Antrag der Ausländerbehörde hätte entnehmen können, dass der Betroffene einen Verfahrensbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Rechte beauftragt hatte. Unabhängig davon wäre das Amtsgericht, seine örtliche Zuständigkeit unterstellt, nach § 12 FGG verpflichtet gewesen, die für die vorangegangene Haftanordnung bestehenden Akten beizuziehen, aus denen sich ebenso die Bestellung ergeben hätte. Einem Verfahrensbevollmächtigten ist grundsätzlich Gelegenheit zu geben, an einer gerichtlichen Anhörung teilzunehmen, da andernfalls der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wird (vgl. OLG Celle InfAuslR 1999, 462).

(3) Beide Verfahrensfehler begründen jedoch nicht die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung durch das Amtsgericht, weil sie durch das Landgericht Nürnberg-Fürth geheilt wurden. Für den Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit folgt das daraus, dass sowohl das Amtsgericht Erlangen als auch das Amtsgericht Nürnberg zum Zuständigkeitsbezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth gehören (vgl. Art. 4 Nr. 16 GerOrgG; BayRS 300-2-2-J), so dass dieses jedenfalls für die Beschwerdeentscheidung örtlich zuständig war. Damit führt der Verstoß des Amtsgerichts Nürnberg gegen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit hier nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftverlängerungsanordnung (vgl. BGH vom 8.3.2007, V ZB 149/06 Rn. 8-10).

Entsprechendes gilt für die unterbliebene Ladung des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zu dessen mündlicher Anhörung vor dem Amtsgericht Nürnberg. Denn die vom Landgericht durchgeführte Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten konnte diesen Verfahrensfehler heilen. Das Beschwerdegericht tritt nämlich in den Grenzen der Beschwerde als Tatsacheninstanz an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts. Das hat zur Folge, dass Fehler des erstinstanzlichen Gerichts grundsätzlich nicht zur Aufhebung seiner Entscheidung führen, wenn das Beschwerdegericht unter Beachtung eines ordnungsgemäßen Verfahrens selbst die sachlich gebotene Entscheidung trifft (BGH aaO Rn. 10; Schmidt in Keidel/Kuntze/ Winkler FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 175 und § 27 Rn. 18 jeweils m.w.N.). Aber auch wenn hinsichtlich dieses Verstoßes eine Heilung durch das zweitinstanzliche Verfahren zu verneinen wäre, würde der Senat entsprechend seinen Ausführungen im Vorlagebeschluss vom 19.9.2006 (unter II.4.c.(2) und d.) hier nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts rechtswidrig war.

4. Der Prozesskostenhilfeantrag war abzulehnen, da keine Belege über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt wurden (§ 3 Satz 2 FreihEntzG, § 14 FGG, § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO). Diese sind hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. BGH NJW 2002, 2793). Auf ihr Fehlen wurde bereits im genannten Vorlagebeschluss hingewiesen.

5. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Der Betroffene trägt die Gerichtskosten von Gesetzes wegen (§ 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 15 Abs. 1 FreihEntzG) und kann auch keine Auslagen verlangen (§ 16 Satz 1 FreihEntzG).

Ende der Entscheidung

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