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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 34 Wx 66/08
Rechtsgebiete: FreihEntzG


Vorschriften:

FreihEntzG § 2
FreihEntzG § 13 Abs. 2
Wird der Aufenthalt eines Kleinkindes bei seiner bis zum darauffolgenden Tag in Sicherungshaft genommenen Mutter von den Behörden gestattet, begründet dies gegenüber dem Kind im Allgemeinen keine behördlich angeordnete Freiheitsentziehung.
Gründe:

I. Die Ausländerbehörde betrieb die Zurückschiebung des minderjährigen Betroffenen, eines serbischen Staatsangehörigen, sowie seiner Eltern nach Italien.

Am 18.10.2007 reiste die Familie in das Bundesgebiet ein. Für den Betroffenen wurde am 24.10.2007 ein Asylantrag gestellt, der mit Bescheid vom 22.1.2008 als unzulässig abgelehnt wurde. Gleichzeitig wurde gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II) die Zurückschiebung nach Italien angeordnet. Der Vater des Betroffenen war übergangsweise dem Landkreis Olpe zugeteilt, die Mutter des Betroffenen aufgrund eines früheren Aufenthaltes dem Landkreis Passau. Der 2006 geborene Betroffene befand sich zuletzt bei seiner Mutter im Gebiet dieses Landkreises.

Um die für den 20.2.2008 geplante Zurückschiebung der gesamten Familie nach Italien zu sichern, hat das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Ausländerbehörde am 14.2.2008 im Wege der einstweiligen Anordnung Sicherungshaft gegen die Mutter des Betroffenen ab 19.2.2008 angeordnet. Die Mutter des Betroffenen wurde am 19.2.2008 gegen 8.00 Uhr festgenommen und dem Amtsgericht vorgeführt. Nach deren Anhörung hat das Amtsgericht am selben Tag mit sofortiger Wirkung Sicherungshaft für die Dauer von längstens zwei Wochen angeordnet. Der Betroffene blieb bei seiner Mutter, die in der Zeit vom 19.2.2008 bis zur Zurückschiebung nach Italien am 20.2.2008 in einem "Mutter-Kind-Raum" in der Polizeiinspektion festgehalten worden war. Von der Möglichkeit, den Betroffenen in die Obhut ihrer auf freiem Fuß befindlichen Schwester zu geben, hat die Mutter keinen Gebrauch gemacht.

Am 30.3.2008 hat der Betroffene beantragt, festzustellen, dass seine Inhaftierung in der Zeit vom 19.2.2008 bis zu seiner Zurückschiebung am 20.2.2008 rechtswidrig war. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass gegen ihn eine freiheitsentziehende Maßnahme ohne richterliche Entscheidung angeordnet und vollstreckt worden sei, da nicht nur der Mutter, sondern auch ihm das Verlassen des Raumes versagt worden sei. Man hätte es nicht gestattet, wenn Verwandte oder Bekannte das Kind hätten abholen wollen.

Den Antrag des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 8.5.2008 abgewiesen. Die sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 23.6.2008 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, seinerzeit vertreten nur durch seine Mutter. Mit Schriftsatz vom 27.10.2008 hat der Verfahrensbevollmächtigte eine vom Vater des Kindes ausgestellte Vollmacht u.a. wegen Abschiebungshaft und Ingewahrsamnahme nachgereicht.

II. Die sofortige weitere Beschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Das Amtsgericht sei hinsichtlich der Entscheidung über die Feststellung zuständig gewesen. Dies ergebe sich aus § 13 Abs. 2 FreihEntzG, der eine gerichtliche Kontrolle in den Fällen ermögliche, in denen es zu keiner gerichtlichen Anordnung der Freiheitsentziehung gekommen sei. Vorliegend habe der Betroffene behauptet, dass ihm gegenüber eine Maßnahme durch die Verwaltungsbehörde getroffen worden sei, ohne dass eine gerichtliche Entscheidung vorgelegen habe.

Der Feststellungsantrag sei aber unbegründet, da keine freiheitsentziehenden Maßnahmen getroffen worden seien. Eine Anordnung des Amtsgerichts liege nicht vor. Auch die Ausländerbehörde habe keine freiheitsentziehende Maßnahme angeordnet. Der Betroffene sei zwar in der Zeit vom 19.2.2008 bis 20.2.2008 zusammen mit seiner Mutter in einer "Mutter-Kind-Zelle" untergebracht gewesen. Diese Unterbringung sei aber nicht aufgrund einer Anordnung, sondern freiwillig aus Gründen des Kindeswohls erfolgt. Da die Mutter des Betroffenen das Aufenthaltsbestimmungsrecht gehabt habe, hätte sie jederzeit das Kind an Verwandte übergeben können. Ein solches Verlangen ergebe sich jedoch weder aus den Akten noch sei es vorgetragen worden.

Die freiheitsentziehenden Anordnungen hätten sich allein auf die Mutter des Betroffenen beschränkt. Es spiele auch keine Rolle, ob der Betroffene noch zum Aufenthalt im Inland berechtigt gewesen sei. Vielmehr habe die Sorgeberechtigte des Betroffenen entschieden, dass er sich bei ihr aufhalten solle. Ob diese Entscheidung mit dem ebenfalls sorgeberechtigten Vater abgesprochen gewesen sei, sei unbeachtlich. Dem Betroffenen sei es auch nicht versagt gewesen, die Einrichtung zu verlassen. Selbst der Betroffene trage nicht vor, dass ein solcher Wunsch tatsächlich geäußert und abgelehnt worden sei.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält im Ergebnis der auf Rechtsfehler beschränkten Nachprüfung stand (§ 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO). Allerdings ist der Antrag nicht erst unbegründet, sondern bereits unzulässig.

a) Bei dem Betroffenen handelt es sich um ein Kind, das das siebente Lebensjahr nicht vollendet hat und deshalb nicht verfahrensfähig ist (§ 104 Nr. 1 BGB; Zimmermann in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 13 Rn. 32 m.w.N.) und daher von seinen gesetzlichen Vertretern vertreten werden muss. Aufgrund der zuletzt vom Verfahrensbevollmächtigten noch nachgereichten Vollmacht des Vaters geht der Senat davon aus, dass der Betroffene im Verfahren von seinen Eltern (§§ 1626, 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB) ordnungsgemäß vertreten ist.

b) Der Antrag, festzustellen, dass eine Inhaftierung des betroffenen Kindes rechtswidrig war, ist schon deshalb unzulässig, weil ein Fall des § 13 Abs. 2 FreihEntzG nicht vorliegt.

§ 13 Abs. 2 FGG ermöglicht die Kontrolle der behördlichen Freiheitsentziehung in den Fällen, in denen eine richterliche Anordnung nicht eingeholt worden war. Erforderlich dafür ist jedoch, dass es sich um eine behördliche Freiheitsentziehung handelt. Daran fehlt es hier, da das Verbleiben des Kindes in der Mutter-Kind-Zelle nicht auf einer behördlichen Anordnung beruhte.

(1) Weder die Ausländerbehörde noch die Polizei haben eine Ingewahrsamnahme des Betroffenen bzw. seine Festhaltung in einer Mutter-Kind-Zelle angeordnet. Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG war auf Antrag der Ausländerbehörde nur gegen die Mutter des Betroffenen angeordnet worden. Dass der Betroffene in der Mutter-Kind-Zelle untergebracht war, beruhte auf einer Entscheidung seiner Mutter. Nach den vom Landgericht verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen hätte der Betroffene sich, wenn die Mutter einverstanden gewesen wäre, jederzeit anderswo, z.B. bei Verwandten, aufhalten können. Es handelt sich damit um keine von einer Behörde veranlasste Verbringung und Unterbringung des Betroffenen, sondern nur um die Duldung des Aufenthalts des Betroffenen im selben Raum, in dem seine Mutter inhaftiert war. Daran ändert auch nichts, dass der Vater des betroffenen Kindes nicht ausdrücklich sein Einverständnis zum Aufenthalt des Betroffenen bei seiner Mutter erklärt hat. Solange keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind gegen den Willen des Vaters ausübt, wofür nichts vorgetragen oder aus den Akten ersichtlich ist, ist es nicht Aufgabe der Behörden, etwaige Absprachen der Eltern zu überprüfen.

(2) Da der Aufenthalt des Betroffenen in der Mutter-Kind-Zelle durch die Mutter im Rahmen ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts veranlasst worden war, findet das Freiheitsentziehungsgesetz gemäß § 2 Abs. 2 FreihEntzG keine Anwendung. Ein Verfahren nach § 13 Abs. 2 FreihEntzG wäre daher selbst dann nicht zulässig, wenn der Aufenthalt des Betroffenen im Polizeigebäude als Freiheitsentziehung zu beurteilen wäre.

(3) Im Übrigen wurde dem Betroffenen auch nicht die Freiheit entzogen (§ 2 Abs. 1 FreihEntzG). Eine Freiheitsentziehung bei einem Kind liegt nur dann vor, wenn das Maß der in einem bestimmten Alter üblichen Freiheitsbeschränkungen an Dauer oder Stärke überschritten wird (Veit in BeckOK BGB Stand 1.1.2008 § 1631b Rn. 3; Kemper in Schulze/Dörner/Ebert BGB 5. Aufl. § 1631b Rn. 2; Palandt/Diederichsen BGB 67. Aufl. § 1631b Rn. 4). Bei dem Betroffenen handelt es sich um ein Kind im Alter von damals unter zwei Jahren. Die ihm auferlegten Beschränkungen, in der Nähe seiner Mutter zu verbleiben bzw. das Polizeigebäude nicht ohne Begleitung eines Aufsichtspflichtigen zu verlassen, entsprechen den Beschränkungen, die für Kinder in diesem Alter üblich und notwendig sind. Im Gegenteil wäre es gerade die Pflicht eines verantwortungsbewussten Sorgeberechtigten, zu verhindern, dass ein Kind in diesem Alter ohne Aufsicht auf die Straße gelassen wird. Daran ändert auch nichts, dass der Betroffene in einen Haftraum mit aufgenommen wurde (zum Strafvollzug vgl. Staudinger/Coester BGB Neubearbeitung 2004 § 1666 Rn. 125; Olzen in Münchener Kommentar BGB 5. Aufl. § 1666 Rn. 54).

c) Im Übrigen ist zum Vorbringen des Verfahrensbevollmächtigten noch anzumerken:

(1) Die Frage, ob der Asylbescheid dem Betroffenen wirksam zugestellt wurde, sein Aufenthaltsrecht dadurch erloschen war und er zurückgeschoben werden durfte, ist eine verwaltungsrechtliche Frage, die hier nicht - auch nicht inzident - geprüft werden kann. Denn eine auf behördlicher Anordnung beruhende Freiheitsentziehung liegt nicht vor (siehe unter b)).

(2) Die Frage, ob die von der Mutter getroffene Aufenthaltsbestimmung dem Kindeswohl des Betroffenen entsprach (vgl. § 1666 BGB), ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

(3) Ebenfalls ist an dieser Stelle nicht zu klären, unter welchen Voraussetzungen die längerfristige Unterbringung eines Kindes zusammen mit einem Sorgeberechtigten in einer Haftanstalt zulässig wäre (vgl. auf § 80 Abs. 1 StVollzG), da eine solche weder stattgefunden hatte noch geplant war und darüber hinaus gemäß § 2 Abs. 2 FreihEntzG auch nicht im Rahmen eines Antrags nach § 13 Abs. 2 FreihEntzG geprüft werden könnte.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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