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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 23.08.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 90/06
Rechtsgebiete: WEG
Vorschriften:
WEG § 10 Abs. 1 Satz 2 | |
WEG § 16 Abs. 2 | |
WEG § 21 Abs. 1 | |
WEG § 21 Abs. 5 Nr. 2 | |
WEG § 43 Abs. 1 Nr. 4 |
Gründe:
I.
Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer größeren Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. In der Eigentümergemeinschaft herrscht Uneinigkeit darüber, wer für die Instandhaltung der Fenster der einzelnen Wohnungen verantwortlich ist. Der Teilungsvertrag vom 1.3.1994 enthält hinsichtlich der Fenster keine eigenständigen Vereinbarungen. Er verweist hinsichtlich der nicht geregelten Punkte auf die Geltung des Wohnungseigentumsgesetzes in seiner jeweiligen Fassung (§ 2 Nr. 9).
Im Protokoll der Eigentümerversammlung vom 19.6.1996 ist unter Tagesordnungspunkt (TOP) 11 aufgeführt:
Beschlussfassung über die Sanierung/Austausch der Fenster
Für den Austausch aller Fenster liegt der Hausverwaltung ein Kostenvoranschlag vor. Die damit verbundenen Kosten belaufen sich auf über DM 830.000. Die Anwesenden beschließen einstimmig, dass kein Austausch der Fenster erfolgen soll.
(...)
Die Kosten für den Austausch von Fenstern im gemeinschaftlichen Eigentum sind von der Wohnungseigentümergemeinschaft zu tragen. Wohnungs- und Ladenfenster sind vom Eigentümer zu finanzieren (...). Die Wohnungseigentümer, welche die Fenster schon vor der nächsten Eigentümerversammlung ersetzen lassen wollen, setzen sich bitte vor dem Austausch mit der Hausverwaltung in Verbindung.
Eine Beschlussfassung über die Kostentragung für den Austausch der Fenster ist nicht vermerkt.
In der Eigentümerversammlung vom 27.6.1997 kam es zu folgendem Eigentümerbeschluss:
TOP 10: Beschlussfassung über den Austausch der Wohnungsfenster mit Information der zu beachtenden technischen Voraussetzungen
Die Anwesenden beschließen einstimmig, dass der Austausch der Wohnungsfenster jedem Eigentümer selbst überlassen bleibt. (...).
Bei dieser Abstimmung wurden 107 Ja-Stimmen (= 7.787/10.000 Miteigentumsanteile) abgegeben.
In der Eigentümerversammlung vom 9.6.2005 beantragte der Antragsteller, seine Fenster außenseitig auf Kosten der Gemeinschaft streichen zu lassen. Die Eigentümergemeinschaft beschloss daraufhin mehrheitlich,
TOP 8 a:
.... es wird beschlossen, dass - wie bisher - sowohl die Kosten für die Fensterinstandsetzungen und den Anstrich als auch für den Austausch der Fenster im Bereich der Wohnungen auch zukünftig von jedem Eigentümer zu tragen sind. Fenster in gemeinschaftlichen Bereichen, wie z.B. in Treppenhäusern und Fluren, sind auf Kosten der Eigentümergemeinschaft instand zu setzen bzw. auszutauschen.
TOP 8 b:
Der Antrag von Herrn D. (= Antragsteller) zum außenseitigen Anstrich seiner Wohnungsfenster wird .... abgelehnt.
Die Antragsteller haben beantragt, die zu den TOP 8 a und 8 b ergangenen Beschlüsse für ungültig zu erklären (Antrag zu Ziffer 1) und die Antragsgegner zu verpflichten, die Kosten für den Anstrich der Außenfenster ihrer Wohnung zu übernehmen (Antrag zu Ziffer 2).
Mit Teilbeschluss des Amtsgerichts vom 22.12.2005 wurde der Eigentümerbeschluss zu TOP 8 a für ungültig erklärt, soweit beschlossen wurde, dass wie bisher sowohl die Kosten für die Fensterinstandsetzungen und den Anstrich als auch für den Austausch der Fenster im Bereich der Wohnungen auch zukünftig von jedem Eigentümer zu tragen sind. Im Übrigen wurde der Antrag zu Ziffer 1 abgewiesen. Die Entscheidung über den Verpflichtungsantrag wurde bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den ersten Antrag zurückgestellt. Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht mit Beschluss vom 19.6.2006 zurückgewiesen hat. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Gemäß § 16 Abs. 2 WEG obliege auch die Instandhaltung der zu den Sondereigentumseinheiten gehörenden Fenster der gesamten Eigentümergemeinschaft, wobei die Kosten hierfür von den Eigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zu tragen seien. Eine Abänderung dieser gesetzlichen Lasten- und Kostenverteilung, auf die die Teilungserklärung verweise, bedürfe grundsätzlich einer Vereinbarung der Eigentümer. Eine Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung bestehe für eine dauerhafte Abänderung nicht, weswegen der Eigentümerbeschluss nichtig sei. Mit dem Beschluss sei nicht lediglich ein zuvor schon wirksam gefasster Beschluss oder eine früher getroffene Vereinbarung bestätigt worden. Auch der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 27.6.1997 sei jedenfalls mangels Beschlusskompetenz nichtig. Zwar sei er schon vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.9.2000 (BGHZ 145, 158) gefasst worden. Ein Vertrauensschutz für die Eigentümer, die zwischen Beschlussfassung und Entscheidung des Bundesgerichtshofs ihre Fenster auf eigene Kosten ausgetauscht hätten, komme jedoch nicht in Betracht, da bis zum Jahr 2000 nur wenige von dieser Befugnis Gebrauch gemacht hätten.
Auch eine wirksame Vereinbarung darüber, dass die Kosten der Fenster von jedem Eigentümer gesondert getragen würden, liege nicht vor. Zwar könne eine solche Vereinbarung zwischen den Wohnungseigentümern als rein schuldrechtlicher Vertrag auch formlos durch schlüssiges Verhalten getroffen werden. Dabei müsse jedoch sichergestellt sein, dass tatsächlich eine allstimmige Entscheidung vorliege. Dies könne hier nicht ohne vernünftigen Zweifel festgestellt werden.
Ein Anspruch der Antragsgegner auf Zustimmung zu einer solchen Vereinbarung bestehe nicht. Mit der Aufhebung des Beschlusses komme es nicht zu einer unbilligen Härte, da die Eigentümer, die ihre Fenster bereits eigenverantwortlich auf eigene Kosten ausgetauscht hätten, sich zwar an den Kosten der weiteren Instandhaltung der Fenster beteiligen müssten; dieser Gefahr einer Doppelbelastung könne aber durch Erstattungsansprüche gegen die übrigen Miteigentümer begegnet werden.
2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Überprüfung im Wesentlichen stand. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 9.6.2005 zur Kostentragung nichtig ist, da weder im ursprünglichen Teilungsvertrag eine entsprechende Regelung enthalten noch später eine wirksame Vereinbarung zustande gekommen ist.
a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei als Anfechtungsgegenstand nicht nur die Instandhaltung, sondern auch den Austausch der Fenster auf Kosten des einzelnen Eigentümers gesehen. Denn die Antragsteller haben beantragt, den zu TOP 8 a ergangenen Beschluss insgesamt für ungültig zu erklären. Eine verfahrensmäßige Beschränkung auf die Instandhaltungskosten ohne die Kosten des Fensteraustauschs ist nicht erfolgt. Eine solche wäre auch nicht wirksam gewesen, weil der Verfahrensgegenstand insoweit nicht teilbar ist, § 139 BGB. Eine klare Abgrenzung zwischen Instandhaltung und Austausch ist nicht möglich, wie sich schon daraus ergibt, dass das Wohnungseigentumsgesetz zur Instandhaltung auch die Ersatzbeschaffung zählt (vgl. z.B. Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 21 Rn. 57).
b) Der mehrheitlich gefasste Beschluss der Eigentümer in der Versammlung vom 9.6.2005 zu TOP 8 a ist nichtig, da die Eigentümer nicht die notwendige Kompetenz für die Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels im Beschlusswege haben (BGHZ 145, 158 = NJW 2000, 3500). In der Eigentumsanlage gilt für die Fenster der gesetzliche Kostenverteilungsschlüssel des § 16 Abs. 2 WEG, wonach jeder Wohnungseigentümer die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis seines Anteils zu tragen hat. Alle Fenster in einer Wohnanlage gehören zum Gemeinschaftseigentum, da sie das äußere Bild des Gebäudes bestimmen. Dies gilt sowohl für die Innen- und Außenseite wie für die Verglasung als auch für die Rahmen (BayObLG NZM 2001, 1081; KK-WEG/Förth § 5 Rn. 36). Der Teilungsvertrag der Eigentümer vom 1.3.1994 enthält für die Instandhaltung und Instandsetzung keine vom Gesetz abweichende Regelung. Ebenso wenig lässt er eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels durch Mehrheitsbeschluss zu (vgl. zur sog. Öffnungsklausel Weitnauer/Gottschalg WEG 9. Aufl. § 16 Rn. 4). Die Eigentümer konnten daher nicht wirksam über die Änderung der Kostenverteilung beschließen.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht hinsichtlich der bisher zur Instandhaltung (einschließlich Austausch) der Fenster getroffenen Beschlüsse.
(1) Aus dem Protokoll der Eigentümerversammlung vom 19.6.1996 ergibt sich schon nicht, dass hinsichtlich der Kostenverteilung bei der Instandhaltung der Fenster überhaupt ein Beschluss gefasst wurde.
(2) Auch der unangefochten gebliebene Beschluss über die Verantwortlichkeit des einzelnen Eigentümers beim Fensteraustausch (Eigentümerversammlung vom 27.6.1997, TOP 10) führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn es ist bereits zweifelhaft, ob in diesem Beschluss die Kostentragung überhaupt geregelt ist. Die Frage kann aber offen bleiben. Falls in dem Beschluss eine Regelung zum Kostenverteilungsschlüssel enthalten sein sollte, ergibt sich aus den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.9.2000 (BGHZ 145, 158), dass der Eigentümerbeschluss insoweit nichtig ist. In Einzelfällen kann es zwar schützenswerte Rechtspositionen geben. Zu einer Gültigkeit des nichtigen Beschlusses für die Zukunft führt dies jedoch nicht. Infolgedessen kann der alte Beschluss auf keinen Fall regeln, wer in Zukunft in der Eigentumsanlage die Kosten für die Instandhaltung der Fenster trägt.
d) Eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer über die Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels bei den Fenstern liegt nicht vor.
Die Wohnungseigentümer sind grundsätzlich frei in der Gestaltung ihres Gemeinschaftsverhältnisses. Sie können ihre Verhältnisse abweichend von der gesetzlichen Regelung in weiten Bereichen autonom bestimmen, § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG. Dies gilt jedenfalls auch für die Kostenverteilung für die Instandhaltung/Instandsetzung der gemeinschaftlichen Fenster (BayObLG NZM 2001, 1081). Eine solche abweichende Vereinbarung über wesentliche Fragen des Gemeinschaftsverhältnisses setzt jedoch eine Einigung aller Eigentümer über die Änderung der bisherigen Regelung voraus. Eine solche Einigung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint.
(1) Eine ausdrückliche Vereinbarung liegt nicht vor, insbesondere ist eine solche nicht in den Beschlüssen der Eigentümerversammlungen zu erblicken. Dies scheitert bereits daran, dass bei den entsprechenden Beschlüssen nicht alle Eigentümer der Wohnanlage anwesend waren und mit abgestimmt haben.
(2) Auch eine konkludente Vereinbarung liegt nicht vor. Zwar kann eine Vereinbarung, da sie ein schuldrechtlicher Vertrag ist, grundsätzlich auch formlos durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden (Weitnauer/Lüke § 10 Rn. 29; KK-WEG/Elzer § 10 Rn. 157). An das Zustandekommen einer schlüssigen Vereinbarung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Nicht jede langjährige Übung stellt eine konkludente Vereinbarung dar. Entscheidend ist, ob die Wohnungseigentümer bewusst eine dauerhafte Regelung schaffen bzw. dauerhaft eine Änderung herbeiführen wollten. Dafür muss feststehen, dass sämtliche Wohnungseigentümer eine jahrelange Praxis in dem Bewusstsein vornehmen, die bisherige Regelung ändern und durch eine neue ersetzen zu wollen. Die entsprechend zu ändernde Vereinbarung muss den Eigentümern dabei positiv bekannt sein. Im bloßen Dulden von Verstößen gegen eine bestehende Regelung ist eine Vereinbarung nicht zu sehen (vgl. KK-WEG/Elzer § 10 Rn. 158).
Im vorliegenden Fall kann schon aufgrund der Größe der Eigentumsanlage nicht sicher davon ausgegangen werden, dass allen Eigentümern die nach Gesetz geregelte Kostenverteilung bekannt war und sie durch ihr Schweigen bewusst eine neue Regelung treffen wollten. Laut Protokoll wurde der gesetzliche Kostenverteilungsschlüssel in den Eigentümerversammlungen nicht angesprochen. Aus der Tatsache, dass ein Drittel der Eigentümer die Fenster bereits auf eigene Kosten ausgetauscht hat, kann nicht auf das Einverständnis aller Eigentümer geschlossen werden, es gleichfalls für immer so handhaben zu wollen. Alleine der fehlende Widerspruch zur bisherigen Praxis beinhaltet keine Willenserklärung.
e) Die Frage, ob die Antragsgegner einen Anspruch gegen die Antragsteller auf Abschluss einer den bestehenden Kostenverteilungsschlüssel abändernden Vereinbarung haben, kann hier dahinstehen. Denn selbst wenn ein solcher Anspruch bestünde, könnte er nicht einredeweise für die Zeit vor Abschluss dieser Vereinbarung geltend gemacht werden (KG WuM 1992, 560).
Im Übrigen bestehen erhebliche Zweifel daran, ob ein solcher Anspruch besteht. Auf die Ausführungen des Landgerichts wird insoweit Bezug genommen.
f) Wegen seiner insoweit feststehenden Nichtigkeit kann der Eigentümerbeschluss über die Kostentragung bei Fenstersanierungen nicht, wie beantragt, für ungültig erklärt werden. Der anders lautende Antrag steht jedoch der Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses nicht entgegen. Insoweit handelt es sich im Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG nicht um unterschiedliche Verfahrensgegenstände. Ein Beschlussanfechtungsantrag ist daher immer auch auf die Feststellung der Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses gerichtet, falls dieser an einem als Nichtigkeitsgrund einzuordnenden Mangel leiden sollte (BGH NJW 2003, 3550/3554). Demgemäß hat der Senat die abweichende Instanzenentscheidung abgeändert (vgl. auch Beschluss des Senats vom 23.8.2006, 34 Wx 58/06).
3. Es erscheint gemäß § 47 WEG angemessen, den in allen Instanzen unterlegenen Antragsgegnern die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens samtverbindlich aufzuerlegen.
4. Der Geschäftswert des Verfahrens bestimmt sich gemäß § 48 Abs. 3 WEG nach dem Interesse aller Beteiligten, nicht nur der Antragsteller, an der Entscheidung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anfechtung eine Regelung auf Dauer für eine unbestimmte Vielzahl von Einzelfällen in einer Wohnanlage mit über 120 Wohneinheiten betrifft. Bereits im Jahr 1996 wurden die Gesamtkosten für einen Fensteraustausch mit über 830.000 DM beziffert. Das Interesse der Eigentümer an dieser Regelung schätzt der Senat deshalb auf mindestens 5.000 EUR, wobei geschäftswertmindernd berücksichtigt wurde, dass der Beschluss nur die Fenster der Wohnungen, nicht die der Gemeinschaftsräume betrifft. Zudem führt der Beschluss "nur" zu einer Umverteilung der Kosten. Der vom Beschwerdegericht angenommene Geschäftswert ist entsprechend abzuändern (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).
Ende der Entscheidung
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