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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 10.10.2006
Aktenzeichen: 4St RR 189/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 267 Abs. 4 Satz 3 | |
StPO § 275 Abs. 1 Satz 2 |
Tatbestand:
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 6.2.2006 wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Darüber hinaus verbot es ihm für drei Monate, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.
Das Urteil gelangte in nach § 267 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO abgekürzter Form am 15.2.2006 zu den Akten. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte am 20.2.2006 Berufung ein und beantragte, ihm Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zu gewähren. Das Landgericht gewährte mit Beschluss vom 20.3.2006 Wiedereinsetzung und bestimmte Termin zur Hauptverhandlung auf den 30.6.2006. Mit Telefaxschreiben vom 23.6.2006 bezeichnete der Angeklagte die gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 6.2.2006 eingelegte Berufung gegenüber dem Landgericht und dem Amtsgericht als Revision; er rügte die Verletzung materiellen Rechts. Am 26.6.2006 verfügte das Landgericht die Übersendung der Akten über die Staatsanwaltschaft Landshut an das Amtsgericht ur Ergänzung der Urteilsgründe nach § 267 Abs. 4 Satz 3 StPO, wo sie am 4.7.2006 eingingen. Das Amtsgericht erließ einen entsprechenden Ergänzungsbeschluss am 12.7.2006, der dem Verteidiger des Angeklagten zusammen mit einer Ausfertigung des Urteils vom 6.2.2006 am 31.7.2006 zugestellt wurde. Die nach § 335 Abs. 1, § 312 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Gründe:
1. Auf Grund der ihm mit Beschluss des Landgerichts vom 20.3.2006 gewährten Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zunächst wirksam gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 6.2.2006 Berufung eingelegt.
2. Der Übergang vom Rechtsmittel der Berufung zum Rechtsmittel der Revision, wie ihn der Angeklagte mit Telefaxschreiben vom 23.6.2006 vornahm, war, soweit er gegenüber dem Amtsgericht Eggenfelden erklärt wurde, wirksam.
a) Nach Einlegung des Rechtsmittels der Berufung kann, auch wenn der Angeklagte, wie im vorliegenden Fall sein Rechtsmittel ausdrücklich zunächst als Berufung bezeichnet hat, wirksam zur Revision übergegangen werden, vorausgesetzt, der Übergang erfolgt innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO (BGHSt 40, 395/398 m.w.N.). Da das amtsgerichtliche Urteil vom 6.2.2006 dem Verteidiger des Angeklagten erst am 31.7.2006 zugestellt wurde, begann die Revisionsbegründungsfrist erst ab diesem Zeitpunkt, zu dem der Übergang bereits erfolgt war, zu laufen. Der Wechsel des Rechtsmittels war somit wirksam.
b) Der Übergang vom Rechtsmittel der Berufung zur Revision muss, da es sich bei der Erklärung des Übergangs um eine Rechtsmitteleinlegung handelt, die wie diese zu behandeln ist (BayObLGSt 1983, 93; BGH aaO), nach § 341 Abs. 1 StPO bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, somit bei dem Amtsgericht, erfolgen. Der Angeklagte hat im vorliegenden Fall den Übergang am 23.6.2006 gegenüber dem Amtsgericht Eggenfelden erklärt.
3. Der Entscheidung über die Revision sind die Gründe des angefochtenen Urteils vom 6.2.2006 nicht in ihrer ursprünglichen, am 15.2.2006 zu den Akten gebrachten Form, sondern unter Beachtung der am 12.7.2006 vorgenommenen Ergänzung, zugrunde zu legen.
Die Ergänzung der schriftlichen Urteilsgründe, deren Zulässigkeit vom Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge überprüft wird (OLG Köln VRS 63, 460/461; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 267 Rn. 42), war im vorliegenden Fall nach § 267 Abs. 4 Satz 3, § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zulässig.
Ob die fünfwöchige Urteilsbegründungsfrist schon mit Erlass des die Wiedereinsetzung gewährenden Beschlusses (so BayObLGSt 1977, 77/79; 1979, 148/152) oder erst, wenn die Akten bei dem für die Urteilsergänzung zuständigen Gericht eingehen, beginnt (hierzu neigend BGH NStZ 2004, 508), kann hier offen bleiben.
Während bei den genannten Entscheidungen dem Angeklagten durch das Revisionsgericht Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Revisionseinlegungsfrist gewährt und das angefochtene Urteil durch das Landgericht nach § 267 Abs. 4 Satz 3, § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO ergänzt wurde, erfolgte im vorliegenden Fall die dem Angeklagten gewährte Wiedereinsetzung durch das Berufungsgericht, wobei der Angeklagte anschließend - nach wirksam eingelegter Berufung - zum Rechtsmittel der Revision wechselte, und das Amtsgericht sodann die Urteilsgründe ergänzte.
In diesem Fall beginnt die Frist zur Ergänzung der Urteilsgründe nach § 267 Abs. 4 Satz 3, § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO - wie sich aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften ergibt - frühestens mit dem wirksamen Übergang vom Rechtsmittel der Berufung zur Revision.
§ 267 Abs. 4 Satz 3 StPO lässt die nachträgliche Ergänzung des abgekürzten Urteils zu, wenn die Unanfechtbarkeit als Voraussetzung der Kurzfassung nachträglich entfallen ist, weil einem Anfechtungsberechtigten gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung gewährt worden ist. Der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Urteilsbegründung erfährt hierdurch eine Ausnahme. Wird das Urteil nachträglich der Überprüfung durch das höhere Gericht unterstellt, muss sein Inhalt den Anforderungen genügen, die sich aus dem sachlichen Recht und aus § 267 Abs. 1 - 3, Abs. 6 StPO ergeben. Um unnötige Aufhebungen zu vermeiden, ist die nachträgliche Ergänzung notwendig (vgl. Löwe-Rosenberg/Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 267 Rn. 143).
Aufgrund der infolge der gewährten Wiedereinsetzung wirksamen Berufung des Angeklagten war zunächst - bis zum Wechsel des Rechtsmittels - durch das Landgericht nicht das angefochtene amtsgerichtliche Urteil zu überprüfen, sondern auf der Grundlage des Eröffnungsbeschlusses über alle Tat- und Rechtsfragen nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung neu zu entscheiden (vgl. Meyer-Goßner aaO vor § 312 Rn. 1 m.w.N.). Ein Bedürfnis für eine Ergänzung des amtsgerichtlichen Urteils bestand deshalb zunächst nicht.
Mit dem Übergang vom Rechtsmittel der Berufung zur Revision am 23.6.2006 wurde das amtsgerichtliche Urteil einer rechtlichen Überprüfung unterstellt, so dass nunmehr eine nachträgliche Ergänzung nach § 267 Abs. 4 Satz 3, § 275 Abs. 1 Satz 2 erforderlich wurde. Die Urteilsbegründungsfrist beginnt damit frühestens mit diesem Zeitpunkt.
Die Ergänzung des Urteils vom 6.2.2006 am 12.7.2006 ist somit wirksam erfolgt.
4. Die Sachrüge ist unbegründet, da der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts Eggenfelden durch die ergänzenden Urteilsgründe getragen werden.
Die Revision war deshalb gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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