Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 04.05.2005
Aktenzeichen: 5 St RR 11/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 170
Wird ein Unterhaltspflichtiger wegen Verletzung der Unterhaltspflicht verurteilt, muss die konkrete Leistungsfähigkeit auf Grund der getroffenen tatsächlichen Feststellungen feststehen. Hierzu muss das Urteil zahlenmäßige Angaben zu den tatsächlichen oder möglichen Einkünften, zu den bestehenden Verpflichtungen sowie zum notwendigen Eigenbedarf enthalten.
Tatbestand:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht freigesprochen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht wegen zweier rechtlich zusammentreffender Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170 Abs. 1, § 52 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die gemäß §§ 341, 344 StPO zulässige Revision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg, weil die in den Urteilsgründen getroffenen tatsächlichen Feststellungen lückenhaft waren und deswegen die Verurteilung wegen zweier rechtlich zusammentreffender Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nicht zu tragen vermochten, § 337 Abs. 2 StPO.

Gründe:

1. Auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts prüft das Revisionsgericht, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewandt worden ist, ob die Feststellungen eine tragfähige Entscheidungs- und Prüfungsgrundlage bilden, insbesondere, ob sie an Widersprüchen, Unklarheiten oder Unvollständigkeiten leiden. Dabei bilden die schriftlichen Urteilsgründe eine Einheit, deren tatsächliche Angaben berücksichtigt werden müssen, wo immer sie auch niedergeschrieben sind (Meyer-Goßner StPO 47.Aufl. § 337 Rn. 21).

2. Wird ein Unterhaltspflichtiger wegen Verletzung der Unterhaltspflicht verurteilt, muss das Urteil für die tatsächlichen Feststellungen zu seiner Leistungsfähigkeit zahlenmäßige Angaben über seine tatsächlichen oder möglichen Einkünfte sowie über seine sonstigen Verpflichtungen enthalten. Zudem muss im Urteil der notwendige Eigenbedarf mitgeteilt werden. Diesen Anforderungen werden die bisherigen Feststellungen der Strafkammer zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten - diese ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einer Verletzung der Unterhaltspflicht (Tröndle/ Fischer StGB 52.Aufl. § 170 Rn.8) - nicht gerecht. Dem Senat sind durchaus die Schwierigkeiten des Tatrichters bewusst, im Einzelfall jeweils für die Annahme der Leistungsfähigkeit im Sinne des § 170 StGB revisionsrechtlich ausreichende Feststellungen zu treffen. Andererseits darf eine Verurteilung nicht nur auf eine nicht hinreichend belegte Behauptung gestützt werden, wonach der Angeklagte leistungsfähig gewesen sei. Vielmehr muss die konkrete Leistungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund der getroffenen tatsächlichen Feststellungen feststehen.

2.1. Die Strafkammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte ist Vater der Kinder N, geb. am 26.06.1986, und T, geb. am 22.06.1991, die bei der Mutter leben. Er ist den Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Der gesetzliche Unterhalt betrug vom 01.06.2003 bis 21.08.2003 (gemeint wohl: 31.08.2003) für jedes Kind monatlich 284,-- Euro, dieser Betrag gilt für T weiterhin, für N seit dem 01.09.2003 nur noch 93,40 Euro, da sie seit dem eine Lehre besucht und über eigenes geringfügiges Einkommen verfügt.

Obwohl der Angeklagte die Unterhaltspflicht kannte und bei zumutbaren Einsatz seiner Arbeitskraft und der ihm anderweitig zugeflossenen Mittel zumindest teilweise zur Unterhaltszahlung in der Lage gewesen wäre, kam er zwischen dem 01.06.2003 und 31.01.2003 (gemeint wohl: 31.1.2004) seiner Unterhaltspflicht für die beiden Kinder nicht ausreichend nach. Er bezahlte lediglich im Dezember 2003 300,-- pro Kind. Am 05.11.2003 erhielt der Angeklagte per Überweisung auf sein Konto aus einer fälligen Lebensversicherung einen Geldbetrag von 5.821,92 Euro überwiesen. Am 07.11. hob er hiervon 5.500,-- Euro ab und entwendete (gemeint wohl: verwendete) den Betrag zur Rückzahlung privater und geschäftlicher Schulden. Nach seiner Haftentlassung hatten ihn teilweise Bekannte Geld geliehen, er bediente diese mit Teilbeträgen und bezahlte eine Gasrechnung.

Der Angeklagte hätte bei rechtzeitigen Bemühungen als Gärtnermeister eine Stelle als Angestellter in einem Gärtnereibetrieb finden können, bei dem ihm ein Tariflohn von 12,13 Euro im Jahr 2003, nun 12,72 Euro brutto zustünde bei Verwendung als Landschaftsgärtner. Bei anderweitiger Verwendung als Gärtner wäre ein Stundenlohn von 10,98 Euro brutto erzielbar. In der Sommersaison wäre der Angeklagte im Raum L als Arbeiter im Gaststättenbereich vermittelbar gewesen und hätte in den ersten 3 Monaten einen Bruttolohn von 1.224,-- Euro, ab dem 4.Monat von 1.327,-- Euro erzielt. Da in der Wintersaison weniger Arbeitskräftebedarf besteht, wäre der Angeklagte momentan in der Gastronomie nicht vermittelbar, jedoch in nahe gelegenen Wintersportorten in Österreich. Der Angeklagte hat sich aber beim Arbeitsamt um keine Arbeitsstelle bemüht" (UA S.10/11).

"Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen war der Angeklagte zumindest ab November 2003 leistungsfähig. Er hat hier aus der Lebensversicherung eine Summe erhalten, die unter Berücksichtigung des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Unterhaltsanspruches bei gleichmäßiger Verwendung für mehr als 1 Jahr Unterhaltszahlung ausgereicht hätte. Er hat es jedoch vorgezogen, dieses Geld zur Befriedigung anderweitiger Gläubiger zu verwenden" (UA S.14).

"Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass der Angeklagte, wenn er sich rechtzeitig darum bemüht hätte, auch eine Arbeitsstelle gefunden hätte, die ihm ein Einkommen über den notwendigen Selbstbehalt hinaus erbracht hätte. Dabei kann dahinstehen, ob in der derzeitigen Wintersaison eine kurzfristige Vermittelbarkeit besteht, vom Angeklagten wäre zu verlangen gewesen, schon längst seinen Betrieb aufzugeben und eine einträgliche Arbeit anzutreten. Dies hätte der Angeklagte schon tun müssen, ehe er sich aufgrund der defizitären Lage zu Diebstählen genötigt sieht und damit Haft riskiert, jedenfalls nach seiner letzten Haftentlassung im Mai 2003, des Ausscheidens seiner Mitarbeiterin und des Bestehens des Konkurrenzunternehmens hätte der Angeklagte eine andere Arbeitsstelle annehmen müssen. Aufgrund der Aussage des Zeugen F hat das Gericht keinen Zweifel daran, der Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes auch zwischenzeitlich erfolgreich gewesen wären. Immerhin handelt es sich beim Angeklagten um einen gelernten Meister mit langjähriger Berufserfahrung ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen und ohne nähere örtliche Bindungen.

Zumindest für den Teilzeitraum ab November 2003 bestand daher Leistungsfähigkeit des Angeklagten" (UA S.15).

2.2 . Die Urteilsgründe enthalten nicht diejenigen Tatsachenfeststellungen, die erforderlich wären, um den konkreten Umfang der Unterhaltspflicht des Angeklagten feststellen zu können. Insbesondere hätte es zur Feststellung der tatsächlichen Höhe der Unterhaltspflicht des Angeklagten gegenüber seinen beiden Töchtern in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum konkreter Zahlenangaben bedurft.

2.2.1. Zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des unterhaltsverpflichteten Angeklagten sind zahlenmäßige Angaben zu seinen tatsächlichen oder möglichen Einkünften und zu seinen sonstigen Verpflichtungen zu machen. Ohne diese Beurteilungsgrundlagen, zu denen auch der notwendige Eigenbedarf (Selbstbehalt) gehört, ist dem Revisionsgericht die Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit nicht möglich. Das angegriffene Urteil enthält jedoch keinerlei Feststellungen zum notwendigen Eigenbedarf des Angeklagten.

2.2.2. Zu den für die Feststellung der Unterhaltspflicht maßgebenden Tatsachen gehören ferner auch die Umstände, die die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen Kindern erweitern, § 1603 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BGB, oder begrenzen, § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB. Deswegen hätte die Strafkammer auch Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Mutter treffen müssen. Dies ungeachtet der Tatsache, dass die Mutter ihren Unterhaltsanteil in der Regel durch die Gewährung von Pflege und Erziehung erbringt, § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB (BayObLG NJW 1990, 3284 f.). Daran fehlt es.

Sollte sich eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit ergeben, sind Ausführungen darüber unerlässlich, welcher Betrag dem Unterhaltspflichtigen letztlich belassen werden muss und welchen Betrag er jeweils mindestens hätte leisten können (BayObLG NJW 1990, 3284 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil ebenfalls nicht gerecht.

2.2.3. Da bei dem Angeklagten Zeiten von Arbeitsfähigkeit mit Zeiten von Verdienstlosigkeit wechseln, hätte die Strafkammer die Zeitspannen für die Frage der Leistungsfähigkeit nicht isoliert betrachten dürfen. Vielmehr ist ein größerer Zeitraum ins Auge zu fassen und dabei der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass während der Zeiten vor dem Geldzufluss, beispielsweise durch die Strafhaft des Angeklagten, ein Nachholbedarf anwächst, der auch aus dem zeitweilig höheren Einkommen zu befriedigen ist (OLG Köln NJW 1962, 1630).

In diesem Zusammenhang hat die Strafkammer zwar festgestellt, dass der Angeklagte mit erheblichen Schulden belastet ist, hat sich aber, ohne dies im Einzelnen aufzuklären, auf den Standpunkt gestellt, die Schulden des Angeklagten seien nicht so dringlich zu tilgen gewesen. Letzteres gilt jedoch nicht für solche Schulden, die der Angeklagte zur Deckung des lebensnotwendigen Bedarfs eingegangen ist. Hierzu fehlen die erforderlichen Feststellungen.

2.2.4. Da die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nicht erkennen lassen, in welcher konkreten Höhe der Angeklagte bei angemessener Verteilung der ihm zugeflossenen Versicherungssumme ab November 2003 hätte Unterhalt leisten können, kann auch nicht nachvollzogen werden, ob und gegebenenfalls für welchen Zeitraum die Unterhaltspflicht des Angeklagten durch die von ihm vorgenommene Zahlung im Dezember 2003 in Höhe von 300 .- EUR je Kind abgedeckt wurde.

3. Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler war das angefochtene Urteil auf die Sachrüge mit den Feststellungen aufzuheben, § 353 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück