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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 26.06.2006
Aktenzeichen: 5 St RR 181/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 267
1. Auch bei einer Vielzahl von Straftaten in ähnlicher Begehungsweise sind vom Tatrichter jedenfalls dann Feststellungen zur Tatzeit und zum Tatort zu treffen, wenn dies zur Individualisierung der abgeurteilten Taten erforderlich ist und/oder im Hinblick auf eine mögliche Handlungseinheit die Tatmehrheit der Delikte in Frage steht.

2. Auf Feststellungen zur Mindestschadenshöhe darf grundsätzlich nicht verzichtet werden.


Tatbestand:

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - hatte die fünf Angeklagten wegen 150 tatmehrheitlicher Fälle des gemeinschaftlichen Betrugs verurteilt. Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten A, I und G Berufungen eingelegt und diese in der mündlichen Verhandlung vor der Jugendkammer bei dem Landgericht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Die Staatsanwaltschaft hatte ebenfalls gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Berufung in Richtung gegen den Angeklagten G eingelegt.

Die Jugendkammer des Landgerichts hat mit Urteil auf die Berufung der Angeklagten I das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und die Berufung der Staatsanwaltschaft ebenso verworfen wie die Berufungen der Angeklagten A und G.

Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte G mit seiner Revision und rügte die Verletzung des materiellen Rechts.

Gründe:

Die gemäß §§ 341, 344 StPO zulässige Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg, weil die in den Urteilsgründen getroffenen tatsächlichen Feststellungen zum Schuldspruch - mit Ausnahme der zu Fall Ziffer 13 getroffenen Feststellungen - lückenhaft sind und deswegen die Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Betrugs in weiteren 149 tatmehrheitlichen Fällen nicht zu tragen vermögen, §§ 337 Abs.2, 349 Abs.4 StPO.

1. Die dem entsprechende (Teil-) Aufhebung im Schuld- und Rechtsfolgenausspruch war nicht auf die übrigen Angeklagten zu erstrecken, § 357 StPO.

Zunächst müssen der Beschwerdeführer und die Nichtrevidenten durch dasselbe Urteil verurteilt worden sein. Wenn Revision gegen ein Berufungsurteil eingelegt ist, erfolgt daher keine Aufhebungserstreckung zugunsten von früheren Mitangeklagten, die keine Berufung eingelegt haben (Meyer-Goßner StPO 48.Aufl. § 357 Rn.12 m.w.N.). Es erfolgt aber auch keine Aufhebungserstreckung, soweit die eingelegte Berufung auf das Strafmaß beschränkt war (aaO m.w.N.).

Da die Staatsanwaltschaft die in Richtung auf die Angeklagte I eingelegte Berufung zurückgenommen hat und die Angeklagten A und I die von ihnen eingelegten Berufungen auf das Strafmaß beschränkt haben, kommt eine Aufhebungserstreckung in Richtung auf die Angeklagten A und I also nicht in Betracht.

In Richtung auf die Mitangeklagte A kommt eine Aufhebungserstreckung auch deshalb nicht in Betracht, weil sie nach § 55 Abs.2 JGG keine Revision einlegen konnte (Meyer-Goßner StPO 48.Aufl. § 357 Rn.7 m.w.N.).

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision insoweit, nämlich im Hinblick auf den Fall Ziffer 13 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, § 349 Abs.2 StPO.

Die Voraussetzungen der Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs.1 StGB wurden rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Berufungskammer hat auf die Mindestfreiheitsstrafe erkannt.

3. Auf die Frage, ob die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch seitens des Angeklagten G wirksam war, kommt es nicht an, weil der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch wegen der unbeschränkten Berufung der Staatsanwaltschaft in Richtung auf den Angeklagten insgesamt rechtshängig geblieben ist, § 301 StPO. Der Angeklagte kann deshalb die nach § 301 StPO ergehende Entscheidung mit den zulässigen Rechtsmitteln auch in diesem Umfang anfechten (KK/Ruß StPO 5.Aufl. § 301 Rn. 1 m.w.N.).

4. In dem oben bezeichneten Umfang trägt die Begründung des angefochtenen Urteils die Entscheidung zum Schuld- und Strafausspruch nicht.

Der Schuldspruch wegen 149 tatmehrheitlicher Fälle des gemeinschaftlich begangenen Betrugs sowie die hierfür verhängten Einzelstrafen von jeweils einem Monat in 72 Einzelfällen und von jeweils zwei Monaten in 77 Einzelfällen sowie die aus den verwirkten Einzelstrafen erkannte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht über die dem Angeklagten zur Last liegenden Straftaten nicht in dem gebotenen Umfang befunden hat.

Das Landgericht hat keine ausreichenden Feststellungen zum Schuldspruch getroffen, denn aus den Urteilsfeststellungen ergeben sich - mit Ausnahme des Falls Ziffer 13. (BU S.10) - in keinem einzigen Fall die genauen Tatzeiten, insbesondere die Tattage und - gegebenenfalls - Uhrzeiten. Ferner lassen die Urteilsfeststellungen bei einer Vielzahl der abgeurteilten Fälle eine Zuordnung des jeweils entstandenen Schadens zu den abgeurteilten (Einzel-) Taten nicht zu.

Das ist beispielsweise im Fall Ziffer 1 der Fall, denn dort hat das Berufungsgericht lediglich festgestellt, dass zwischen dem 27.5. und dem 16.6.2003 insgesamt 24 Einkäufe getätigt wurden, wobei 19 mal mit der Karte der Bank A und 5 mal mit der Karte der Bank R bezahlt wurde und sich die einzelnen Beträge "zwischen 3,43 EUR und 170,95 EUR" belaufen, so dass insgesamt ein Schaden in Höhe von 2 604,65 EUR entstand.

Feststellungen zur erforderlichen Stellung eines Strafantrags bzw. zur Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses seitens der Staatsanwaltschaft in Fällen der "Geringwertigkeit" des entstandenen Schadens gemäß §§ 263 Abs.4, 248a StGB, wie dies beispielsweise hinsichtlich des Schadens von 3,43 EUR im Fall Ziffer 1 geboten gewesen wäre, hat das Landgericht nicht getroffen.

Schließlich lassen die Feststellungen des Landgerichts in einer Reihe von Fällen keine Beurteilung der Frage zu, ob tatsächlich Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB oder nicht vielmehr Tateinheit im Sinne § 52 StGB anzunehmen ist.

4.1. Zur Individualisierung einer Tat ist die Tatzeit grundsätzlich von wesentlicher Bedeutung. Zwar kann sich der Anklagevorwurf bei einer Serie gleich gelagerter oder ähnlicher Straftaten gegenüber denselben Geschädigten auf die Angabe eines Zeitrahmens beschränken, mangelnde Angaben zur Tatzeit sind aber nur dann unschädlich, wenn die abgeurteilte Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen ausreichend individualisiert ist. Grundsätzlich ist das strafbare Verhalten nach Ort, Zeit oder Begehung näher zu bestimmen und so konkret zu bezeichnen, dass erkennbar ist, welche bestimmten Taten von der Verurteilung erfasst werden (Tröndle/Fischer StGB 53.Aufl.vor § 52 Rn. 56 m.w.N.).

Bei einer Mehrzahl gleich gelagerter oder ähnlicher Straftaten müssen sich diejenigen, deretwegen eine Verurteilung erfolgt, von anderen gleichartigen Taten, die der Angeklagte begangen haben kann, genügend unterscheiden lassen. Die Verurteilung wegen Taten, die insgesamt nur vage beschrieben sind, ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (Meyer-Goßner aaO § 264 Rn.7b m.w.N.).

Die Feststellungen der Strafkammer lassen die hiernach erforderliche Individualisierung der abgeurteilten (weiteren) 149 Einzeltaten nicht zu.

Dem gegenüber erfüllt die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage diese Anforderungen, denn dort sind für jeden einzelnen Fall die Tattage und in einer Vielzahl von Fällen sogar die Uhrzeiten der Tatbegehung angegeben. Dementsprechend sind im Urteil des Amtsgerichts zumindest noch die Tattage, wenn auch nicht mehr die Uhrzeiten, angegeben.

Es ist also nicht so, dass eine nähere Individualisierbarkeit der hier abgeurteilten Taten nach ihrer genauen Tatzeit etwa nicht möglich gewesen wäre (vgl. hierzu OLG München NStZ-RR 2005, 350 m.w.N.).

4.2. Die genaue Feststellung der Tattage und, soweit möglich, der Uhrzeiten war vorliegend auch zur Beurteilung der Frage geboten, ob tatsächlich Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB oder nicht vielmehr Tateinheit im Sinne des § 52 StGB anzunehmen ist.

Werden nämlich mit einer auf dasselbe Konto bezogenen Karte am selben Ort und zum Nachteil desselben Geschädigten innerhalb weniger Minuten mehrere Zahlungen vorgenommen, wie dies die Anklageschrift zu Fall Ziffer 1. nahe legt, ist bezüglich dieser Einkäufe von einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen (vgl. Tröndle/Fischer aaO vor § 52 Rn. 10 m.w.N. und BGH NStZ 2001, 140, 142).

Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen lassen eine diesbezügliche Beurteilung nicht zu.

4.3. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen bieten keine ausreichende Tatsachengrundlage für eine eigene Strafzumessung, soweit sie keine Zuordnung der entstandenen Schäden zu den abgeurteilten Einzeltaten erlauben.

Das ist der Fall, soweit die Strafkammer, wie beispielsweise im Fall Ziffer 1, lediglich festgestellt hat, dass sich die Schäden auf Beträge zwischen ...EUR und ... EUR belaufen.

In diesen Fällen lassen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen den von der Strafkammer den jeweiligen Einzeltaten zugrunde gelegten Schuldumfang nicht erkennen und bilden daher auch keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung (Meyer-Goßner aaO § 318 Rn.16 m.w.N.).

Jenseits der Frage, ob Feststellungen zur genauen Schadenshöhe in jedem Fall zu den für den Schuldspruch unverzichtbaren Feststellungen gehören, ist jedenfalls für die Strafzumessung eine Zuordnung der festgestellten Schadenshöhe zu den abgeurteilten Einzeltaten geboten.

Genaue Feststellungen zur Mindestschadenshöhe sind jedenfalls dann zu treffen, wenn, wie vorliegend, nicht ausgeschlossen ist, dass die Voraussetzungen eines Strafantrags oder der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung der Tat notwendig sind, §§ 263 Abs.4, 248a StGB. Hierzu hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.

Danach kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob und gegebenenfalls bei welchen Taten die Voraussetzungen der §§ 263 Abs.4, 248a StGB zur Verfolgung der Tat vorliegen müssen.

Nach der Rechtsprechung wird die Grenze der Geringwertigkeit derzeit in der Regel bei ca. 25 bis 30 EUR angenommen (Tröndle/Fischer StGB 53.Aufl. § 248a Rn.3 m.w.N.).

Aufgrund der aufgezeigten Mängel ist das Urteil des Landgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang mit den Feststellungen aufzuheben, §§ 337, 353 StPO, und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat, § 354 Abs.2 Satz 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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