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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 6 U 2416/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 286 Abs. 1
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 124 Abs. 1
BGB § 124 Abs. 2
Die Feststellung der Geschäftsfähigkeit bzw. der Geschäftsunfähigkeit kann nicht dem gerichtlichen Sachverständigen überlassen werden, sondern ist vom Gericht als Rechtsfrage selbst zu entscheiden.

Der Sachverständige kann nur zur Feststellung von Tatsachen herangezogen werden, die den Schluß auf das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit bzw. auf deren Fehlen zulassen.

Es besteht insoweit eine Divergenz zwischen der Entscheidung des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes in GRUR 2006, 131 ff. - Seitenspiegel und der Entscheidung des III. Zivilsenats vom 1.10.1987 - AZ.: III ZR 175/86.

Der III. Zivilsenat ist der Auffassung, diese Schlußfolgerungen des Sachverständigen könnten bzw. müßten ggf. vom Gericht überprüft werden, während der X. Zivilsenat keine Kompetenz des Sachverständigen für diese Fragen erkennen kann.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 6 U 2416/06

Verkündet am 25. Januar 2007

wegen Forderung

In dem Rechtsstreit

erlässt der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Bundespatentgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2007 folgendes

Endurteil:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München II vom 27.01.2006 - Az.: 14 O 4421/04 - in Ziffern I. und III. abgeändert. Die Klage der Klägerin zu 1) wird abgewiesen. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerinnen können die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten erster Instanz gegen Sicherheitsleistung, in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch um die Wirksamkeit der Erklärung der Klägerin zu 1) in der notariellen Urkunde des Notars Dr. ... in Garmisch-Partenkirchen vom 25.6.1999, wodurch bezüglich des Grundstücks Flur-Nr. im Grundbuch Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen für Ohlstadt, Band 77, Blatt 2934 das Teileigentum der Klägerin zu 1) an der Garage Nr. 5 aus ihrem Sondereigentum ausgegliedert und dem Sondereigentum ihres Bruders ... (Beklagter) zugeschlagen wird, der wie sie Miteigentümer ist (Ziffer II. der Urkunde) ist. Diese Urkunde wurde als Nachtrag zur Teilungserklärung vom 20.12.1991 (Urkunds-Nr. ... abgefasst.

Die Klägerin zu 1) hat in erster Instanz vorgetragen, sie sei zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung nicht geschäftsfähig gewesen. Zum Nachweis hat sie das ärztliche Gutachten Dr. ... vom 16.1.2003 (Anlage KK 2) vorgelegt, erstellt zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung. Als Betreuer für die Klägerin zu 1) wurde ihr Bruder ... bestellt (Ausweis Amtsgericht Partenkirchen vom 12.5.2003, Anlage KK 3). Die Klägerin zu 2), Mutter der Klägerin zu 1), hat am 20.9.2002 eine Pfandfreigabe unterschrieben, die auf die vorgenannte Nachtragsurkunde vom 25.6.1999 Bezug nimmt. Sie hat vorgetragen, aufgrund eines hirnorganischen Psychosyndroms bei dieser Willenserklärung nicht geschäftsfähig gewesen zu sein. Auch sie hat ein ärztliches Gutachten von Dr. ... vom 17.1.2003 vorgelegt (Anlage KK 8). Als ihr Betreuer ist ebenfalls ... bestellt (Beschluss Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen vom 17.2.2003, Anlage KK 7).

Die Klägerinnen haben in erster Instanz beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Nachtragsurkunde vom 25.6.1999, Urkunden-Nr. ... nichtig ist.

2. Es wird festgestellt, dass die Pfandfreigabe vom 20.9.2002, Urkunden-Nr. ... nichtig ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Bei den notariellen Beurkundungen vom 25.6.1999 und 20.9.2002 sei für die beurkundenden Notare keinerlei Anschein dafür zu erkennen gewesen, dass die Klägerinnen in irgendeiner Weise geschäftsunfähig gewesen sein sollten. Hierzu würden die Notare Dr. ... und ... als Zeugen angeboten. Dass die Garage der Beklagte bekommen sollte, habe dem Wunsch des Vaters ... entsprochen, der sie bis zu seinem Tod benützt habe, wobei die Klägerin zu 1) ausdrücklich erklärt habe, sie brauchte die Garage nicht. Auch mit der Pfandfreigabe seien alle beim Notar Anwesenden (die Klägerinnen, Ersatzbetreuer ... - weiterer Bruder der Klägerin zu 1) - sowie ...) einverstanden gewesen, auch bei einem anschließenden gemeinsamen Essen in einem Restaurant in Ettal (Beweisangebot: Zeugenvernehmung von ...).

Der Betreuer ... habe ein eigenes Interesse an der Nutzung der Garage und habe die Klägerin zu 1) umgestimmt, als er von der Beurkundung erfahren habe. Erst danach sei der unzutreffende Vorwurf einer Täuschung erhoben worden.

Das Erstgericht hat gemäß Beschluss vom 22.9.2004 zur Geschäftsfähigkeit beider Klägerinnen ein Sachverständigengutachten des Landgerichtsarztes beim Landgericht München II erholt. Auf den Inhalt der schriftlichen Gutachten von Dr. ..., jeweils vom 16.8.2005, wird ebenso Bezug genommen, wie auf das auf Veranlassung von Dr. ... hinsichtlich der Klägerin zu 1) erfolgte testpsychologische Zusatzgutachten von Dr. ... vom 22.7.2005.

Mit Endurteil vom 27.1.2006 hat das Landgericht München II die Nichtigkeit der Nachtragsurkunde vom 25.6.1999 festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Zur Begründung führt das Erstgericht aus, der Sachverständige Dr. ... sei in seinem Gutachten vom 16.8.2005 überzeugend zum Ergebnis gekommen, dass die Klägerin zu 1) anlässlich des notariellen Vertrags am 25.6.1999 geschäftsunfähig gewesen sei, aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung mit leichter Intelligenzminderung mit besonders niedrigen Teilleistungswerten in den verbalen Intelligenzbereichen des Text- und Leseverständnisses. Der Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, dass aufgrund ihrer kognitiven Leistungsdefizite ohne vernünftigen Zweifel davon auszugehen sei, dass die Klägerin zu 1) nicht in der Lage gewesen sei, beim Vorlesen des Notarvertrags den Vertragstext zu erkennen und aufzufassen, und dass sie nicht im Sinne eines Geschäftswillens erkannt habe, welche rechtswirksam bindende Handlung sie mit der Unterzeichnung vorgenommen habe. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. ... würden zudem durch die Ausführungen von Dr. ... unterstützt. Der Sachverständige Dr. ... sei dem Gericht aus vielen weiteren Verfahren als ein sehr qualifizierter und zuverlässiger Sachverständiger bekannt. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. ... sei allerdings die Klägerin zu 2) bei der Abgabe ihrer Pfandfreigabeerklärung nicht geschäftsunfähig gewesen. Die Nichtigkeit der Willenserklärung der Klägerin zu 1) vom 25.6.1999 führe auch nicht automatisch zur Nichtigkeit der Pfandfreigabeerklärung der Klägerin zu 2) vom 20.9.2002.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Gegen das ihm am 26.2.2006 zugestellte Endurteil richtet sich die Berufung des Beklagten, eingegangen am 14.3.2006. Sie ist gegen beide Klägerinnen als Berufungsbeklagte gerichtet. Hieran hat der Beklagte auch nach dem Hinweis des Gerichts in der Verfügung vom 23.6.2006 festgehalten (Schriftsatz 2.11.2006 und Protokoll vom 25.1.2007).

Gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wurde dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (Beschluss vom 19.6.2006).

Der Beklagte beantragt in seiner Berufung:

1. Das Endurteil des Landgerichts München II, Az.: 14 O 4421/04, vom 27.1.2006, berichtigt in Ziffer III. durch Beschluss vom 10.4.2006, wird in Ziffer I. aufgehoben.

2. Die Klage Ziffer I. wird abgewiesen.

Zur Begründung führt er aus, das Gericht habe die Parteien nicht darauf hingewiesen, dass es wesentliche Feststellungen des Sachverständigengutachtens Dr. ... nicht teile, sondern sogar konträr beurteile. Vom Beklagten angebotene Gegenbeweise seien nicht ausgeschöpft worden. Zur Fähigkeit der Klägerin zu 1), ihren Willen frei zu bestimmen, habe sich der Sachverständige in seinem Gutachten geäußert und sei zu dem Ergebnis gekommen, "damit steht die Fähigkeit, einen natürlichen Willen zu bilden, außer Frage". Weiter sei festgestellt worden, dass von einer höhergradigen Intelligenzminderung bei der Klägerin zu 1) nicht auszugehen sei, auch nicht nach dem Ergebnis der testpsychologisch durchgeführten Leistungsmessung. Die Intelligenzminderung sei insgesamt leicht. Dass der Sachverständige Dr. ... bei seiner Aussage, die Klägerin zu 1) sei geschäftsunfähig gewesen, von falschen Voraussetzungen ausgehe, zeige, dass er darauf abgestellt habe, ob die Klägerin zu 1) beim Vorlesen des Notarvertrages den Vertragstext erkennen und auffassen habe können sowie erkennen können, welche rechtswirksam bindende Handlung sie vornehme. Hierauf komme es jedoch nicht an.

Die Klägerinnen haben beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Aus dem erstinstanzlichen in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten ergebe sich eindeutig, dass die Klägerin und Berufungsbeklagte zu 1) zum Zeitpunkt der Urkundenerrichtung nicht geschäftsfähig gewesen sei. Die psychiatrische Erkrankung der Klägerin zu 1) ergebe sich aus dem Untersuchungsbefund Seite 10. Wenn der Erstrichter lediglich die Feststellungen des psychiatrischen Gutachtens wiederholt habe, deute dies darauf hin, dass das Gutachten aus sich heraus verständlich sei. In Hinblick auf den ausgesprochenen Hinweis des Gerichts sei die notarielle Urkunde nunmehr auch angefochten worden. Es werde jedoch nach wie vor an der Rechtsauffassung festgehalten, dass die Klägerin zu 1) zum Zeitpunkt der Urkundenerrichtung geschäftsunfähig gewesen sei. Das Verfahren werde auch in Hinblick auf die Anfrage des Amtsgerichts - Vormundschaftsgerichts - Garmisch-Partenkirchen vom 6.6.2005 geführt (Anl. zum Schriftsatz 10.8.2006).

Der Beklagte bestreitet insoweit das Bestehen eines Anfechtungsgrundes, eine Täuschung der Klägerin zu 1) sei niemals erfolgt, die Anfechtungsfrist gemäß § 124 Abs. 1 BGB außerdem längst verstrichen.

Die Klägerin zu 2) ist am 14.10.2006 verstorben und wurde von der Klägerin zu 1) als Alleinerbin beerbt.

II.

Die Berufung des Beklagten erweist sich nach gewährter Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO), soweit sie sich gegen eine Verurteilung auf Antrag der Klägerin zu 1) bezüglich deren Klageantrag richtet. Insoweit ist die Berufung auch begründet, weil eine Geschäftsunfähigkeit der Klägerin zu 1) zum Zeitpunkt der notariellen Beurkundung vom 25.06.1999 nicht erwiesen ist.

Soweit sich die Berufung bezüglich Ziffer I des Ersturteils auch ausdrücklich gegen eine Verurteilung auf Antrag der (inzwischen verstorbenen) Klägerin zu 2) richtet, ist die Berufung unzulässig.

1. Geschäftsfähigkeit der Klägerin zu 1) am 25.06.1999

a) Geschäftsunfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden, nicht nur vorübergehenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (§ 104 Nr. 2 BGB). Ob eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorliegt, ggf. in welchem Ausmaß, kann von einem Gericht im Regelfall nur mit sachkundiger Hilfe festgestellt werden, was auch das Erstgericht nicht verkannt hat. Soweit der vorliegend beauftragte Sachverständige, Landgerichtsarzt beim Landgericht München II Dr. med. ... hierzu tatsächliche Feststellungen in seinem Gutachten vom 16.08.2005 getroffen hat, besteht für den Senat auch kein Anlass, diese in Zweifel zu ziehen. Wollte der Senat insoweit von anderen Voraussetzungen ausgehen, wäre eine erneute Begutachtung oder zumindest eine Anhörung des Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten veranlasst gewesen (vgl. BGH vom 18.05.2001, BGH Report 2001, 714, Ziffer II, 2 und 3).

b) Hiervon zu unterscheiden ist aber die Entscheidung der Rechtsfrage, ob als Folge sachverständig festgestellter Tatsachen (z. B. Aussage zur Möglichkeit freier Willensbildung und Feststellung eines sog. Intelligenzquotienten) partielle oder vollständige Geschäftsunfähigkeit vorliegt. Obwohl dies bei Gutachten zur Geschäftsfähigkeit (oder zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit) häufig anders gehandhabt wird, darf nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Gericht die Entscheidung der zu treffenden Rechtsfrage nicht einem Sachverständigen überlassen und lediglich darüber befinden, ob diesem "zu folgen" sei, etwa weil der Sachverständige große Erfahrung besitze, qualifiziert und zuverlässig sei und das Ergebnis plausibel erscheine.

Eine Bindung des Gerichts an das Ergebnis eines medizinischen Sachverständigengutachtens besteht hierbei ebenso wenig wie auch sonst beim Sachverständigenbeweis; das Gericht hat vielmehr auch schon über das Vorliegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gemäß § 286 Abs. 1 ZPO in freier Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen zu entscheiden. Erst recht gilt dies für die nach Bejahung einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit erforderliche Feststellung eines hierdurch verursachten Ausschlusses der freien Willensbestimmung und damit der Geschäftsunfähigkeit bei Vornahme des Rechtsgeschäfts (Staudinger/Knothe, BGB, Neubearbeitung 2004, Ziffer 8 zu § 104).

c) In der Entscheidung "Seitenspiegel" hat der Bundesgerichtshof - wenn auch auf dem Gebiet des Patentrechts - ausgeführt, die Auslegung eines Patentanspruchs sei unmittelbaren Feststellungen regelmäßig entzogen, die Ausführungen eines Sachverständigen zu seinem Verständnis des Patentanspruches dürften nicht als "Feststellungen" zum Inhalt des Patentanspruches behandelt werden. Die Ergebnisse eines Sachverständigengutachtens dürfe das Gericht nicht ohne weiteres übernehmen, sachverständige Äußerungen seien vom Tatrichter vielmehr eigenverantwortlich daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie Angaben enthielten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein von dem erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen (BGH GRUR 2006,131). Im Ergebnis ist damals der Bundesgerichtshof zu einer sowohl vom Gutachtensergebnis als auch vom Ersturteil abweichenden Entscheidung gekommen.

d) Trennt man auch im vorliegenden Fall scharf zwischen Tatsachenfeststellungen und dem (als Rechtsfrage zu entscheidenden) Ergebnis im Sachverständigengutachten, sprechen die tatsächlichen Feststellungen, wie der Beklagte zutreffend vorgetragen hat, keinesfalls eindeutig dafür, dass das Fehlen der Geschäftsfähigkeit anzunehmen wäre.

So hat der Sachverständige Dr. ... auf S. 20 seines Gutachtens ausgeführt, die Klägerin zu 1) sei durchaus in der Lage gewesen, den strittigen Sachverhalt im Wesentlichen korrekt wiederzugeben, wonach eine Eigentumsübertragung ihrer Garage stattgefunden habe. Gleichzeitig sei sie in der Lage gewesen, ihren Willen dahingehend zu äußern, dass sie das nicht nur aktuell nicht wolle, sondern im Grunde nie gewollt habe und habe dazu normalpsychologisch nachvollziehbare Argumente ins Feld geführt. Damit stehe die Fähigkeit der Klägerin zu 1), einen natürlichen Willen zu bilden, außer Frage. Gehe man weiter in Beantwortung der Gutachtensfrage von ihren Angaben aus, sie sei in den Vorgesprächen durch ihren Bruder dahingehend unterrichtet worden, dass es nur um eine vorübergehende und durch sie widerrufbare Nutzung der in ihrem Besitz verbleibenden Garage gehe, so sei aufgrund der dargestellten kognitiven Leistungsdefizite aus psychiatrischer Sicht ohne vernünftigen Zweifel davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1) aufgrund des Vorlesens des Notarvertrages nicht in der Lage gewesen sei, die Abweichung gegenüber ihrer angegebenen Vorstellung im Vertragstext zu erkennen bzw. durch eigenes Lesen des Vertrages aufzufassen. Damit sei aus psychiatrischer Sicht nicht davon auszugehen, dass Frau ... anlässlich des Notartermins im Sinne eines Geschäftswillens erkannt habe, welche rechtswirksam bindende Handlung sie mit Unterzeichnung vorgenommen habe (Seite 20 des schriftlichen Gutachtens). Auf Seite 19 seines Gutachtens führt der Sachverständige aus, in der diagnostischen Zusammenschau sei somit von einer frühkindlichen Hirnschädigung, vermutlich im Rahmen von Sauerstoffmangel bei Frühgeburtlichkeit, auszugehen, mit der Folge deutlicher hirnorganischer Leistungsbeeinträchtigung und einer leichten Intelligenzminderung. Weiter hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu 1), wenn auch im Rahmen einer verzögerten Entwicklung, in der Lage gewesen sei, eine volle Unabhängigkeit in der Selbstversorgung, wie Essen, Waschen, Anziehen, Darm- und Blasenkontrolle zu erreichen. Sie sei offensichtlich in der Lage gewesen, für eine praktische Arbeit angelernt zu werden, was der Annahme einer höhergradigen Intelligenzminderung ebenso widerspreche wie das Ergebnis der testpsychologisch durchgeführten Leistungsmessung. Allerdings sei aufgrund der frühkindlichen Hirnschädigung das Profil der Leistungseinstellung nicht homogen. Vielmehr sei von einer besonderen Teilleistungsschwäche im Bereich des Text- und Leseverständnisses auszugehen, wie es sich sowohl testpsychologisch als auch klinisch zeige.

e) Aus welchen Gründen der Sachverständige dazu gekommen ist, dennoch im Ergebnis Geschäftsunfähigkeit zu bejahen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Es erscheint denkbar, dass er, ausgehend von den Angaben der Klägerin zu 1) zum Ablauf des Vorgesprächs mit dem Beklagten und dem Notartermin, zur Auffassung gelangt ist, sie habe bei Vorlesen der Vertragsurkunde nicht erkennen können, welches Rechtsgeschäft beabsichtigt war. Dies kann aber auch andere Ursachen als eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit gehabt haben, z. B. eine vorangegangene Täuschung durch den Beklagten in Verbindung mit geringer Aufmerksamkeit der Klägerin zu 1) bei der Beurkundung. Auch ist denkbar, dass die Klägerin zu 1) zwar damals die Garage dem Beklagten tatsächlich überlassen wollte, später aber ihre Meinung geändert hat bzw. "umgestimmt" wurde.

f) Eine auf den Schwierigkeitsgrad eines Rechtsgeschäfts abstellende "relative Geschäftsunfähigkeit" - die in dem Gutachten anklingt - wird in Rechtsprechung und Literatur nahezu einhellig abgelehnt, da erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen würden und das Hauptgewicht auf die Einsichts-, statt auf die Willensfähigkeit gelegt würde (Staudinger/Knote, a.a.O., Rn. 15 zu § 104 BGB).

g) Eine partielle Geschäftsunfähigkeit, d. h. beschränkt auf "einzeln abgrenzbare Lebensgebiete" (vgl. Staudinger/ Knote, a.a.O., Rn. 14) ist in der Rechtsprechung dagegen zwar grundsätzlich anerkannt (BVerfG, NJW 2003, 1382; BGH vom 18.05.2001, BGH Report 2001, 714), warum sie aber vorliegend trotz der vom Sachverständigen attestierten Fähigkeit zur Bildung eines natürlichen Willens gegeben sein sollte, etwa für den vom Erstgericht im Beweisbeschluss umrissenen Bereich der "Finanz- und Behördenangelegenheiten", kann der Senat den Feststellungen des Gutachtens nicht entnehmen.

Auch dem Gutachten von Dr. med. ... vom 16.1.3003 lassen sich, obwohl es im Ergebnis zu einer partiellen Geschäftsunfähigkeit für den Bereich "Finanz- und Behördenangelegenheiten" kommt, keine schwererwiegenden Krankheitsstörungen entnehmen als dem Gutachten Dr. ... Insgesamt sind daher durch die erholten medizinischen Gutachten nicht derartige Umstände zu einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit bei der Klägerin zu 1) festgestellt, dass sie den Schluss auf ihre Geschäftsunfähigkeit am 25.06.1999 zulassen würden.

h) Der Senat hat auf seine vorläufige Auffassung in der Ladung vom 23.06.2006 ausführlich hingewiesen und angefragt, ob der Sachverständige Dr. ... zu den Fragen, die sein Gutachten aufwerfe, gehört werden solle. Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ist von keiner Seite gestellt worden, insbesondere stellt das von der Klageseite erklärte Einverständnis keinen derartigen Antrag dar.

2. Anfechtung

Die - nach dem Hinweis des Gerichts - vorgenommene Anfechtung der notariellen Urkunde greift ebenfalls nicht durch. Spätestens mit Erhalt des Schreibens vom 24.04.2003 (Anlage KK 5) wusste die Klägerin zu 1) bzw. ihre Bevollmächtigte, dass eine Eigentumsübertragung beurkundet worden war. Bis zur erfolgten Anfechtung war die Frist des § 124 Abs. 1 und 2 BGB verstrichen.

3. Berufunqsumfang/Teilunterliegen

a) Nachdem Eigentümerin des Sondernutzungsrechts an der streitigen Garage allein die Klägerin zu 1) war, ist trotz der missverständlichen Antragstellung davon auszugehen, dass ein Prozessrechtsverhältnis im Hinblick auf Klageantrag 1 in erster Instanz nur zwischen der Klägerin zu 1) und dem Beklagten entstanden ist und das Prozessrechtsverhältnis zwischen der Klägerin zu 2) und dem Beklagten auf den Klageantrag 2 beschränkt war, der die von der Klägerin zu 2) abgegebene Pfandfreigabeerklärung vom 20.09.2002 betraf. Soweit der Beklagte daher darauf bestand, auch gegenüber der Klägerin zu 2) Berufung - und zwar bezüglich Klageantrag 1 - eingelegt zu haben, ist diese unzulässig, weil mangels bisherigen Prozessrechtsverhältnisses bzw. beschwerender Entscheidung kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist.

b) Dass die Klägerin zu 2) am 14.10.2006 verstorben ist, führt zu keiner Änderung der getroffenen Entscheidung. Sie ist unstreitig von der Klägerin zu 1) allein beerbt worden, die damit gesetzliche Rechtsnachfolgerin geworden ist. Eine Unterbrechung des Verfahrens ist nicht eingetreten (§ 246 ZPO).

4. a) Kosten:

Da die Klagen insgesamt abgewiesen wurden, haben die Klägerinnen zu 1) und 2) - bzw. nunmehr die Klägerin zu 1) als eigene Partei und als Rechtsnachfolgerin der Klägerin zu 2) - die Kosten erster Instanz zu tragen. Bei den Kosten der Berufungsinstanz waren diese gegeneinander aufzuheben, weil die Berufung des Beklagten bezüglich einer der Berufungsbeklagten unzulässig ist (siehe oben 3).

b) Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO

5. Zulassung der Revision

Die Revision zum Bundesgerichtshof war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen.

Wie oben dargelegt folgt der Senat der Auffassung des X. Zivilsenats im Urteil vom 11.10.2005 - AZ X ZR 76/04 - Seitenspiegel, wonach Rechtsfragen - hier ist oder war die Klägerin zu 1) geschäftsunfähig - nicht einem gerichtlichen Sachverständigen überlassen werden dürfen, sondern wonach der Sachverständige nur zur Klärung objektiver Gegebenheiten - hier: Vorhandensein bzw. Ausmaß einer hirnorganischen Störung - herangezogen werden darf.

Der Senat weicht damit von der Rechtsprechung des III. Zivilsenats (Urteil vom 1.10.1987 - AZ III -ZR 175/86) ab, wonach lediglich Anlass bestehen kann, "die Schlussfolgerungen des Sachverständigen zu überprüfen." Hier hat der Senat nicht die Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. H "überprüft", sondern er hat - ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen - eigenständig die rechtliche Folge hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Klägerin zu 1) geprüft und beantwortet.

Ende der Entscheidung

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