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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 15.05.2002
Aktenzeichen: 7 U 2371/01
Rechtsgebiete: AktG, ZPO


Vorschriften:

AktG § 131 Abs. 1
AktG § 186 Abs. 4
AktG § 203 Abs. 1
AktG § 186 Abs. 3 Satz 4
AktG § 186 Abs. 4 Satz 2
AktG § 203 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 711
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 1 Ziffer 1
1. Die nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.6.1997 (NJW 1997, S. 2815 - Siemens/Nold) an die Begründung des Vorstandsberichts zur Schaffung genehmigten Kapitals unter Bezugsrechtsausschluß zu stellenden (reduzierten) Anforderungen sind jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn der Bericht nur aus einer floskelhaften Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen besteht, bei der eine "strategische Neuausrichtung" der Gesellschaft auch nicht ansatzweise erläutert wird.

2. Die formelhafte Wiederholung eines solchen Vorstandsberichts stellt keine den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft entsprechende Beantwortung von Fragen dar, die in Wahrnehmung des Auskunftsrechts nach § 131 Abs. 1 AktG gestellt werden.


IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 7 U 2371/01

Verkündet am 15. Mai 2002

In dem Rechtsstreit

erläßt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2002 folgendes

ENDURTEIL:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 25.01.2002 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 Euro abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Wert der Beschwer der Beklagten im Berufungsverfahren übersteigt 20.000 Euro.

Tatbestand:

Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in , die bislang über ein Grundkapital von 1,44 Mio. Euro verfügt.

Die Beklagte ist eine für Unternehmen der Bekleidungsindustrie, die selbst keine Arbeitnehmer beschäftigt. Ihr Kapital liegt zu etwa 98 % bei der H-AG mit Sitz in L. Die beiden Vorstandsmitglieder der Beklagten und ein Mitglied ihres Aufsichtsrats sind zugleich Mitglieder des Vorstands der H-AG, die beiden weiteren Mitglieder des Aufsichtsrats der Beklagten zugleich auch Mitglieder des Aufsichtsrats der Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten. Nachdem das Beteiligungsportfolio der Beklagten früher aus mehreren Gesellschaften bestand, verblieb, nach dem sich die Beklagte von mehreren Beteiligungen getrennt hatte, lediglich die B-GmbH als einzige aktive Beteiligung bei der Beklagten. Kurz vor der streitgegenständlichen Hauptversammlung hatte die Beklagte über den Verkauf der ARA-Moden GmbH & Co. KG verhandelt, diese Verhandlungen wurden wenige Tage nach der Hauptversammlung am 29.06.2000 erfolgreich abgeschlossen.

Die im Jahre 1999 beschlossene Verschmelzung der Beklagten mit ihrer Mehrheitsaktionärin wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 31.08.1999 im Verfahren 5 HKO 8188/99 für nichtig erklärt.

Die Kläger nahmen an der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 19.06.2000 in D teil, stimmten gegen den mit einer Mehrheit von 99 % des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals gefaßten Beschluß zu TOP 12 und legten hiergegen Widerspruch zu Protokoll ein.

Der angefochtene Beschluß lautet:

"a. Der Vorstand wird ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Grundkapital bis zum 31.Dezember 2004 durch Ausgabe neuer Aktien gegen Sach- oder Bareinlagen einmal oder mehrmals, insgesamt jedoch um höchstens Euro 5.600.000 zu erhöhen. Der Vorstand entscheidet über den Ausschluß des Bezugsrechts mit Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat wird ermächtigt, die Fassung der Satzung entsprechend dem Umfang der Kapitalerhöhung aus genehmigten Kapital zu ändern.

b. § 4 Abs. 3 der Satzung wird geändert und erhält folgende neue Fassung: Der Vorstand wird ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Grundkapital bis zum 31.Dezember 2004 durch Ausgabe neuer Aktien gegen Sach- oder Bareinlagen einmal oder mehrmals, insgesamt jedoch um höchstens Euro 5.600.000 zu erhöhen. Der Vorstand entscheidet über den Ausschluß des Bezugsrechts mit Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat wird ermächtigt, die Fassung der Satzung entsprechend dem Umfang der Kapitalerhöhung aus genehmigten Kapital zu ändern."

In einem "Bericht des Vorstands der M-AG" zur Begründung des Ausschlusses des Bezugsrechts der Aktionäre für das in der Hauptversammlung vom 19.Juli 2000 zu beschließende genehmigte Kapital "vom 28. April 2000 (Anlage B 4) wird folgende "Begründung" gegeben:

"Der Gesellschaft soll im Rahmen ihrer strategischen Neuorientierung die Möglichkeit gegeben werden, in geeigneten Einzelfällen Beteiligungen und/oder Marken und/oder Lizenzen und/oder sonstige Vermögensgegenstände von Unternehmen gegen Überlassung von Aktien der Gesellschaft erwerben zu können.

Der Gesellschaft soll weiter die Möglichkeit gegeben werden können, strategisch wichtigen Partnern in geeigneten Einzelfällen eine Beteiligung gegen Bareinlage zu gewähren.

Zum Erreichen dieser Ziele ist der abgerundete höchstmögliche Betrag eines genehmigten Kapitals in Höhe von Euro 5.600.000 erforderlich, da angesichts des derzeitigen mutmaßlichen Unternehmenswertes der Gesellschaft die genannten strategischen Ziele ansonsten nicht erreichbar sind."

Diese Begründung wurde vom Vorsitzenden in der Hauptversammlung vorgetragen (Seite 14 der notariellen Niederschrift Anlage B 9). Die vom Kläger zu 1) in der Hauptversammlung gestellten Fragen betreffend die Begründung des Bezugsrechtsausschlusses (im einzelnen Seite 4/5 der Anlage B 9) wurden vom Vorstand ausweislich der notariellen Niederschrift wie folgt beantwortet:

"Herr Dr. K erklärte dazu, die Gesellschaft wolle sich die Möglichkeit schaffen, strategische Beteiligungen, Marken oder Lizenzen zu erwerben und bei sich bietenden Gelegenheiten schnell und flexibel reagieren zu können. Der Ausgabekurs werde in jedem Einzelfall ermittelt werden. Weitere Auskünfte dazu gab er nicht. Er verwies auf die vorliegende schriftliche Begründung."

Die Kläger haben geltend gemacht, daß der angefochtene Ermächtigungsbeschluß gegen die einschlägigen Vorschriften des Aktiengesetzes verstoße. Dies gelte insbesondere für die Bestimmung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, der einen Bezugsrechtsausschluß nur bei einer Kapitalerhöhung gegen Barmittel in Höhe von 10 % des Grundkapitals zulasse. Dies gelte auch dann, wenn nicht die Hauptversammlung selbst das Bezugsrecht ausschließe, sondern den Vorstand hierzu ermächtige. Darüber hinaus verstoße die Ermächtigung zum Erwerb von Lizenzen oder sonstigen Vermögensgegenständen gegen die Satzung der Beklagten.

Vor allem sei der Bezugsrechtsausschluß nicht gemäß § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG ordnungsgemäß begründet worden. Eine "strategische Neuorientierung" sei nicht näher erläutert worden. Einer beabsichtigten Expansion widerspreche bereits der Verkauf der meisten Beteiligungen der Beklagten. Eine Ermächtigung zu einer Kapitalerhöhung mit einem Umfang von annähernd 50 % des bestehenden Grundkapitals könne nicht "ins Blaue hinein" ausgesprochen werden. Eine vorausschauende Beschlußkontrolle sei vor allem mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse bei der Beklagten bedeutsam, da die Ausübung der Ermächtigung durch den Vorstand von den Minderheitsaktionären praktisch nicht zu kontrollieren sei. Schließlich berufen sich die Kläger auf eine Verletzung ihres Informationsrechts dadurch, daß ihre Fragen nicht beantwortet worden seien.

Die Kläger haben beantragt,

den Beschluß der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 19.06.2000 zu Punkt 12 der Tagesordnung (mit dem vorstehend widergegebenen Wortlaut) für nichtig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzweisen.

Die Beklagte hat ausgeführt, daß sich der angefochtene Beschluß der Hauptversammlung genau an die Vorgaben der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 23.06.1997 im Verfahren Siemens ./. Nold, NJW 1997, Seite 2815) gehalten habe. Die von der Beklagten geplante Geschäftsausweitung sei aufgrund der mangelnden Eigenkapitalbasis und der erheblichen Verbindlichkeiten nicht zu finanzieren gewesen. Die Erlöse der Verkäufe der Firmen O K und A Moden seien zur Rückführung von Bankverbindlichkeiten benötigt worden. Nur das beschlossene genehmigte Kapital mit Bezugsrechtsausschluß gestatte dem Vorstand, flexibel auf künftige Entwicklungen und Marktchancen zu reagieren, Insbesondere Unternehmenskäufe zu finanzieren und strategische Allianzen einzugehen. Der angefochtene Beschluß entspreche der Praxis, die sich aufgrund der Lockerungen der Begründungspflichten für den Bezugsrechtsausschluß durch die vorerwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs herausgebildet habe. Überdies entspreche die Begründung auch den Vorgaben es Europäischen Gemeinschaftsrechts (Kapitalrichtlinie). Im Ganzen gehe es den Klägern nur darum, mittels Erhebung von Anfechtungsklagen einen "Lästigkeitswert" aufzubauen, um sich sodann ihre Aktien zu einem überhöhten Kaufpreis abkaufen zu lassen. Dies komme auch zum Ausdruck durch den "beleidigungsähnlichen" Wortlaut der Gegenanträge der Kläger, in denen dem Vorstand vorgeworfen werde, daß er "das Blaue vom Himmel lüge" und an derer Stelle ein Tagesordnungspunkt mit der Bemerkung "ein Prosit dem Schwachsinn" kommentiert werde.

Das Landgericht hat mit Endurteil vom 25.01.2001 (der Verkündungsvermerk vom 25.01.2000 beruht auf einem offensichtlichen Schreibversehen) den angefochtenen Beschluß für nichtig erklärt. Zur Begründung hat das Landgericht angeführt, der angefochtene Beschluß verstoße gegen § 203 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG und, soweit es um den Bezugsrechtsausschluß bei einer Barkapitalerhöhung gehe, gegen § 203 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG.

Auch im Lichte der vom Bundesgerichtshof in Sachen Siemens ./. Nold herabgesetzten inhaltlichen Anforderungen an den Vorstandsbericht sei dieser ungenügend: Er enthalte nämlich keine Erläuterung der vom Vorstand angestrebten strategischen Neuausrichtung. Der Bericht des Vorstands der Beklagten zur Begründung des vollständigen Bezugsrechtsausschlusses bei einer Kapitalerhöhung um 48,95 % des bisherigen Grundkapitals bestehe aus drei Absätzen mit insgesamt zehn Zeilen und illustriere besonders deutlich, auf welches Minimum die Unternehmensberatungspraxis die vom Bundesgerichtshof zugelassene "generell abstrakte Umschreibung" der sogenannten ersten Prüfungsstufe - nämlich des wohl verstandenen Gesellschaftsinteresses - beim Bezugsrechtsausschluß zurückgeführt habe. Es bestünden Zweifel, ob eine solche Darstellung überhaupt noch als "Bericht" qualifiziert werden könne, jedenfalls erfülle eine solche Reduzierung der Begründung nicht mehr den Zweck des Aktionärsschutzes. Die Barkapitalerhöhung lasse sich auch nicht durch § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG rechtfertigen, da es an einer gesonderten Begründung im Sinne des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG fehle. Schließlich führe auch die Verletzung des Auskunftsrechts der Kläger gemäß § 131 Abs. 1 AktG zur Nichtigerklärung, da das Auskunftsrecht des Klägers zu 1) durch formelhafte Beantwortung relevanter Fragen verletzt worden sei.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen, das der Beklagten am 01.02.2001 und den Klägern am 02.02.2001 zugestellt wurde. Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 01.03.2001 bei dem Oberlandesgericht eingelegt wurde und mit Schriftsatz vom 27.04.2001 innerhalb verlängerter Frist begründet wurde.

Die Beklagte bekämpft das landgerichtliche Urteil mit folgender Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens:

Die strategische Neuausrichtung der Beklagten habe darin bestanden, sich von verlustbringenden Beteiligungen zu trennen und ihr Portefeuille durch Unternehmenszukäufe zu erweitern, wobei es im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung konkrete Absichten noch nicht gegeben habe.

Die Beklagte ist der Auffassung, daß der streitgegenständliche Beschluß im Einklang mit der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bericht an die Hauptversammlung in allgemeiner und abstrakter Form stehe. Die im Verfahrens Siemens ./. Nold vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze hätten auch im Falle von Barkapitalerhöhungen Geltung, zumal der Zweck dieser Entscheidung - Flexibilität und Möglichkeit schneller Reaktion auf Marktgegebenheiten - bei Barkapitalerhöhungen in gleichem Maße wie beim Aktientausch gelte. Inhaltlich sei der Bericht des Vorstands präzise an den Anforderungen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 23.06.1997 orientiert. Diese neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei auch vereinbar mit Art. 29 Abs. 4 Satz 3 der Zweiten Richtlinie des Rates vom 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Art. 58 Abs. 2 EWGV im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (im folgenden: Zweite Kapitalrichtlinie). Der dort geforderte Bericht gelte nämlich nur für Hauptversammlungsbeschlüsse, die das Bezugsrecht der Aktionäre unmittelbar ausschließen, im übrigen bestehe keine Begründungspflicht. Da § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG nur sinngemäß auf § 186 Abs. 4 AktG verweise, verbiete sich eine starre Orientierung am Wortlaut des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG.

Im übrigen sei eine Begründung nur im Rahmen des Möglichen gefordert. Dem sei hier durch den Verweis auf Zukäufe und Allianzen zur Geschäftsausweitung genügt worden. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zur Politik des Abstoßens verlustbringender Beteiligungen, die gleichzeitig von der Beklagten verfolgt worden sei. Der Umstand, daß der gesetzliche Rahmen einer Ermächtigung zur Kapitalerhöhung von der Beklagten ausgeschöpft worden sei, führe nicht zu einer erhöhten Berichtspflicht. Nach den Grundsätzen des Bundesgerichtshofs im Urteil Siemens ./. Nold habe hier die Hauptversammlung aufgrund der abstrakt umschriebenen Umstände zu befinden gehabt. Das Aktienrecht enthalte umfangreiche Kontrollmaßnahmen für die nachfolgende Ausübung der Ermächtigung durch den Vorstand.

Erhöhte Berichtspflichten bestünden bei Barkapitalerhöhungen nicht. Entgegen der Auffassung des Landgerichts formuliere der Vorstandsbericht hier nicht nur einen allgemeinen Finanzierungswunsch. Die Angabe des Ausgabepreises neuer Aktien sei nach der vorzitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs entbehrlich.

Eine Verletzung des Auskunftsrechts gemäß § 131 Abs. 1 AktG liege nicht vor, da die Unmöglichkeit weitergehender Auskunft immanente Schranke des Auskunftsrechts sei. Überdies wendet die Beklagte ein, daß eine unterstellte Auskunftspflichtverletzung angesichts der Mehrheitsverhältnisse bei der Beklagten nicht für den Hauptversammlungsbeschluß kausal geworden sei.

Die Beklagte beantragt:

unter Abänderung des am 25.Januar 2001 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 5 HKO 12702/00, wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger beantragen

Zurückweisung der Berufung.

Sie stützen das landgerichtliche Urteil und verwahren sich gegen die Unterstellung sachfremder Motive bei der Geltendmachung ihres Anfechtungsrechts.

Die Ausführungen der Beklagten zur Siemens ./. Nold-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vermögen nach Auffassung der Beklagten der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Durch die Verweisung in § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG auf die sinngemäße Anwendung des § 186 Abs. 4 AktG habe der deusche Gesetzgeber festgeschrieben, daß die formellen Anforderungen an die Begründung eines Bezugsrechtsausschlusses, die im Falle der eigenen umfassenden Beschlußfassung der Hauptversammlung über die Kapitalmaßnahme gelten, auch dann anwendbar seien, wenn die Kapitalmaßnahme nicht durch die Hauptversammlung selbst beschlossen wird, sondern Teil eines Ermächtigungsbeschlusses der Hauptversammlung für den Vorstand sei. Dies stehe mit Art. 29 der Zweiten Kapitalrichtlinie in Einklang. Art. 29 Abs. 4 der Zweiten Kapitalrichtlinie enthalte die Option für den nationalen Gesetzgeber, im Falle des Bezugsrechtsausschlusses durch Beschluß der Hauptversammlung den Vorstand zu verpflichten, einen schriftlichen Bericht über die Gründe für eine Beschränkung oder einen Ausschluß des Bezugsrechts zu erstatten und den vorgeschlagenen Ausgabekurs zu begründen. Art. 25 Abs. 5 der Zweiten Kapitalrichtlinie, der den Fall der Kapitalerhöhung durch Ermächtigungsbeschluß der Hauptversammlung an den Vorstand regele, stehe dieser Berichtspflicht nicht nur nicht entgegen, erfordere den Vorstandsbericht vielmehr erst recht, da es nach dem Ermächtigungsbeschluß keine Präventivkontrolle der Hauptversammlung über die Ausnutzung der Vorstandsermächtigung mehr gebe.

In dem sogenannten Bericht des Vorstands seien nichtssagende Äußerungen enthalten, ohne daß eine "neue Strategie" damals vorhanden gewesen sei.

Der gesetzliche Rahmen für den Umfang eines im Regelfall zulässigen Ausschlusses des Bezugsrechts, den der Gesetzgeber erst 1994 durch Einfügung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG gezogen habe, sei von der Beklagten bei weitem, nämlich um fast das fünffache überschritten worden. Insoweit sei auf den Beschluß des erkennenden Senats vom 24.07.1996 zu verweisen, mit dem der dortige Ermächtigungsbeschluß als "Vorratsbeschluß" für nichtig erklärt worden sei. Das Siemens ./. Nold-Urteil des Bundesgerichtshofs habe die Gesetzeslage noch vor Einfügung dieser Vorschrift betroffen. Im Vergleich mit dem der Entscheidung des erkennenden Senats vom 24.07.1996 zugrundeliegenden Sachverhalt seien die Folgen für die Minderheitsaktionäre hier noch gravierender, da der Vorstand hier "in einem Wurf" von der Ermächtigung Gebrauch machen könne und dies innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren.

Wenn wie hier der gesetzliche Rahmen für eine Barkapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluß zeitlich und betragsmäßig bis zur äußersten Grenze ausgeschöpft werde, seien an den Vorstandsbericht höhere inhaltliche Anforderungen zu stellen, als dies in den Fällen der Fall sei, in denen ein "sparsamer" Umgang mit den gesetzlichen Möglichkeiten stattfinde.

Schließlich habe das Landgericht hinsichtlich der unberechtigten Auskunftsverweigerung gegenüber dem Kläger zu 1) zutreffend und überzeugend begründet entschieden. Nach heutigem Stand habe der Vorstand der Beklagten auf die Fragen wahrheitsgemäß dahingehend antworten müssen, daß eine Beantwortung überhaupt nicht möglich sei, da man keine Antwort wisse. Dies habe insbesondere hinsichtlich der "strategischen Neuorientierung" der Beklagten gegolten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 27.04.2001, 27.08.2001 und 25.02.2002 sowie auf die Berufungserwiderung der Kläger vom 18.06.2001 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet. Zurecht hat das Landgericht im angefochtenen Urteil die Kapitalmaßnahme der Hauptversammlung der Beklagten für nichtig erklärt. Auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils kann Bezug genommen werden. Ergänzend ist zum Berufungsvorbringen der Beklagten folgendes anzuführen:

1. Ob der mit der Siemens ./. Nold-Entscheidung des Bundesgerichtshofs getroffen judikative Strukturwandel zur genehmigten Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluß eine bestmögliche oder zumindest befriedigende Umsetzung der zweiten Kapitalrichtlinie bedeutet, ob neben der Förderung der Dispositionsmöglichkeiten des Unternehmensvorstands noch hinreichend der Schutz des (Minderheits-) Aktionärs zum Ausdruck kommt, ob die Einfügung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG n.F. zu einer Modifikation Anlaß gäbe und ob - insbesondere bei Mehrheitsverhältnissen in der Gesellschaft wie sie vorstehend gegeben sind - eine hinreichend effektive Kontrolle und gegebenenfalls auch Sanktionierung der vom Vorstand aufgrund der Ermächtigung durch die Hauptversammlung getroffenen Entscheidung möglich ist, wird im Schrifttum z. T. kritisch beurteilt. So hat Lutter in seiner Urteilsanmerkung (JZ 1998, S. 50/51) resumiert: "Die Aktionärs-Minderheit ist künftig ohne Schutz vor dem Verlust an Vermögen (Verwässerung) und Einfluß (Stimmrecht)" und beklagt, daß der Bundesgerichtshof den Rechtsgedanken des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht fruchtbar gemacht habe.

Auch Bayer gelangt am Ende seiner Abhandlung (ZHR 163 (1999), Seite 505 ff) zum Schluß, nicht nur für den Gesetzgeber bestehe Anlaß zum Tätigwerden, auch der Bundesgerichtshof sei aufgefordert, "seine zu weit gehende Korrektur der früheren Rechtsprechung nochmals zu überdenken und jedenfalls einer faktischen Aushöhlung des Aktionärsschutzes im Rahmen der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluß entgegen zu treten." (a.a.O., Seite 553).

Schließlich äußern auch der Siemens ./. Nold-Rechtsprechung folgende Oberlandesgerichte Zweifel an der Effektivität einer gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns. Beispielhaft sei das Urteil des Kammergerichts vom 22.08.2001 (AG 2002, Seite 243 ff) zitiert, wo es auf Seite 244 heißt:

"Die Verlagerung der gerichtlichen Kontrolle auf das Verhalten des Vorstands wird im Schrifttum zu Recht mit Skepsis betrachtet, insb. deswegen, weil die Zulässigkeit der als Ersatz für die Beschlußanfechtung angebotenen Rechtsbehelfe des überstimmten Minderheitsaktionärs im einzelnen ungeklärt ist. ... Auch wird ein Vorgehen gegen den Vorstand im Wege der Schadensersatzklage jedenfalls dann wenig Erfolg versprechen, wenn das Verhalten des Vorstands genau dem Inhalt des der Anfechtung entzogenen, von der (qualifizierten) Mehrheit der Aktionäre gebilligten Ermächtigungsbeschlusses entspricht."

2. Indes kann diese Frage dahin gestellt bleiben, da die hier streitgegenständliche Kapitalmaßnahme in Übereinstimmung mit der Auffassung des Erstgerichts auch unter Anwendung der im Siemens ./. Nold-Urteil des Bundesgerichtshofs neu aufgestellten Voraussetzungen keinen Bestand haben kann.

a. Die Vorgaben des Bundesgerichtshofs lassen sich in Kürze wie folgt beschreiben:

Die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, müsse allgemein umschrieben und in dieser Form der Hauptversammlung bekannt gegeben werden. Sie müsse ferner im Interesse der Gesellschaft liegen. Wenn die Hauptversammlung den Vorstand zum Ausschluß des Bezugsrechts ermächtigt habe, habe der Vorstand in eigener Verantwortung zu prüfen, ob aus unternehmerischer Sicht der Ausschluß des Bezugsrechts der Aktionäre im Interesse der Gesellschaft liegt.

Auf diese Weise werde die Hauptversammlung in die Lage versetzt, allein anhand der abstrakt umschriebenen Voraussetzungen des vom Vorstand dargelegten Vorhabens zu prüfen, ob bei der Schaffung genehmigten Kapitals der Ausschluß des Bezugsrechts gerechtfertigt ist oder der Vorstand zu einer solchen Maßnahme ermächtigt werden soll. Der Vorstand sei auch unter diesen Voraussetzungen an konkrete Vorgaben gebunden, die bei der Umsetzung der Ermächtigung beachtet werden müssen: Die Realisierung des Vorhabens müsse in Übereinstimmung mit dem nach der Satzung vorgeschriebenen Unternehmensgegenstand stehen und dürfe nur erfolgen, wenn die zugrundeliegenden konkreten Tatsachen der abstrakten Umschreibung des Vorhabens entsprechen. Darüber hinaus dürfe der Vorstand von der Ermächtigung nur dann Gebrauch machen, wenn die Durchführung im wohl verstandenen Interesse der Gesellschaft liege (NJW 1997, Seite 2815, 2816).

b. Vom Bundesgerichtshof als in diesem Sinne ausreichende "allgemeine Umschreibungen" wurden anerkannt:

"Zunächst sollen Aktien den Arbeitnehmern wie in den vergangenen Jahren angeboten werden können. Ferner soll die Gesellschaft die Möglichkeit haben, in geeigneten Einzelfällen Beteiligungen gegen Überlassung von Stammaktien der Siemens-AG erwerben zu können" (BGH, Urteil vom 23.06.1997 - Siemens ./. Nold).

Ausgabe von Belegschaftsaktien sowie Erwerb einer Beteiligung, eines Unternehmens oder von Lizenzen unter Verweis auf Verhandlungen mit verschiedenen Vereinen im In- und Ausland über den Abschluß von Sponsorenverträgen (BGH, Urteil vom 15.05.2000 - Adidas -, NJW 2000, S. 2356).

c. Auch die gering gehaltenen Anforderungen des Bundesgerichtshof an den gemäß § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG in Verbindung mit § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG erforderlichen Vorstandsbericht sind vorstehend nicht erfüllt. Zurecht hat das Landgericht beklagt, daß der Bericht (Anlage B 4) auch nicht ansatzweise über die Art der "strategischen Neuausrichtung" der Beklagten Aufschluß gebe, so daß auch ein Mindestmaß vorausschauender Beschlußkontrolle nicht möglich sei. Der Vorstandsbericht beläßt es bei Allgemeinplätzen, denen auch nicht ansatzweise die Neuausrichtung der Unternehmenspolitik entnommen werden kann. Konkret formuliert ist lediglich der Wunsch, ein genehmigtes Kapital in Höhe von Euro 5.600.000 zu erhalten, wobei als mögliche zu finanzierende Maßnahmen mehr oder weniger alle zum Unternehmensgegenstand zu zählenden Möglichkeiten offengelassen bleiben.

Daß es der Beklagten tatsächlich nur um einen sogenannten "Vorratsbeschluß" ging, zeigt sich eindrucksvoll darin, daß die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13. März 2002 durch ihre Prozeßbevollmächtigten erklärt hat, daß am 19.06.2000 (also zum Zeitpunkt der Beschlußfassung) eine strategische Neuausrichtung noch gar nicht feststand. Es sei um den "weiteren Ausbau des Holding Geschäfts" gegangen, zum Zeitpunkt der Beschlußfassung sei es nicht möglich gewesen, mehr dazu zu sagen.

Ein solcher formularartiger Hinweis auf eine im übrigen im dunkeln bleibende strategische Neuorientierung genügt selbst den Anforderungen der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht (Hüffer, AktG, 5.Aufl., Rn. 11 zu § 203 AktG). Auch nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.06.1997 muß der ermächtigende Beschluß Vorgaben enthalten, die den Vorstand bei der Umsetzung der Ermächtigung binden. Eine Umsetzung darf nur erfolgen, wenn die zugrundeliegenden konkreten Tatsachen der abstrakten Umschreibung des Vorhabens entsprechen. Wäre der inhaltsleere Vorstandsbericht vom 28.04.2000 (Anlage B 4), der auch auf diesbezügliche Fragen der Kläger nicht präzisiert wurde (Seite 5 der notariellen Niederschrift Anlage B 9), ausreichend, so würde es genügen, wenn die Realisierung des Vorhabens in Übereinstimmung mit dem nach der Satzung vorgeschriebenen Unternehmensgegenstand steht. Die weitere Voraussetzung des Bundesgerichtshofs, nämlich daß die Maßnahme sich im Bereich der abstrakten Umschreibung des Vorhabens hält, würde dadurch aufgegeben.

In diesem Zusammenhang hat das Landgericht auch zu Recht darauf abgestellt, daß im vorliegenden Falle immerhin eine Ermächtigung zur Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluß für einen Zeitraum von über vier Jahren und mit einem Umfang von fast 50 % des bestehenden Grundkapitals in Frage steht, die bedingt, daß die Hauptversammlung in substanzhaltiger, wenn auch allgemein gehaltener Form unterrichtet wird. Daß dies so ist, ergibt sich aus dem neu eingefügten § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, der die Gefahr einer Verwässerung des Wertes der Aktien im Falle der Barkapitalerhöhung nur unter engen Voraussetzungen für nicht gegeben erachtet.

Da die Kapitalmaßnahme nicht - wie geboten - in allgemeiner abstrakter Form beschrieben wurde, verstößt sie auch, soweit eine Barkapitalerhöhung in Frage steht, gegen § 203 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, da bereits der nach dieser Bestimmung zulässige Umfang von 10 % des Grundkapitals bei weitem überschritten ist.

3. Schließlich hat das Landgericht zu Recht eine Verletzung des Auskunftsrechts der Kläger gemäß § 131 Abs. 1 AktG angenommen.

Die Kläger haben ausweislich der notariellen Niederschrift (Seiten 4/5) unter anderem nach der "strategischen Neuorientierung" der Gesellschaft, nach den "strategischen Zielen" und "strategisch wichtigen Partnern" gefragt.

Die formelhafte Wiederholung des Vorstandsberichts stellt keine Auskunft auf die gestellten Fragen dar, die den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft entsprochen hätte (§ 131 Abs. 2 AktG). Diese Grundsätze erfordern, daß vollständig und sachlich zutreffend geantwortet wird (Hüffer, AktG, 5.Aufl., Rn. 21 zu § 131 AktG). Dies gilt auch insbesondere für den Fall, daß die Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2002 zutreffend ist, wonach der Beklagten im Zeitpunkt der Beschlußfassung die Art der "strategischen Neuausrichtung" noch völlig unklar war. In diesem Falle hätte zu einer vollständigen Beantwortung der gestellten Fragen insbesondere auch gerechnet, daß weder eine strategische Neuorientierung noch strategische Ziele bei der Beklagten definiert sind und auch strategisch wichtige Partner noch unbekannt sind. Insbesondere bestehen hinsichtlich der Erforderlichkeit einer solchen ergänzenden Erklärung gegenüber einem verständigen Aktionär keine Zweifel, wenn es wie hier um die Abstimmung zu einem Tagesordnungspunkt von erheblicher finanzieller Tragweite geht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO liegen nicht vor, da der Rechtsstreit zum einen keine grundsätzliche Bedeutung hat und sich der Senat zum anderen innerhalb der Grundsätze hält, wie sie der Bundesgerichtshof im Urteil Siemens ./. Nold aufgestellt hat.

Ende der Entscheidung

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