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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 12.11.2003
Aktenzeichen: 7 U 3739/03
Rechtsgebiete: ZPO, DÜG


Vorschriften:

ZPO § 890
ZPO § 945
DÜG § 1
1. Beschränkt das Gericht in der wettbewerblichen Unterlassungsverfügung entgegen dem weit gefassten Verfügungsantrag das Verbot bestimmter werblicher Aussagen auf in der Entscheidungsformel angeführte einzelne Verletzungsformen, so sind nach der sog. Kernlehre nur solche Handlungen verboten, die auch hinsichtlich ihrer Gestaltung im Kern den aufgeführten Verletzungsformen gleichgesetzt werden können.

2. Unterwirft sich der Antragsgegner über den objektiven Verbotsumfang des Unterlassungstitels hinaus weitergehenden Beschränkungen, so kann er daraus entstehenden Schaden nicht auf der Grundlage des § 945 ZPO ersetzt verlangen.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen 7 U 3739/03

Verkündet am 12.11.2003

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Goller und die Richter am Oberlandesgericht Fiebig und Dr. Barwitz auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2003

folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.05.2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Der Wert der Beschwer der Klägerin im Berufungsverfahren übersteigt 20.000,00 EUR.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt als Rechtsnachfolgerin der E Vertrieb GmbH von der Beklagten Schadensersatz.

Gegen Ende des Jahres 2001 begann die E Vertrieb GmbH das zuvor nur in allgemeiner Form unter Teilnahme von Personen des öffentlichen Lebens propagierte Produkt "E MixPower" mit konkreten, auf Vertragsabschluss zielenden Aussendungen zu bewerben.

Mit Schriftsatz vom 22.11.2001 beantragte die Beklagte, die als Stromversorger in Norddeutschland im Wettbewerb zur Klägerin steht, beim Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die E Vertrieb GmbH. Mit dieser sollte der E Vertrieb GmbH geboten werden, zahlreiche Werbeangaben bezüglich des Produkts "E MixPower" im geschäftlichen Verkehr mit privaten Endverbrauchern zu unterlassen, insbesondere, wenn dies in Form von dem Antrag beigegebenen Werbeschreiben und Auszügen aus dem Prospekt der E Vertrieb GmbH geschieht. Wegen des Antragsinhalts im einzelnen wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 30.11.2001 erließ das Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung, mit der der E Vertrieb GmbH im einzelnen aufgeführte Werbeangaben untersagt wurden mit dem wörtlichen Zusatz: "wenn dies in folgender Form geschieht". Diese "Form" wurde auf Seiten 3, 5, 6; 8 und 9 der Beschlussformel durch ein Schreiben der E Vertrieb GmbH vom 05.11.2001 und Auszüge aus dem Werbeprospekt wiedergegeben (Anlage K 2).

Die einstweilige Verfügung wurde der E Vertrieb GmbH am 07.12.2001 zugestellt. Auf deren Widerspruch vom 17.12.2001 (Anlage K 3) hob das Landgericht aufgrund mündlicher Verhandlung vom 10.01.2002 mit Endurteil vom 25.01.2002 die einstweilige Verfügung auf (Anlage K 5).

Wegen der weiteren Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Klägerin trägt vor, ihr sei durch den Vollzug der einstweiligen Verfügung ein Schaden in Höhe von EUR 39.322,08 entstanden, da eine beabsichtigte Werbeaussendung (Anlage K 7) habe unterlassen werden müssen, so dass die vorgenannten Aufwendungen fehlgeschlagen seien. Darüber hinaus sei der Klägerin ein Imageschaden in Höhe von mindestens EUR 4.000,00 entstanden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, EUR 43.322,08 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin durch die einstweilige Verfügung nicht gehindert gewesen sei, die als Anlage K 7 vorgelegte Doppelpostkarte an Hamburger Haushalte als Werbematerial auszusenden. Dies ergebe sich daraus, dass das Landgericht lediglich bestimmte Verletzungsformen sanktioniert habe. Auch habe die Klägerin nach Kenntniserlangung vom Endurteil des Landgerichts Hamburg das Werbematerial noch aussenden können. Soweit sich die Klägerin über den Wortlaut der einstweiligen Verfügung hinaus beschränkt gefühlt habe, sei ein Schaden nach § 945 ZPO nicht ersatzfähig. Ein Imageschaden der Klägerin sei jedenfalls deshalb nicht zu ersetzen, da er allenfalls durch Bekanntwerden, nicht jedoch durch den Vollzug der einstweiligen Verfügung entstanden sei.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren abgewiesenen Klageanspruch weiter. Sie steht weiterhin auf dem Rechtsstandpunkt, dass der E Vertrieb GmbH durch die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg auch die Aussendung der Werbepostkarten "Neujahrs-Extra" verboten gewesen sei, da vom Verbot nach gängiger Rechtsprechung auch kerngleiche Handlungen mitumfasst seien.

II.

Die Berufung der Klägerin bleibt erfolglos. Zu Recht hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint.

1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass der Rechtsvorgängerin der Klägerin die Werbeaussendung im Sinne der vorgelegten Anlage K 7 durch die einstweilige Verfügung vom 30.11.2001 nicht verboten war.

a) Unzweifelhaft entspricht die zur Werbeaussendung vorgesehene Doppelpostkarte (Anlage K 7) nicht der Form der im Beschlusstenor der einstweiligen Verfügung auf Seiten 3, 5, 6, 8 und 9 enthaltenen Schriftstücke. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es hier anders als im Tenor der einstweiligen Verfügung um eine nicht persönlich adressierte Postwurfsendung geht, der Kunde mit einem sog. Startguthaben zum Vertragsschluss beworben werden soll und nur kurze werbliche Aussagen getroffen werden.

b) Nichts anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin unter Berücksichtigung der sog. Kernlehre, wie sie zum wettbewerblichen Unterlassungsanspruch entwickelt wurde. Danach entspricht es herrschender Meinung und ist insbesondere in der Rechtsprechung anerkannt, dass im Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes und zur Vermeidung unnötiger Streitverlagerungen in die Vollstreckungsinstanz auch gewisse Verallgemeinerungen über die enge Form der festgestellten Verletzungshandlung hinaus vorgenommen werden dürfen, sofern auch in der erweiterten Form das charakteristische der konkreten Verletzungsform aus der begangenen Handlung zum Ausdruck kommt. Eine in bestimmter Form begangene Verletzungshandlung lasse nicht nur die Wiederholung der genau identischen Verletzungsform vermuten, sondern auch die Begehung zwar leicht abgewandelter, aber in ihren Kern gleicher Handlungen (BGH, Urteil vom 16.02.1989, GRUR 1989, 445, 446 - Professorenbezeichnung in der Arztwerbung -; Urteil vom 30.03.1989, WRP 1989, 572, 574 - Bioäquivalenz-Werbung -; Teplitzky, Wettbewerbliche Ansprüche und Verfahren, 8. Auflage, Kapitel 57, Rn. 13).

Hätte das Landgericht die begehrte Unterlassungsverfügung antragsgemäß erlassen, so hätte die Klägerin mit ihrer Ansicht recht, dass die Werbeangaben auf der Postkarte insbesondere von denjenigen unter Ziffer 2 1. Absatz des Beschlusses vom 30.11.2001 nur unbedeutend abweichen und mithin vom Verbotsumfang erfasst wären.

So liegt es jedoch nicht. Das Landgericht hat die dem Antrag beigegebenen Schriftstücke nicht etwa beispielhaft in die Entscheidungsformel aufgenommen, sondern durch die Verknüpfung "wenn dies in folgender Form geschieht" eine eindeutige Begrenzung des Verbotsumfangs auf bestimmte Verletzungsformen vorgenommen. Dieser Umstand muss in Beziehung gesetzt werden zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Kernlehre. Danach sind einer erweiternden Auslegung eines Unterlassungsvollstreckungstitels im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO und auf die demgemäß einschlägige Norm des Artikel 103 Absatz 2 GG verhältnismäßig enge Grenzen gezogen (BGH, Urteil vom 30.03.1989, WRP 1989, 572, 574). Dies hat zur Folge, dass sich die Auslegung des Unterlassungstitels auch in Anwendung der sog. Kernlehre nicht darüber hinwegsetzen darf, dass das Landgericht bestimmte Werbeaussagen der Rechtsvorgängerin der Klägerin nur insoweit verboten hat, als diese in konkreten Formen verwendet werden. Da die von der E Vertrieb GmbH beabsichtigte Postkartenwerbung den im landgerichtlichen Tenor bestimmten Verletzungsformen weder entspricht, noch als unwesentlich abweichend angesehen werden kann, war sie durch die einstweilige Verfügung nicht verboten.

Dass die vom Landgericht Hamburg erlassene einstweilige Verfügung deutlich gegenüber dem Antrag der Beklagten zurückbleibt, hat im übrigen auch die Rechtsvorgängerin der Klägerin zutreffend erkannt, wenn sie in ihrem Widerspruch vom 17.12.2001 auf Seite 7 oben wörtlich ausführt: "... richtet sich der Verfügungsantrag - nicht hingegen das eng umgrenzte gerichtliche Verbot - auch und vor allem gegen diese breit angelegte Kampagne ...".

c) Hat sich die Rechtsvorgängerin der Klägerin mithin über den objektiven Verbotsumfang des Unterlassungstitels hinaus Beschränkungen unterworfen, so liegt kein im Rahmen des § 945 ZPO zu ersetzender Schaden vor (Zöller-Vollkommer, 23. Auflage, Rn. 14 c zu § 945 ZPO).

2. Im Hinblick auf die von der Klägerin weiter zitierten deliktischen Anspruchsgrundlagen fehlt es an der Kausalität zwischen behaupteter Schädigungshandlung und dem von der Klägerin vorgetragenen Schaden. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch daraus, dass die E Vertrieb GmbH die streitgegenständliche Werbeaussendung auch nach Kenntnis vom die einstweilige Verfügung aufhebenden Urteil des Landgerichts Hamburg noch hätte nachholen können, da die Antwortfrist der Postkartenaktion erst Ende Februar 2002 ablief. Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass den angesprochenen potentiellen Kunden wegen der Frist zum 28.02.2002 nur noch eine Reaktionszeit von ca. 2 Wochen geblieben wäre, ist nicht ersichtlich, weshalb eine solche Frist nicht ausreichend gewesen wäre, zumal der Umfang der auf der Postkarte gegebenen Informationen recht eingeschränkt ist. In diesem Falle wäre auch der von der Klägerin weiter geltend gemachte Imageschaden vermieden worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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