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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 24.02.2006
Aktenzeichen: 7 U 4776/05
Rechtsgebiete: GmbHG


Vorschriften:

GmbHG § 32 a
GmbHG § 32 b
1. Stille Reserven (hier: Marktzugang und Kundenkontakte) sind nur geeignet, die bestehende Kreditunwürdigkeit einer GmbH auszuräumen, wenn ein Dritter mit Blick auf solche immateriellen Vermögenswerte bereit ist, der Gesellschaft weiteren Kredit zu marktüblichen Bedingungen zur Verfügung zu stellen.

2. Eine vollständige Entschuldung der Gesellschaft beendet die Verstrickung Eigenkapital ersetzender Darlehen nur dann, wenn das Stammkapital der GmbH nachhaltig wiederhergestellt ist. Wird die Gesellschaft nach der Veräußerung wesentlicher Aktiva im Wege eines Asset Deals nicht abgewickelt, sondern fortgeführt, so kann von einer nachhaltigen Erholung der Gesellschaft nur die Rede sein, wenn die Fortführungsprognose günstig ist und die Gesellschaft mit hinreichender Sicherheit aus eigenen Kräften überleben kann (Fortführung von BGH, Urt. v 19.09.2005, NJW 2006, 225).


Nach Äußerung des Beklagten hat der Senat am 24.02.2006 über die Berufung wie folgt entschieden:

Beschluss:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 13.04.2005 wird einstimmig zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 271.111,96 € festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter, der Beklagte ehemaliger Gesellschafter der M. GmbH (im folgenden: Schuldnerin). Nach Kündigung ihrer Kredite durch die finanzierende Sparkasse veräußerte die Schuldnerin wesentliche Aktiva (Nutzungsrechte) zum Preis von 1,415 Mio. DM. Mit dem Erlös wurden Verbindlichkeiten der Schuldnerin getilgt, darunter auch vom Gesellschafter Dr. Dr. P. zur Verfügung gestellte Darlehen in Höhe von insgesamt 530.249 DM, hinsichtlich derer bereits Rangrücktritt erklärt worden war. Die Schuldnerin setzte ihren Geschäftsbetrieb nach dem Asset Deal fort und erwirtschaftete aus dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb nachhaltige Verluste.

Der Kläger macht hinsichtlich der zurückgeführten Gesellschafterdarlehen des Beklagten Eigenkapitalersatzansprüche geltend, das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Mit seiner Berufung erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Das Landgericht habe verkannt, dass Kreditunwürdigkeit der Schuldnerin bereits aufgrund erheblicher stiller Reserven im Wert von 3,75 Mio. DM nicht bestanden habe. Darüber hinaus habe das Erstgericht übersehen, dass die M. GmbH durch den Asset Deal ihre gesamten Verbindlichkeiten habe begleichen können, weshalb die Verstrickung der Gesellschafterdarlehen geendet habe.

Der Senat hat den Parteien folgenden Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils kann Bezug genommen werden. Zu den Berufungsangriffen ist folgendes anzumerken:

1. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich die M. GmbH (im folgenden: Schuldnerin) jedenfalls nach Kündigung der Kredite durch die Stadtsparkasse München im November 1999 in der Krise befand, da sie von dritter Seite keinen Kredit zu marktüblichen Bedingungen erhalten hätte und ohne Zufuhr von Liquidität abzuwickeln gewesen wäre. Substanzielle Einwendungen gegen diese Bewertung bringt die Berufungsbegründung nicht vor. Der Verweis auf "erhebliche stille Reserven" (zahlreiche bereits entwickelte Produkte, für die ein Marktzugang bestehe) reicht hierfür nicht aus.

2. Zu Recht ist das Landgericht weiter davon ausgegangen, dass die Krise der Schuldnerin auch nach dem Verkauf von Vermögenswerten (Asset Deal) und mithin bei Rückgewähr der eigenkapitalersatzrechtlich verstrickten Gesellschafterleistungen des Beklagten fortbestand. Die Berufungsangriffe sind nicht geeignet, diese Einschätzung in Frage zu stellen.

Die Verstrickung endet nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGH ZIP 2001, 235, 237; ZIP 1999, 65, 67 f.) erst und nur dann, wenn es der Gesellschaft gelingt, die Krise zu überwinden. Von einer Überwindung der Krise kann aber erst dann die Rede sein, wenn es zu einer nachhaltigen Erholung der Gesellschaft kommt und diese mit hinreichender Sicherheit aus eigenen Kräften überleben kann (Lutter/Hommelhoff, Rn. 110 zu §§ 32 a/b GmbHG; Baumbach/Hueck-Fastrich, Rn. 61 zu § 32 a GmbHG "bei durchgreifender Besserung der Lage der Gesellschaft"; Hommelhoff/Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 3. Aufl., S. 10 Rn. 19).

Eine solche nachhaltige Erholung im Gefolge des Asset Deals hat das Landgericht ohne Rechtsfehler verneint. Bereits Ende März 2001 bedurfte die Schuldnerin (erneut) der Unterstützung durch ein Darlehen der M.SYS, das wiederum als eigenkapitalersetzend einzustufen ist.

Ob der Beklagte damals der (irrigen) Auffassung war, dass die Überlebensfähigkeit der Schuldnerin nicht davon abhing, dass ihr der Erlös aus dem Asset Deal für Investitionen zur Verfügung steht, ist nicht entscheidend. Vielmehr hat die Schuldnerin, wie sich aus der vom Beklagten als Anlage B 13 vorgelegten BWA ergibt, nach dem hohen außerordentlichen Ertrag im Januar 2001 in den Monaten Februar bis Juli 2001 aus ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit durchgängig hohe Verluste erwirtschaftet, die einer Einschätzung, es liege bereits eine nachhaltige Erholung vor, entgegenstehen. Nach Feststellung der Steuerberaterin der Schuldnerin im Schreiben vom 22.10.2001 (Anlage K 28) betrug der Verlust aus dem laufenden Geschäftsbetrieb der Schuldnerin von Januar bis einschließlich August TDM 930, das Schreiben endet wörtlich:

"Auch ohne die angestrebte Vermögensaufstellung ist klar, dass alle Mittel verbraucht sind. Wie soll die Gesellschaft über die nächsten zwei Monate kommen?"

Erfolglos bleibt die Argumentation des Beklagten (Berufungsbegründung S. 10/11), ein etwaiger Fortbestand der Krise der Schuldnerin sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Der Beklagte war bis 20.11.2001 nicht nur Gesellschafter der Schuldnerin, sondern auch neben Dr. J. als deren Geschäftsführer bestellt. Er hatte mithin uneingeschränkte Möglichkeit, sich bis zu seiner Abberufung über das wirtschaftliche Gedeihen der Schuldnerin zu unterrichten. Dass der Beklagte nach der Darstellung in der Niederschrift über die Gesellschafterversammlung vom 20.11.2001 (Anlage B 11) "faktisch jegliche Geschäftsführungsaktivitäten für die Gesellschaft" beendet hat, ändert hieran nichts.

Gleiches gilt hinsichtlich der vorgetragenen Unkenntnis vom Strategiewechsel des Geschäftsführers Dr. J.

Soweit Kundenkontakte und Marktzugang mit einem Wert von DM 3,75 Mio. behauptet werden, fehlt substantieller Vortrag, inwiefern diese - ihre Werthaltigkeit unterstellt - zur Verbesserung der Liquiditätssituation bzw. Kapitalbeschaffung tauglich gewesen wären.

Auch der vom Gesellschafter Dr. J. versprochene, gestundet zu zahlende Kaufpreis von 560.000 DM für die Geschäftsanteile des Beklagten belegt eine nachhaltige Erholung der Schuldnerin nicht. Vielmehr sprechen die Darlegungen des Gesellschafters Dr. Jersch auf Seite 2 der als Anlage K 27 vorgelegten Einberufung einer Gesellschafterversammlung (angeschlagener Ruf der Schuldnerin, unklare Lizenzlage, unklare Gesellschaftersituation/kein messbarer Wert der Schuldnerin) dafür, dass der Kaufpreis in seiner Höhe nur durch die dadurch mögliche Trennung vom Beklagten als Gesellschafter und Geschäftsführer zu erklären ist. Dies klingt auch deutlich an, soweit es in der Einladung weiter heißt:

"Als erster Schritt muß eine rationale Begründung über den aktuellen finanziellen Anspruch bezüglich der Anteile von kpi erfolgen. Wie gesagt, niemand kann dies rational nachvollziehen."

Mithin ist das Landgericht zu Recht von einer Fortdauer der Verstrickung der Darlehen ausgegangen.

Der Senat regt daher an zu prüfen, ob die Berufung nicht zur Meidung weiterer Kosten zurückgenommen werden soll.

Gründe:

Die Berufung des Beklagten war durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung aufweist und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern.

Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 19.01.2006 wird Bezug genommen. Die Ausführungen im Schriftsatz des Beklagten vom 20.02.2006 führen zu keiner abweichenden Bewertung. Ergänzend ist dazu folgendes anzumerken:

1. Soweit der Beklagte weiterhin darauf beharrt, dass im Zeitraum bis Januar 2001 aufgrund vorhandener stiller Reserven mit einem DM 3 Mio. übersteigenden Wert von einer Kreditunwürdigkeit der Schuldnerin nicht die Rede sein könne (Schriftsatz vom 20.02.2006 S. 4 - 9), ist dies nicht stichhaltig. Ob und gegebenenfalls mit welchem Wert bestehende Kundenkontakte oder "Marktzugang" nach Ansicht der Gesellschafter oder verbundener Unternehmen als stille Reserven anzuerkennen sind, ist nämlich für die Frage des Bestehens einer Krise der Gesellschaft nicht entscheidend. Ausschlaggebend dafür ist - wie im Hinweis bereits ausgeführt - vielmehr allein, ob ein Dritter mit Blick auf solche immaterielle Vermögenswerte bereit ist, weiteren Kredit zu marktüblichen Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Dies ist hier nicht dargetan.

2. Die Ausführungen auf S. 9 ff. des Schriftsatzes vom 20.02.2006 belegen keine Beendigung der Krise der Schuldnerin durch nachhaltige Erholung (zu deren Voraussetzungen siehe jüngst BGH NJW 2006, 225) im Gefolge des asset deals.

Eine vollständige Entschuldung der Gesellschaft beendet die Verstrickung nur dann, wenn das Stammkapital der GmbH nachhaltig wiederhergestellt ist (BGH a.a.O.). Wird - wie hier - die Gesellschaft nach der Veräußerung wesentlicher Aktiva nicht etwa abgewickelt, sondern fortgeführt, so kann von einer nachhaltigen Erholung der Gesellschaft nur die Rede sein, wenn die Fortführungsprognose günstig ist. Dass die Voraussetzungen für eine solche günstige Prognose nach Sachlage nicht angenommen werden können, wurde im Hinweis (S. 2 f.) bereits ausführlich dargelegt.

Soweit der Beklagte auf S. 10 bis 17 des Schriftsatzes vom 20.02.2006 versucht, unter Präsentation namhafter in den Jahren 2001 und 2002 von der Schuldnerin realisierter bzw. erwarteter Umsätze und unter Rückgriff auf die behaupteten stillen Reserven eine Fortdauer der Krise auszuschließen, geht dies fehl: Die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens bestimmt sich nicht nach erwirtschafteten Umsätzen, sondern nach dem damit erzielten betriebswirtschaftlichen Ergebnis, das im ersten Halbjahr nachhaltig negativ war.

Der Beklagte rügt, der Senat habe bei seiner Würdigung bestimmte Aspekte nicht berücksichtigt und bezieht sich dazu auf das E-Mail-Schreiben des Dr. J. an den Beklagten vom 24.10.2001 (Anl. B 12). Der Inhalt dieses Schreibens ist allerdings wenig geeignet, eine Krise der Schuldnerin zu widerlegen. Wörtlich wird dort nämlich ausgeführt:

"... schlagen die Nacharbeitungskosten med. extrem durch. ...

M. hat von Juli bis Mitte Oktober praktisch mit 4 Leuten nur Krisenmanagement machen können, da das med.-Produkt nicht rechtzeitig kam, dafür nicht funktionierte und insgesamt 3 Rückrufaktionen (bzw. Nachinstallationen) bisher bei ca. 1000 Anwendern nötig wurden."

3. Der Rechtsstreit hat schließlich auch keine grundsätzliche Bedeutung. Der Senat bewegt sich auf dem Boden gesicherter, jüngst nochmals bestätigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Ob bei der Schuldnerin eine Krise (fort-)bestanden hat, ist eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfalle.

Kosten: § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwert: §§ 3, 5 ZPO.

Ende der Entscheidung

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