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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 19.01.2005
Aktenzeichen: 7 U 4986/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
BGB § 723 Abs. 3
BGB § 275 Abs. 1
Die Regelung in einem Rechtsanwaltssozietätsvertrag, nach der ein ausgeschiedener, als Rechtsanwalt tätiger Sozius weiter für die Altersversorgung der aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii aufkommen muss, der jedoch bei seinem Ausscheiden die vereinbarten Zuschüsse der Sozietät für seine eigene Altersversorgung verliert, ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahin anzupassen, dass die von dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt zu erbringenden Versorgungsleistungen für die aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii zu kürzen sind um die weggefallenen Zuschüsse der Sozietät zu dessen eigener Altersversorgung.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 7 U 4986/04

Verkündet am 19. Januar 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Auskunft

erlässt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. G. und die Richter am Oberlandesgericht Dr. B. und F. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.01.2005 folgendes

ENDURTEIL:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts München II vom 30.09.2004 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Rechtsanwaltssozietätsvertragsverhältnis. Auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil vom 30.9.2004 wird Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über die von der Sozietät Dr. X. im Kalenderjahr 2003 erhaltenen Gewinnausschüttungen (Gewinnentnahmen). Das Landgericht hat ausgeführt, die nochmalige Durchführung des im Sozietätsvertrag vorgesehenen Schlichtungsverfahrens betreffend den Anspruch des Klägers für das Jahr 2003 sei entbehrlich, da bereits ein Schlichtungsverfahren für das Jahr 2002 durchgeführt worden sei und ein erneutes Schlichtungsverfahren einen unnötigen Formalismus darstellen würde. Die §§ 12 und 12 e des Änderungs- und Ergänzungsvertrages vom 23.11.1981 (nachfolgend als Vertrag bezeichnet) zum Sozietätsvertrag vom 26.7.1967 (nachfolgend als Sozietätsvertrag bezeichnet) seien dahin auszulegen, dass neben den aktiv tätigen Partnern der Sozietät U. & Kollegen ausgeschiedene Gesellschafter an die gemäß § 12 des Vertrages begünstigten, aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii der Kanzlei U. 10 % ihrer anderweitig erworbenen Einkünfte zu leisten haben. Die Regelung in § 12 e des Sozietätsvertrages sei weder wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig noch verstoße sie gegen § 723 Abs. 3 BGB. Die Erteilung der Auskunft sei auch nicht gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich.

Gegen das Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, § 12 e des Vertrages regele nur die gesamtschuldnerische Haftung des ausgeschiedenen Sozius neben den aktiven Sozii für die Altersversorgung im Sinne von § 12 des Vertrages, die sich jedoch allein aus 10 % des Jahresüberschusses der Sozietät U. errechne. Eine Erweiterung des Anspruchs der aus Altersgründen aus der Sozietät U. ausgeschiedenen Sozii auf 10 % der Einkünfte, die ein aus der Sozietät ausgeschiedener, weiterhin aktiv tätiger Gesellschafter nach seinem Ausscheiden erwirtschafte, sei in § 12 e des Vertrages nicht vorgesehen. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung verstoße gegen § 138 BGB, da der Beklagte auf der Basis seiner derzeitigen Einkünfte bis zu seinem 65. Lebensjahr mehr als 300.000,00 EUR an die aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii zahlen müsse, aber nicht an der Altersversorgungsregelung der Sozietät U. partizipiere. Bei dieser Auslegung liege zusätzlich ein Verstoß gegen § 723 Abs. 3 BGB vor, weil hierdurch ein Sozius in seiner Kündigungsfreiheit unzumutbar beeinträchtigt werde.

Der Beklagte beantragt,

das landgerichtliche Teilurteil aufzuheben und die Klage vollständig abzuweisen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und trägt vor, die Wortauslegung des § 12 e Nr. 1 des Vertrages, der sich auf Versorgungsansprüche "im Sinne von § 12" beziehe, ergebe die Verpflichtung des Beklagten, 10 % seines von der Sozietät Dr. X. bezogenen Einkommens für die nach § 12 des Vertrages Berechtigten aufzuwenden. Diese Zahlungen seien auch gerechtfertigt, weil der Beklagte ohne nennenswerten eigenen Mandantenstamm und ohne ein "Eintrittsgeld" zu bezahlen in die Sozietät U. aufgenommen worden sei und er bei seinem Ausscheiden in erheblichem Umfang Mandanten der Sozietät U. mitgenommen habe. Die Auffassung des Beklagten würde dazu führen, dass die Altersversorgung nach § 12 des Vertrages ersatzlos entfiele, wenn alle aktiven Sozii der Kanzlei U. unter Mitnahme ihrer Mandanten aus der Sozietät ausscheiden würden. Soweit der Beklagte Ansprüche wegen ihm zugesagter Leistungen auf seine Altersversorgung geltend machen wolle, müsse er diese gegen die aktiven Sozii richten. Sein Anspruch aus § 12 des Vertrages bleibe davon unberührt.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Auf die Gründe des landgerichtlichen Urteils wird verwiesen. Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen folgendes auszuführen:

1. § 12 e des Vertrages vom 23.11.1981 ist dahin auszulegen, dass die Versorgungsansprüche der aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii gemäß § 12 dieses Vertrages sich bemessen auf 10 % des jeweiligen Jahresüberschusses der Sozietät U. zuzüglich eines Betrages, den ein aus der Sozietät ausgeschiedener Anwalt in Höhe von 10 % seines jeweiligen Einkommens aus der Tätigkeit für eine andere Sozietät an den gemäß § 12 des Vertrages Berechtigten zu bezahlen hat.

Zwar ist § 12 e Ziffer 1 Satz 1 des Vertrages mehrdeutig. Der Wortlaut, "der ausgeschiedene Sozius ist verpflichtet die Versorgungsansprüche im Sinne von § 12 als persönlich haftender Schuldner gemeinsam mit den verbleibenden Sozii zu erfüllen", wobei in § 12 die Ansprüche des Klägers "10 % aus dem jeweiligen Jahresüberschuss der Sozietät" umfassen, spricht für die Auffassung des Beklagten. Nach Sinn und Zweck der Regelung in Verbindung mit den äußeren Umständen ist jedoch davon auszugehen, dass die Versorgungsansprüche des Klägers auch 10 % des Einkommens des Beklagten aus der Sozietät Dr. X. umfassen. Denn es sollte durch die §§ 12 ff. des Vertrages eine Altersversorgung der aus Altersgründen aus der Sozietät ausscheidenden Sozii eingerichtet werden. Die gewollte Absicherung wäre nicht mehr gewährleistet, wenn alle aktiven Sozii aus der Kanzlei ausscheiden, da dann ein zu verteilender Anteil am Jahresüberschuss der Sozietät nicht mehr vorhanden ist. Für diese Auslegung spricht auch die Regelung in § 12 c Nr. 1 und Nr. 2 des Vertrages. Darin ist die Wirksamkeit eines Auflösungsbeschlusses von der Zustimmung der versorgungsberechtigten Sozii abhängig und in Ziffer 2 die Wirksamkeit des Auflösungsbeschlusses ohne Zustimmung der Versorgungsberechtigten festgelegt unter der Bedingung, dass jeder der Sozien gegenüber dem Versorgungsberechtigten die unbedingte und unbefristete bindende Erklärung abgibt, dass er für die Zahlung der Versorgungsbezüge gemäß § 12 gemeinsam mit den übrigen Sozien die gesamtschuldnerische Haftung übernimmt. Auch in dieser Ziffer wird von einer Verpflichtung zur Zahlung eines Teils des anderweitig erlangten Einkommens ausgegangen und nicht nur von der Haftung für die Auszahlung der anteiligen Überschüsse der Sozietät U. , die im Falle der Kanzleiauflösung nicht mehr erwirtschaftet werden. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte keine Einstandszahlung bei Aufnahme in die Sozietät geleistet hat und er selbst zusammen mit den anderen Sozien über viele Jahre den Vertrag in dem vom Senat genannten Sinne ausgelegt hat.

2. a) § 12 e des Vertrages ist auch nicht wegen Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig. Der Vertrag wurde von Volljuristen abgeschlossen, nachdem Dr. R. mehrere Monate in der Kanzlei mitgearbeitet hat. Er wurde in die Sozietät U. ohne Einstandszahlung aufgenommen und hat zum Erwerb eigener Versorgungsansprüche von der Sozietät Zuschüsse für die von ihm abgeschlossene Kapitalversicherung und die für ihn bestehende Mitgliedschaft beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg erhalten, die während der Mitgliedschaft in der Sozietät U. mit ca. 139.000,00 DM einen um ca. 5.000 DM höheren Betrag ausmachten als die anteilig von ihm erbrachten Leistungen für die Versorgung der aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii.

Zwar ist der Beklagte gemäß Ziffer 5 a Abs. 2 des Sozietätsvertrages vom 28.6.1996 in Verbindung mit § 12e des Vertrages verpflichtet, 10 % seines von der Sozietät Dr. X. gezahlten Einkommens für die Versorgung der aus Altersgründen aus der Sozietät U. ausgeschiedenen Sozii aufzuwenden, während er gemäß Ziffer 5 a Abs. 1 des Sozietätsvertrages vom 28.6.1996 keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente oder Abfindung im Falle des Ausscheidens aus Altersgründen erhält und die ihm in Ziffer 5 b dieses Vertrages von der Sozietät U. gewährten Leistungen auf seine eigene Altersversorgung in Höhe von höchstens 1.236,10 EUR pro Monat (= 2.417,16 DM) bei seinem Ausscheiden aus der Sozietät wegfallen.

Dieses Ungleichgewicht ist aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu bereinigen. Ziffer 5 des Vertrages vom 28.06.1996 und die §§ 12 und 12 e des Vertrages sind dahin auszulegen, dass der Beklagte von den gemäß § 12 e Nr. 1 des Vertrages von den von ihm zu erbringenden Leistungen nach seinem Ausscheiden aus der Kanzlei U. den Betrag von 1.236,10 EUR pro Monat in Abzug bringen kann, da auch die ihm bis zu dieser Höhe zugesagten Leistungen auf die eigene Altersversorgung wegfallen.

Diese ergänzende Vertragsauslegung ist geboten, weil in dem mit dem Beklagten geschlossenen Vertrag vom 28.6.1996 unter Ziffer 5 eine besondere, auf den Beklagten zugeschnittene Regelung der Altersversorgung mit Rechten und Zahlungspflichten des Beklagten auch gegenüber den aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii getroffen wurde, der Beklagte von vornherein von der Altersversorgung durch die Sozietät ausgeschlossen wurde, aber eine Vereinbarung fehlt, die nach dem Wegfall der Rechte des Beklagten auf Leistungen für seine Altersversorgung dessen Zahlungspflichten gegenüber den ausgeschiedenen Sozii gemäß Ziffer 5 a Abs. 2 des Vertrages vom 28.6.1996 regelt. Die in § 12 a des Vertrages vom 23.11.1981 enthaltene Klausel, nach der ein ausgeschlossener Gesellschafter keine Abfindung erhält, lässt die 1996 mit dem Beklagten geschlossene Sondervereinbarung zur Altersversorgung unberücksichtigt und steht daher einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht entgegen.

Grundlage der ergänzenden Vertragsauslegung ist der hypothetische Parteiwille. Es ist darauf abzustellen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (vgl. BGHZ 127, 138, 142; OLG München NZG 2004, 1055; Palandt BGB, 64. Aufl., § 157 Rn. 7). Angesichts des engen sachlichen Zusammenhangs der Regelungen ergibt die ergänzende Vertragsauslegung gemäß den §§ 133, 157, 242 BGB, dass der Beklagte von den Verpflichtungen, zur Versorgung der aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii beizutragen, insoweit frei wird, als die ihm als Gegenleistung gewährten Leistungen der Sozietät wegfallen. Gerade der Umstand, dass eine Fortgeltung der Ansprüche des Klägers aus Ziffer 5 b des Vertrages vom 28.6.1996 nicht vereinbart wurde, obwohl der Beklagte weiterhin für die Versorgungsansprüche der ausgeschiedene Sozii aufkommen soll, spricht für die Annahme der strikten Gegenseitigkeit.

Nach Treu und Glauben ist davon auszugehen, dass die Parteien die vereinbarten Rechte und Pflichten im Hinblick auf die Altersversorgung, die im Rahmen der aktiven Tätigkeit des Beklagten in der Sozietät gelten sollten, nach dem Ausscheiden des Beklagten ohne Abfindung oder Auseinandersetzungsguthaben nicht schlechter ausgestalten wollten. Die vom Kläger vertretene Auffassung führt zu dem unbilligen Ergebnis, dass der Beklagte 10 % seines Einkommens aus anwaltlicher Tätigkeit an die aus Altersgründen ausgeschiedenen Sozii der Kanzlei U. zahlen müsste und selbst für seine Altersversorgung die zugesagten Zuschüsse nicht erhält. Der Kläger konnte redlicherweise bei Vertragsabschluss nicht davon ausgehen, dass der neu eintretende Gesellschafter bei seinem Ausscheiden aus der Sozietät hinsichtlich der Regelungen im Zusammenhang mit den zu erbringenden und ihm gewährten Leistungen zur Altersversorgung um ca. 1.200 Euro schlechter gestellt werden sollte als während der Zeit seiner aktiven Tätigkeit für die Kanzlei U. , während der Kläger durch Wegfall der Zuschusszahlungen der Kanzlei für die Alterversorgung des Beklagten von jährlich bis zu 14.833,20 Euro von den verbleibenden Sozii einen um bis zu 1.483,32 Euro erhöhten Gewinnanteil zuzüglich der Leistungen des Beklagten erhält. Die Versorgungsregelungen haben weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn nach einen Vertragsstrafencharakter.

b. Diese ergänzende Vertragsauslegung lässt jedoch die Verpflichtung des Beklagten, über die von der Sozietät Dr. X. erhaltenen Gewinnausschüttungen für das Kalenderjahr 2003 vollständig Auskunft zu geben und Rechnung zu legen, unberührt, weil der Anspruch des Klägers dem Grunde nach besteht und sich seine Höhe, nach Abzug des Sockelbetrages von 1.236,10 EUR, nach der Höhe des Einkommens des Beklagten richtet.

3. Aus den vorgenannten Gründen liegt auch ein Verstoß gegen § 723 Abs. 3 BGB nicht vor. Die Kündigung des Sozietätsvertrages wird für den Beklagten nicht unzumutbar erschwert.

4. Der Kläger kann dem Beklagten nicht entgegenhalten, dieser müsse sich wegen etwaiger Ansprüche wegen Wegfalls der ihm von der Sozietät gewährten Leistungen auf seine eigene Altersversorgung an die aktiven Sozii wenden; sein Versorgungsanspruch gegen den Beklagten werde hiervon nicht berührt. Die vom Senat vorgenommene Vertragsauslegung hat unmittelbare Auswirkung auf die Höhe der von dem Beklagten zu erbringenden Leistung. Denn die speziell für den Beklagten geschaffenen Regelungen in Ziffer 5 a und b des Vertrages vom 28.6.1996 sind eng aufeinander bezogen. Sie regeln den Themenkreis "Altervorsorge" mit dem jeweiligen "Geben" und "Nehmen". Der Wegfall des dem Beklagten zustehenden Anspruchs lässt entsprechend die ihm obliegende Verpflichtung entfallen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar nach den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.



Ende der Entscheidung

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