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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 15.11.2001
Aktenzeichen: U (K) 3825/01
Rechtsgebiete: GWB, ZPO


Vorschriften:

GWB § 19
GWB § 19 Abs. 4 Nr. 4
GWB § 33
GWB § 19 Abs. 4
ZPO § 97 Abs. 1
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Mitbewerber die vorläufige Mitbenutzung eines Gasleitungsnetzes im Eilverfahren durchsetzen kann.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: U (K) 3825/01

Verkündet am 15.11.2001

In dem Verfahren

hat der Kartellsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter Wörle und die Richter Jackson und Haußmann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23. Mai 2001 - 3 O 2257/01 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, der Antragstellerin den Zugang zu ihrem Versorgungsnetz für die Durchleitung von Gas zum Zwecke der Versorgung der N B GmbH, Z-F-Straße 7, 92660 Neustadt/Waldnaab vom Einspeisepunkt Rothenstadt bis zum Ausspeisepunkt Station III, Dr.-K-Straße in 92637 Weiden in der Zeit vom 01.04.2001, 6.00 Uhr, bis zum 01.04.2002, 6.00 Uhr, mit einer Transportleistung von 650 m³/h bei einem Brennwert von 11,15 KWH/m³ i.M. und einer Jahresmenge von 3.951.418 m³/a Zug um Zug gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts in Höhe der in dem Preisblatt Nutzungsentgelte von der Antragsgegnerin veröffentlichten Entgelte (http://www.ferngas-nordbayern.de/netz 4.html) zu gewähren.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Tatbestand:

Die im Jahr 2000 gegründete Antragstellerin handelt mit Gas und Strom. Sie hat keine eigenen Strom- und Gasnetze.

Die Antragsgegnerin, ein Tochterunternehmen der R AG, betreibt deren Erdgas-Transportnetz in der Region Nordbayern. Weitere Gastransportnetze werden dort nicht betrieben.

Am 15.02.2001 schloss die Antragstellerin einen Vertrag mit der N B GmbH in Neustadt a.d. Waldnaab über die Lieferung von Gas im Zeitraum 01.04.2001 bis 01.04.2002. Sie hatte am 10.02.2001 eine Anfrage an die Antragsgegnerin gerichtet, ob ihr gegen Entgelt die Durchleitung von Gas durch das Transportnetz der Antragsgegnerin gestattet werde, um die Firma N B GmbH beliefern zu können. Nachdem der Antragsgegnerin auf ihre Rückfrage mitgeteilt worden war, dass Lieferantin des Gases die Oberösterreichische F AG, Linz, sei, verweigerte sie am 12.03.2001 die Netznutzung mit der Begründung, dass es ihr nach derzeitiger Rechtslage in Österreich im umgekehrten Fall nicht möglich sei, mit Erdgas aus Deutschland Abnehmer in Österreich mit einem Jahresverbrauch unter 25 Mio. cbm im Wege der Durchlieferung zu beliefern.

Die Antragstellerin erwirkte daraufhin beim Landgericht Nürnberg-Fürth eine Beschlussverfügung, die die Antragsgegnerin bei Meidung von Ordnungsmitteln verpflichtete,

der Antragstellerin den Zugang zu ihrem Versorgungsnetz für die Durchleitung von Gas zum Zwecke der Versorgung der N B GmbH, Z-F-Straße 7, 92660 Neustadt/WN vom Einspeisepunkt Rothenstadt bis zum Ausspeisepunkt Station III, Dr.-K-Straße in 92637 Weiden in der Zeit vom 01.04.2001, 6.00 Uhr bis zum 01.04.2002, 6.00 Uhr mit einer Transportleistung von 650 m³/h bei einem Brennwert von 11,15 kWh/m³ i.M. und einer Jahresgesamtmenge von 3.951.418 m³/a Zug um Zug gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts zu gewähren.

Mit ihrem Widerspruch gegen diese einstweilige Verfügung machte die Antragsgegnerin geltend, die Antragstellerin könne sich nicht auf einen Verfügungsanspruch stützen. Sie, die Antragsgegnerin, habe keine marktbeherrschende Stellung i.S.d. § 19 GWB. Sie betreibe lediglich das Transportnetz im Monopol, habe jedoch auf dem nachgeordneten Gaslieferungsmarkt keine Marktmacht. Auch sei die Antragstellerin auf die Inanspruchnahme ihres Transportnetzes nicht angwiesen. Schließlich sei ihr, der Antragsgegnerin, die Durchleitung nicht zuzumuten, weil damit die Chancengleichheit verletzt werde. Aus Artikel 19 der EG-Binnenmarktrichtlinie Gas folge, dass das Prinzip der Reziprozität europarechtlich anerkannt und dementsprechend bei der Auslegung des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB zu berücksichtigen sei.

Der Antrag sei auch zu unbestimmt. Da allenfalls ein Kontrahierungszwang in Betracht komme, müsse der Antrag die Form eines konkreten, annahmefähigen Angebotes haben und auch das für die Durchleitung entrichtende Entgelt bestimmt sein.

Es fehle ferner an einem Verfügungsgrund. Die begehrte Leistungsverfügung sei nur bei einer außergewöhnlichen Notlage zulässig. Eine solche Notlage liege nicht vor, weil die Antragstellerin jederzeit Kunden beliefern könne, die mehr als 25 Mio. cbm im Jahr abnähmen, oder Gas anderweitig, nicht aus Österreich, beziehen könne. In beiden Fällen würde ihr die Durchleitung nicht verweigert werden. Schließlich werde der Antragstellerin durch die einstweilige Verfügung mehr gewährt, als sie im Hauptsacheverfahren erreichen könne.

Die Antragstellerin ist dem entgegengetreten. Sie stützte ihr Begehren auf §§ 19 Abs. 4 Nr. 4, 33 GWB und führte aus, es genüge, dass die Antragsgegnerin in Nordbayern Monopolistin auf dem Markt der Gasdurchleitung sei. Eine marktbeherrschende Stellung auch auf dem nachgelagerten Gasbelieferungsmarkt sei nicht erforderlich. Der Netzzugang sei für sie unerlässlich. Der Errichtung eines eigenen Leitungsnetzes ständen finanzielle und wirtschaftliche Erwägungen sowie die Notwendigkeit kurzfristigen Marktauftritts entgegen. Demgegenüber sei der Antragsgegnerin die Durchleitung zumutbar. Auf fehlende Reziprozität könne sie sich nicht berufen. Auf die EG-Binnenmarktrichtlinie Gas stelle die Antragsgegnerin zu Unrecht ab. Die Richtlinie räume den Mitgliedstaaten lediglich die Option ein, eine nationale Reziprozitätsklausel zu schaffen. Davon habe die Bundesregierung keinen Gebrauch gemacht.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 19.03.2001 zu bestätigen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Das Landgericht hat die Beschlussverfügung vom 19.03.2001 durch Urteil vom 23.05.2001 mit der Maßgabe bestätigt, dass die Androhung von Ordnungsmitteln entfällt.

Mit der Berufung verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren der Zurückweisung des Verfügungsantrags unter Wiederholung und Vertiefung ihres Sach- und Rechtsvortrags im ersten Rechtszug weiter. Sie beharrt auf ihrer Ansicht, der Antrag sei unzulässig, weil die zu erbringende Leistung und auch die Gegenleistung unbestimmt seien. Auch im Verfügungsverfahren müsse der Antrag auf Annahme eines konkreten Vertragsangebots gerichtet sein. Das Landgericht habe auch verkannt, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Leistungsverfügung nicht vorlägen. Eine auf Befriedigung gerichtete einstweilige Verfügung sei nur in Ausnahmefällen bei bestehender oder drohender Notlage zulässig. Das Scheitern der Belieferung eines ihrer inzwischen sieben Abnehmer stelle keine Existenzgefährdung der Antragstellerin dar. Die Antragstellerin sei auch nicht auf die hier interessierende Durchleitung angewiesen, um einen Marktauftritt mit Gas in Deutschland zu realisieren. § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB sei auch keine Anspruchsgrundlage auf schlichten Netzzugang ohne Vertrag. Schließlich liege auch eine fehlerhafte Würdigung der Unzumutbarkeit durch das Landgericht vor. Eine Reziprozitätslage sei entgegen der Ansicht des Landgerichts gegeben. Aus Artikel 19 Abs. 1 der EU-Binnenmarktrichtlinie Gas folge, dass Erdgaslieferungen untersagt werden können, wenn keine Reziprozität gegeben sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.05.2001 aufzuheben und den ihm zugrunde liegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

a) die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise hierzu

b) das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.05.2001 (3 O 2257/01) sowie die Beschlussverfügung des Landgerichts Nürnberg-Fürh vom 19.03.2001 mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, dass der Antragstellerin Zugang zu dem Versorgungsnetz der Antragsgegnerin Zug um Zug gegen Zahlung eines angemessenen Entgeltes in Höhe von monatlich höchstens 8.419,66 DM inkl. MwSt zu gewähren ist, wobei die Zahlungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgen können, hilfsweise hierzu

c) das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.05.2001 (3 O 2257/01) sowie die Beschlussverfügung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.03.2001 mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, dass der Antragstellerin Zugang zu dem Versorgungsnetz der Antragsgegnerin Zug um Zug gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts in Höhe von höchstens der in dem Preisblatt Netznutzungsentgelte von der Antragsgegnerin veröffentlichten Entgelte (http://www.ferngas-nordbayern.de/netz4.html) zu gewähren ist, wobei die Zahlungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgen können, hilfsweise hierzu

d) das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.05.2001 (3 O 2257/01) sowie die Beschlussverfügung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.03.2001 mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, dass der Antragsgegnerin untersagt wird, den Zugang zu ihrem Netz und den Abschluss eines Durchleitungsvertrages für Gas zum Zwecke der Versorgung der Firma N B GmbH, Z-F-Straße 7, 92660 Neustadt/WN vom Einspeisepunkt Rothenstadt bis zum Ausspeisepunkt Station III, Dr.-K-Straße in 92637 Weiden in der Zeit vom 01.04.2001, 6.00 Uhr bis zum 01.04.2002, 6.00 Uhr mit einer Transportleistung von 650 m³/h bei einem Brennwert von 11,15 kWh/m³ i.M. und einer Jahresmenge von 3.951.418m³/a mit der Begründung zu verweigern, dass sie diesen Kunden, säße er in Österreich, nicht im Wege der Durchleitung beliefern könne und ihr deshalb die Durchleitung nicht zumutbar sei.

e) das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.05.2001 (3 O 2257/01 sowie die Beschlussverfügung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.03.2001 mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, dass der Zugang der Antragstellerin zu dem Versorgungsnetz der Antragsgegnerin für die Durchleitung von Gas nach Maßgabe des als Anlage ASt 73 beigefügten Transportvertrages zu gewähren ist.

Die Antragstellerin verteidigt das landgerichtliche Urteil und vertieft ihre Ausführungen zur Bestimmtheit des auf unmittelbaren Netzzugang gerichteten Verfügungsantrags nach Maßgabe der in den Hilfsanträgen vorgeschlagenen Varianten sowie zum Vorliegen der Voraussetzungen des Verfügungsanspruchs, insbesondere zur Frage der Reziprozität im Rahmen des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin bleibt erfolglos. Das Landgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu ihrem Versorgungsnetz für die Durchleitung von Gas zur Versorgung der N B GmbH in Neustadt a.d. Waldnaab zu gewähren. Die vom Landgericht Zug um Zug gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts ausgesprochene Verpflichtung war allerdings hinsichtlich der Gegenleistung nach Maßgabe des Hilfsantrag 1.c) durch Bezugnahme auf die veröffentlichten Netznutzungsentgelte der Antragsgegnerin zu konkretisieren, um dem Bestimmtheitserfordernis (§ 253 Abs. 2 ZPO) zu genügen. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind glaubhaft gemacht.

1. Der geltend gemachte Verfügungsanspruch folgt aus §§ 33, 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB.

1.1. Die Antragsgegnerin ist Normadressat des § 19 Abs. 4 GWB. Sie ist als Inhaberin des Gasleitungsnetzes in Nordbayern in diesem örtlich beschränkten Markt Monopolistin, weil es für die Bestimmung des sachlichen Marktes auf den "Markt für die Einräumung von Netznutzungsrechten" ankommt (vgl. BKartellamt, Beschluss vom 30.08.1999 - B 8/99, WuW DE-V 149; Bechtold GWB, 2. Aufl., § 19 Rdnr. 81; Langen/Bunte, deutsches und europäisches Kartellrecht, Bd. 1, 9. Aufl., § 19 GWB Rdnr. 152f). Die Antragsgegnerin als Normadressatin weigert sich, der Antragstellerin gegen angemessenes Entgelt Zugang zu ihren Netzen zu gewähren, obwohl es der Antragstellerin aus tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem nachgelagerten Markt der Belieferung von Endkunden mit Gas als Wettbewerber der Antragsgegnerin tätig zu werden (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB). Die Antragstellerin kann nicht darauf verwiesen werden, selbst ein Transportnetz zu errichten, um die Firma N B GmbH zu beliefern. Nicht nur wäre es der Antragstellerin unmöglich, innerhalb eines vertretbaren Zeitraums ein entsprechendes Leitungssystem zu errichten, der kostenmäßige Aufwand wäre auch unverhältnismäßig (vgl. Theobald/Zenke, Grundlagen der Strom- und Gasdurchleitung, S. 86/87).

1.2. Die Antragsgegnerin kann der Antragstellerin den Netzzugang nicht verweigern, weil sie nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Mitbenutzung ihrer Gasleitungen durch die Antragstellerin aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB). Die Möglichkeit der Mitbenutzung hat die Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt, sie hat aber geltend gemacht, dass es ihr nicht zumutbar sei, die Mitbenutzung für aus Österreich geliefertes Gas zu gestatten. Nach derzeitiger österreichischer Rechtslage sei es nämlich nicht möglich, mit in Deutschland eingekauftem Erdgas Abnehmer in Österreich mit einem Jahresverbrauch kleiner als 25 Mio. m³ im Wege der Durchlieferung zu beliefern.

Insoweit ist zutreffend, dass Art. 19 der Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.06.1998 (EG-Binnenmarktrichtlinie Gas) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, Regelungen zu schaffen, die es Unternehmen erlauben, eine Durchleitung bei fehlender Reziprozität zu verweigern. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, hiervon Gebrauch zu machen, folgt hieraus, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, jedoch nicht. Der deutsche Gesetzgeber hat eine solche Regelung bisher auch nicht getroffen.

Die von der Antragsgegnerin behauptete Reziprozitäts-Situation liegt zudem nicht vor. Das Lieferverhältnis, das die Antragstellerin erstrebt, führt zu einem Leistungsaustausch zwischen einem deutschen Lieferunternehmen und einem deutschen Endkunden. Die Auswirkungen der Netzzugangsverweigerung betreffen sonach ausschließlich ein deutsches Lieferunternehmen, dessen Tätigwerden auf dem deutschen Markt damit unterbunden wird. Da die Reziprozität der zitierten europäischen Richtlinie allenfalls zu Lasten ausländischer Marktteilnehmer gehen kann, wird der streitige Sachverhalt von Art. 19 Abs. 1 der Erdgas-Binnenmarktrichtlinie nicht erfasst. Die von der Antragsgegnerin in den Vordergrund gestellte Erwägung kann also schon aus diesem Grund nicht mit dem beanspruchten Gewicht in die Interessenabwägung, die in Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Zumutbarkeit" erforderlich ist, Eingang finden. Der bloßen Beteiligung eines österreichischen Unternehmens als Lieferantin der Antragstellerin kann bei der gebotenen Interessenabwägung, die unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB vorzunehmen ist, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Vielmehr beansprucht das Interesse der Antragstellerin, in ihrer unternehmerischen Tätigkeit nicht einschneidend behindert oder gar vom Marktzutritt ausgeschlossen zu werden, demgegenüber Vorrang.

2.3. Der Verstoß gegen § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB begründet in Verbindung mit § 33 GWB einen Schadensersatzanspruch der Antragstellerin, der als Anspruch auf Naturalrestitution zu einem Kontrahierungszwang, also zur Verpflichtung, einen Nutzungsvertrag abzuschließen, führt. Im Verfügungsverfahren ist die Antragstellerin jedoch nicht gehalten, von der Antragsgegnerin den Abschluss eines vorformulierten Nutzungsvertrages zu verlangen, wie die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs dies im Hauptsacheverfahren als notwendig ansieht (WuW/E BGH 2125 f. "Technics"). Ob ein solcher Antrag im Verfügungsverfahren unzulässig wäre (vgl. hierzu Schockenhoff, NJW 1990, S. 152, 157), kann dahinstehen; jedenfalls ist ein solcher Antrag nicht erforderlich, weil Streitgegenstand des einstweiligen Rechtsschutzes der Anspruch auf Sicherung eines Individualanspruchs und nicht der zu sichernde Anspruch selbst ist (vgl. Zöller, ZPO, 21. Aufl. Rdnr. 5 vor § 916). Es können daher alle Anordnungen beantragt oder angeordnet werden, die zur Erreichung des Sicherungszwecks erforderlich sind (§ 938 ZPO). Der Sicherungszweck ist dann erreicht, wenn, wie von der Antragstellerin beantragt, in konkret bezeichneter Weise die Durchleitung Zug um Zug gegen Zahlung eines bestimmten angemessenen Entgelts verlangt bzw. angeordnet wird. Dabei ist zu beachten, dass die Antragstellerin bei der Sicherung ihrer Ansprüche nicht besser gestellt wird, als sie stünde, wenn sie in einem Hauptsacheverfahren ihren Anspruch auf Abschluss eines Durchleitungsvertrages durchsetzen würde. Insbesondere ist Vorsorge zu treffen, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich ihres Vergütungsanspruchs ausreichend gesichert ist. Die Verpflichtung der Antragstellerin zur Zahlung "eines angemessenen Entgelts" als Gegenleistung genügt dieser Anforderung nicht. Auch eine Konkretisierung durch Festlegung eines monatlich höchstens zu zahlenden Betrags ist keine ausreichende Sicherung, denn derzeit abgerechnete oder ohne Rechnungsstellung überwiesene Entgelte haben keine Aussagekraft für die Zukunft, weil sich aufgrund geänderter Kalkulationsgrundlagen die Durchleitungsentgelte während des von der einstweiligen Verfügung erfassten Regelungszeitraums ändern können. Dem Sicherungserfordernis wird jedoch nach Ansicht des Senats durch eine Anordnung entsprechend dem Hilfsantrag 1.c) Rechnung getragen, der die Höhe des angemessenen Entgelts nach den von der Antragsgegnerin bekanntgegebenen Netznutzungsentgelten bestimmt. Die Anordnung, dass die Zahlungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgen können, ist allerdings nicht erforderlich, da die einstweilige Verfügung ohnehin nur eine vorläufige Regelung trifft und die endgültige Bestimmung des angemessenen Entgelts, sofern sich die Parteien nicht hierauf einigen, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt. Der Senat sieht deshalb den Verfügungsanspruch nach Maßgabe der Variante 1 c) des Antrags als begründet an.

2. Auch ein Verfügungsgrund liegt vor. Ohne den Zugang zum Netz der Antragsgegnerin würden die Marktchancen der im Markt neu hinzugekommenen Antragstellerin erheblich beeinträchtigt. Ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung drohen der Antragstellerin wirtschaftliche Schäden, die weit über einen bloßen Gewinnausfall hinausgehen. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird insoweit Bezug genommen. Zur Sicherung des Anspruchs auf Abschluss eines Durchleitungsvertrages ist im Streitfall eine Leistungsverfügung gerechtfertigt, die jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache diese weitgehend vorwegnimmt. Wegen der in der Eilanordnung liegenden Vorwegbefriedigung darf die Anordnung nicht über den Rahmen dessen hinausgehen, was mit einer Hauptsacheklage erreicht werden kann. Es muß auch überwiegend wahrscheinlich sein, dass der vorweg zu erfüllende Anspruch besteht. Beide Voraussetzungen liegen hier vor. Auch sind gewichtige Nachteile für die Antragsgegnerin mit der Verpflichtung, vorläufig die Durchleitung von Gas durch ihr Netz hinzunehmen, nicht verbunden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die hier getroffene Entscheidung nach einem "Hilfsantrag" beinhaltet keine Abweisung des Hauptantrags, da die verschiedenen Anträge nur - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - Vorschläge für das Gericht darstellen, wie der Sicherungszweck erreicht werden kann (§ 938 ZPO).

Ende der Entscheidung

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