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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 21.03.2003
Aktenzeichen: 8 U 2788/01
Rechtsgebiete: AUB 88, VVG


Vorschriften:

AUB 88 § 7 Abs. 1
AUB 88 § 11 Abs. 4
VVG § 12 Abs. 1
1. Die Geltendmachung eines Dauerschadens durch den Versicherungsnehmer (VN) innerhalb der Frist von 1 Jahr und 3 Monaten ist entbehrlich, wenn der Versicherer bereits über das Vorliegen eines Dauerschadens informiert ist und innerhalb dieser Frist dem VN mitteilt, ein Gutachten zur Frage des Dauerschadens erholen zu wollen.

2. Auf den Ablauf der 3-Jahresfrist des § 11 IV AUB 88 kann sich der Versicherer nicht berufen, wenn er es für den VN erkennbar übernommen hat, den Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen feststellen zu lassen, diese Feststellungen aber nicht vollständig waren.

3. Macht ein VN erkennbar alle ihm zustehenden Ansprüche aus der Unfallversicherung im Klagewege geltend, kann er auch nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 12 I VVG seine Klage erweitern, wenn durch ein gerichtlich erholtes Gutachten eine höhere Beeinträchtigung (100 %) nachgewiesen wird als er bei Klageerhebung angenommen hat (75 %).


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

8 U 2788/01

Verkündet am 21. März 2003

In Sachen

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Endmann und die Richter am Oberlandesgericht Krauß und Rebhan aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.02.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

I. 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.06.2001 abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über den im Ersturteil zuerkannten Betrag von 194.250,00 DM (= 99.318,45 EUR) nebst 4 % Zinsen hieraus seit 16.02.1997 weitere 67.107,06 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus über den Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes (vom 09.06.1998) seit 21.03.2001 zu zahlen.

3. Im übrigen (Zinsen) wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

II. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 225.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Sicherheit kann auch durch unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft eines in der Europäischen Union zum Garantiegeschäft zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

Beschluß:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 166.425,51 EUR (325.500,00 DM) festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Leistungsanspruch aus einer Unfallversicherung geltend, der die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen in der Fassung der AUB 88 zugrunde liegen und bei der eine Progressionsvereinbarung bis zu 300 % getroffen wurde.

Am 07.02.1994 erlitt der Kläger einen Unfall. Beim Aufpumpen des Rades eines Schubkarrens explodierte dieses, wodurch dem Kläger die Felge des Schubkarrens gegen die Stirn geschleudert wurde. Infolge dessen erlitt der Kläger im Bereich des Stirnbeines einen Knochendefekt mit freiliegendem Hirngewebe.

Die Unfallschadensanzeige des Klägers ging am 18.03.1994 bei der Beklagten ein. Nach Erhalt des sog. "ärztlichen Erstberichts" des Klinikums der Stadt vom 20.02.1995, in dem eine offene Rhinobasis-Stirnpolverletzung und die Dauerfolge Anosmie diagnostiziert wurde, erteilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 27.02.1995 eine Abrechnung für das Krankenhaustagegeld und das Genesungsgeld. In diesem Schreiben wurde dem Kläger mitgeteilt, daß die Beklagte das Klinikum Mitte des Jahres 1995 bitten wird, eine Nachuntersuchung durchzuführen und ein Abschlußgutachten zu fertigen, um sicher beurteilen zu können, "ob und inwieweit der Unfall bei Ihnen einen Dauerschaden hinterlassen wird". Mit weiterem Schreiben vom 18.04.1995 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, daß sie Ende Juli/Anfang August 1995 ein abschließendes Gutachten in Auftrag geben werde.

Im ärztlichen Bericht ("zum Schreiben vom 14.11.1995") der Klinik in der sich der Kläger bis 25.10.1995 in stationärer Rehabilitationsbehandlung befand, sind bei Entlassung folgende wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen festgehalten:

"Gedächtnisstörung, Gleichgewichtsstörung, Anosmie beidseits ..."

Mit Schreiben vom 06.05.1996 rechnete die Beklagte die Unfallangelegenheit auf der Grundlage des von ihr in Auftrag gegebenen Gutachtens des Klinikums vom 20.03.1996 und der ergänzenden Stellungnahme vom 24.04.1996 ab. Die Beklagte ging dabei entsprechend diesem Gutachten von einer Beeinträchtigung der allgemeinen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit (außerhalb der Gliedertaxe) in Höhe von 20 % und infolge des Verlustes des Geruchsinns in Höhe von 10 % aus.

Mit Schreiben vom 30.01.1997 an die Beklagte machte der Klägervertreter eine Gesamtbeeinträchtigung von 75 % geltend. Der Kläger stützte sich dabei auf ein Rentengutachten für die Bau-Berufsgenossenschaft vom 23.08.1996 von Dr. von der Neurochirurgischen Klinik der Stadt und verlangte insgesamt 236.250,00 DM (abzüglich der von der Beklagten erbrachten Invaliditätsleistungen in Höhe von insgesamt 42.000,00 DM).

"Unter Berücksichtigung des für die erstellten ... neurochirurgischen Gutachtens und erneuter Prüfung der Gesamtumstände" erklärte sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.06.1997 gegenüber dem Klägervertreter bereit, auf der Basis einer Gesamtentschädigung in Höhe von 100.000,00 DM abzurechnen. Nach Ablehnung eines weiteren Vergleichsangebots der Beklagten über 132.000,00 DM hat der Kläger am 27.10.1997 Klage erheben lassen.

Darin wird die Auffassung vertreten, daß die im Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 06.05.1996 berücksichtigten Gesundheitsstörungen des Klägers zu einer 35 %igen Beeinträchtigung geführt hätten - 10 % für den Verlust des Geschmackempfindens, 5 % für den Verlust des Geruchvermögens sowie 20 % für die Gefühlsstörungen im Mund- und Stirnbereich. Darüber hinaus hätten die zusätzlich von Dr. festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen - u.a. linksseitige Lähmung in Form einer Hypästhesie und Hypalgesie, psychische Beeinträchtigungen mit Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Doppelbilder - zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit von weiteren 40 % geführt.

Nach Eingang der erstinstanzlich vom Landgericht erholten Gutachten hat der Kläger die Meinung vertreten, bei ihm sei von einer 100 %igen Invalidität auszugehen. Er hat deshalb nach Klageerweiterung beantragt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 194.250,00 nebst gesetzlicher Zinsen hieraus seit 15.02.1997 zu bezahlen.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere DM 131.250,00 nebst gesetzlicher Zinsen hieraus seit 20.11.2000 zu bezahlen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung

beantragt, Sie hat ausgeführt, aufgrund des von ihr veranlaßten Gutachten des Klinikums vom 20.03.1996 (i.V.m. der Ergänzung vom 24.04.1996) könne nur von einer Invalidität in Höhe von 30 % ausgegangen werden. Weitergehende gesundheitliche Beeinträchtigungen seien entgegen § 7 I (1) AUB 88 nicht rechtzeitig geltend gemacht und festgestellt. Außerdem könnten nach § 11 IV AUB 88 Unfallfolgen, die erst nach Ablauf von 3 Jahren festgestellt werden, keine Berücksichtigung finden. Psychische Reaktionen würden nach § 2 IV AUB ohnedies nicht unter den Versicherungsschutz fallen. Schließlich seien die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche (nach § 12 Abs. 1 VVG) verjährt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung durch Erholung von Gutachten zu den Verletzungsfolgen und mündlicher Anhörung des Sachverständigen am 22.06.2001 folgendes Endurteil verkündet:

I. Die Beklagte wird verurteile, an den Kläger DM 194.250,00 nebst 4 % Zinsen hieraus vom 16.02.1997 bis 30.04.2000 und 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit 01.05.2000 zu bezahlen.

II. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, daß die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche des Klägers verjährt seien. Im übrigen könne sich die Beklagte nicht auf § 2 Abs. 4 AUB 88 berufen, da eine psychische Reaktion nicht vorliege, eine Berufung der Beklagten auf § 7 I (1) AUB 88 sei treuwidrig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen dieses beiden Parteivertretern am 13.07.2001 zugestellte Urteil haben beide Parteien mit am 13.08.2001 eingegangenen Schriftsätzen vom gleichen Tag Berufung eingelegt und das Rechtsmittel innerhalb der jeweils verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Der Kläger ist der Auffassung, seine mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche seien nicht verjährt, da die Fälligkeit nicht bereits mit Abschluß der Regulierungsverhandlungen, spätestens mit Schreiben der Beklagten vom 26.06.1997 eingetreten sei, sondern mit Abschluß der Beendigung der nötigen Erhebungen, also mit Erstattung des letzten in der ersten Instanz erholten Gutachtens vom 20.11.2000.

Der Kläger beantragt daher:

I. Die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Verfahren Az: 14 O 9649/97 vom 22.06.01, zugestellt am 13.07.01, wird abgeändert.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere DM 131.250,00 nebst gesetzliche Zinsen hieraus seit 20.11.00 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt mit ihrer Berufung:

I. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.06.2001 - Az. 14 O 9649/97 - wird aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Zur. Begründung wiederholt sie im wesentlichen ihre erstinstanzlichen Ausführungen.

Beide Parteien beantragen darüber hinaus die Berufung der Gegenseite zurückzuweisen. Zur Begründung machen sie sich insofern jeweils die Urteilsgründe zu eigen.

Der Senat hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufungen beider Parteien sind statthaft und zulässig (§§ 511 ff. ZPO a.F., § 26 Nr. 5 EGZPO). In der Sache hat jedoch nur das Rechtsmittel des Klägers Erfolg.

II.

Die Klage ist hinsichtlich des Hauptanspruchs begründet. Dem Kläger steht nicht nur der vom Landgericht zuerkannte Betrag in Höhe von 194.250,00 DM (= 99.318,45 EUR) zu, sondern auch die mit der Klageerweiterung geltend gemachten 131.250,00 DM (= 67.107,06 EUR), insgesamt also 325.500,00 DM (= 166.425,51 EUR) (§§ 1, 7 I AU3 88).

1. Aufgrund der vom Landgericht erholten Gutachten des Vorstands der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der - Universität Erlangen-Nürnberg vom 25.01.1999 und 20.11.2000 i.V.m. dem neurochirurgischen Zusatzgutachten von Privatdozent vom 04.10.2000 sowie der Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth am 07.05.1999 steht zur Überzeugung des Senats fest, daß beim Kläger eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) zu 100 % gegeben ist.

Die eingehenden Untersuchungen in der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Erlangen-Nürnberg und durch Privatdozent haben folgende objektivierbare Unfallfolgen ergeben:

1) 8 x 5 cm großer Kalottendefekt frontal

2) Zephalgien, insbesondere bei Witterungswechsel oder körperlicher Tätigkeit verstärkt

3) Fehlende Geruchs- und stark eingeschränkte Geschmacksempfindung

4) Hyp- bis Anästhesie supraorbital beidseits

5) Deutliche Gefühlseinschränkungen im Bereich der Zunge

6) Bewegungseinschränkung im Bereich der Stirn

7) Doppelbildwahrnehmung bei extremer Blickrichtung nach rechts

8) Ästhetische Beeinträchtigung durch Narbenbildungen im Bereich der Stirn sowie eine starke Nasenbeindeviation sowie ausgeprägte psychische Defizite

9) Beeinträchtigungen auf neurologischem Fachgebiet (Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeits- und Wortfindungsstörungen, Affekt- und Antriebsstörungen, aggressive Tendenz).

Diese Unfallfolgen führen nach den Feststellungen der Sachverständigen zu einer 100 %igen dauernden Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Für den Senat ist dieses umfassend und widerspruchsfrei begründete Ergebnis im vollen Umfang nachvollziehbar.

1.1. Ebenso wie die Beklagte in ihrer Abrechnung vom 06.05.1996, bewertet der Sachverständige den 100 %igen Verlust des Geruchssinns beim Kläger entsprechend der Gliedertaxe, § 7 I. (2) a AUB 88 mit 10 %.

1.2. An der Feststellung des Sachverständigen beim Kläger liege eine Minderempfindung im Lingualisbereich (Zunge) i.V.m. einer Störung des Geschmacksinns vor, bestehen ebenfalls keine Zweifel. In dem von der Beklagten zur Grundlage ihrer Abrechnung vom 06.05.1996 gemachten Gutachten der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Klinikums vom 20.03.1996 wird ebenfalls eine gesicherte Geschmacksstörung (zu fast 100 %) sowie eine Gefühlsstörung der Mund- und Zungenschleimhaut attestiert. Der Sachverständige bewertet diese Beeinträchtigungen zusammenfassend mit 10 %. Diese Zusammenfassung entspricht zwar nicht der Systematik des § 7 I. (2) a, c AUB 88 ist jedoch letztlich nachvollziehbar. Nach der Gliedertaxe ist der vollständige Verlust des Geschmacksinns mit 5 % zu bewerten. Nachdem auch nach den Feststellungen im Gutachten des Klinikums Süd vom 20.03.1996 von einer Beeinträchtigung des Geschmacksinnes zu fast 100 % ausgegangen wurde, weil der Kläger lediglich eine 10 %ige Salzlösung verifizieren konnte, ist hierfür entsprechend der Gliedertaxe ein 5 %iger Invaliditätsgrad in Ansatz zu bringen. Diesen Ansatz bei der zusammenfassenden Bewertung des Sachverständigen Dr. unterstellt, verbleibt für die nach § 7 I. (2) c zu bewertende Minderempfindung im Lingualisbereich 5 %. Dieser - aus der zusammenfassenden Bewertung des Sachverständigen sich ergebende - Invaliditätsgrad ist sachgerecht und nachvollziehbar. Wenn die Gliedertaxe nicht anwendbar ist, finden jedoch deren Bewertungsmaßstäbe Berücksichtigung (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 7 AUB 88 Rn. 20). Wenn die Gliedertaxe bei Verlust des Geschmacksinnes einen Invaliditätsgrad von 5 % annimmt, erscheint ein entsprechender Wert bei einer vergleichbaren Minderempfindung im Lingualisbereich gerechtfertigt (§ 287 ZPO).

1.3. Die weiteren Unfallfolgen (siehe die eingangs unter 1) vorgenommene Auflistung) bewertet der Sachverständige Dr. insgesamt mit weiteren 30 %. (Hiervon ausgenommen sind die Beeinträchtigungen auf neurologischem Fachgebiet gem. Ziff. 9). Etwaige in seinem schriftlichen Gutachten vom 25. Januar 1999 enthaltene Unklarheiten (siehe dort S. 9, Ziffer 1 und S. 10, Ziffer 4) hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung ausgeräumt und klargestellt, daß die gesundheitlichen Beeinträchtigungen in den genannten Ziffern insgesamt mit 30 % in Ansatz zu bringen sind und eine Dauerbeeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit bei dem Kläger in Höhe von insgesamt 50 % anzunehmen ist, und zwar ohne Berücksichtigung des beim Kläger festgestellten Hirnschadens mit psychischen Störungen.

1.4. Nach dem wegen dieser letztgenannten gesundheitlichen Beeinträchtigung erholten neurochirurgischen Zusatzgutachten des Sachverständigen Dr. vom 04.10.2000, in dem neben neurologischen auch ausgeprägte psychische Defizite beim Kläger festgestellt werden, bescheinigte Prof. Dr. in seinem Ergänzungsgutachten vom 20.11.2000 dem Kläger eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit in Höhe von insgesamt 100 %.

Für den Senat bestehen an dieser Feststellung keine Zweifel, da sie auf eingehenden Untersuchungen des Klägers beruhen und nachvollziehbar sind. Die mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Befunde führen - wie vorstehend dargelegt - beim Kläger bereits zu einer Invalidität von 50 %. Darüber hinaus wurde durch Dr. beim Kläger computertomographisch und klinisch ein Hirnschaden mit psychischen Störungen nachgewiesen. Als psychische Störungen werden im neurochirurgischen Zusatzgutachten vom 04.10.2000 i.V.m. dem schriftlichen Gutachten von Dr. vom 25.01.1999 folgende Feststellungen getroffen:

Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, auffällige Merkfähigkeitsstörungen sowie deutliche Wortfindungsstörungen, eine deutliche Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses sowie ausgeprägte Affekt- und Antriebsstörungen sowie aggressive Tendenzen.

Die dem Kläger insgesamt bescheinigte 100 %ige Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit ist demzufolge realistisch und nachvollziehbar. Auch Dr. hat in seinem Rentengutachten vom 23.08.1996 diese neurologischen und psychischen Ausfälle festgestellt und den Kläger für voll erwerbsunfähig erachtet. Der Senat verkennt nicht, daß sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht unmittelbar auf die Entscheidung über die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit übertragen läßt. Die medizinische Beurteilung im Rentengutachten bestätigt jedoch im wesentlichen die Feststellungen von Prof. Dr..

Soweit dieser in seinem ersten schriftlichen Gutachten vom 25.01.1999 von einer "MdE" im "jetzigen Zeitpunkt" sprach, hat er diese Ungenauigkeit zwischenzeitlich korrigiert. In seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht und in seinem ergänzenden Gutachten vom 20.11.2000 bringt er nunmehr eindeutig zum Ausdruck, daß die festgestellte "dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit und ihres Grades sich innerhalb von drei Jahren vom Unfalltag an ergeben" hat und Folgen des 1994 erlittenen schwersten offenen Schädelhirntraumas mit einer ausgedehnten fronto-basalen Verletzung sind.

2. Die Einwendungen der Beklagten stehen dem Anspruch des Klägers auf Leistungen in Höhe von 100 % aus der für den Invaliditätsfall versicherten Summe nicht entgegen.

2.1. Die Beklagte kann sich nach Treu und Glauben nicht auf die nicht rechtzeitige Geltendmachung und nicht fristgerechte Invaliditätsfeststellung berufen.

Nach § 71 (1) 2 AUB 88 muß die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein.

Daß ein Dauerschaden beim Kläger innerhalb des 1. Jahres nach dem Unfall eingetreten ist, steht für den Senat auf Grund der umfangreichen und massiven Verletzung fest und ergibt sich im übrigen aus dem am 08.02.1995 erhobenen Befund im sog. ärztlichen Erstbericht.

Es ist weiter davon auszugehen, daß die ärztliche Feststellung sowie die Geltendmachung der Invalidität fristgerecht erfolgten.

Unter dem 09.03.1994 zeigte der Kläger den Unfallschaden vom 07.02.1994 an. In dieser Schadensanzeige beantwortete der behandelnde Arzt des Klinikums die Frage, ob wegen der Unfallfolgen mit einer dauernden Beeinträchtigung zu rechnen sei, damit, daß dies erst nach Abschluß der Behandlung beurteilt werden könne. Mit Schreiben vom 07.02.1995 forderte die Beklagte daraufhin vom Klinikum einen ärztlichen Erstbericht an. Unter dem Datum vom 20.02.1995 wurde der Klägerin daraufhin vom Klinikum mitgeteilt, daß eine Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit durch den Unfall zu 100 % vorliege, und zwar für die Zeit vom 07.02.1994 bis 03.02.1995. Die Frage, ob der Unfall Dauerfolgen hinterlassen habe, wurde mit ja beantwortet und als Begründung "Anosmie" angegeben. Die Beklagte rechnete daraufhin mit Schreiben vom 27.02.1995 mit dem Kläger das Krankenhaustagegeld und das Genesungsgeld ab; gleichzeitig wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß von der Beklagten ein Abschlußgutachten in Auftrag gegeben werde zur Klärung der Frage, ob ein Dauerschaden vorliege. Die beabsichtigte Erholung eines abschließenden Gutachtens zur Frage des Dauerschadens wiederholte die Beklagte dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 18.04.1995. Dieses Gutachten wurde schließlich durch das Klinikum am 20.03.1996 erstattet. Festgestellt wurde als dauernde Beeinträchtigung eine Geruchs- und Geschmacksstörung, Gefühlsstörung an der Stirn und Hypästhesie im Verlauf des 2. und 3. Trigeminusastes; die dauernde unfallbedingte Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Beklagten wurde auf 30 % bestimmt.

Der Kläger hat zwar nicht innerhalb der Frist von 1 Jahr und 3 Monaten, als bis zum 07.05.1995 einen Dauerschaden geltend gemacht. Der Beklagten war aber aufgrund des Erstberichtes des Klinikums vom 20.02.1995 bereits bekannt, daß eine Invalidität beim Kläger vorliegt. Dies zeigt auch ihre Anforderung eines Abschlußgutachtens beim zur Frage des Dauerschadens. Nachdem dieses Vorhaben dem Kläger aufgrund der Schreiben der Beklagten vom 27.02. und 18.04.1995 bekannt war, mußte er sich nicht veranlaßt sehen, seinerseits nochmals explizit einen Dauerschaden gegenüber der Beklagten geltend zu machen und ärztlich feststellen zu lassen. § 71 (1) 2 AUB 88 dient dazu, dem Versicherer rechtzeitig Kenntnis von der eingetretenen Invalidität und seiner Leistungspflicht zu verschaffen (BGH VersR 87, 1235). Da die Beklagte bereits aufgrund des Erstberichts des vom 20.02.1995 über das Vorliegen eines Dauerschadens informiert war und ihrerseits noch innerhalb der 15-Monats-Frist den Kläger darüber informierte, ein Gutachten zum Dauerschaden erholen zu wollen, war eine gesonderte Geltendmachung durch den Kläger nicht mehr erforderlich. Der Zweck der Ausschlußfrist des § 7 I (1) AUB 88 besteht darin, die Entschädigungspflicht des Versicherers wegen nicht erkennbarer Unfallspätfolgen zu begrenzen (BGH Versicherungsrecht, 78, 1036). Aufgrund ihres Kenntnisstandes war die Beklagte bereits vor Fristablauf in der Lage, den Umfang der dauernden Schädigung des Klägers klären zu lassen. Die Beklagte kann sich damit nicht auf die nicht rechtzeitige ärztliche Feststellung berufen, ohne gegen Treu und Glauben zu verstoßen (BGH VersR 78, 1036; OLG Saarbrücken, VersR 97, 956 ff.). Die Beklagte hat überdies aufgrund der von ihr erholten Gutachten dann - ohne sich auf die nicht rechtzeitige Geltendmachung und Fristsetzung zu berufen - Leistungen an den Kläger erbracht. Auch unter diesem Aspekt würde sie sich treuwidrig verhalten, wenn sie sich jetzt auf eine Versäumung der Frist des § 7 I. (1) 2 berufen würde.

Von einer rechtzeitigen Geltendmachung und ärztlichen Feststellung der Invalidität des Klägers ist demzufolge auszugehen.

2.2. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht beschränkt auf den im Gutachten des Klinikums vom 20.03.1996 festgestellten Grad der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Klägers (30 %). § 7 I AUB 88 verlangt die Geltendmachung der Invalidität, nicht die Geltendmachung eines bestimmten Anspruches (BGH VersR 87, 1235).

Bei der endgültigen Bemessung des Invaliditätsgrades ist derjenige Gesundheitszustand des Versicherten maßgebend, der am Ende der vom Unfalltag an laufenden dreijährigen Frist des § 11 Abs. 4 AUB 88 erkennbar ist (BGH VersR 88, 798; BGH VersR 2001, 1547). Innerhalb dieser Frist lag nach den - wie dargestellt - überzeugenden Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Klägers zu 100 % vor.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, ein Teil der in den gerichtlichen Gutachten festgestellten Gesundheitsstörungen seien sog. nicht erstattungsfähige Spätschäden, da sie nicht innerhalb der Frist des § 7 I AUB 88 festgestellt worden seien.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist angesichts dessen, daß die Beklagte für den Kläger die fristgerechte Feststellung des Umfangs der gesundheitlichen Beeinträchtigung übernommen hat, grundsätzlich davon auszugehen, daß die mit dem von der Beklagten erholten Gutachten des vom 20.03.1996 i.V.m. dem Ergänzungsgutachten vom 24.04.1996 attestierten Dauerschäden rechtzeitig festgestellt sind. Dieses Gutachten enthält (bereits alle) im Gutachten des Sachverständigen Dr. vom 25.01.1999 festgestellten Gesundheitsschäden.

Die Beklagte kann ferner nicht geltend machen, daß die Beeinträchtigungen, die nach Ansicht des Klägers eine Invalidität von 100 % begründen sollen, weder innerhalb der 15-Monatsfrist noch in den von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten festgestellt werden.

Wenn, wie dargelegt, der Geschädigte sich darauf verlassen kann, daß die Versicherung die fristgerechte Feststellung der Dauerschäden vornimmt, muß er auch davon ausgehen können, daß dies vollständig geschieht. Ist dies nach seinen Vorstellungen nicht der Fall, muß es ihm konsequenter Weise möglich sein, ergänzende Feststellungen zu veranlassen und gegenüber der Versicherung geltend zu machen. Dies hat der Kläger mit Schreiben seines anwaltlichen Vertreters vom 30.01.1997 unter Bezugnahme auf das Rentengutachten von Dr. vom 23.08.1996 getan.

Schließlich wäre eine Berufung der Beklagten darauf, daß nicht alle von Prof. Dr. festgestellten gesundheitlichen Störungen rechtzeitig geltend gemacht wurden, sondern dieser erst nachträglich entstandene Symptome bei seiner Bewertung des Invaliditätsgrades des Klägers berücksichtigt, aus einem weiteren Grunde treuwidrig. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 26.06.1997 an den Klägervertreter (Blatt 172 ff. d.A.) gerade unter Berücksichtigung des für die Bauberufsgenossenschaft erstellten neurochirurgischen Gutachtens, also des Rentengutachtens von Dr. sich bereit erklärt, weitergehende Invaliditätsleistungen an den Kläger zu erbringen.

2.3. Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Ausschlußtatbestand des § 2 IV AUB 88 berufen, wonach krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen nicht unter den Versicherungsschutz fallen.

Die beim Kläger festgestellten neurologischen und psychischen Defizite, wie u.a. Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, sind keine Fehlverarbeitung eines Geschehens - im Sinne einer Reaktion - nach einer unfallbedingten Gesundheitsbeschädigung (Grimm, Unfallversicherung, 3. Auflage, § 2 Rn 108). Der Kläger hat vielmehr dadurch, daß das Rad des Schubkarrens gegen seine Stirn geschleudert wurde, einen ausgedehnten Haut- und Knochendefekt im frontalen Hirnschädelbereich erlitten, wobei sich aus dieser Wunde auch Hirngewebe entleerte. Der Kläger hat also durch diesen Unfall unmittelbar - wie Prof. Dr. feststellt - einen Hirnschaden mit psychischen Störungen erlitten.

3. Die mit der Klageerweiterung vom 30.03.01 geltend gemachten Ansprüche sind auch nicht verjährt (§ 12 Abs. 3 VVG).

Zwar hat die zweijährige Verjährungsfrist - wie im Ersturteil dargestellt - möglicherweise bereits mit dem Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 06.05.1996 begonnen. Mit der Klageerhebung mit Schriftsatz vom 27.10.1997 wurde aber nicht nur hinsichtlich der konkret geltend gemachten Forderung die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG gewahrt, sondern auch für die weitergehenden Ansprüche. Grundsätzlich ist zwar eine Zahlungsklage nur bis zur Höhe der Klagesumme anspruchswahrend. Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG kann jedoch beispielsweise auch durch eine Teilklage für den gesamten Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers gewahrt werden. Das gilt nicht nur, wenn ein Versicherungsnehmer die eingeklagte Forderung ausdrücklich als Teilforderung bezeichnet hat, sondern auch, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, daß der Versicherungsnehmer eine Teilklage erheben wollte (BGH NVersZ 2001, 452). Auch wenn ein Versicherungsnehmer nur versehentlich einen Teil seines Anspruches geltend gemacht hat, jedoch erkennbar ist, daß er seinen gesamten Anspruch einklagen wolle, wirkt die mit Klageerhebung eintretende Unterbrechung der Verjährungsfrist auch in Bezug auf die nachfolgende Erweiterung dieser Klage (OLG Hamm, VersR 88, 458; Prölss/Martin, VVG, 26. Auflage, § 12 Rn 66).

Eine vergleichbare Fallgestaltung ist im vorliegenden Fall gegeben. Der Kläger wollte ersichtlich alle ihm zustehenden Ansprüche aus dem Unfall vom 07.02.1994 geltend machen. Er ging auf Grund seines damaligen Kenntnisstandes aber irrtümlich davon aus, lediglich zu 75 % in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt zu sein. Dieser Irrtum wurde jedoch durch die gerichtlich erholten Sachverständigengutachten aufgeklärt. Der Kläger war aus Gründen einer Verjährung somit nicht gehindert, seinen Anspruch zu erweitern. Dem Versicherer war auch von vorne herein klar, daß der Gesamtanspruch aus dem streitgegenständlichen Versicherungsfall zu erfüllen ist. Er konnte sich daher darauf einstellen, die volle Invaliditätsleistung erbringen zu müssen.

Die Situation ist vergleichbar mit einer Klage auf Schmerzensgeld. Auch hier ist eine Klageerweiterung möglich, wenn sich im Laufe des Verfahrens der zunächst eingeklagte Betrag als zu niedrig erweist. Der Umfang der Unterbrechung bestimmt sich nämlich nach dem Streitgegenstand (Palandt, BGB, 61. Auflage, § 209 Rn 13), also dem Lebenssachverhalt, ohne daß es bei derartigen unbezifferten Leistungsklagen auf den konkreten Antrag ankommt.

III.

Ausgehend von einer 100 %igen unfallbedingten Invalidität des Klägers ergibt sich somit für ihn aufgrund der vereinbarten Versicherungsbedingungen folgender Leistungsanspruch:

25 % aus einer Versich.summe von 105.000 DM = 26.250 DM 25 % aus einer Versich.summe von 315.000 DM = 78.750 DM 50 % aus einer Versich.summe von 525.000 DM = 262.500 DM insgesamt: 367.500 DM

Hierauf leistete die Beklagte -42.000 DM so daß sich die Restforderung des Klägers beläuft auf 325.500 DM

Über den dem Kläger vom Erstgericht zuerkannten Betrag in Höhe von 194.250 DM hinaus stehen dem Kläger noch 131.250 DM, also 67.107,06 EUR zu.

Zinsen: §§ 288, 291 a.F. BGB.

Für die Klageerweiterung können Zinsen erst ab Zustellung gewährt werden.

IV.

1. Kosten: §§ 91, 97 ZPO.

2. Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO n.F.).

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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