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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 23.06.2009
Aktenzeichen: 1 OLG Ausl 130/07
Rechtsgebiete: StPO, SDÜ
Vorschriften:
StPO § 154 Abs. 1 | |
SDÜ Art. 54 |
1 OLG Ausl 130/07
Nürnberg, den 23. Juni 2009
In der Auslieferungssache
gegen den bulgarischen Staatsangehörigen
wegen Auslieferung des Verfolgten in die Republik Italien
hier: Zulässigkeit der Auslieferung,
erlässt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg folgenden
Beschluss:
Tenor:
Die Auslieferung des Verfolgten A. S. aus der Bundesrepublik Deutschland nach Italien wegen der im Europäischen Haftbefehls des Gerichts in Bari vom 14.7.2007 (Az.: 20335/2000/21 DDA und Nr. 4093/02 RG GIP), ergänzt durch Schreiben des Gerichts in Bari vom 7.9.2007 (Az. Nr. 4093/02 R.G.GIP) bezeichneten Straftat wird für zulässig erklärt.
Gründe:
I.
Die italienischen Behörden begehren mit dem Europäischen Haftbefehl des Gericht in Bari vom 14.7.2007 (Az.: 20335/2000/21 DDA und Nr. 4093/02 RG GIP), ergänz durch Schreiben des Gerichts in Bari vom 7.9.2007 (Az. Nr. 4093/02 R.G.GIP), die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung.
Bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht S. vom 12.6.2008 hat sich der Verfolgte weder mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt, noch hat er auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet.
Nach dem Haftbefehl vom 14.7.2007 und der Ergänzung vom 7.9.2007 ist A. S. dringend verdächtig, als Mitglied einer mafiaartigen Vereinigung 6754,91 Gramm Heroin nach Italien eingeführt und das Rauschgift nachfolgend gemeinsam mit A. M. an G. P. verkauft zu haben. Zum Zwecke der Weitergabe an P. wurde das Heroin von S. und M. an P. D. ausgehändigt der am 20.4.2002 in Bari in Besitz des Rauschgiftes festgenommen wurde.
Dies ist nach italienischem Strafrecht strafbar als unerlaubte Einfuhr und Veräußerung von Betäubungsmitteln in großer Menge gemäß Art. 110 italienisches StGB, Art. 73 Abs. 1 und 80 Abs. 2 des Dekrets des Präsidenten der Republik Italien vom 9.10.1990. Unabhängig davon, dass es sich um Katalogtaten nach Art. 2 Abs. 2 des RbEuHB handelt, sind die Taten sowohl nach italienischem als auch nach deutschem Recht strafbar und mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht.
Mit Urteil des Landgerichts München I vom 5.4.2006 war der Verfolgte wegen unerlaubten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 selbständigen Fällen, davon in 10 Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt worden, die er derzeit in der Justizvollzugsanstalt in S. verbüßt. Dieser Verurteilung lagen Herointransporte am 2.12.2000 sowie in den Jahren 2003 und 2004 von Bulgarien nach Belgien, in die Niederlande und nach Spanien zu Grunde, wobei der Verfolgte zur Durchführung des Strafverfahrens von Mazedonien nach Deutschland ausgeliefert worden war. Die Staatsanwaltschaft München I hatte insoweit von einer Verfolgung der Tat, die Gegenstand des Europäischen Haftbefehls vom 14.7.2007 ist, gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen.
Mit Schreiben vom 3.3.2009 stimmten die mazedonischen Behörden einer Weiterlieferung des Verfolgten nach Italien zu.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Schreiben vom 28.4.2009 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland nach Italien wegen der im Europäischen Haftbefehls des Gerichts in Bari vom 14.7.2007 (Az.: 20335/2000/21 DDA und Nr. 4093/02 RG GIP), ergänzt durch Schreiben des Gerichts in Bari vom 7.9.2007 (Az. Nr. 4093/02 R.G.GIP) bezeichneten Straftat für zulässig zu erklären. Mit Bescheid vom selben Tag hat die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend zu machen.
Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 28.4.2009 und ihr Bescheid vom selben Tag wurden dem Beistand des Verfolgten zur Kenntnis gebracht. Dieser hat mit Schriftsatz vom 17.5.2009 beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, hilfsweise die Sache vor einer abschließenden Entscheidung nach Art. 35, 46 lit b) EU i.V.m. § 1 EuGHG dem Europäischen Gerichtshof zur Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 45, 55 SDÜ vorzulegen, hilfsweise den Bewilligungsbescheid der Generalstaatsanwaltschaft vom 28.4.2009 aufzuheben und die Generalstaatsanwaltschaft zu verpflichten, den Betroffenen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu bescheiden. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Verfolgte wegen der Tat vom 20.4.2002 durch das Urteil des Landgerichts München I vom 5.4.2006 bereits rechtskräftig im Sinne des Art. 54 SDÜ und § 83 Nr. 1 IRG abgeurteilt worden, jedenfalls aber mit der Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO Strafklageverbrauch eingetreten sei. Unabhängig davon habe die Genera (Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft keine Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf den Schriftsatz vom 17.5.2009 Bezug genommen.
II.
Für die nach §§ 17, 29 ff. IRG zu treffende Entscheidung ist der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg sachlich und örtlich zuständig (§§ 13,14 IRG).
Die Auslieferung richtet sich nach dem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Gemeinschaft über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (RbEuHB) vom 13.06.2002 und dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) nach Maßgabe des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 20.07.2006. Danach ist die Auslieferung vorliegend zulässig.
1. Die italienischen Behörden haben einen Europäischen Haftbefehl übermittelt, welcher in Verbindung mit der Ergänzung vom 7.9.2007 die nach § 83 a IRG erforderlichen Angaben enthält. Die beiderseitige Strafbarkeit ist gegeben. Die angedrohte Höchststrafe für die Betäubungsmittelstraftat liegt deutlich über den mindestens erforderlichen zwölf Monaten (§ 81 Nr. 1, § 3 IRG).
2. Es besteht auch kein Auslieferungshindernis gemäß Art, 54 SDU, § 83 Nr. 1 IRG, da weder durch das Urteil des Landgerichts München I vom 5.4.2006, noch durch die Einstellung der Staatsanwaltschaft München I gemäß § 154 Abs. 1 StPO ein Strafklageverbrauch hinsichtlich der durch die Republik Italien verfolgten Tat eingetreten ist.
a) Der Europäische Gerichtshof hat mit Beschluss vom 22.12.2008 (NStZ-RR 2009, 109) erneut darauf hingewiesen, dass eine rechtskräftige Verurteilung im Sinne des Doppelverbotes der Bestrafung gemäß Art. 54 SDÜ voraussetzt, dass die Strafklage auf Grund eines Strafverfahrens endgültig verbraucht ist. Er hat sodann ergänzend klar gestellt, dass bei der Beurteilung, ob eine Entscheidung im Sinne von Art. 54 SDÜ "rechtskräftig" ist, zunächst zu prüfen ist, ob das nationale Recht des Vertragsstaats, dessen Behörden die fragliche Entscheidung erlassen haben, diese als endgültig und bindend ansehen. Denn eine "Entscheidung, die nach dem Recht des ersten Vertragsstaats, der die Strafverfolgung gegen einen Betr. einleitet, die Strafklage auf nationaler Ebene nicht endgültig verbraucht, kann nämlich grundsätzlich nicht als ein Verfahrenshindernis hinsichtlich der etwaigen Einleitung oder Fortführung der Strafverfolgung wegen der derselben Tat gegen diesen Betr. in einem anderen Vertragsstaat angesehen werden" (EuGH a.a.O.).
b) Nach alledem ist zunächst festzuhalten, dass das Urteil des Landgerichts München I vom 5.4.2006 auch unter Zugrundelegung des europarechtlich auszulegenden Tatbegriffs des Art. 54 SDÜ (vgl. BGH NJW 2008, 2931) zu keinem Strafklageverbrauch hinsichtlich der Tat vom 20.4.2002 geführt hat.
Diesem Urteil lagen entsprechend der Anklage nämlich nur Herointransporte am 2.12.2000 sowie in den Jahren 2003 und 2004 von Bulgarien nach Belgien, in die Niederlande und nach Spanien zu Grunde und gerade nicht ein Herointransport im April 2002 nach Italien. Allein die bandenmäßig organisierte, langfristig angelegte Vorgehensweise führt vorliegend indes nicht dazu, dass sämtliche von der Bande begangenen Straftaten auf der Grundlage "eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen" (vgl. BGH a.a.O. m.w.N.) zu bewerten wäre, wie dies etwa bei der von vorneherein geplanten Ausfuhr und Einfuhr derselben Betäubungsmittel in verschiedenen Vertragsstaaten in einem engen zeitlichen Zusammenhang der Fall ist (vgl. EuGH EuGRZ 2006, 572). Vorliegend ist weder eine Identität der bei der Tat am 20.4.2002 veräußerten Betäubungsmittel mit solcher der Taten erkennbar, die Gegenstand der Verurteilung vom 5.4.2006 waren, noch ist von einem entsprechenden zeitlichen Zusammenhang auszugehen.
c) Aber auch die vorläufige Einstellung des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der Tat vom 5.4.2006 durch die Staatsanwaltschaft München I gemäß § 154 Abs. 1 StPO hat nach deutschem Recht zu keinem endgültigen Strafklageverbrauch geführt. Bei einer vorläufigen Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO kann das Verfahren - im Gegensatz zu den die Möglichkeit der Wiederaufnahme einschränkenden Tatbeständen des § 154 Abs. 3 und 4 StPO - nämlich jederzeit wieder aufgenommen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 20 m.w.N.) und zwar sogar dann, wenn die Staatsanwaltschaft zuvor dem Beschuldigten eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 StPO ausdrücklich zugesagt hatte (vgl. BGH NStZ 1990, 399). Die Einstellung hinsichtlich einzelner Taten durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO verbraucht die Strafklage daher nicht und führt entsprechend auch nicht zu einem Verfolgungshindernis gemäß Art. 54 SDÜ (vgl. auch Rübenstahl/Bastian ELR 2009, 71). Im Hinblick auf die bereits zu dieser Problematik ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.12.2008 bestand deshalb auch keine Veranlassung für die hilfsweise beantragte Vorlage nach Art. 35, 46 lit b) EU i.V.m. § 1 EuGHG.
3. Auch Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG sind nicht gegeben. Die Generalstaatsanwaltschaft beabsichtigt nicht, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Diese Entscheidung, die der Überprüfung durch das Oberlandesgericht unterliegt (§ 79 Abs. 2 S. 3 IRG) entspricht der Rechtslage. Etwas anderes hätte in diesem Zusammenhang allenfalls dann gegolten, wenn dem Verfolgten seitens der Staatsanwaltschaft München I ausdrücklich eine Verfahrenseinstellung hinsichtlich der Tat vom 20.4.2002 zugesichert und damit ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre. Trotz entsprechenden Vorbringens des Pflichtbeistandes des Verfolgten ergeben sich aus den Akten des Verfahrens 361 Js 41016/04 hierfür keine Hinweise und auch die zuständige Referentin der Staatsanwaltschaft München I hat auf Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg eine entsprechende Zusicherung ausdrücklich ausgeschlossen.
Ende der Entscheidung
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