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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 23.01.2001
Aktenzeichen: 1 U 2428/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 459 ff.
BGB §§ 459 ff.; c i c - Hinweispflicht des Verkäufers auf unsichere Rechtslage bzgl. der Verwendungsmöglichkeiten des Kaufgegenstandes

1. Der Verkäufer eines als Krankenfahrstuhl zugelassenen Kleinstkraftfahrzeuges hat den Käufer auf die Rechtsmeinung der zuständigen Verwaltungsbehörde hinzuweisen, nach der dieses Fahrzeug nicht fahrerlaubnisfrei gefahren werden darf. Unterläßt der Verkäufer diesen Hinweis, kann der Käufer aus den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluß die Rückabwicklung des Vertrages verlangen, wenn er den Vertrag bei Kenntnis der umstrittenen Rechtslage und der daraus resultierenden Probleme nicht gekauft hätte.

2. Wird der Käufer durch haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluß eines Vertrages veranlaßt, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann der Vermögensschaden darin liegen, daß die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

1 U 2428/00 13 O 252/00 LG Amberg

Verkündet am 23. Januar 2001

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In Sachen

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Amberg vom 30. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Wert der Beschwer für die Beklagte beträgt 22.321,50 DM.

Beschluß:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.321,50 DM festgesetzt.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht der Klägerin den, eingeklagten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 14.7.1999 zuerkannt, da die Klägerin die Rückgängigmachung des Kaufvertrages unter dem Gesichtspunkt der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss verlangen kann.

1. Die Schadensersatzhaftung nach den Grundsätzen über die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss ist nicht durch die Gewährleistungshaftung nach Kaufrecht gemäß §§ 459 ff BGB ausgeschlossen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann die fahrlässige oder vorsätzliche Verletzung von Aufklärungspflichten im Vorfeld des Vertragsabschlusses die Verpflichtung des Verkäufers zur Rückabwicklung des Kaufvertrages begründen (BGH NJW 1962, 1196; 1985, 1771; 1993, 2107; 1998, 302).

Der Senat lässt es dahinstehen, ob die Klägerin die Wandlung des Kaufvertrages nach §§ 459, 462, 467 BGB verlangen kann. Die Frage, ob der verkaufte Kleinstwagen fehlerbehaftet ist, weil er nicht fahrerlaubnisfrei gefahren werden darf, ob also die Fahrerlaubnisfreiheit eine Eigenschaft im Sinne des Gewährleistungsrechts ist und vor allem, ob der verkauften Sache diese Eigenschaft fehlt, kann offen bleiben.

Der Senat sieht den Anknüpfungspunkt für das schuldhafte Verhalten der Beklagten bzw. ihrer Erfüllungsgehilfen nicht in der Zusicherung der Führerscheinfreiheit des verkauften Fahrzeugs (Schreiben vom 28.10.1999; Anlage K 2). Der Ausgangspunkt für die Haftung der Beklagten wurzelt nicht in einem möglicherweise Gewährleistungsansprüche auslösenden Mangel, sondern in dem unterlassenen Hinweis der Klägerin vor Abschluss des Kaufvertrages, dass die Frage der Fahrerlaubnisfreiheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Bayern umstritten ist. Die erhebliche Tatsache, auf die die Beklagte hätte hinweisen müssen, liegt in der Rechtsmeinung des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren, das die Ansicht vertritt, dass die Fahrzeuge des genannten Typs nicht fahrerlaubnisfrei gefahren werden dürften. Entsprechend hat das Landratsamt der Klägerin mitteilen lassen, dass das Fahrzeug nicht als Krankenfahrstuhl eingestuft werde, sondern als führerscheinpflichtiges Kleinstautomobil. Aus dieser Rechtsauffassung, die Gegenstand verschiedener verwaltungsgerichtlicher Verfahren ist bzw. war, ergibt sich eine Rechtsunsicherheit, die unabhängig von der Frage ist, ob das gekaufte Fahrzeug zu Recht oder zu Unrecht als fahrerlaubnisfrei einzustufen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist von den Fachgerichten zu beurteilen und kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben.

2. Die Beklagte hat ihre Sorgfaltspflichten bei Aufnahme der Vertragsverhandlungen verletzt. Der Verkäufer oder die Person, deren er sich zur Erfüllung seiner vorvertraglichen Pflichten bedient, muss nicht nur richtige Angaben machen, sondern muss auch auf Umstände hinweisen, die für den Kaufentschluss des anderen Teils erkennbar von Bedeutung sein können. Diese Handlungspflicht ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass bereits während der Anbahnung von Vertragsverhandlungen jede Partei sich so verhalten muss, dass die andere Partei nicht in ihren Rechtsgütern beeinträchtigt wird. Das Unterlassen dieser Pflicht kann Ersatzansprüche begründen.

Die Beklagte hätte die Klägerin auf die in Bayern bestehende ungewisse Rechtslage hinsichtlich der Fahrerlaubnisfreiheit hinweisen müssen. Die Aufklärung über diese Tatsache oblag der Beklagten, da es sich um Umstände handelte, über die sie Kenntnis hatte und die in ihren Verantwortungsbereich fielen. Der Geschäftsführer der Beklagten hat ausdrücklich bestätigt, dass die Probleme mit der teilweise vertretenen Auffassung der baurechtlichen Einstufung bekannt gewesen seien. Dass diese Problematik für die Käuferin von wesentlicher Bedeutung sein konnte, lag auf der Hand. Die Beklagte handelte schuldhaft, da ihr Vertreter zumindest fahrlässig handelte.

3. Die fehlende Aufklärung über die Risiken beim Kauf des Kleinstwagens waren für den Kaufentschluss der Klägerin ursächlich. Sie hat in der Sitzung vom 19.12.2000 ausdrücklich erklärt, dass sie den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn der Vertreter der Beklagten ihr gesagt hätte, dass die Führerscheinfreiheit nicht unumstritten ist. Hätte sie gewußt, dass das Bayerische Staatsministerium anderer Meinung sei, hätte sie das Fahrzeug nicht gekauft. Dies zu widerlegen, wäre Aufgabe der Beklagten, die diese Erklärung lediglich mit Nichtwissen bestritten hat.

4. Durch die schuldhafte Pflichtverletzung ist der Klägerin auch ein Vermögensschaden entstanden. Der Senat lässt es offen, ob in allen Fällen der Rückabwicklung eines Vertrages über die Grundsätze der cic ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sein muss (vgl. die umfassenden Nachweise in BGH NJW 1998, 304 rechte Spalte). Im vorliegenden Fall ist der Klägerin ein solcher Schaden jedenfalls entstanden. Unstreitig ist das verkaufte Fahrzeug seinen Preis wert. Der Schaden liegt hier aber in einem subjektiven Schadenseinschlag. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit zur strafrechtlichen Bewertung solcher Konstellationen im Rahmen des Betrugstatbestandes (BGH NJW 1998, 302, 304). Der BGH fordert im Fall eines subjektiv gefärbten Schadens allerdings zusätzlich, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiver willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.

So liegt der Fall hier: Die Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeuges ist ein Vermögenswert. Das Fahrzeug ist gerade für die Klägerin auch unter Anlegung des Maßstabes eines Durchschnittskäufers so lange nicht brauchbar, als die bayerischen Behörden an ihrer Rechtsmeinung festhalten. Denn aus der Sicht eines Käufers ist es niemandem zuzumuten ein Fahrzeug zu benutzen, wenn er sich dadurch der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. Unabhängig davon, ob die Rechtsansicht des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren richtig ist oder nicht, wird die dem Ministerium nachgeordnete Polizeibehörde Fahren mit den genannten Fahrzeugen als fahrlässiges oder - wenn wie im vorliegenden Fall die Fahrzeugführerin ausdrücklich auf die Ansicht der Behörde hingewiesen worden war - als vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 I oder II StVG verfolgen. Kein Käufer muss sich strafrechtlicher Verfolgung aussetzen, damit in dem nachfolgenden Strafverfahren eventuell geklärt wird, ob ein fahrerlaubnispflichtiges Fahren vorlag oder nicht. Die strafrechtliche Beurteilung erfolgt im übrigen nur für die angeklagte prozessuale Tat im Sinne von § 264 StPO. Fährt die Klägerin danach wieder, könnte die Staatsanwaltschaft die neue Fahrt erneut anklagen und es käme zu einem weiteren Strafverfahren. Dazu kommt, dass für die Öffentlich-rechtliche Beurteilung im Verwaltungsrechtsstreit das Strafurteil ohne bindende Wirkung ist.

5. Als Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs kann die Klägerin die Rückabwicklung des Vertrages verlangen. Die Beklagte hat der Klägerin den unstreitigen Kaufpreis zuzüglich der Transportkosten in Höhe von insgesamt 21.321,50 DM Zug um Zug gegen Rückübertragung des Sonderkraftfahrzeugs, weiß, Seriennummer zu zahlen. Der Feststellungsantrag ist aus den Gründen des Ersturteils begründet.

Die Revision wird mangels grundsätzlicher Bedeutung der Sache nicht zugelassen, da der Senat die umstrittene Frage der Notwendigkeit einer Fahrerlaubnis für das streitgegenständliche Fahrzeug offengelassen hat. Das Verhältnis des Gewährleistungsrechts zu Ansprüchen wegen Verschuldens bei Vertragsschluß ist obergerichtlich bereits geklärt.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO, diejenige über die sonstigen Nebenentscheidungen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 II ZPO.

Ende der Entscheidung

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