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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 30.06.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 313/09
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 112 | |
StPO § 116 | |
StGB § 57 Abs. 1 |
1 Ws 313/09
Nürnberg, den 30. Juni 2009
In dem Strafverfahren
wegen Steuerhinterziehung u.a.,
hier: erneute Haftbeschwerde des Angeklagten
erlässt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden
Beschluss:
Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten ... wird unter Abänderung des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.5.2009 der Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 12.6.2008, abgeändert durch den Beschluss des Oberlandegerichts Nürnberg vom 28.1.2009, unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:
a) der Angeklagte hat Wohnung zu nehmen im Anwesen ..., ..., ... und jeden Wohnsitzwechsel der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zu dem Aktenzeichen 501 Js 1777/08 mitzuteilen;
b) der Angeklagte hat sich zweimal wöchentlich - und zwar am Dienstag und Freitag - bei der Polizeiinspektion ... , ..., ... , persönlich zu melden;
c) er darf Deutschland nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth verlassen.
Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
2. Die Belehrung über die Folgen eines Auflagenverstoßes nach § 116 Abs. 4 StPO wird der Justizvollzugsanstalt ... übertragen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt, und die dem Beschwerdeführer in diesem Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden zur Hälfte der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ... befindet sich in dieser Sache aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.1.2007, nachfolgend ersetzt durch die Haftbefehle des Amtsgerichts Nürnberg vom 4.9.2007 und 12.6.2008, abgeändert durch den Senatsbeschluss vom 28.1.2009, seit 14.2.2007 ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Die 3. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat den Angeklagten mit Urteil vom 24.11.2008 wegen Beihilfe zur Untreue in vier hierzu tateinheitlich begangenen Fällen, Beihilfe zur Hinterziehung von Umsatzsteuer in 13 Fällen, Beihilfe zur Hinterziehung von Gewerbesteuer in drei Fällen, Beihilfe zur Hinterziehung von Körperschaftssteuer in drei Fällen, Beihilfe zur Hinterziehung von Körperschaftssteuer mit Hinterziehung des Solidaritätszuschlags und mit Hinterziehung der Gewerbesteuer sowie der Hinterziehung von Einkommensteuer in fünf Fällen, jeweils mit Hinterziehung des Solidaritätszuschlages, von Gewerbesteuer und von Umsatzsteuer zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; hinsichtlich des Vorwurfs der Umsatzsteuerhinterziehung 2005 und der versuchten Hinterziehung von Einkommensteuer mit Solidaritätszuschlag und versuchter Hinterziehung von Gewerbesteuer wurde der Angeklagte freigesprochen. Zugleich hat das Landgericht mit Beschluss vom selben Tage Haftfortdauer angeordnet. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.11.2008 ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidiger des Angeklagten haben mit Schriftsätzen vom 25. und 26.11.2008 gegen dieses Urteil fristgerecht Revision eingelegt. Die von der Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 26.11.2008 eingelegte Revision wurde zwischenzeitlich zurückgenommen.
Die mit Schriftsätzen seiner Verteidiger vom 4.12.2008 gegen den Haftfortdauerbeschluss vom 24.11.2008 eingelegte Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 28.1.2009 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 12.6.2008 in dem Umfang aufgehoben wurde, als der Angeklagte freigesprochen wurde.
Mit Schriftsätzen vom 5.5.2009 und 6.5.2009 beantragten die Verteidiger des Angeklagten die Durchführung eines mündlichen Haftprüfungstermins, der am 18.5.2009 stattfand. Mit Beschluss vom 18.5.2009 hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth angeordnet, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 12.6.2008 in der durch Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28.1.2009 abgeänderten Form aufrecht erhalten bleibt.
Gegen diesen Beschluss haben die Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsätzen vom 27.5.2009 und 28.5.2009 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise gegen angemessene Auflagen außer Vollzug zu setzen. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Beschluss vom 8.6.2009 der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Haftbeschwerde des Angeklagten (§ 304 StPO) hat in der Sache insoweit Erfolg als sie zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls des Amtsgerichts Nürnberg vom 12.6.2008 in der durch Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28.1.2009 abgeänderten Form - unter dem im Beschlusstenor erteilten Auflagen - führt. Die weitergehende Beschwerde ist nicht begründet.
1. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft liegen weiterhin vor.
a) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Gründen des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.11.2008.
b) Es ist ferner aus den weiterhin tragenden Gründen der Senatsentscheidung vom 28.1.2009 Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben, wenn auch insoweit eine Veränderung eingetreten ist, als bei unterstellter Rechtskraft des Urteils vom 24.11.2008 und einer als hinreichend wahrscheinlich zu erwartenden Strafaussetzung gemäß § 57 Abs. 1 StGB zum 13.2.2010 nunmehr nur noch eine Vollzugsdauer von rund sieben Monaten und zwei Wochen zu berücksichtigen ist.
2. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist aus den im Senatsbeschluss vom 28.1.2009 dargelegten Erwägungen weiterhin gewahrt. Der Senat hat insoweit allerdings unter Bezugnahme auf die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (StV 2008, 421) bereits darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich nicht nur ungerechtfertigt ist, einen Verurteilten bis zum Zeitpunkt der Vollverbüßung der ausgesprochenen Strafe in Untersuchungshaft zu halten, sondern dass im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Untersuchungsgefangenen und dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung auch der Resozialisierungszweck der Strafhaft zu beachten ist. Denn wird die verhängte Freiheitsstrafe durch Anrechnung der Untersuchungshaft zum überwiegenden Teil oder gar vollständig verbüßt, so können die im Rahmen des Vollzugs der Strafhaft möglichen Maßnahmen zur Resozialisierung, auf die ein verfassungsrechtlicher Anspruch des Betroffenen besteht (vgl. BVerfGE 45, 187 [239]), nur in geringem Ausmaß oder überhaupt keine Wirkung entfalten (BVerfG StV 2008, 421). Die Beachtung dieses Abwägungsbelanges führt aber regelmäßig dazu, dass der Vollzug der Untersuchungshaft jedenfalls dann beendet und der noch bestehenden Fluchtgefahr durch zwangsläufig andere, mildere Mittel begegnet werden muss, wenn anderenfalls der für die Resozialisierungsbemühungen erforderliche Zeitraum durch die Untersuchungshaft verbraucht würde (so schon OLG Bamberg StV 1989, 486).
Der Senat ist bei seiner Entscheidung vom 28.1.2009 davon ausgegangen, dass bis in sechs Monaten - also bis Juli 2009 - eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die eingelegten Revisionen ergehen dürfte und bei einer Bestätigung des angefochtenen Urteils auch im Hinblick auf den in Betracht kommenden Entlassungszeitpunkt 13.2.2010 der Resozialisierungszweck der Strafhaft nicht in Frage gestellt sei. Diese Einschätzung kann indes nicht aufrecht erhalten werden. Nach der vom Senat beim Generalbundesanwalt erholten Auskunft ist nämlich davon auszugehen, dass die Revisionsvorlage an den Bundesgerichtshof erst etwa Mitte Juli 2009 erfolgen dürfte, weshalb mit einer Revisionsentscheidung frühestens ab September 2009 zu rechnen ist. Darüber hinaus hat die vom Senat bei der Justizvollzugsanstalt ... erholte Stellungnahme ergeben, dass beim Angeklagten bei unterstellter Rechtskraft unter Berücksichtigung der erstmaligen Inhaftierung und seiner vorbildlichen Führung schon längst Vollzugslockerungen bzw. Urlaub gewährt und damit mit der Entlassungsvorbereitung begonnen worden wäre.
Bei dieser Sachlage war der Haftbefehl nunmehr unter den aus dem Tenor ersichtlichen Auflagen außer Vollzug zu setzen (§ 116 Abs. 1 StPO). Dabei hat sich der Senat maßgeblich auch von der Überlegung leiten lassen, dass die nach wie vor bestehende Fluchtgefahr durch den seit der letzten Senatsentscheidung verstrichenen Zeitraum nunmehr als deutlich geringer bewertet werden muss. Hierbei ist zu sehen, dass der Angeklagte - wie bereits ausgeführt - bei Erfolglosigkeit seiner Revision unter Berücksichtigung der Reststrafenaussetzung zur Bewährung eine Vollzugsdauer von etwa sieben Monate und zwei Wochen zu erwarten hat. Demgegenüber würde er bei einer etwaigen Flucht in Kauf zu nehmen haben, dass die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nicht erfolgt und er daher - bezogen auf den Zeitpunkt dieser Entscheidung - noch eine Freiheitsstrafe von etwa 25 Monaten verbüßen müsste. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann der noch bestehenden Fluchtgefahr durch die erteilten Auflagen hinreichend begegnet werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO.
Ende der Entscheidung
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