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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 20.02.2008
Aktenzeichen: 4 U 1780/07
Rechtsgebiete: StrEG
Vorschriften:
StrEG § 10 Abs. 1 Satz 2 | |
StrEG § 13 Abs. 1 Satz 2 |
2. Das für eine Klage nach § 13 StrEG erforderliche Rechtsschutzbedürfnis setzt nicht voraus, dass bereits bei Klageerhebung eine ablehnende Entscheidung im Verwaltungsverfahren vorliegt; es reicht aus, wenn diese vor der letzten mündlichen Verhandlung ergangen ist.
3. Belege (hier; Verdienstbescheinigungen), die vom Antragsteller erst nach Ablauf der Frist des § 10 Abs. 1 S. 2 StrEG vorgelegt werden, können dann noch Berücksichtigung finden, wenn die Vorlage deswegen unterlassen wurde, weil der Antragsteller eine Aufforderung der Staatsanwaltschaft im Entschädigungsverfahren erkennbar falsch interpretiert hat.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL
Verkündet am 20.02.2008
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung.
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 4. Zivilsenat - durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kammerer, Richterin am Oberlandesgericht Reitzenstein und Richter am Oberlandesgericht Bartsch auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 09.01.2008 folgendes
Endurteil:
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31.07.2007 aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.248,- EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 29.05.2007 zu zahlen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.248,- EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt vom Beklagten Ersatz für Verdienstausfall, der ihm durch erlittene strafprozessuale Maßnahmen entstanden sei.
Im Zuge eines gegen den Kläger gerichteten Strafverfahrens wegen des Verdachts des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde ihm in der Zeit vom 3.8.2005 bis 6.10.2005 die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen und sein Führerschein sichergestellt. Nachdem er am 2.3.2006 von diesem Vorwurf freigesprochen worden war, machte er durch seinen früheren Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 7.03.2006 (Anlage K 3) gegenüber dem Amtsgericht Regensburg Entschädigungsansprüche geltend. Er bezifferte seinen Verdienstausfall mit 4.342,40 EUR für 46 Arbeitstage, worin "Überstunden und Spesen" nicht enthalten seien und beanspruchte für Fahrtkosten zu verschiedenen Terminen weitere 188.80 EUR. Am 15.05.2006 erließ das Amtsgericht Regensburg eine Grundentscheidung nach § 8 StrEG. Auf eine Aufforderung der StA Regensburg vom 29.8.2006. Belege zum Nachweis der Ansprüche vorzulegen, antwortete der Kläger am 22.10.2006 (Anlagen K7, K8).
Noch vor Ablehnung des Entschädigungsantrags durch die Generalstaatsanwaltschaft am 08.12.2006, dem Kläger zugestellt am 13.12.2006, reichte dieser am 15.11.2006 persönlich Klage zum Amtsgericht Regensburg ein und nahm dabei auf seine Berechnung aus dem Schriftsatz vom 7.3.2006 Bezug. Nach mehreren Hinweisen zur Parteibezeichnung hat das Amtsgericht Regensburg die Klage am 22.2.2007 an den Beklagten zugestellt und den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 16.03.2007 an das Landgericht Nürnberg-Fürth verwiesen. Dieses hat den Kläger am 29.03.2007 unter Fristsetzung aufgefordert, Klage durch einen zugelassenen Rechtsanwalt zu erheben und daneben auf Bedenken zur Schlüssigkeit hingewiesen. Am 21.5.2007 ging ein Schriftsatz des Klägers - nunmehr vertreten von einem Anwalt - ein. in welchem er nur noch Verdienstausfall für 45 Arbeitstage, aber keinen Ersatz für Fahrtkosten mehr geltend machte, seine Forderungen jedoch um Nacht- und Feiertagszuschläge erweiterte.
Er hat beantragt:
"Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.248,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen."
Mit Urteil vom 31.7.2007, auf dessen Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil die dreimonatige Ausschlussfrist des § 13 StrEG nicht eingehalten sei.
Der Kläger verfolgt seinen Zahlungsanspruch mit der Berufung weiter. Er meint, die Fristüberschreitung habe er nicht zu verantworten, da sie durch die zum Teil unrichtigen Hinweise des Amtsgerichts Regensburg mit verursacht worden sei. Auf die Verpflichtung, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, hätte er nach § 139 ZPO hingewiesen werden müssen. Dies habe das Amtsgericht unterlassen. Die Klageerhebung zum Amtsgericht habe im Übrigen Frist wahrende Wirkung entfaltet.
Der Kläger beantragt:
1. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31.7.07 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.248,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und verweist darauf, dass die Klage zum Amtsgericht Regensburg zum Zeitpunkt ihrer Erhebung unzulässig gewesen sei, da das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Mit der ablehnenden Entscheidung durch den Generalstaatsanwalt sei der Kläger auf die Ausschlussfrist des § 13 StrEG hingewiesen worden; auch die Möglichkeit, wie und bei welchem Gericht er dagegen vorgehen könne, habe er mitgeteilt bekommen. Erst mit Eingang des Anwaltsschriftsatzes vom 21.05.2007 beim Landgericht hätte eine wirksame Klageerhebung vorgelegen; zu diesem Zeitpunkt war die Ausschlussfrist des § 13 Abs. 1 S. 2 StrEG jedoch bereits abgelaufen. Der Kläger habe ohnehin im Justizverwaltungsverfahren seine Ansprüche nicht substantiiert dargelegt und mache nunmehr weitere Positionen geltend. Ein "Nachschieben" sei unzulässig. Im Übrigen würden die geltend gemachten Ansprüche - wie bereits erstinstanzlich geschehen - der Höhe nach bestritten.
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Zur Ergänzung des Sachstandes wird im Übrigen auf die Schriftsätze der Parteien und die zu den Akten gegebenen Anlagen Bezug genommen.
II.
Auf die Berufung war das angefochtene Endurteil aufzuheben. Dem Kläger steht ein Ersatzanspruch in Höhe von 5.248,- EUR gemäß § 7 Abs. 1 StrEG, § 252 BGB zu.
1.
Der Kläger hat seinen Anspruch innerhalb der Frist des § 13 Abs. 1 StrEG durch die Erhebung seiner Klage zum Amtsgericht Regensburg gerichtlich geltend gemacht.
a) Eine Ausschlussfrist wird auch durch eine vor Fristablauf bei einem unzuständigen Gericht erhobene Klage gewahrt, wenn anschließend - auf Antrag des Klägers - die Verweisung an das zuständige Gericht erfolgt (vgl. BGHZ 34, 230; BGHZ 97, 155; Meyer, Kommentar zum StrEG, 6. Auflage, § 13 Rn 9). Maßgeblich ist somit, ob bis zum 13.3.2007 eine wirksame Klage bei Gericht eingegangen ist. Dies ist durch die Klageerhebung zum AG Regensburg rechtzeitig geschehen.
Der Sachverhalt unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von demjenigen, welcher der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag, die das Erstgericht zur Begründung seiner Auffassung zitiert (BGH NJW 90, 3086). In jenem Fall hatte ein nicht postulationsfähiger Anwalt Klage erhoben; es lag somit keine wirksame Prozesshandlung vor. Anders ist es, wenn - wie hier - die Klage von einer unvertretenen Partei zum Amtsgericht erhoben wird, wo kein Anwaltszwang besteht, sodass der Kläger in eigener Person eine wirksame Klage erheben konnte.
Ein "schlechthin wirkungsloser Versuch, Recht zu nehmen", liegt somit nicht vor, da auf dem Wege der Verweisung nach § 281 ZPO der Zuständigkeitsmangel im gleichen Verfahren behoben werden kann (vgl. BGH NJW 61, 2259)
b) Der Hinweis des Beklagten, dass zum Zeitpunkt der Klageeinreichung noch keine Entscheidung im Verwaltungsverfahren ergangen ist, ist nicht entscheidungserheblich.
§ 13 StrEG setzt eine fristgerechte Klageerhebung voraus; diese erfolgt in zwei Akten und ist erst mit der Zustellung abgeschlossen (vgl. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 253 Rn 3). Eine wirksame Zustellung der Klage an den Beklagten fand jedoch erst nach Berichtigung des Passivrubrums am 22.2.2007 statt. Zu diesem Zeitpunkt war die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg bereits ergangen.
Zudem ist es ausreichend, wenn die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen, zu denen auch das Rechtsschutzbedürfnis zählt, zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vorliegen (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., vor § 253 Rn 9). Auch dies ist hier der Fall.
2.
Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachte Anspruch in voller Höhe zu.
a) Der Senat hat im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens den geltend gemachten Anspruch eigenständig zu prüfen. Eine Bindung an getroffene Feststellungen der Generalstaatsanwaltschaft als zuständiger Justizverwaltungsbehörde oder deren Rechtsauffassung besteht nicht (vgl. Schätsler/Kunz, StrEG, 3. Aufl., § 13, Rn 10).
b) Der vom Kläger geltend gemachte Verdienstausfall ist im anwaltlichen Schreiben vom 07.03.2006 unter Angabe der Arbeitstage und des jeweiligen Tagesverdienstes ausreichend konkret dargestellt. Die Forderung ist nachvollziehbar und in sich schlüssig. Sie entspricht der Höhe nach in etwa den Angaben, die der Kläger bei seiner Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren zu seinen Einkommensverhältnissen gemacht hat.
c) Zwar hätte der Kläger seine Forderungen auch schon im Verwaltungsverfahren belegen müssen (vgl. Meyer, a.a.O., § 10 Rn 16); dieses Versäumnis kann ihm jedoch nicht angelastet werden, so dass er mit den entsprechend nachgeholten Angriffsmitteln im gerichtlichen Verfahren nicht ausgeschlossen ist, zumal die absolute Ausschlussfrist nach § 12 StrEG nicht abgelaufen war.
Mit Ausnahme von Verdienstbescheinigungen der vor oder nach den strafprozessualen Maßnahmen liegenden Monate, konnte der Kläger die geforderten Belege unverschuldet nicht beibringen. Diese hat er aufgrund eines Missverständnisses zunächst nicht vorgelegt.
Auf die Aufforderung der Staatsanwaltschaft Regensburg, Belege vorzulegen (vgl. Schreiben vom 29.08.2006, Anlage K 7), hat sich der Kläger mit Schreiben vom 22,10.2006 (Anlage K 8) ausführlich geäußert. Seine hierdurch erkennbare Fehlinterpretation - er solle Belege für den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme vorlegen - hätte die Staatsanwaltschaft veranlassen können, durch entsprechende klarstellende Hinweise auf die Übersendung von Verdienstbescheinigungen für die Zeit vor oder nach der Sicherstellung des Führerscheins und des Entzugs der Fahrerlaubnis hinzuwirken. Das ist unterblieben. Es liegt nahe, dass bei einer Klarstellung der Kläger die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen auch der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt hätte. Warum er keinen schriftlichen Arbeitsvertrag und keine aktuelle Bescheinigung seines damaligen Arbeitgebers vorlegen konnte, hat er nachvollziehbar begründet; das verlangte Kündigungsschreiben konnte er - mangels Kündigung - nicht vorlegen. Weitere Bescheinigungen waren für die Überprüfung des Antrags entbehrlich.
d) Die im Rechtsstreit vorgelegten Verdienstbescheinigungen für die Monate Oktober, November und Dezember 2005 (Anlagen K 10 - K 12) reichen aus, um im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO den zu erwartenden Gewinn gem. § 252 S. 2 BGB entsprechend den Forderungen des Klägers zu bestimmen. Es ist nicht erkennbar, dass in den Monaten August und September wesentliche Abweichungen zu erwarten gewesen wären.
e) Der Kläger ist auch durch die Frist des § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG nicht gehindert, die Nacht- und Wochenendzuschläge zu verlangen.
Ansprüche auf Entschädigung sind innerhalb von sechs Monaten bei der Staatsanwaltschaft geltend zu machen. Es reicht jedoch, wenn der Anspruch grundsätzlich konkretisiert geltend gemacht wird (vgl. OLG Düsseldorf, JMBI. NW 88, 164). Einzelne Angaben und Nachweise für einen konkreten Antrag können ergänzt und nachgeschoben werden, ebenso einzelne Schadenspositionen (vgl. Meyer, a.a.O., § 10 Rn 13; Schätzler/Kunz a.a.O. § 10 Rn 8a f.; BGH NJW 89, 2619).
So liegt es hier. Der Kläger hat mit seinem ursprünglichen Antrag vom 07.03.2006 zwar Zuschläge nicht beziffert. In dem Anwaltsschreiben ist aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dem geltend gemachten Betrag "noch nicht die Überstunden und Spesen enthalten" sind. Damit wurde deutlich, dass entsprechende Zusatzvergütungen für Überstunden, als solche sind Nacht- und Wochenendfahrten zu betrachten, ebenfalls geltend gemacht werden.
Die Höhe der mit dieser Begründung geltend gemachten 1.000,- EUR bewegt sich im Rahmen der in den Verdienstbescheinigungen von Oktober bis Dezember enthaltenen Zuschläge und wurde auch insoweit von dem Beklagten nicht substantiiert bestritten.
III.
Zinsen: § 288 BGB
Kosten: § 91 ZPO
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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