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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 24.05.2000
Aktenzeichen: 4 U 60/00
Rechtsgebiete: GG, BGB, StrWGBay
Vorschriften:
GG Art. 34 | |
BGB § 839 | |
StrWGBay Art. 72 |
1) Zur Verkehrssicherungspflicht für Verkehrsschilder
2) Die Verkehrssicherungspflicht für die Standfestigkeit von Verkehrsschildern kann nicht dadurch erfüllt werden, daß ein nur mit dem Fahrer besetztes Fahrzeug der Straßenmeisterei die Strecke abfährt und dabei seine Geschwindigkeit dem normalen Verkehrsfluß anpaßt.
OLG Nürnberg, Urteil vom 24.05.2000 Aktenzeichen: 4 U 60/00
4 U 60/00 4 O 10943/98 LG Nürnberg-Fürth
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL
In Sachen
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzenden und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Apri1 2000
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. November 1999 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Entscheidung beschwert den Beklagten mit 4.608,19 DM.
Beschluß
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird festgesetzt auf 4.608,19 DM.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg, da das Landgericht der Klage zu Recht mit der Begründung stattgegeben hat, der Beklagte habe schuldhaft seine Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst auf die in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug.
Die dagegen gerichteten Angriffe des Berufungsführers veranlassen lediglich folgende ergänzende Bemerkungen:
I.
Zu Recht geht das Landgericht davon aus, daß der Beklagte für die im Zuge der Ortsdurchfahrt E der Bundesstraße 2 angebrachte Beschilderung verkehrssicherungspflichtig ist, und daß er deswegen für die ausreichende Standfestigkeit der Verkehrszeichen Sorge zu tragen hatte. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats, wie sie im Urteil vom 31. Juli 1996 zum Ausdruck gekommen ist (NZV 97, 308 = R + S 97, 244). Auch die Berufung wendet sich nicht gegen diese Feststellungen.
Gleiches gilt für die Feststellung, der am 16. Juni 1998 umgestürzte Schildermast sei im Unfallszeitpunkt objektiv nicht in einem verkehrssicheren Zustand gewesen. Die Berufung bescheinigt dem Erstgericht ausdrücklich, es habe den Sachverhalt zutreffend und vollständig gewürdigt.
Der Beklagte hat es entgegen der Meinung der Berufung aber auch zu vertreten, daß die unzureichende Standfestigkeit des Schildermastes nicht vor dem Unfall bemerkt und daraufhin ein Austausch veranlaßt worden ist, weil er keine ausreichende Kontrolle durchgeführt hat.
1. Mit dem Landgericht ist der Senat nach wie vor der schon im oben zitierten Urteil geäußerten Auffassung, daß grundsätzlich eine visuelle Kontrolle der Verkehrsschilder genügt, daß Rüttelproben nur erforderlich sind, wenn die visuelle Kontrolle Hinweise auf vorhandene Schäden erbringt.
Entgegen der Behauptung in der Berufungsbegründung fordert das Ersturteil keineswegs generell die Durchführung von Rüttelproben ohne besonderen Anlaß. Dies würde in der Tat die Grenzen des dem Verkehrssicherungspflichtigen Zumutbaren sprengen.
Das Erstgericht fordert allerdings mit Recht eine sorgfältige visuelle Kontrolle, die wenigstens die Chance bietet, Hinweise auf vorhandene Schäden, auf einen gefahrenträchtigen Zustand des Schildermastes zu erkennen.
Die vom Beklagten durchgeführten in der Berufungsbegründung als "routinemäßige Straßenkontrollen" bezeichneten Maßnahmen stellen keine visuelle Kontrolle der geforderten Art dar, da die Bediensteten der Beklagten dabei keine Möglichkeit hatten, Anhaltspunkte für Schäden an den Schildermasten zu erkennen.
Der Beklagte läßt nämlich die zu überprüfenden Straßenabschnitte lediglich von einem Straßenwärter mit dem Pkw abfahren. Dieser hat bei seinen Fahrten auf Fahrbahnschäden, Schäden an Verkehrszeichen und Schäden am Fahrbahnrand zu achten. Er muß aber dabei auch seine Pflichten als Führer eines Kraftfahrzeugs einhalten, muß den strengen Anforderungen des Straßenverkehrsrechts genügen, muß sich so verhalten, daß kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird (§ 1 Abs. 2 StVO). Denn die Kontrollfahrten erfolgen im normalen Straßenverkehr, ohne daß das Kontrollfahrzeug auch nur durch Rundumleuchten o.ä. besonders gekennzeichnet wäre und so wenigstens etwas langsamer fahren könnte. Der als Zeuge vernommene Straßenwärter H hat bekundet, er fahre innerorts etwa 40 km/h, er könne nicht so langsam fahren, daß er einen Stau verursache.
Mit dem Erstrichter ist der Senat der Meinung, daß eine solche Kontrollfahrt die Bezeichnung "visuelle Kontrolle der Verkehrssicherheit von Schildermasten" nicht verdient.
Die Berufung sieht das letztlich nicht anders, wenn sie vorbringt, Rostschäden wie im vorliegenden Fall, die zum Umstürzen des Mastes geführt hätten, könnten nur dann entstehen, wenn der aus verzinktem Stahlrohr bestehende Mast, z.B. durch Anfahren, beschädigt wird, und in einem solchen Fall wären Schrägstellung bzw. Eindellungen des Rohres sichtbar, was dann Anlaß für eine nähere Überprüfung geben würde.
Da nach dem vom Erstgericht unbeanstandet getroffenen Feststellungen der streitgegenständliche Schildermast infolge weitgehender Durchrostung in seiner Standsicherheit so stark beeinträchtigt war, daß er den am Schadenstag herrschenden, keineswegs außergewöhnlich starken Winden nicht mehr gewachsen war, waren schon eine geraume Zeit vorher, wenn nicht Anzeichen für Rost, so doch die Eindellung oder/und eine zumindest leichte Schrägstellung vorhanden. Denn die Durchrostung ist ein Vorgang, der sich über einen langen Zeitraum hinzieht, und der bei dem hier verwendeten Material unstreitig nur beginnen kann, wenn der Mast etwa durch Anfahren beschädigt wird. Auch wenn der Mast nach dem Anfahren wieder einigermaßen gerade gebogen wird, bleibt doch eine Eindellung, von der der Beklagte richtig vortragen läßt, daß sie sichtbar ist. Eine solche Eindellung hat auch der in 1. Instanz tätige Sachverständige ebenso wie die von außen sichtbare Durchrostung festgestellt.
Wenn der Zeuge H bei seiner Kontrollfahrt diese sichtbare Delle nicht wahrgenommen hat, so hat er die Verkehrssicherungspflicht nicht ausreichend ausgeübt. Dies liegt aber gewiß nicht daran, daß etwa der Zeuge H gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen hätte, nicht aufmerksam genug geschaut hätte. Dieser Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht liegt vielmehr in der Art begründet, in der der Beklagte diese Kontrollen organisiert hat. Durch diese wird es dem eingesetzten Straßenwärter, wie dargelegt, völlig unmöglich gemacht, solche kleineren Eindellungen oder Durchrostungen, die wie hier knapp über dem Boden liegen, zu bemerken.
2. Da der Beklagte nach Überzeugung des Senats bisher überhaupt keine geeigneten Kontrollmaßnahmen durchgeführt hat, die seiner Verkehrssicherungspflicht genügen würden, bedarf es zur Entscheidung des vorliegenden Falles keiner verbindlichen Entscheidung darüber, wie im einzelnen "sorgfältige" visuelle Kontrollen auszusehen hätten. Die vom Erstgericht angesprochenen Kontrollgänge zu Fuß sind gewiß eine Möglichkeit für den Beklagten, seiner Verkehrssicherungspflicht zu genügen. Diese Kontrollgänge müßten auch keineswegs wie die vom Beklagten beschriebenen Kontrollfahrten mehrmals wöchentlich erfolgen. Eine sorgfältige visuelle Kontrolle in mehrmonatigen Abständen dürfte durchaus genügen.
Es ist grundsätzlich Sache des Verkehrssicherungspflichtigen, sich eine geeignete Organisation einfallen zu lassen.
Wichtig ist nur, daß die Kontrolle so ausgestaltet wird, daß der Kontrolleur Eindellungen und Durchrostungen der hier aufgetretenen Art auch sehen kann. Dies setzt voraus, daß er langsam genug an dem Schild vorbeigeht oder fährt, und daß seine Aufmerksamkeit nicht durch den Straßenverkehr zu sehr in Anspruch genommen wird.
Eine solche sorgfältige visuelle Kontrolle ist dem Beklagten nach Meinung des Senats auch zuzumuten und übersteigt nicht seine Leistungsfähigkeit. Die erforderlichen Aufwendungen sind auch bei Berücksichtigung der Größe der drohenden Gefahr verhältnismäßig. Denn es ist reiner Zufall, daß im vorliegenden Fall lediglich geringfügiger Sachschaden entstanden ist. Es erscheint jederzeit denkbar, daß ein umstürzendes Verkehrsschild auch erheblichen Personenschaden verursacht, sei es, daß es unmittelbar auf einen Passanten z.B. auf ein Kind fällt, sei es, daß es infolge des Umfallens zu einem Unfall mit Beteiligung mehrerer Kraftfahrzeuge kommt.
Auch wenn der Beklagte als Träger der Straßenverkehrssicherungspflicht gewiß vielfältige Aufgaben zu erfüllen hat, kann dies nicht bedeuten, daß er für die Verhinderung solcher Gefahren, die von "seinen" Verkehrsschildern ausgehen, nichts zu unternehmen hätte. Wie oben bereits ausgeführt hat der Beklagte aber bisher keinerlei geeignete Maßnahmen ergriffen, um die von ihm selbst für notwendig gehaltene visuelle Kontrolle sinnvoll durchzuführen.
Unter diesen Umständen ist es auch nicht erforderlich, den Beweisangeboten des Beklagten zur Unzumutbarkeit nachzugehen. Es wäre im übrigen vor einer solchen Beweiserhebung auch nötig, daß der Beklagte substantiiert darstellt, welcher Aufwand im einzelnen etwa durch Kontrollgänge im Abstand von ca. 6 Monaten ausgelöst würde. Eine solche substantiierte Darlegung fehlt bisher.
3. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist auch kausal für den streitgegenständlichen Schaden gewesen.
Zwar kann nicht sicher festgestellt werden, seit wann der hier unfallauslösende Durchrostungsprozeß abgelaufen ist, weil der Sachverständige dazu keine sicheren Aussagen machen konnte.
Diese Ungewißheit geht hier jedoch zu Lasten des verkehrssicherungspflichtigen Beklagten. Denn immer dann, wenn, wie hier, der objektive Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht feststeht, spricht der Beweis des ersten Anscheins nicht nur für die Verletzung auch der inneren Sorgfalt, sondern auch für die Ursächlichkeit (Palandt/Thomas, 59. Aufl., § 823 Rn. 61, 168).
Die Schadenshöhe ist in der 2. Instanz nicht mehr bestritten worden.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 546 Abs. 1 ZPO.
Der Wert der Beschwer war gem. den §§ 3, 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen.
Verkündet am 24. Mai 2000
Ende der Entscheidung
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