Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 25.07.2000
Aktenzeichen: 4 W 2323/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 ff.
ZPO § 485 - Zulässigkeit eines Gegenantrages im selbständigen Beweisverfahren

Im selbständigen Beweisverfahren ist ein Gegenantrag des Antragsgegners jedenfalls dann zulässig, wenn

- das zusätzliche Beweisthema mit dem Primär-Beweisthema im sachlichen Zusammenhang steht (andererseits aber auch nicht deckungsgleich ist),

- vom gleichen Sachverständigen beurteilt werden kann und

- die Einbeziehung in die Beweisaufnahme zu keiner wesentlichen Verzögerung führt.


4 W 2323/00 6 OH 1759/00 LG Nürnberg-Fürth jan

Nürnberg, den 25.7.2000

In Sachen

wegen Beweissicherung

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 4. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. April 2000 aufgehoben.

II. Die neue Entscheidung über den Antrag der Antragsgegnerin zu 1) vom 28. März 2000 in Verbindung mit der Klarstellung vom 5. Juli 2000 - nach Maßgabe der in den nachfolgenden Beschluss-Gründen dargelegten Rechtsauffassung des Senats sowie über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem Landgericht Nürnberg-Fürth übertragen.

III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 4.000 DM.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§ 567 ZPO). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Landgericht Nürnberg-Fürth (§ 575 ZPO).

I.

1) Das Landgericht hat den Gegenantrag der Antragsgegnerin zu 1) mit der Begründung abgelehnt, dass ein solcher Antrag dem selbstständigen Beweisverfahren fremd sei. Das Verfahren nach §§ 485 ff. ZPO sei nicht als kontradiktorisches Parteiverfahren ausgestaltet. Die Zulassung von Gegenanträgen brächte zudem erhebliche Umsetzungsprobleme bei der Kostenentscheidung mit sich. Die vom Landgericht vertretene Rechtsansicht entspreche im übrigen der ständigen Rechtsprechung des Oberlandsgerichts Nürnberg (vgl. Beschluss des 13. Zivilsenats vom 29. Mai 1996, Az. 13 W 1313/96).

2) Der Senat hat die Bedenken des Landgerichts gegen die Zulassung von Gegenanträgen erwogen; er hält sie jedoch nicht für durchgreifend.

a) Allerdings trifft es zu, dass der 13. Zivilsenat jedenfalls bis vor einigen Jahren (aus neuerer Zeit liegt keine einschlägige Entscheidung vor) die Rechtsansicht vertreten hat, dass im selbstständigen Beweisverfahren ein Gegenantrag unzulässig sei, nicht zuletzt deswegen, weil andernfalls bei der Kostenentscheidung "kaum lösbare Probleme" auftreten könnten. Mit diesem Standpunkt sah sich der 13. Zivilsenat im Einklang mit der - nach eigener Einschätzung - damals herrschenden Meinung (aaO., S. 8).

Inzwischen hat sich jedoch das Meinungsbild in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in die entgegengesetzte Richtung weiter entwickelt. Vorherrschend ist mittlerweile die Rechtsansicht, dass im selbstständigen Beweisverfahren ein Gegenantrag des Antragsgegners nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern grundsätzlich statthaft ist, vorausgesetzt, der Antrag erfüllt bestimmte Anforderungen.

So hat etwa das Oberlandesgericht Frankfurt entschieden, dass Gegenanträge jedenfalls dann zulässig sind, wenn sie keinen anderen Beteiligten in das Verfahren einbeziehen, bereits vor Bestellung des Sachverständigen gestellt worden sind und ihr Thema in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang mit der Fragestellung des Beweisantrages des Antragstellers steht (OLG-Report 1998, 34). Das Thüringische Oberlandesgericht Jena lässt Gegenanträge bis zur Durchführung des Ortstermins des Sachverständigen zu (OLG-Report 1997,320 = MDR 1997,1160). Für die grundsätzliche Zulässigkeit von Gegenanträgen haben sich ferner das Kammergericht Berlin (OLG-Report 1996, 94) sowie die Oberlandesgerichte Düsseldorf (OLG-Report 1994, 262), Frankfurt a.M. (OLG-Report 1998,34), München (OLG-Report 96, 81 = NJW-RR 1996, 1277) und Köln (VersR 1994, 1328) ausgesprochen.

Auch die Kommentar-Literatur hat sich überwiegend diesem Standpunkt angeschlossen (vgl. Stein-Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 486 Rn. 22; Zöller-Herget, ZPO, 21. Aufl., Rn 3; Thomas-Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 485 Rn. 1; aM Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 487 Rn 6 m.w.N.), ebenso namhafte Vertreter der Baurechts-Literatur (vgl. Ingenstau-Korbion, VOB, 13. Aufl., § 18 "Exkurs" Rn 90 a.E.; Werner-Pastor, Der Bauprozess, 9. Aufl. Rn 94/97; Kleine-Möller/Merl/Oelmaier, Handbuch des privaten Baurechts, 2. Aufl., § 17 Rn 23).

b) Der erkennende Senat teilt die herrschende Meinung, wonach ein Gegenantrag im selbstständigen Beweisverfahren nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.

Der Wortlaut der §§ 485 ff. ZPO steht der Zulässigkeit von Gegenanträgen nicht entgegen. Das Ziel des selbstständigen Beweisverfahrens spricht für die Zulässigkeit von Gegenanträgen. Zweck des 1991 neu gestalteten selbstständigen Beweisverfahrens ist nicht mehr nur die bloße Beweissicherung wegen drohenden Beweisverlustes, sondern auch und gerade das Schaffen klarer tatsächlicher Verhältnisse im Hinblick auf einen künftigen Rechtsstreit. Nach Möglichkeit soll ein solcher Rechtsstreit durch die vorherige Klärung des Sachverhalts sogar verhindert werden (vgl. § 485 II 2 Nr. 3 ZPO), was letztlich auch zur Entlastung der Gerichte beiträgt (OLG München, aaO. m.w.N.). Aus dieser Zweckbestimmung des selbstständigen Beweisverfahrens ergibt sich, dass Gegenanträge jedenfalls dann zugelassen werden sollten, wenn sie diesem Ziel nicht zuwider laufen, sondern ihm im Gegenteil dienen.

Das ist in der Regel dann der Fall, wenn das zusätzliche Beweisthema mit den Primär-Beweisthemen im sachlichen Zusammenhang steht (andererseits aber auch flicht deckungsgleich ist), vom gleichen Sachverständigen beurteilt werden kann (vgl. Stein-Jonas/Leipold aaO. FN 41; Ingenstau-Korbion aaO. m.w.N.) und die Einbeziehung in die Beweisaufnahme zu keiner wesentlichen Verzögerung führt. Treffen diese Voraussetzungen zu, wäre es wenig praktikabel, den Antragsgegner auf ein gesondertes, die Sachverhalts-Klärung möglicherweise verzögerndes und zudem kostspieligeres Beweisverfahren zu verweisen.

c) Die vom 13. Zivilsenat (aaO.) angeführten und vom Landgericht aufgegriffenen Probleme bei der Kostenentscheidung mögen im Einzelfall schwierig sein. Sie sind jedoch nicht unlösbar und sollten jedenfalls nicht den Ausschlag geben, eine als rechtmäßig und zugleich zweckmäßig erkannte Lösung nur wegen der möglicherweise komplizierten Kosten-Abwicklung zu verwerfen.

d) Gegen die Einbeziehung des zusätzlichen Beweisthemas spricht auch nicht der vom Landgericht hervorgehobene Gesichtspunkt, dass es sich beim selbstständigen Beweisverfahren nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handle.

Zum einen trägt das selbstständige Beweisverfahren im Regelfall - wenn auch in abgeschwächter Form und nicht zwingend - durchaus auch kontradiktorische Züge (wie sich nicht zuletzt daraus ergibt, dass dem Antragsteller im Regelfall ein "Gegner" gegenübersteht, vgl. § 487 Nr. 2, § 491 ZPO; vgl. Zöller-Herget, aaO., Rn 3 vor § 485). Zum anderen wäre die Recht- und Zweckmäßigkeit der Einbeziehung eines Gegenantrags allein nach den Regeln und dem Zweck der §§ 485 ff. ZPO zu beurteilen, unabhängig davon, ob das selbstständige Beweisverfahren aufs Ganze gesehen kontradiktorisch ausgestaltet ist oder nicht.

II.

Da das Landgericht einen Gegenantrag schlechthin für unzulässig gehalten hat, hat es sich - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der Frage befasst, ob der konkrete Gegenantrag den unter I 2 b genannten Kriterien gerecht wird. Falls ja, wird sich möglicherweise der Auslagenvorschuss für den Sachverständigen erhöhen.

Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für zweckmäßig, die endgültige Entscheidung über die Einbeziehung sowie die Formulierung eines eventuellen Ergänzungs-Beschlusses dem Landgericht zu übertragen (§ 575 ZPO).

III.

1) In welchem Umfang die Beschwerde letztlich Erfolg haben wird, ist noch offen (vgl. II). Daher überträgt der Senat dem Landgericht auch die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens (Zöller-Gummer, aaO., § 575 Rdnr. 40; Zöller-Herget, aaO., § 490 Rn 5).

2) Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Interesse der Beschwerdeführerin an der Einbeziehung ihres Gegenantrags in das anhängige Beweisverfahren; andernfalls müsste sie ein gesondertes Beweisverfahren in die Wege leiten (§ 3 ZPO). Der Senat beziffert dieses Interesse auf 4000 DM.

Ende der Entscheidung

Zurück