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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 19.03.2008
Aktenzeichen: 7 UF 1406/07
Rechtsgebiete: TürkZGB, EGBGB, BGB
Vorschriften:
TürkZGB Art. 197 | |
EGBGB Art. 18 Abs. 7 | |
BGB § 1361 Abs. 1 | |
BGB § 1361 Abs. 2 |
2. Fiktives Einkommen in Höhe des staatlichen Mindestlohns in der Türkei.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL
Verkündet am 19. März 2008
In der Familiensache
hat der 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Richter am Oberlandesgericht Herrler als Vorsitzenden und die Richterin am Oberlandesgericht Bayerlein und Richter am Landgericht Dr. Köhler aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2008
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 26. September 2007 abgeändert.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über die vom Amtsgericht ausgeurteilten Unterhaltsrückstände für den Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich 20. April 2007 in Höhe von 1.713,00 Euro hinaus - Unterhaltsrückstände für die Zeit vom 21. April 2007 bis 29. Februar 2008 in Höhe von 953,00 Euro und - ab 01. März 2008 einen monatlichen, monatlich vorauszahlbaren Trennungsunterhalt in Höhe von 90,00 Euro zu bezahlen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits in bei den Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt. Die türkische Klägerin und der türkischstämmige Beklagte haben am 08. Mai 2004 in der Türkei die Ehe geschlossen und leben seit März 2005 getrennt. Die Klägerin hat in Deutschland kein eigenes Aufenthaltsrecht und musste deswegen am 20. April 2007 ausreisen. Seitdem hält sie sich wieder in der Türkei (in der Stadt Izmir) auf.
Bereits im Jahr 2005 hatte der Beklagte in der Türkei die Scheidung eingereicht. Der Scheidungsantrag wurde mit Urteil des zuständigen Familiengerichts in Izmir vom 12. Oktober 2005 zurückgewiesen; zugleich wurde der Beklagte verurteilt, an die Klägerin ab 07. Januar 2005 bis zur Rechtskraft des Urteils einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 500,00 türkischen Lira (YTL) zu bezahlen. Dieses Urteil ist am 15. Juni 2006 rechtskräftig geworden.
Inzwischen hat der Beklagte in Deutschland ein Scheidungsurteil (vom 30. Januar 2008) erwirkt, das noch nicht rechtskräftig ist.
Der Beklagte arbeitet als Kraftfahrer und hat ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen von 1.257,00 Euro. Die Klägerin, die weder unmittelbar vor der Eheschließung noch während des Zusammenlebens der Parteien arbeitete, geht auch jetzt keiner Beschäftigung nach.
Mit Endurteil vom 26. September 2007 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg den Beklagten verurteilt, an die Klägerin Unterhaltsrückstände für den Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich 20. April 2007 in Höhe von 1.713,00 Euro zu bezahlen. Im Übrigen - vor allem wegen des begehrten laufenden Trennungsunterhalts - hat es die Klage abgewiesen. Hierbei hat das Amtsgericht für den Zeitraum nach Rückkehr der Klägerin in die Türkei türkisches Recht angewendet und den anhand des Einkommens des Beklagten ermittelten Bedarf der Klägerin wegen der geringeren Kaufkraft in der Türkei um ein Drittel gekürzt. Einen Unterhaltsanspruch hat das Amtsgericht dann mit der Begründung verneint, der Klägerin sei ein fiktives Einkommen von mindestens 214,00 Euro, dem türkischen Mindestnettolohn, zuzurechnen, das den Bedarf decke. Sie habe nicht ausreichend vorgetragen, sich um Arbeit bemüht zu haben.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Tenor und tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klägerin Berufung eingelegt, soweit das Amtsgericht ihr Unterhalt ab 21. April 2007 versagt hat. Sie wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Familiengericht ihr ein fiktives Einkommen zugerechnet hat und begründet dies damit, dass sie keine Arbeit finde.
Die Klägerin beantragt:
Das Endurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 26.09.2007 wird teilweise aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt an die Klägerin ab 20.04.2007 monatlichen Trennungsunterhalt in Höhe von 192,00 Euro zu bezahlen, zahlbar jeweils monatlich im Voraus bis zum Dritten des Monats.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, die Erwerbsbemühungen der Klägerin seien nicht ausreichend.
II.
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt, mithin zulässig (§§ 517, 519, 520 ZPO). Sie hat in der Sache teilweise Erfolg.
Der Beklagte schuldet der Klägerin Trennungsunterhalt auch für die Zeit nach dem 20. April 2007 und zwar in Höhe von monatlich zunächst 100,00 Euro und ab 01. Juli 2007 in Höhe von monatlich 90,00 Euro.
1. Auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB türkisches Recht anzuwenden. Dort ist der Trennungsunterhalt in Art. 197 des türkischen Zivilgesetzbuches (TürkZGB) geregelt (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei, III A 6 d). Nach Satz 2 dieser Vorschrift ergreift das Gericht auf Antrag eines Ehegatten unter anderem die Maßnahmen bezüglich des Unterhaltsbeitrages eines Ehegatten an den anderen, wenn die Aufhebung der Lebensgemeinschaft begründet ist. Gemäß Satz 3 des Art. 197 TürkZGB kann jeder Ehegatte die Maßnahmen auch dann fordern, wenn der andere sich unberechtigt dem Zusammenleben entzieht oder das Zusammenleben aus einem anderen Grund unmöglich ist. Da die Klägerin in Deutschland, wo der Beklagte wohnt, kein Aufenthaltsrecht (mehr) hat, ist zumindest die letzte Variante des Art. 197 Satz 3 TürkZGB erfüllt.
Zur Höhe des Unterhalts enthält das türkische Zivilgesetzbuch keine konkreten Regelungen. Gemäß Art. 18 Abs. 7 EGBGB sind bei der Bemessung des Unterhaltsbetrags die Bedürfnisse des Berechtigten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten zu berücksichtigen, selbst wenn das anwendbare Recht etwas anderes bestimmt.
Darüber, wie die Bedürfnisse eines Berechtigten nach türkischem Recht konkret zu bestimmen sind, besteht - soweit ersichtlich - keine Einigkeit. So hat z. B. das OLG Hamm ausgesprochen, dass für die Höhe des Unterhaltsanspruchs die Geldbeträge maßgeblich sind, welche die Unterhaltsberechtigte Ehefrau an ihrem Aufenthaltsort aufwenden muss, um den ihr gebührenden Lebensstandard aufrecht zu erhalten, wobei auf die Kaufkraft in der Türkei abzustellen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. März 1996, 12 WF 366/95 - Juris). Dagegen hat beispielsweise das Oberlandesgericht Düsseldorf den Unterhaltsbedarf einer in die Türkei zurückgekehrten Ehefrau mangels zuverlässiger Erkenntnisguellen auf die Hälfte des Existenzminimums nach der Düsseldorfer Tabelle geschätzt, falls sich nach den ehelichen Verhältnissen kein höherer Bedarf ergibt (NJW-RR 1995, 903). Auch dieses Gericht hat sich dabei an der unterschiedlichen Kaufkraft zwischen Deutschland und der Türkei orientiert, dabei aber zusätzlich berücksichtigt, dass die Unterhaltsberechtigte im konkreten Fall einen höheren Bedarf als sonst in der Türkei üblich hatte, weil sie jahrelang in Deutschland lebte und auch in der Türkei in gewissem Umfang an dem in Deutschland erzielten Einkommen des Unterhaltspflichtigen teilhaben soll. Beide Entscheidungen sind allerdings vor Inkrafttreten des nun gültigen türkischen Zivilgesetzbuchs (ZGB Nr. 4721 v. 22. November 2001) ergangen.
Im vorliegenden Fall orientiert sich der Senat an dem Trennungsunterhalt, den das türkische Familiengericht der Klägerin im Urteil vom 12. Oktober 2005 für die Zeit vom 07. Januar 2005 bis 15. Juni 2006 zugesprochen hat, nämlich monatlich 500,00 YTL. Aufgrund der Inflation in der Türkei ist dieser Betrag etwas zu erhöhen, so dass im Wege der Schätzung 550,00 YTL angebracht erscheinen. Umgerechnet sind dies gerundet ca. 314,00 Euro, wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass im Verhältnis Euro zu türkischer Lira gewisse Wechselkursschwankungen bestehen. Der Senat hat zugrunde gelegt, dass 1 Euro ca. 1,75 YTL entspricht.
Der Betrag von 314,00 Euro erscheint angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten (Art. 18 Abs. 7 EGBGB) auch angemessen.
Auf diesen Bedarf muss sich die Klägerin jedoch entsprechend dem Ersturteil eigenes fiktives Einkommen in Höhe von (umgerechnet) zunächst 215,00 Euro und ab Juli 2007 in Höhe von 224,00 Euro anrechnen lassen.
Für die Klägerin besteht, nachdem die Eheleute bereits seit mindestens März 2005 getrennt leben, jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitraum ab April 2007 die Obliegenheit eigener Erwerbstätigkeit (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 10. Auflage, Rdnr. 454 m.w.N.). Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin zwar unmittelbar vor der Ehe und während der Dauer des 2usammenlebens mit dem Beklagten nicht berufstätig war, die Trennung. der Parteien aber bereits 10 Monate nach der Eheschließung erfolgte. Der Senat orientiert sich an deutschem Recht und deutscher Rechtsprechung, da über Art. 18 Abs. 7 EGEGB auch die Bedürfnisse des Berechtigten zu berücksichtigen sind und diese auch, dadurch bestimmt werden, ob der Berechtigte einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder nicht.
Obwohl der Klägerin eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann, übt sie keine aus. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es ihr nicht möglich ist, zu arbeiten. Die Klägerin behauptet zwar, trotz intensiver Bemühungen keine Arbeit zu finden. Sie hat aber weder den Umfang der Erwerbsbemühungen konkret dargelegt noch Belege (Bewerbungen, Absagen) in ausreichendem Umfang vorgelegt.
Wie das Erstgericht geht der Senat davon aus, dass die Klägerin in der Türkei den dort staatlicherseits festgelegten Mindestlohn erzielen kann. Dieser beträgt - wie sich anhand der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen ergibt und was die Klägerin nicht bestritten hat - im ersten Halbjahr 2007 umgerechnet ca. 215,00 Euro, ab 01. Juli 2007 dann ca. 224,00 Euro.
Damit ergibt sich folgender Unterhaltsanspruch der Klägerin:
- für April bis Juni 2007 monatlich ca. 314,00 Euro abzüglich ca. 215,00 Euro ergibt gerundet 100,00 Euro, damit für den Restmonat April (ab 21.) 33,00 Euro, für Mai und Juni jeweils 100,00 Euro;
- ab Juli 2007 jeweils ca. 314,00 Euro abzüglich ca. 224,00 Euro ergibt 90,00 Euro.
Anhand dieser Beträge errechnet sich für den Zeitraum 21. April 2007 bis einschließlich Februar 2008 ein Betrag von 953,00 Euro (33,00 Euro + 2 x 100,00 Euro + 8 x 90,00 Euro). Ab März schuldet der Beklagte der Klägerin dann monatlich 90,00 Euro Trennungsunterhalt bis zur Rechtskraft der Scheidung.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Der Streitwert wurde bereits festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Ende der Entscheidung
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