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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 25.04.2005
Aktenzeichen: 7 WF 350/05
Rechtsgebiete: EGBGB, BGB
Vorschriften:
EGBGB Art. 4 Abs. 1 Satz 1 | |
EGBGB Art. 19 Abs. 1 Satz 3 | |
BGB § 1600 a Abs. 4 |
2. Eine Anfechtung der Vaterschaft durch den gesetzlichen Vertreter des Kindes kann im Einzelfall auch dann dessen Wohl dienen, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass der wahre Vater ermittelt und dessen Vaterschaft festgestellt werden kann.
7 WF 350/05
Nürnberg, den 25.04.2005
In der Familiensache
erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden
Beschluß:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 24.03.2005 wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 01.03.2005 (Az.: 111 F 488/05) abgeändert:
Dem Antragsteller wird für die beabsichtigte Anfechtungsklage Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wurde am ... geboren. Seine Mutter ist die deutsche Staatsangehörige M Y B. Diese hatte am 26.05.2000 mit dem Antragsgegner, der ... Staatsangehöriger ist, die Ehe geschlossen. Diese Ehe wurde durch Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 22.01.2004 (Az.: 111 F 4182/02) geschieden. Dieses Urteil ist seit 30.03.2004 rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 11.02.2005 hat der Antragsteller - vertreten durch das Jugendamt der Stadt N als Ergänzungspfleger - Prozeßkostenhilfe für eine Klage beantragt, mit dem Ziel die Vaterschaft des Antragsgegners anzufechten. Zur Begründung beruft sich der Antragsteller darauf, daß der Antragsgegner ausweislich der Geburtsurkunde vom ... als sein Vater gelte. Dies beruhe darauf, daß nach Art. 19 EGBGB die Frage, ob der Antragsgegner sein Vater sei, nach dessen Heimatrecht, d.h. nach mazedonischem Recht, zu beurteilen sei, und nach diesem Recht der Antragsgegner auch dann als sein Vater gelte, wenn er (der Antragsteller) innerhalb einer Frist von 300 Tagen nach Beendigung der Ehe geboren worden sei.
Mit Beschluß vom 01.03.2005 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg den Prozeßkostenhilfeantrag zurückgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, daß die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, daß für die Frage der Abstammung des Antragstellers sowohl nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 als auch nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB deutsches Recht zur Anwendung komme. Bei konkurrierenden Anknüpfungen an alternative Rechtsordnungen sei nach dem Günstigkeitsprinzip diejenige Rechtsordnung maßgeblich, die die günstigste Auswirkung biete. Daß dies bei einem Kind, das in Deutschland lebe, dessen Mutter deutsche Staatsangehörige sei und dessen Vater unbekannten Aufenthalts sei, die deutsche Rechtsordnung sei, bedürfe keiner weiteren Erörterungen. Der Antragsgegner gelte somit nicht als Vater des Antragstellers, so daß es an einem entsprechenden Rechtsschein fehle. Im übrigen sei auch nicht ersichtlich, daß die Anfechtung dem Wohle des Kindes diene, da der angebliche wahre Vater unbekannt sei. Für eine Feststellungsklage fehle es auch an einem Rechtsschutzbedürfnis, da die Stadt Nürnberg als gesetzliche Vertreterin des Antragstellers es selbst (durch das Standesamt) in der Hand habe, die Geburtsurkunde entsprechend dieser Rechtslage so auszustellen, daß der Antragsgegner nicht als Vater aufgenommen werde.
II.
Gegen diesen am 16.03.2005 zugestellten Beschluß hat der Antragsteller mit Schreiben vom 24.03.2005, bei Gericht eingegangen am 24.03.2005, sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung beruft er sich im wesentlichen auf eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes vom 11.01.2002 (FamRZ 02, 686). Nach dieser Entscheidung ist vom sog. Günstigkeitsprinzip auszugehen, wenn bei konkurrierenden Anknüpfungen nach Art. 19 EGBGB alternative Rechtsordnungen in Frage kommen, mit der Folge, daß je nach anwendbarer Rechtsordnung unterschiedliche Personen als Vater festzustellen wären. Am günstigsten sei nach dieser Entscheidung für das Kind die Rechtsordnung, welche dem Kind eine eventuelle Klage erspare und am ehesten zur Feststellung einer Vaterschaft führe. Dies sei im vorliegenden Fall die nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB mögliche Anwendung der mazedonischen Rechtsordnung. Im konkreten Fall entspreche es allerdings seinem Wohl am besten, wenn die Feststellung dieser Vaterschaft angefochten werde, da für ihn dann zumindest Klarheit darüber bestehe, daß der Antragsgegner nicht sein Vater sei.
Mit Beschluß vom 24.03.2005 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.
III.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts fehlt es der beabsichtigten Klage jedenfalls nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Zum einen stellt auch das Amtsgericht nicht in Frage, daß bereits eine Geburtsurkunde existiert, die den Antragsgegner als Vater des Antragstellers ausweist, wenngleich eine entsprechende Ablichtung bislang noch nicht vorgelegt worden ist. Zum anderen hat es die Stadt ... keineswegs in der Hand, für den Antragsteller eine Geburtsurkunde nach etwaigen Wünschen und Vorstellungen des Jugendamtes oder auch nach Vorgaben des Familiengerichts ausstellen zu lassen. Das Standesamt ist vielmehr gehalten, Geburtsurkunden nach den einschlägigen personenstandsrechtlichen Bestimmungen auszustellen und dabei insbesondere die personenstandsrechtliche Rechtsprechung zu beachten. Selbst wenn für den Antragsteller derzeit noch keine Geburtsurkunde vorliegen würde, wäre das Standesamt der Stadt Nürnberg unabhängig von der Rechtsauffassung der Familiengerichte verpflichtet, unter Berücksichtigung der vom Jugendamt der Stadt ... vorgelegten Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts eine Geburtsurkunde auszustellen, die den Antragsgegner als Vater ausweist.
Das Rechtsmittel erweist sich jedoch auch insoweit als begründet, als der Antragsgegner auch familienrechtlich als Vater des Antragstellers gilt, und der Antragsteller dies anfechten will.
Eine Vaterschaftsvermutung hinsichtlich des Antragsgegners kann nicht mit der Begründung verneint werden, daß der Antragsteller erst nach der Scheidung der Ehe geboren worden ist. Denn nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB kann die Frage, ob der Antragsteller vom Antragsgegner abstammt, sowohl nach deutschem als auch nach mazedonischem Recht beurteilt werden. Eine etwaige Rück- oder Weiterverweisung durch das mazedonische Recht wäre unbeachtlich, da dies dem Sinn der Verweisung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB widersprechen würde (vgl. Palandt BGB, 64. Aufl., Art. 4 EGBGB Rdnr. 7). Nach Art. 50 des mazedonischen Familiengesetzes Nr. 4828 vom 15.12.1992 wird der Ehepartner der Mutter als Vater des Kindes betrachtet, wenn dieses im Verlauf der Ehe oder innerhalb einer Frist von 300 Tagen nach Beendigung der Ehe geboren wird. Nachdem das deutsche Recht eine derartige Vaterschaftsvermutung für Kinder, die nach Beendigung der Ehe geboren werden, nicht (mehr) kennt, liegt somit ein Fall vor, in dem die Anwendung der verschiedenen möglichen Rechtsordnungen zu unterschiedlichen Vaterschaftsfeststellungen führt. Auch für derartige Fälle muß jedoch sichergestellt sein, nach welcher Rechtsordnung die Vaterschaft festzustellen ist. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes ist dies nach dem Günstigkeitsprinzip zu entscheiden. Danach ist für das betroffene Kind allgemein und abstrakt diejenige Rechtsordnung am günstigsten, die ihm am schnellsten "zu einem Vater verhilft" - unabhängig davon, ob es sich hierbei um den wahren Vater oder um einen Vater im Rechtssinne handelt. Unter Beachtung dieser Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall kein Zweifel daran bestehen, daß der Antragsgegner als Vater des Antragstellers gilt.
Der Antragsteller kann die Anfechtung auf jeden Fall nach deutschem Recht betreiben (Art. 20 Satz 2 EGBGB).
Unbeschadet der oben genannten Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Anfechtung dem Kindeswohl dient (§ 1600 a Abs. 4 BGB). Zwar kann die Mutter des Antragstellers keine näheren Angaben über den angeblichen wahren Vater des Antragstellers machen. Andererseits ist jedoch auch der als Vater geltende Scheinvater in M unbekannten Aufenthalts. Auch zu ihm hat die Mutter des Antragstellers offensichtlich seit längerem keinen Kontakt mehr. Etwaige Unterhaltsansprüche kann der Antragsteller in absehbarer Zeit weder gegenüber dem Scheinvater noch gegenüber dem wahren Vater durchsetzen. Derzeit kann weder im Verhältnis zum Scheinvater noch im Verhältnis zum wahren Vater mit dem Aufbau einer echten Eltern-Kind-Beziehung gerechnet werden. Unter diesen Umständen besteht ein berechtigtes Interesse des Antragstellers daran, festzustellen, daß jedenfalls der Antragsgegner nicht sein leiblicher Vater ist.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 ZPO).
Ende der Entscheidung
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