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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 29.11.2001
Aktenzeichen: 1 Ss (B) 251/01
Rechtsgebiete: OWiG, GVG


Vorschriften:

OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1
OWiG § 73 Abs. 2
OWiG § 74
OWiG § 74 Abs. 2
OWiG § 73 Abs. 1
OWiG § 73 Abs. 3
GVG § 121 Abs. 2
GVG § 121 Abs. 1 Nr. 1 a)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ss (B) 251/01 OLG Naumburg

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg

am 29. November 2001

durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hennig, die Richterin am Oberlandesgericht Henze-von Staden und den Richter am Oberlandesgericht Sternberg

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zerbst vom 03. April 2001 wird die Sache gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 121 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 a) GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Kann ein vom Betroffenen zu seiner Vertretung - auch in der Hauptverhandlung - bevollmächtigter Verteidiger die in § 73 Abs. 2 OWiG als Voraussetzung für eine Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung geforderten Erklärungen auch in der Hauptverhandlung wirksam für den unentschuldigt nicht erschienenen Betroffenen abgeben?

Gründe:

Für die Entscheidung des Senats über die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zerbst vom 03. April 2001 kommt es darauf an, ob die vom Betroffenen mit der Vertretung bevollmächtigte Verteidigerin für den in der Hauptverhandlung nicht erschienenen Betroffenen die Erklärung, die Fahrereigenschaft werde nicht bestritten und der Betroffene werde sich im Übrigen nicht zur Sache einlassen, mit der Folge abgeben konnte, dass diese als Erklärung des Betroffenen i. S. d. § 73 Abs. 2 OWiG zu werten ist.

Nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen hatte der Betroffene seiner Verteidigerin Vollmacht zu seiner Vertretung - auch in der Hauptverhandlung - und dazu erteilt, Anträge auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu stellen. Als der Betroffene am 03. April 2001 zum Hauptverhandlungstermin des Amtsgerichts unentschuldigt nicht erschien, beantragte die Verteidigerin, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden und erklärte für den Betroffenen, dass die Fahrereigenschaft nicht bestritten und der Betroffene sich im Übrigen nicht zur Sache einlassen werde.

Das Amtsgericht wies den Antrag auf Entbindung des Betroffenen vom persönlichen Erscheinen mit der Begründung zurück, dass dieser Antrag entgegen § 73 Abs. 2 OWiG nicht vor, sondern erst in der Hauptverhandlung nach ordnungsgemäßem Aufruf zur Sache gestellt worden sei.

Sodann verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid mit Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG.

Der Senat beabsichtigt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Nach Auffassung des Senats kann ein Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden, wenn noch nicht zur Sache selbst verhandelt worden ist (ebenso Senge in KK-OWiG, 2. Aufl., § 73 Rdn. 19). Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck des § 74 OWiG, der regelt, wann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache durchgeführt werden kann oder aber ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen ist.

Des weiteren reicht nach Meinung des Senats, die Erklärung der Verteidigerin als Vertreterin des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin aus, die Fahrereigenschaft werde nicht bestritten und der Betroffene werde sich im Übrigen nicht zur Sache einlassen, als Erklärung des Betroffenen i. S. d. § 73 Abs. 2 OWiG. Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I, 156, 340) war der zur Vertretung des Betroffenen schriftlich bevollmächtigte Verteidiger befugt, für den Betroffenen mit bindender Wirkung Erklärungen abzugeben und sich zur Sache einzulassen; bei Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung aber Anwesenheit des mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidigers übernimmt dieser für den Betroffenen die Funktion des Aussagemittlers (OLG Frankfurt/M. NZV 1993, 281 m. Anm. Göhler, NStZ 1994, 74; OLG Zweibrücken NZV 1994, 372, 373). An dieser Rechtslage hat sich auch nach Inkrafttreten des vorgenannten Änderungsgesetzes nichts geändert. Zwar ist nach der neuen Gesetzeslage der Betroffene gemäß § 73 Abs. 1 OWiG nunmehr zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. Das Gericht hat ihn jedoch auf seinen Antrag von dieser Verpflichtung unter den Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG zu entbinden. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist zwar erforderlich, dass sich der Betroffene zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Äußerung oder Erklärung des Betroffenen vor der Hauptverhandlung vorliegen muss. Vielmehr genügt es nach dem Willen des Gesetzgebers, dass sich der Betroffene - gleichgültig in welchem Verfahrensabschnitt und in welcher Form - zur Sache geäußert hat; auch kann der Betroffene nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung seinen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung mit einer Äußerung zur Sache verbinden (BT-Drucksache 13/5418, S. 9).

Dem steht auch nicht die Vorschrift des § 73 Abs. 3 OWiG entgegen, wonach sich der Betroffene durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen kann, wenn das Gericht ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden hat. Zwar könnte der Wortlaut dieser Norm dafür sprechen, dass zunächst der Entbindungsbeschluss des Gerichts vorliegen muss, und erst danach die Vertretung des Betroffenen durch einen bevollmächtigten Verteidiger zulässig sein soll. In der Sache macht es jedoch keinen Unterschied, ob sich der Betroffene selbst oder durch einen zur Vertretung bevollmächtigten Verteidiger schriftlich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, oder ob der Betroffene solche Erklärungen durch den Verteidiger als seinen Vertreter in der Hauptverhandlung in schriftlicher Form überreichen oder mündlich vortragen lässt.

Der Senat sieht sich an einer Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils aufgrund des Beschlusses des Bußgeldsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 15. April 1999 - Ss 144/99 (Z) -(NZV 1999, 436 f.) gehindert. In jenem Beschluss - so wie bereits im Beschluss vom 30. Juli 1998 - Ss 359/98 (Z) - (VRS Bd. 95/98, 429 ff.) hatte der Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Köln die Anträge des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit der Begründung verworfen, dass die in § 73 Abs. 2 OWiG geforderten Erklärungen des Betroffenen nicht durch einen vertretungsberechtigten Verteidiger in der Hauptverhandlung nachgeholt werden können. Auf dieser Rechtsansicht beruht die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 15. April 1999, denn wäre jener Bußgeldsenat der hier vertretenen Rechtsauffassung gefolgt, hätte er den Zulassungsantrag nicht als unbegründet verwerfen können. Soweit im vorgenannten Beschluss ausgeführt ist, die Rüge, das Gericht habe den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen entbinden müssen, verlange "im übrigen" auch die Darlegung, dass das Amtsgericht von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung keinen Beitrag zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalt erwarten durfte, war dies angesichts der zitierten Formulierung kein die Entscheidung tragender Grund.

Der Senat legt deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die im Tenor aufgeführte Rechtsfrage vor.

Ende der Entscheidung

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