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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 08.03.2005
Aktenzeichen: 1 Ss (B) 39/05
Rechtsgebiete: OWiG, StPO, StVG, StVO, BKatV


Vorschriften:

OWiG § 66 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 3 S. 1
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
StVG § 24
StVG § 25
StVO § 41 Abs. 2
StVO § 49
BKatV § 4 Abs. 1
BKatV § 24
1. Hat die Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid die Regelsanktionen der Bußgeldkatalog-Verordnung, die von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgeht (§ 1 Abs. 2 BKatV), angeordnet, ist der Bußgeldrichter bei wirksamer Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgenentscheidung an den Tatvorwurf der fahrlässigen Begehungsweise gebunden.

2. Die Bindungswirkung der Einspruchsbeschränkung hängt nicht von dem Verdacht des Tatrichters ab, der Schuldvorwurf des Bußgeldbescheides könne zu Lasten des Betroffenen anders zu beurteilen sein. Vielmehr ist eine Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich zulässig und nur dann unwirksam, wenn der Bußgeldbescheid den Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG nicht entspricht oder die Beschränkung des Rechtsmittels sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang der angefochtenen Entscheidung nicht losgelöst von deren nicht angegriffenem Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im übrigen erforderlich zu machen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ss (B) 39/05 OLG Naumburg

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 08. März 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht Sternberg als Einzelrichter

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Eisleben vom 09. November 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Der Betroffene ist der im Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Technischen Polizeiamt Magdeburg vom 04. März 2004 (Az.: ... ) aufgeführten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schuldig.

3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zum Rechtsfolgenausspruch, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die bisher zuständige Abteilung des Amtsgerichts Eisleben zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 300 € und einem zweimonatigen Fahrverbot verurteilt.

Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Es ist daher ohne Belang, dass eine Verfahrensrüge nicht in der gebotenen Form des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG ausgeführt und demgemäß unzulässig ist.

Rechtsfehlerhaft hat das Amtsgericht auf vorsätzliche Begehungsweise erkannt, obwohl der Betroffene im Hauptverhandlungstermin am 09. November 2004 seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, mit welchem ihm eine fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zur Last gelegt wird, wirksam auf die Rechtsfolgenentscheidung der Verwaltungsbehörde - Geldbuße von 275 € und zweimonatiges Fahrverbot - beschränkt hatte (§ 67 Abs. 2 OWiG). Diese Beschränkung ist nicht etwa deshalb unwirksam, weil der Bußgeldbescheid keine ausdrückliche Angabe darüber enthält, ob die Verkehrsordnungswidrigkeit vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Im Bußgeldbescheid heißt es :

"Tatangaben:

Ihnen wird vorgeworfen, ...

folgende Verkehrsordnungswidrigkeit(en) nach § 24 StVG begangen zu haben:

Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 61 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 100/km/h; Festgestellte Geschwindigkeit (abzgl. Toleranz): 161 km/h.

Konkretisierung:

*Z. 274-60

Verletzte Rechtsvorschriften:

§ 41 Abs. 2, § 49 StVO; § 24, § 25 StVG; 11.3.9 Bkat; § 4 Abs. 1 BKatV,

Beweismittel:

Messung mit Geschw.meßgerät, Video-Band-Aufzeichnung, Messung durch Nachfahren"

Erkennbar hat die Verwaltungsbehörde damit fahrlässiges Handeln des Betroffenen zugrunde gelegt, weil sie für den Tatvorwurf die Regelsanktionen der Bußgeldkatalog-Verordnung, die von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgeht (§ 1 Abs. 2 BKatV), angeordnet hat. Bei einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgenentscheidung - wie hier - hat das Gericht von fahrlässiger Begehungsweise auszugehen und zu prüfen, welche Ahndung für das fahrlässige Verhalten tat- und schuldangemessen ist (BayObLG VRS 96, 47, 49; OLG Rostock VRS 101, 380, 383 m. w. Nachw.; KG Berlin VRS 102, 296 m. w. Nachw.; Senat, Beschluss vom 27. Januar 2000 - 1 Ss (B) 462/99 - ).

Die Bindung des Richters an die in Rechtskraft erwachsene Entscheidung der Verwaltungsbehörde hat der Gesetzgeber in Kauf genommen (BayObLG a. a. O., 48). Aufgrund dieser Bindung des Tatrichters ist es ihm verwehrt, etwa bedingten Vorsatz statt Fahrlässigkeit anzunehmen (vgl. OLG Köln NStZ 1981, 63, 64); der Tatrichter ist jedoch nicht gehindert, weitere Feststellungen auch zum Tatvorwurf zu treffen, sofern diese für den Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung sind und den bereits rechtskräftig feststehenden nicht widersprechen (OLG Rostock a. a. O., 384).

Der Auffassung des Oberlandesgerichts Celle, wonach der Bußgeldrichter bei Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen von fahrlässiger Begehungsweise ausgeht, "es sei denn, er hat Grund zu dem Verdacht vorsätzlichen Zuwiderhandelns und überprüft den genannten Bescheid." (OLG Celle VRS 97, 258), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Bindungswirkung der Einspruchsbeschränkung hängt nicht von dem Verdacht des Tatrichters ab, der Schuldvorwurf des Bußgeldbescheides könne zu Lasten des Betroffenen anders zu beurteilen sein. Vielmehr ist eine Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich zulässig und nur dann unwirksam, wenn der Bußgeldbescheid den Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG nicht entspricht oder die Beschränkung des Rechtsmittels sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang der angefochtenen Entscheidung nicht losgelöst von deren nicht angegriffenem Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im übrigen erforderlich zu machen (OLG Rostock a. a. O., 383). Bei einem Verdacht des vorsätzlichen Handelns bleibt es der Staatsanwaltschaft unbenommen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, um einer darin erklärten (Teil-)Rücknahme des Einspruchs durch den Betroffenen nicht zuzustimmen und dadurch der horizontalen Teilrechtskraft des Bußgeldbescheides entgegenzuwirken (s. § 75 Abs. 2 OWiG , § 303 S. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG). Dem Bußgeldrichter steht es frei, der Staatsanwaltschaft den Hauptverhandlungstermin mitzuteilen, wenn er ihre Mitwirkung für angemessen hält (§ 75 Abs. 2 S. 2 OWiG).

Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG i. V. m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zur Vorlage an den Bundesgerichtshof liegen nicht vor, weil in dem vom Oberlandesgericht Celle entschiedenen Fall - anders als hier - das Tatgericht von der Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist und die zitierte Auffassung des Oberlandesgerichts Celle für seinen Beschluss nicht entscheidungserheblich war.

Auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz mit Beschluss vom 19. August 2004 (DAR 2004, 719) rechtfertigt keine Vorlage an den Bundesgerichtshof. In jener Sache fehlten im Bußgeldbescheid zwar - wie hier jedenfalls ausdrücklich - jegliche Feststellungen zur inneren Tatseite. In der dem Oberlandesgericht Koblenz zugrunde liegenden Sache hatte das Amtsgericht jedoch - im Gegensatz zu hiesiger Sache, bei welcher der Vorwurf fahrlässigen Handelns aus dem Gesamtzusammenhang des Bußgeldbescheides ersichtlich ist - angenommen, dass die Bußgeldbehörde von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen sei und deshalb die Geldbuße für eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung verdoppelt habe.

Weil das angefochtene Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, ist es mit den gesamten Feststellungen aufzuheben. Aufgrund der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgenentscheidung hat der Senat den Schuldspruch abgeändert. Eine eigene Sachentscheidung zum Rechtsfolgenausspruch ist dem Senat dagegen verwehrt. Das Amtsgericht hat bereits wegen der - rechtsfehlerhaft festgestellten - "vorsätzlichen Tatbegehung" ein " Absehen vom Fahrverbot gegen eine Erhöhung der Geldbuße oder eine Minimierung des Fahrverbots" (UA S. 5) nicht in Betracht gezogen. Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Sache einer anderen als der bisher zuständigen Abteilung des Amtsgerichts zu übertragen, § 79 Abs. 6 OWiG, besteht kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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