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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 05.04.2004
Aktenzeichen: 1 U 105/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
ZPO § 287 | |
ZPO § 313 a Abs. 1 S. 1 | |
ZPO § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 | |
ZPO § 540 Abs. 2 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
BGB § 847 |
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
1 U 105/03 OLG Naumburg
Verkündet am 5. April 2004
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann, den Richter am Oberlandesgericht Grimm und den Richter am Oberlandesgericht Kühlen auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2004 für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 7. November 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Halle, 7 O 320/02, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.000 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben der Kläger zu 85 % und der Beklagte zu 15 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer beider Parteien übersteigt jeweils 20.000 EUR nicht.
Gründe:
I.
Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen Verletzung seines Selbstbestimmungsrechts im Zusammenhang mit der im Herbst 1999 versuchten Reparatur und Ersetzung der Brücke von Zahn 16/15 auf Zahn 21/22 nach § 823 Abs. 1 BGB (dazu unter Ziffer 2.). Weiter gehende Ansprüche, insbesondere auf Ersatz der Folgebehandlungskosten wegen eines angeblichen zahnärztlichen Behandlungsfehlers, sind bereits dem Grunde nach nicht gegeben (dazu unter Ziffer 1.).
1. Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die erstinstanzliche Feststellung, dass dem Beklagten kein zahnärztlicher Behandlungsfehler unterlaufen ist.
1.1. Im Ergebnis der vom Senat durch informelle Anhörung der Prozessparteien sowie durch Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen ergänzten Beweisaufnahme ist festzustellen, dass die vom Beklagten durchgeführte Behandlung, insbesondere der Versuch der Reparatur der ersten Brücke von 1994 im November 1999 sowie der Versuch der Ersetzung dieser Brücke durch eine im Wesentlichen gleichartige Brücke im Zeitraum Ende November 1999 bis Anfang Februar 2000 medizinisch notwendig war und sowohl hinsichtlich der Therapiewahl im Allgemeinen als auch hinsichtlich der konkreten planerischen Konstruktion im Besonderen den fachärztlichen Sorgfaltsanforderungen entsprach. Hierfür ist insbesondere maßgeblich, dass die Bewertung der Behandlung durch den Beklagten nicht aus rückschauender Sicht und in Kenntnis der Fehlschläge erfolgen darf, sondern aus der Sicht des behandelnden Zahnarztes zum Zeitpunkt der Behandlung (s.g. ex-ante-Sicht). Aus dieser Sicht war der gewählte Weg ein gangbarer Weg, der für den Patienten den geringsten Behandlungsaufwand und wohl auch die geringsten Kosten erforderte und im Rahmen der möglichen Versorgungsalternativen mit festsitzendem Zahnersatz den geringer invasiven Eingriff darstellte.
Zwar haben beide gerichtliche Sachverständige, der Sachverständige des gerichtlichen Beweisverfahrens als auch der neue Sachverständige des Hauptverfahrens, übereinstimmend ausgeführt, dass die Konstruktion in planerischer Hinsicht grenzwertig ist, weil die AnteŽsche Regel (ein stomatologisches Erfahrungswissen, wonach die Wurzeloberfläche der als Pfeiler verwendeten Zähne größer als oder zumindest gleichgroß wie die Wurzeloberfläche der zu ersetzenden Zähne sein soll) rechnerisch nur "gerade so" eingehalten war und das Ziel einer jeden Brückenstatik, extrusive oder extraaxiale Belastungen oder gar Überlastungen der Pfleilerzähne zu vermeiden, wegen der bogenförmigen Konstruktion der Brücke verfehlt wurde. Die viergliedrige bogenförmige Brücke entsprach aber dem stomatologischen Standard einer Brückenversorgung; ihre Grenzwertigkeit resultierte in erster Linie aus der Größe der Zahnlücke und hätte Anlass für ein Nachdenken über Behandlungsalternativen gegeben (dazu unter Ziffer 2.). Der Sachverständige Prof. Dr. Sr. (künftig: der gerichtliche Sachverständige - ohne Namensnennung -) hat in seiner Anhörung vor dem Senat ergänzend und insoweit abweichend von der Wertung des Sachverständigen Prof. Dr. Sz. darauf verwiesen, dass eine Haltbarkeit von fünf Jahren, wie sie mit der ersten derartigen Brücke erzielt wurde, angesichts der Schwierigkeit der hier zu leistenden Versorgung auch keine signifikant kurze Nutzungsdauer darstelle.
1.2. Die Beweisaufnahme hat auch ergeben, dass handwerkliche Fehler bei der Herstellung, Einsetzung und Bearbeitung der drei Brücken (erste Brücke 1994, zweite - provisorische - Brücke 1999, dritte Brücke 2000) nicht nachweisbar sind.
Insbesondere lassen weder die Lösung der Krone an Zahn 22 noch der Keramikbruch an Zahn 21, der eindeutig ein Belastungsbruch war, noch die im Jahre 2000 bestehende Non-Okklusion einen sicheren Schluss auf einen ärztlichen Behandlungsfehler oder zahntechnischen Mangel der Brücke zu. Der gerichtliche Sachverständige hat in seiner Anhörung vor dem Senat deutlich gemacht, dass belastungsbedingte Beschädigungen der Zähne typische Komplikationen der Versorgung darstellen, ohne dass hieraus der sichere Schluss gezogen werden könne, dass diese Belastungsschäden für den behandelnden Arzt zum Zeitpunkt des Einsetzens der Brücke vorhersehbar gewesen waren.
2. Die mit der Berufung weiter verfolgte Klage ist aber begründet, soweit mit ihr ein Schmerzensgeld wegen der Verletzung der Wahrung der persönlichen Entscheidungsfreiheit des Klägers als Patient des Beklagten verlangt wird.
2.1. Der Beklagte hat es pflichtwidrig versäumt, den Kläger anlässlich der im November 1999 durchgeführten zahnärztlichen Behandlung darüber aufzuklären, dass es für die Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz neben der seit dem Jahre 1994 beim Kläger angewandten reinen Brückenkonstruktion auch die Alternative solcher von einem oder mehreren Implantaten getragenen Brücken gab.
2.1.1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster und zweiter Instanz steht zur Überzeugung des Senats fest, dass beide Alternativen des festsitzenden Zahnersatzes für die Behandlung des Klägers - also das Einsetzen einer bogenförmigen Brücke über den gesamten Lückenbereich und das Einsetzen mehrerer kleinerer Brückenteile nach Einbringung von Implantaten zur Pfeilervermehrung - tatsächlich in Betracht kamen. Der gerichtliche Sachverständige hat in seiner Anhörung vor dem Senat - insoweit abweichend von seinem schriftlichen Gutachten - nachvollziehbar ausgeführt, dass aus dem Umstand der zwischenzeitlichen implantologischen Versorgung der sichere Schluss gezogen werden könne, dass diese Versorgung auch schon im Jahre 1999 möglich gewesen wäre. Er hat dies vor allem damit begründet, dass sich die Vorbedingungen für eine solche Behandlung, insbesondere eine ausreichende Knochenmasse und Knochenqualität des Oberkiefers, nicht verändern.
2.1.2. Der Beklagte war hier zu einer entsprechenden Aufklärung über die vorgenannte Behandlungsalternative verpflichtet.
Die zivilrechtliche Haftung für Aufklärungsversäumnisse knüpft an das Postulat an, dass die ärztliche Behandlung über das medizinische Anliegen hinaus auch dem personalen Anspruch des Patienten gerecht werden muss, dass dieser nicht Objekt der Behandlung ist, sondern Subjekt, d.h. dass die ärztliche Entscheidung neben den medizinischen Aspekten auch den Entschluss des Patienten als personalen Faktor einbezieht. Dabei soll die Aufklärung dem Patienten kein medizinisches Entscheidungswissen vermitteln. Der Patient soll aber erkennen können, welcher konkrete Eingriff beabsichtigt und was dieser Eingriff für seine persönliche Situation bedeuten kann. Zur Aufklärung über die Art des Eingriffs gehört u.a. dann auch eine Aufklärung über Behandlungsalternativen, wenn eine echte Alternative mit gleichwertigen Chancen, aber andersartigen Beanspruchungen des Patienten bzw. Risiken für den Patienten besteht (vgl. allgemein nur Spindler in: Bamberger/ Roth, Komm. z. BGB, 2003, § 823 Rn. 625, 628 m.w.N.; für die Aufklärungspflicht über Behandlungsalternativen bei der Versorgung mit Zahnersatz vgl. OLG Köln VersR 1999, 1498, 1499; OLG Stuttgart NJWE-VHR 1997, 134; dass. VersR 2002, 1286, 1287). So liegt der Fall hier.
Der gerichtliche Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten und in seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend ausgeführt, dass die Alternative der Implantat getragenen Brückenversorgung aus einer objektivierten ex-ante Sicht des Beklagten im November 1999 grundsätzlich zumindest gleichwertige Erfolgschancen bei höherer Stabilität der Konstruktion erwarten ließ, jedoch mit einer höheren zeitlichen, organisatorischen und physischen Beanspruchung des Beklagten während der Behandlung verbunden war. In dieser Situation kam den subjektiven Gründen des Klägers für die Präferenz der einen oder anderen Behandlungsalternative entscheidende Bedeutung zu.
2.1.3. Für die gerichtliche Entscheidung ist davon auszugehen, dass der Beklagte eine Aufklärung über die vorgenannten Behandlungsalternativen nicht vorgenommen hat.
Der Beklagte hat schon nicht sicher darlegen können, ob er die gebotene Aufklärung über die Behandlungsalternativen innerhalb der Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz durchgeführt hat. Er hat in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat vielmehr eingeräumt, hieran keine genaue Erinnerung mehr zu haben. Erinnern konnte sich der Beklagte lediglich an eine Aufklärung über die Alternative einer Versorgung mit herausnehmbarem Zahnersatz, die der Kläger aber abgelehnt habe.
Jedenfalls ist der Beklagte für eine Erfüllung seiner Verpflichtung zur Eingriffsaufklärung beweisfällig geblieben. So enthalten etwa die Krankenunterlagen des Beklagten über die Behandlung des Klägers keinen Anhalt für eine entsprechende Aufklärung.
2.2. Der Beklagte hat seine o.a. Aufklärungspflichten schuldhaft verletzt.
Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte selbst nicht implantologisch tätig war und ist. Der Verschuldensmaßstab im Arzthaftungsrecht ist ein objektivierter Maßstab, d.h. geschuldet wird der fachärztliche Standard grundsätzlich ohne Rücksicht auf den individuellen Aus- und Fortbildungsstand und die Schwerpunkte der eigenen Tätigkeit. Der behandelnde Arzt hat im Hinblick hierauf grundsätzlich für ein dem medizinisches Standard zuwiderlaufendes eigenes Verhalten auch dann haftungsrechtlich einzustehen, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus subjektiv als entschuldbar erscheinen mag.
Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen war zumindest ein Hinweis auf die Möglichkeit von Implantat getragenen Einzelbrücken zu erwarten, ggfs. verbunden mit der Empfehlung, sich über Einzelheiten bei einem anderen Zahnarzt zu erkundigen.
2.3. Der Beklagte kann sich schließlich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich der Kläger bei - unterstellter - pflichtgemäßer Aufklärung über die o.a. Behandlungsalternative gleichwohl einer Weiterbehandlung, wie durchgeführt, unterworfen hätte.
Der Kläger hat in seiner Anhörung vor dem Senat plausibel dargelegt, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung zumindest in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, d.h. dass er sich eine Bedenkzeit für die Entscheidung über die Art der Weiterbehandlung ausbedungen und sich ggfs. auch bei einem anderen Zahnarzt informiert und vergewissert hätte. Dies genügt; es bedarf nicht etwa der zusätzlichen Darlegung, wie er sich tatsächlich entschieden hätte (vgl. BGH NJW 1991, 1543).
2.4. Die zahnärztliche Behandlung des Klägers durch den Beklagten zum Jahreswechsel 1999 / 2000 war danach rechtswidrig; der Senat erachtet hierfür ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 EUR für angemessen, § 847 BGB i.V.m. § 287 ZPO.
Für die Bemessung des Schmerzensgeldes hat der Senat insbesondere berücksichtigt, dass die rechtswidrige zahnärztliche Behandlung insgesamt über einen Zeitraum von ca. drei Monaten anhielt und aus mehreren Behandlungsterminen bestand. Hinzu kommt, dass dem Kläger in ihrem Verlauf über einen Zeitraum von ca. sechs Wochen ein Experiment mit einer u.U. stabileren, aber die Mundsituation funktional und physisch verschlechternden Brückenkonstruktion zugemutet wurde, welches er sich bei ordnungsgemäßer Beratung ggfs. hätte ersparen können.
III.
1. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
2. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nrn. 7 und 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Ende der Entscheidung
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