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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 25.03.2002
Aktenzeichen: 1 U 137/01
Rechtsgebiete: BGB, StGB, EGZPO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 134
BGB § 139
StGB § 203
StGB § 203 Abs. 1
StGB § 203 Abs. 1 Nr. 3
EGZPO § 26 Nr. 7
EGZPO § 26 Nr. 8
ZPO § 543
ZPO § 711 S. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 544 Abs. 1 S. 1
ZPO § 543 Abs. 2 n.F.
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1 n.F.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, von der auch der Senat ausgeht, verletzt ein Vertrag über die Veräußerung einer Steuerberatungskanzlei (gleich gelagert einer Rechtsanwaltskanzlei bzw. einer Arztpraxis), in der sich der Veräußerer unbeschränkt zur Übergabe der Mandanten- (respektive Patienten-) Akten ohne vorherige Einwilligung der betroffenen Mandanten verpflichtet, deren informationelles Selbstbestimmungsrecht und die dem Veräußerer nach § 203 StGB auferlegte Schweigepflicht (vgl. zuletzt: BGH NJW 2001, 2462-2464 m.w.N.).

2. Dem steht die Bestimmung einer "treuhänderischen" Aktenübernahme unter Zusicherung einer "berufsüblichen Behandlung" nicht entgegen.

3. Die rechtliche Qualifizierung der Beklagten als Dritte i.S.v. § 203 Abs. 1 StGB steht nicht im Widerspruch dazu, dass ein Erwerber in denjenigen Fällen, in denen der Praxisübertragung beispielsweise die Begründung einer gemeinsamen Außen-Sozietät mit dem Veräußerer bzw. eine Einstellung als steuerberaterlicher Mitarbeiter bzw. der Abschluss von einzelnen Dienstverträgen voraus geht, nicht (mehr) als Dritter angesehen wird.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 137/01 Oberlandesgericht Naumburg

verkündet am: 25.03.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink und die Richter am Oberlandesgericht Geib und Wiedemann auf die mündliche Verhandlung vom

25. März 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 31. August 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Halle, Az.: 14 O 38/01, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000 EUR abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des Klägers übersteigt 20.000 EUR.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Restkaufpreises aus einem "Kaufvertrag über eine Steuerberatungspraxis" in H. aus eigenem Recht und aus abgetretenem Recht des früheren Mitinhabers dieser Praxis. Soweit in erster Instanz zugleich über eine Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung der geleisteten Teilzahlung auf den Kaufpreis - die Widerklage abweisend - entschieden worden war, hat die Beklagte diesen Teil der Entscheidung nicht angefochten.

Der zwischen den Parteien des Rechtsstreits am 01. März 2000 geschlossene Kaufvertrag bezieht sich nach § 1 - "Gegenstand des Vertrages" - auf den Erwerb der "Gesamtheit der ... betriebenen Steuerberatungspraxis", insbesondere sämtlicher Mandantenbeziehungen und des gesamten materiellen Praxisinventars auf den Stichtag 01. März 2000. Der Vertragsurkunde ist daher u.a. als Anlage 1 eine Übersicht über die Mandantenbeziehungen unter Angabe von Mandantennummer, Alter, ausgeübter Beratungstätigkeiten und mandantenbezogenem Gebührenumsatz beigefügt. Die Parteien hatten einen Pauschalkaufpreis in Höhe von 140.000 DM zzgl. Umsatzsteuer vereinbart, von dem nach dem Inhalt des Kaufvertrages (§ 6) 123.175 DM auf den "immateriellen Praxiswert" und 16.825 DM auf das mobile Inventar entfallen.

Als Zeitpunkt der Übereignung durch Übergabe der Praxisräume ist der 01. März 2000 bestimmt. Hinsichtlich der Überleitung des Mandantenstammes ist in § 2 des Vertrages geregelt, dass die Beklagte sämtliche Mandantenakten "treuhänderisch ... mit der Zusicherung der berufsüblichen Behandlung, insbesondere der Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht" übernimmt. Für den Fall, dass einer der vom Kläger über den Praxisverkauf erst noch zu unterrichtenden Mandanten der Überleitung seines Mandatsverhältnisses auf die Beklagte widersprechen sollte, ist im Vertrag vorgesehen, dass die Beklagte dessen persönliche Unterlagen an den betreffenden Mandanten gegen Quittung aushändigt. Die Beklagte soll nach § 2 Nr. 3 des Vertrages in die bestehenden Mandatsvereinbarungen in dem am 01. März 2000 bestehenden Arbeitsstand eintreten und alle angearbeiteten, aber erst von ihr fertig gestellten Aufträge auch selbst abrechnen. In § 8 Nr. 1 enthält der Kaufvertrag eine salvatorische Klausel.

Eine Einverständniserklärung der Mandanten wegen der Übergabe der sie betreffenden Akten an die Beklagte lag z.Zt. des Vertragsschlusses nicht vor und wurde auch später nicht eingeholt. Die Beklagte zahlte auf den Kaufpreis einen Betrag von 81.200 DM brutto. Weitere Zahlungen leistete sie unter Berufung auf eine vermeintliche Unwirksamkeit des Kaufvertrages wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB), Anfechtung und Wandlung - jeweils wegen arglistiger Täuschung - nicht Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der widerstreitenden Rechtsauffassungen der Parteien des Rechtsstreits und wegen des Verlaufs des Verfahrens in erster Instanz, nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F..

Das Landgericht Halle hat die Klage abgewiesen und diese Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kaufvertrag zumindest hinsichtlich "des Verkaufs der Mandantenbeziehungen" nach § 134 BGB i.V.m. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB nichtig sei.

Der Kläger hat gegen die Klageabweisung Berufung eingelegt und verfolgt damit seinen Kaufpreiszahlungsanspruch in Höhe von 58.800 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 31. März 2000 weiter. Er meint, in der unbeschränkten Übertragung der Mandantenakten auf die Beklagte läge kein Verstoß gegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB, weil die Beklagte als Steuerberatungsgesellschaft keine "Dritte" i.S.d. vorgenannten Strafnorm sei. Es sei - entgegen der vom Landgericht zitierten Rechtsprechung - nicht nachvollziehbar, weshalb eine stufenweise Praxisübertragung (erst Einbeziehung des potenziellen Erwerbers in die Mandatsbearbeitung durch Außensozietät bzw. Dienstvertrag, dann Ausscheiden der ursprünglichen Mandatsträger und Veräußerer) gegenüber einer unmittelbaren Praxisübertragung auf einen Berufsträger strafrechtlich privilegiert sei. Zudem sei das Landgericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Großteil des Kaufpreises auf die "Übertragung des Mandantenstammes" entfalle; vielmehr habe man als immateriellen Praxiswert den so genannten "Good will" gemeint.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen vertraglichen Zahlungsanspruch. Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass zumindest ein wesentlicher Teil des Praxiskaufvertrages vom 01. März 2000 nach § 134 BGB i.V.m. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB nichtig ist; hieraus resultiert - und insoweit geht der Senat über die Erkenntnis des angefochtenen Urteils hinaus - die Nichtigkeit des gesamten Kaufvertrages.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, von der auch der Senat ausgeht, verletzt ein Vertrag über die Veräußerung einer Steuerberatungskanzlei (gleich gelagert einer Rechtsanwaltskanzlei bzw. einer Arztpraxis), in der sich der Veräußerer unbeschränkt zur Übergabe der Mandanten- (respektive Patienten-) Akten ohne vorherige Einwilligung der betroffenen Mandanten verpflichtet, deren informationelles Selbstbestimmungsrecht und die dem Veräußerer nach § 203 StGB auferlegte Schweigepflicht (vgl. zuletzt: BGH NJW 2001, 2462-2464 m.w.N.). Der streitgegenständliche Steuerberatungspraxis-Kaufvertrag enthält eine solche gesetzeswidrige Aktenübergabe-Klausel.

Dem steht, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die Bestimmung einer "treuhänderischen" Aktenübernahme durch die Beklagte unter Zusicherung einer "berufsüblichen Behandlung" nicht entgegen. Denn letztlich ändert auch diese Bestimmung nichts daran, dass sich die Veräußerer zur uneingeschränkten Aktenübergabe verpflichten und mit Erfüllung dieser Verpflichtung der Beklagten die Möglichkeit der Einsicht in alle Akten verschaffen, obwohl keiner der betroffenen Mandanten zuvor dieser Informationsweitergabe von den Veräußerern an die Erwerberin zugestimmt hat. Für die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes des § 203 StGB durch die Veräußerer kommt es nicht darauf an, ob der Informationsempfänger, hier die Beklagte, ihrerseits die "Privatgeheimnisse" der Mandanten der Veräußerer weiteren Dritten zugänglich macht.

Die rechtliche Qualifizierung der Beklagten als Dritte i.S.v. § 203 Abs. 1 StGB steht nicht im Widerspruch dazu, dass ein Erwerber in denjenigen Fällen, in denen der Praxisübertragung beispielsweise die Begründung einer gemeinsamen Außen-Sozietät mit dem Veräußerer bzw. eine Einstellung als steuerberaterlicher Mitarbeiter bzw. der Abschluss von einzelnen Dienstverträgen voraus geht, nicht (mehr) als Dritter angesehen wird. Denn den letztgenannten Fällen ist gemeinsam, dass der Dritte zuerst in den konkreten Mandatsvertrag einbezogen wird und damit in den Kreis der "zum Wissen Berufenen" eintritt und erst danach Einblick in die persönlichen Daten der Mandanten erhält (vgl. Ganter NJW 1996, 1306, 1310). Die Beklagte hingegen erhält zuerst Akteneinsichtsmöglichkeiten, während sich erst nachträglich herausstellt, ob der betroffene Mandant einer Vertragsübernahme durch die Beklagte zustimmt oder nicht. Der Einbeziehung in den Mandatsvertrag wiederum kommt deshalb maßgebliche Bedeutung zu, weil dieser Vertrag die ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Mandanten enthält, inwieweit er mit der Weitergabe der ihn betreffenden "Privatgeheimnisse" innerhalb der beauftragten Kanzlei einverstanden ist. Im Regelfall wird dabei - auch ohne ausdrückliche Fixierung im Vertragstext - beispielsweise davon auszugehen sein, dass ein Mandant, der eine Sozietät beauftragt, sich die Vorteile dieser Sozietät in organisatorischer Hinsicht, hinsichtlich der möglichen Arbeitsteilung und Spezialisierung, ggfs. auch im Hinblick auf deren größere Kapazitäten zunutze machen will und daher mit einer Weitergabe seiner Daten an alle Sozietätsmitglieder und -mitarbeiter einverstanden ist (vgl. BGH a.a.O.). Ein Mandant wird mit der Mandatserteilung regelmäßig konkludent auch sein Einverständnis geben, dass im Falle einer notwendigen Kanzleiverwesung der Abwickler Einsicht in seine Daten nehmen kann. Ob er aber auch dem Erwerber einer Kanzlei diesen Informationszugang verschaffen will, entscheidet der Mandant (erst) im Rahmen seiner Zustimmung zur Vertragsübernahme durch den Erwerber.

Hinsichtlich der Nichtigkeit der Aktenübergabeklausel ist im Übrigen unerheblich, dass die Übergabe an eine Steuerberatungsgesellschaft erfolgt, die von Personen verantwortlich geführt wird, die ebenfalls der Schweigepflicht unterliegen (vgl. BGHZ 116, 268, 272).

Aus den gleichen Gründen verletzt eine Vertragsbestimmung, in der der Veräußerer einer Steuerberaterkanzlei dem Erwerber eigene Honorarforderungen abtritt, das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Mandanten und die dem Veräußerer nach § 203 StGB auferlegte Schweigepflicht. Eine solche Abtretung enthält letztlich der § 2 Nr. 4 des Kaufvertrages, wonach die Beklagte alle "angearbeiteten" und von ihr fertiggestellten Arbeiten im eigenen Namen und für eigene Rechnung abrechnen darf, während die Veräußerer auf einen anteiligen Honorarausgleich verzichten.

Die Nichtigkeit der vorgenannten Bestimmungen des Kaufvertrages führt hier zu einer Gesamtnichtigkeit des Vertrages. Allerdings haben die Vertragsparteien eine so genannte salvatorische Klausel in den Vertragstext aufgenommen. Diese Klausel kehrt jedoch lediglich die Vermutung des § 139 BGB in Zweifelsfällen um. Sind hingegen Vertragsbestimmungen von grundlegender Bedeutung für das ganze Rechtsgeschäft unwirksam, so verbleibt kein Zweifel daran, dass die Vertragsparteien in Kenntnis der weit gehenden Nichtigkeit ihrer Abreden den Vertrag insgesamt nicht geschlossen hätten (vgl. BGH NJW 1996, 2087, 2088; OLG Koblenz DStRE 2000, 555, 556 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Die überragende Bedeutung der Überleitung des Mandantenstammes der veräußerten Steuerberatungskanzlei, die ihrerseits insbesondere durch die Übergabe der Akten repräsentiert wird, gegenüber dem Wert des Praxisinventars bzw. der Lage der Büroräume etc. ist nicht nur im Allgemeinen nahe liegend, sondern ergibt sich hier im Besonderen aus dem Kaufvertrag selbst, nämlich aus der Aufteilung des Kaufpreises auf die einzelnen, damit abgegoltenen Vermögensteile des veräußerten Steuerberatungsunternehmens.

Für einen über die von der Beklagten geleisteten Zahlungen hinaus gehenden bereicherungsrechtlichen Zahlungsanspruch des Klägers sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, insbesondere hat der Kläger solche auch in Ansehung des erstinstanzlichen Urteils nicht dargelegt.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nrn. 7 und 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO n.F.. Da die mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren nach dem 01. Januar 2002 erfolgte, richtet sich die Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen diese Entscheidung nach der nunmehr geltenden Fassung der ZPO, was bereits bei Abfassung des Berufungsurteils zu berücksichtigen war.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO n.F. war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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