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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 29.03.2006
Aktenzeichen: 1 U 48/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
1. Wird in einem Vertrag über die entgeltliche Übernahme von Steuerberatungsmandaten die Höhe des Kaufpreises am Netto-Jahresumsatz des letzten vollen Geschäftsjahres orientiert, so erfüllt eine Vertragsklausel über eine nachträgliche Kaufpreisreduzierung den objektiven Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB, die bestimmt, dass jeglicher Umsatzrückgang im ersten Jahr nach Übernahme der Mandate, unabhängig von seinem Grund und unabhängig von einem Vertreten-müssen des Veräußerers, in voller Höhe zur Reduzierung des Kaufpreises führt (Fortführung des Senatsurteils v. 19.07.2005, 1 U 83/04 = OLGR Naumburg 2006, 39).

2. Zu den Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes des § 138 Abs. 1 BGB (hier: abgelehnt).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 48/05 OLG Naumburg

Verkündet am 29.03.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Kühlen, Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg - Einzelrichterin - vom 01.07.2005 aufgehoben. Die Sache wird zur Fortsetzung der Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung des Landgerichts vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Parteien übersteigt 20.000,00 EUR.

Gründe:

I.

Die Klägerin betreibt eine Steuerberatergesellschaft mit mehreren Niederlassungen, die Beklagten sind Rechtsanwälte in überörtlicher Sozietät.

Am 31.12.1999 schlossen die Parteien zwei Verträge, mit denen die Klägerin die Steuerberatungsmandate, die die Beklagten bis dahin an ihren Standorten in M. und J. betreuten, erwarb. Den Verträgen waren Mandantenlisten beigefügt, die in gewerblich tätige Mandanten und Arbeitnehmermandate unterteilt waren. Die Verträge enthielten außerdem eine Regelung, wonach der jeweilige Kaufpreis von 147.000 € bzw. 115.000 € nachträglich zu reduzieren ist, wenn der kalkulierte Umsatz der veräußerten Mandate im ersten Jahr nach dem Verkauf ersatzlos sinken sollte.

Auf Grund dieser Klausel hat die Klägerin, die ohnehin nur die Hälfte der Kaufpreissummen gezahlt hatte, eine darüber hinausgehende Kaufpreisrückforderung in Höhe von 26.842,53 € geltend gemacht, die sie mit Umsatzrückgängen begründet hat.

Mit Versäumnisurteil vom 27.06.2003 hat das Landgericht die auf Zahlung von 26.842,54 € nebst 9,5 % Zinsen seit dem 01.06.2001 gerichtete Klage abgewiesen. Auf den rechtzeitigen Einspruch der Klägerin hat die Einzelrichterin Beweis erhoben über die streitigen Umsatzentwicklungen durch Einholung schriftlicher Zeugenaussagen der benannten Mandanten, die jedoch überwiegend keine Angaben gemacht haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die angefochtene Entscheidung vom 22.12.2004 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit Urteil vom 01.07.2005 hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufrecht erhalten. Zur Begründung hat die Einzelrichterin ausgeführt, dass die Klägerin den ihr obliegenden Beweis des Umsatzrückgangs nicht erbracht habe. Da die große Mehrheit der Zeugen auf die schriftliche Anfrage des Gerichts nicht geantwortet habe, sei nur ein geringer Teil der Umsatzrückgänge bewiesen. Außerdem hätten die Aussagen der vernommenen Zeugen auch keine Bestätigung des Rückforderungsbetrages von 26.842,54 € erbracht. Bereits die Nichtbestätigung nur eines vorgetragenen Einzelumsatzes, so das Landgericht, führe dazu, dass der Klägerin der Nachweis des behaupteten Gesamtumsatzes für das Jahr 2000 in Bezug auf die Arbeitnehmerveranlagung nicht gelungen sei. Daher müsse auch ihren weiteren Beweisantritten nicht nachgegangen werden, denn - so hat das Landgericht wohl gemeint - die volle Klageforderung werde sie in jedem Fall nicht mehr nachweisen können.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie rügt in erster Linie die Verletzung prozessualer Verfahrensgrundsätze und wirft dem Landgericht vor, den angetretenen Zeugenbeweis nur unvollständig erhoben zu haben, nachdem sich einige, beispielhaft vernommene Zeugen nicht hätten erinnern können. Nachdem die Mehrzahl der schriftlich angehörten Zeugen nicht geantwortet habe, hätte das Landgericht diese Zeugen zur Vernehmung laden müssen, wie es die Klägerin am 15.02.2005 beantragt habe.

Die Klägerin ist außerdem der Ansicht, die Beweislast liege ohnehin bei der Beklagten, da es sich bei nicht getätigten Umsätzen um negative Tatsachen handele. Sie kritisiert außerdem die Beweiswürdigung des Landgerichts, das die fehlerhafte Umsatzberechnung des Zeugen Orlowski übernommen habe.

Auf den Hinweis des Senats vom 16.01.2006 hat die Klägerin auch zur Frage der Sittenwidrigkeit der Kaufverträge vorgetragen und erläutert, dass sie die Beklagten in keiner Weise unter Druck gesetzt und auch deren wirtschaftliche Verhältnisse nicht gekannt hätte. Bei der Bewertung des Mandantenstammes sei eine Bandbreite verwandt worden, die üblicherweise bei Kanzleikäufen veranschlagt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 01.7.2005 abzuändern, das Versäumnisurteil vom 27.06.2003 aufzuheben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 26.842,54 € nebst 9,5 % Zinsen seit dem 01.06.2001 zu zahlen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils an das Landgericht Magdeburg zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung und meinen ebenfalls, dass die Klägerin den ihr obliegenden Beweis nicht erbracht habe, nachdem die Beklagten die Umsätze des Jahres 2000 wirksam mit Nichtwissen bestritten hätten. Sie halten auch die schriftliche Vernehmung der Zeugen nicht für untauglich. Die Zeugen, die keine Angaben gemacht haben, hätten auch in einem Termin zur mündlichen Verhandlung nichts anderes ausgesagt.

Zur Frage der Sittenwidrigkeit tragen die Beklagten vor, sie hätten im Jahre 1999 die Notwendigkeit gesehen, die in J. und M. bestehenden Steuerberatungsabteilungen zu veräußern. Sie hätten vor der Entscheidung gestanden, die Sozietät wegen der gestiegenen Beratungsbedarfs um einen führungserfahrenen Steuerberater aufzustocken oder sich auf den anwaltlichen Bereich zu beschränken. Da sie keinen geeigneten Steuerberater gefunden hätten, habe man sich letztlich zum Verkauf entschlossen und einen Makler mit der Suche beauftragt. Diese Verkaufsmotive hätten sie der Klägerin in den späteren Verkaufsgesprächen dargelegt und dabei deutlich gemacht, dass sie unter einem gewissen Zeitdruck gestanden hätten, da die Umstrukturierung zum 01.01.2000 geplant gewesen sei. Im Verlauf der Verhandlungen, die sie als in solchen Angelegenheiten unerfahrene Rechtsanwälte geführt hätten, sei auch die vertragliche Nachbewertungsklausel diskutiert worden. Die Bedenken, die sie gegen diese nachteilige Regelung erhoben hätten, seien von der Klägerin mit der Bemerkung zerstreut worden, diese Vertragsgestaltung entspreche der üblichen Praxis.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat in der Sache insoweit Erfolg, als sie zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache wegen Verfahrensfehlern führt (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

1. Die Vereinbarungen über die nachträgliche Reduzierung des Kaufpreises wegen Umsatzrückgangs sind im vorliegenden Falle wirksam.

a) Vereinbarungen wie diejenigen der Prozessparteien über eine Kaufpreisreduzierung bei Umsatzrückgang in § 9 der Verträge vom 31.12.1999 können nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 12.07.2005, 1 U 83/04, OLGR Naumburg 2006, 39-42) sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB sein. Die Vertragsklausel zur Kaufpreisreduzierung in § 9 Abs. 2 der Verträge entwertet die in § 9 Abs. 1 Vertrag getroffene Vereinbarung über die Höhe des Kaufpreises und führt letztlich dazu, dass den Beklagten nachträglich das gesamte Geschäftsrisiko der Klägerin im ersten Jahr nach der Übernahme aufgebürdet wird, ohne dass hierfür eine sachliche Rechtfertigung besteht.

b) Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Vertrag sollten die Beklagten für jeglichen Umsatzrückgang der Praxis in den zwölf Monaten nach dem Übernahmetag finanziell allein einstehen, unabhängig vom Grund des Umsatzrückgangs. Die Klägerin hat selbst betont, dass eine uneingeschränkte Garantie der Beklagten für jede Umsatzminderung bis zum Ablauf der "Garantiezeit" ausdrücklich gewollt war. Mit dieser Vereinbarung verblieb das Geschäftsrisiko trotz der vollständigen Übertragung des Mandantenstammes auf die Klägerin bei den Beklagten. Obwohl die Beklagten am Übernahmetag den Einfluss auf die Betreuung der Mandate vollständig verloren, blieben sie wirtschaftlich betrachtet allein dafür verantwortlich. Hierin liegt eine extrem einseitige, unausgewogene Risikoverteilung, weil sie die Übernahme selbst solcher Risiken umfasst, die für den Beklagten nicht steuerbar sind.

c) Darüber hinaus eröffnet die Klausel der § 9 Abs. 2 Verträge objektiv ein erhebliches Missbrauchspotenzial. Sie schließt eine wirtschaftliche Verantwortlichkeit der Beklagten in Gestalt einer Reduzierung des Kaufpreises selbst dann nicht aus, wenn die Klägerin die Höhe des Jahresumsatzes im ersten Jahr bewusst manipulierte, und sei es durch eine Umsatzreduzierung auf Null. Durch den nachträglichen einseitigen Einfluss der Klägerin auf die Höhe des endgültigen Kaufpreises wird die in § 9 Abs. 1 Vertrag getroffene Abrede zur Kaufpreishöhe verdrängt und ihres Regelungsgehaltes entledigt.

d) Die einseitige Risikoverlagerung lässt sich nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Zwar bestehen bei der Übernahme von Steuerberatungsmandaten berechtigte Interessen des Erwerbers, sich hinsichtlich der Werthaltigkeit des Vertragsgegenstandes abzusichern, weil der Vertragsschluss regelmäßig erfolgt, bevor er Detailkenntnisse über den Mandantenstamm erworben hat. Diesen Interessen kann aber auch ohne eine einseitige, verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Veräußerers Rechnung getragen werden.

Der Senat hat deshalb eine ähnliche Vereinbarung, die allerdings eine längere Garantiezeit und faktisch ein Berufsverbot für den Verkäufer enthielt, in der Vergangenheit auf Grund ihres Gesamtcharakters unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Verkäufers als sittenwidrig angesehen (vgl. Senatsurteil vom 12.07.2005, 1 U 83/04, OLGR Naumburg 2006, 39).

e) Ob auch hier ein Fall der objektiven Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 BGB vorliegt, kann jedoch letztlich offen bleiben, weil es jedenfalls ohne Zweifel an dem subjektiven Element fehlt, das erst die gesetzliche Nichtigkeitsfolge auslöst.

aa) Ergibt sich der Sittenverstoß nicht bereits aus dem Inhalt des Rechtsgeschäfts, sondern - wie hier - allenfalls aus seinem Gesamtcharakter, ist § 138 BGB grundsätzlich nur anwendbar, wenn auch die subjektiven Umstände, insbesondere die Absichten, Motive und Beweggründe der Parteien, als verwerflich anzusehen sind (vgl. BGH, NJW-RR 1998, 590; BGHZ 86, 88; BGH, NJW 2001, 1127). Es kommt daher auch auf die subjektiven Aspekte des Sittenverstoßes an, wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 16.01.2006 betont hat. Auf die Indizwirkung eines etwaigen groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das in der Regel eine weitere Prüfung subjektiver Voraussetzungen entbehrlich macht (vgl. BGH, NJW 2002, 429 (m.N.)), können die Beklagten sich im vorliegenden Fall gerade nicht berufen. Denn die Vermutung gilt in der Regel nicht, wenn der scheinbar Benachteiligte sich bewusst in das ungleiche Leistungsverhältnis begeben hat (vgl. Palandt-Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 138 Rdn. 34 b m.N.).

bb) Zur Frage der Sittenwidrigkeit tragen die Beklagten selbst vor, sie hätten im Verlauf der Verhandlungen auch die vertragliche Nachbewertungsklausel mit der Klägerin diskutiert, weil die Beklagten insoweit Bedenken geäußert hätten. Gleichwohl haben die Beklagten sich in Kenntnis der Bedeutung der Klausel auf diese, für sie nachteilige Regelung bewusst eingelassen, weil die Klägerin an ihr festhielt.

Auch die Motive der Beklagten, die sie zum Verkauf bewegt haben, lassen keine schwere Zwangslage erkennen, die die Klägerin ausgenutzt hätte, sondern lediglich die legitime Absicht, die Kanzleistruktur zu ändern. Die Beklagten sahen im Jahre 1999 die Notwendigkeit, die in J. und M. bestehenden Steuerberatungsabteilungen zu veräußern. Sie hatten nach ihrer Darstellung vor der Entscheidung gestanden, die Sozietät wegen der gestiegenen Beratungsbedarfs um einen führungserfahrenen Steuerberater aufzustocken oder sich auf den anwaltlichen Bereich zu beschränken. Da sie keinen geeigneten Steuerberater gefunden hätten, habe man sich letztlich zum Verkauf entschlossen und einen Makler mit der Suche beauftragt. Es waren also die Beklagen selbst, die sich in freier Entscheidung zum Verkauf entschlossen und einen Makler beauftragt haben, der einen Käufer suchen sollte.

Dass die Beklagten sich unter einem gewissen Zeitdruck sahen, führt ebenfalls nicht zur Sittenwidrigkeit der Vereinbarung. Der von ihnen empfundene Zeitdruck war zum einen ein selbst hervorgerufener, da man die Umstrukturierung schon zum 01.01.2000 geplant hatte, zum andern ist auch nicht plausibel, weshalb eine Fortsetzung der Käufersuche für die Beklagten existenzbedrohend hätte werden sollen.

f) Die Mandantenübernahmeverträge haben daher Bestand und bieten die allein maßgebliche Grundlage zur Ermittlung einer etwaigen Kaufpreisreduktion.

2. Zu Recht ist die Einzelrichterin davon ausgegangen, dass die Klägerin die volle Darlegungs- und Beweislast für die Umsatzentwicklung trägt, wenn sie eine Reduzierung des vereinbarten Kaufpreises verlangt. Die Einzelrichterin hat auch erkannt, dass die Klägerin die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Rückzahlung des Kaufpreises auf Grundlage der Mandanten- und Umsatzlisten schlüssig vorgetragen hat, so dass in eine Beweisaufnahme einzutreten war. Die begonnene Beweisaufnahme über die Umsatzentwicklung der streitigen Mandate hätte das Landgericht jedoch nicht abbrechen dürfen. Das erstinstanzliche Verfahren leidet insoweit an einem wesentlichen Mangel, auf dem die angefochtene Entscheidung auch beruht.

a) Es kann einen schweren Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO darstellen, wenn das erstinstanzliche Gericht den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) dadurch verletzt hat, dass es eine entscheidungserhebliche Frage verfehlt oder übergangen hat. Dies gilt vor allem dann, wenn notwendige Beweise, die vom Gericht auch als solche erkannt wurden, nicht erhoben worden sind (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, 25. Aufl. 2005, § 538 Rdn. 22 m.N.; OLG Saarbrücken, NZBau 2001, 329 f.).

b) Dieser Vorwurf trifft im vorliegenden Fall zu.

aa) Es ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ein Sachverständigengutachten über die Umsatzentwicklung 2000 nicht von Amts wegen eingeholt hat, obgleich dies aus Gründen der Prozessökonomie der Vernehmung aller Mandanten als Zeugen sicher vorzuziehen wäre. Nachdem sich das Gericht aber auf den Zeugenbeweis eingelassen hatte, hätte es die begonnene Beweisaufnahme auch vollständig durchführen müssen. Dass eine Mehrzahl der Zeugen, die schriftlich angehört werden sollten, auf die Fragen des Gerichts nicht geantwortet hat, rechtfertigt es nicht, den Beweis als gescheitert anzusehen und auf eine Vernehmung der Zeugen zu verzichten. Es liegt zwar grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, ob ein Zeuge nach Erteilung einer schriftlichen Auskunft noch zur Vernehmung geladen werden soll. Erteilt er aber keine Auskunft und antwortet nicht, so reduziert sich das Ermessen auf Null und der Zeuge ist zu laden (vgl. Zöller-Greger, 25. Aufl. 2005, § 377 Rdn. 10 a m. N.). Dies gilt erst Recht, wenn eine Partei die Ladung beantragt (vgl. LG Berlin, NJW-RR 1997, 1289, um von ihrem Fragerecht Gebrauch zu machen (§ 397 ZPO).

bb) Die Ansicht der Einzelrichterin, die Klägerin könne die volle Klageforderung ohnehin nicht mehr belegen, weil beispielhaft vernommene Zeugen sich nicht erinnern können, rechtfertigt es ebenfalls nicht, die Klage insgesamt abzuweisen. Das Zivilrecht kennt keine stichprobenartige Beweisaufnahme, und Zahlungsklagen können auch teilweise erfolgreich sein. Wenn es der Klägerin gelingen sollte, nachzuweisen, dass ihre Forderung auch nur in Höhe von 1 € begründet ist, so wäre der Klage in dieser geringeren Höhe stattzugeben. Die Argumentation des Landgerichts zur Klageabweisung wäre nur dann vertretbar, wenn auf Grund des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme feststünde, dass es der Klägerin auch bei Ausschöpfung aller angebotenen Beweise nicht gelingen könnte, die Klageforderung auch nur teilweise zu belegen. Eine solche Aussage kann aber ohne Beweisaufnahme gerade nicht getroffen werden.

Daher ist der Verzicht auf die vollständige Erhebung des Zeugenbeweises verfahrensfehlerhaft im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

3. Bei dieser Sachlage erscheint es dem Senat sachgerecht, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache auf den Hilfsantrag der Klägerin zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Unter Abwägung des Interesses der Prozessparteien an einer schnellen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz und der gesetzlich nicht gewollten Belastung der Berufungsinstanz mit einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme erscheint die Zurückverweisung der Sache zur Fortsetzung der Verhandlung und erneuten Entscheidung im vorliegenden Fall sachdienlich und erforderlich. Es kommt hinzu, dass die Einzelrichterin mit der Beweisaufnahme bereits begonnen hat und das bisher gewonnene Beweisergebnis verwerten kann, da der Senat das Verfahren nicht aufgehoben hat.

4. Der Senat bezweifelt, dass eine primäre Fortsetzung der Zeugenvernehmung im weiteren Verfahren noch sinnvoll erscheint, nachdem die Klägerin sich nun doch dazu entschließen konnte, Sachverständigenbeweis anzutreten. Dieser wird auf Grund der Zurückverweisung ohnehin nach Einzahlung eines Vorschusses der Klägerin zu erheben sein und erscheint auch als geeigneteres Beweismittel. Ein Gutachter kann die Umsatzentwicklung der übertragenen Mandate anhand der Akten der Parteien prüfen und sodann entsprechend den Berechnungsmethoden der Kaufverträge vom 31.12.1999 die Kaufpreisreduzierung ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass die Klägerin die volle Beweislast für etwaige Umsatzrückgänge trägt. Soweit zu der Entwicklung einzelner übertragener Mandate im Garantiejahr keine zweifelsfreien Feststellungen mehr getroffen werden können, ist von einem stabilen Umsatz auszugehen und eine Kaufpreisreduzierung in entsprechender Höhe scheidet aus.

Der Gutachter wird auch alle übertragenen Mandate auf mögliche Umsatzsteigerungen überprüfen. Hinsichtlich der Kompensationsmöglichkeit durch andere Mandate, die laut Vertrag zu berücksichtigen sind, trägt zwar ebenfalls die Klägerin die Beweislast, wie das Landgericht im Ansatz zu Recht angenommen hat. Dies setzt aber voraus, dass die Beklagten eine solche Umsatzsteigerung im Einzelfall zumindest behauptet haben. Kann die Klägerin nach der weiteren Beweisaufnahme einzelne, von den Beklagten behauptete Umsatzsteigerungen aus dem übertragenen Mandantenstamm nicht widerlegen, ist im Zweifel von der schlüssigen Behauptung der Beklagten auszugehen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts führen die Zweifel über eine einzelne Abrechnungsposition aber nicht zur Abweisung der Klage insgesamt.

Sollte die Klägerin nach Erhebung des Sachverständigenbeweises nicht auf die von ihr benannten Zeugen verzichten und für jeden Zeugen einen vom Landgericht zu fordernden Auslagenvorschuss einzahlen, kann auch deren Vernehmung noch notwendig werden.

Der Klägerin ist bewusst, dass ihre Klage nur dann ganz oder auch nur teilweise Erfolg haben kann, wenn ihr der Nachweis gelingt, dass eine Reduzierung der vereinbarten Kaufpreise um mehr als 50 % gerechtfertigt ist.

III.

Die Kostenentscheidung bleibt der landgerichtlichen Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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