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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 08.11.2007
Aktenzeichen: 1 U 70/07
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG §§ 3 ff.
1. Anwaltliche Werbung unterliegt heute im Wesentlichen nur noch den allgemeinen Beschränkungen, die sich aus dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ergeben. Als schützenswertes Allgemeininteresse ist das Vertrauen des Publikums darauf anzusehen, dass der Rechtsanwalt seine Dienste nicht rein gewerblich und gewinnorientiert anbietet, sondern seine Aufgaben unabhängig, eigenveratwortlich, gewissenhaft und verschwiegen erfüllt. Dies ist alleiniger Maßstab für Beschränkungen der Werbemöglichkeiten eines Rechtsanwalts.

2. Der öffentliche Auftritt eines Rechtsanwaltes unter der Bezeichnung "anwalt sofort" ist hieran gemessen nicht zu beanstanden.

3. Die Werbung mit sog. "ab-Preisen" für anwaltliche Erstberatungen in verschiedenen Rechtsgebieten ist nicht unlauter im Sinne der §§ 3 ff. UWG.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 70/07 Oberlandesgericht Naumburg

verkündet am: 8. November 2007

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung

vom 11. Oktober 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das am 14. Juni 2007 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer - 2. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Halle, 12 O 48/07, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Verfügungsklägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

und beschlossen:

Tenor:

Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 40.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Verfahrensbeteiligten sind Rechtsanwälte in H. . Der Verfügungsbeklagte wirbt dort für seine anwaltliche Tätigkeit mit der Kanzleibezeichnung "anwalt sofort" auf Briefköpfen, Flyern und als Aufschrift an den Fenstern seiner Büroräume.

Im März 2007 ließ er einen Flyer verteilen, der auf der Vorderseite u.a. die Aussagen

"sofort - Beratung oder Termin

sofort - Rechtsklarheit und -sicherheit

Beratung bei Kaffee und Kuchen"

enthält. Auf der Rückseite werden unter der Überschrift "Unsere Angebote für eine anwaltliche Erstberatung" verschiedene Rechtsgebiete aufgelistet, jeweils kombiniert mit einer "ab ... EUR"-Preisangabe zwischen 20 EUR und 40 EUR. Der Begriff "Erstberatung" ist durch ein Sternchen gekennzeichnet und wird in einer Fußnote, wie folgt erläutert:

"Eine anwaltliche Erstberatung ist eine erste überschlägige Beratung, in welcher der Rechtsanwalt Ihnen für Ihr Problem eine Beratung mit Sachverhaltserfassung, rechtlichen Lösungsansätzen und Kostenfolgen für Ihre Angelegenheit bietet."

Der Flyer trägt auf der Vorderseite einen runden Aufkleber mit der Aufschrift:

"Verbraucherrechtsberatung zum Festpreis von 20 EUR ... am 22.03.2007 von 14:00 - 18:00 Uhr bei anwalt sofort" und (im Kleinstdruck) den Preisangabenzusatz "zzgl. 19 % MwSt.".

Die Verfügungsklägerin meint, dass diese Werbung aus verschiedenen Gründen gegen das Verbot unlauteren Wettbewerbs verstößt. Sie mahnte den Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 4. April 2007 erfolglos ab.

Die von ihr angerufene 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Halle hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf die Untersagung der Verwendung der Werbeaussage "anwalt sofort" sowie des oben beschriebenen Flyers im geschäftlichen Verkehr, abgewiesen und ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass ein Verstoß gegen Bestimmungen des UWG nicht vorliege. Hiergegen richtet sich die Berufung der Verfügungsklägerin.

Von einer weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO sowie der Rechtsausführungen der Verfahrensbeteiligten und des Verlaufs des Rechtsstreits im Einzelnen wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Kammer hat den Antrag auf Erlass einer strafbewehrten Unterlassungsverfügung zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die zutreffenden Erwägungen, auf die die Kammer ihre angefochtene Entscheidung gestützt hat, werden durch das Berufungsvorbringen der Verfügungsklägerin nicht entkräftet.

1. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für anwaltliche Werbung unterliegen einem starken Wandel. Sahen früher die berufsständischen Regelungen ein striktes Werbeverbot vor, um die herausgehobene Stellung der Rechtsanwaltschaft als Organ der Rechtspflege zu schützen, sind inzwischen Werbemaßnahmen für anwaltliche Dienstleistungen, ebenso wie für andere Dienstleistungen, grundsätzlich zulässig. Diese Rechtsentwicklung wird wesentlich durch die immer konkretere Umsetzung der Dienstleistungsfreiheit innerhalb des EU-Binnenmarktes (Art. 49 EG) sowie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausgestaltung der Berufsausübungsfreiheit von freiberuflich Tätigen (Art. 12 Abs. 1 GG) befördert. Es kommt inzwischen nicht mehr darauf an, eine konkrete Werbemaßnahme zu rechtfertigen, sondern umgekehrt bedarf die Beschränkung der Werbemöglichkeiten eines Rechtsanwalts einer sachlichen Rechtfertigung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14. Juli 1987, 1 BvR 537/81 und 195/87 - NJW 1988, 191 sowie Urteil v. 14. Dezember 1999, 1 BvR 1327/98 - BVerfGE 101, 312 = NJW 2000, 347; BVerfG, Beschluss v. 26. Oktober 2004, 1 BvR 981/00 - BVerfGE 111, 366 = NJW 2004, 3765; BGH, Urteil v. 27. Januar 2005, I ZR 202/02 "Optimale Interessenvertretung" - NJW 2005, 1644; Urteil v. 30. September 2004, I ZR 135/02 - FamRZ 2005, 1086; Urteil v. 11. März 2004, I ZR 62/01 "Partnerschafts-Kurzbezeichnung" - NJW 2004, 1651; Urteil v. 28. Februar 2002, I ZR 195/99 - NJW 2002, 2093; vgl. auch Nachweise bei Graf, ZAP-Fach 23, 631 <2003>; Müller-Thele/Schlegel MDR 2006, 65).

Außerhalb etwaiger berufsrechtlicher Sanktionen, über die zuerst der Vorstand der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer zu befinden hat und die hier nicht Gegenstand des Verfahrens bilden, gelten für die anwaltliche Werbung im Wesentlichen nur noch die allgemeinen Beschränkungen des werbenden Marktverhaltens, die sich aus dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ergeben. Der einzelne Rechtsanwalt hat es in der Hand, in welcher Weise er sich für die interessierte Öffentlichkeit darstellt, solange er sich in den durch schützenswerte Gemeinwohlbelange gezogenen Schranken hält. Die einschlägigen Vorschriften § 43b BRAO und § 6 BORA erlauben daher inzwischen solche in Form und Inhalt sachliche und berufsbezogene Informationen über den Berufsträger zu Werbezwecken. Gesetzlich verboten ist lediglich die Werbung um Einzelmandate, wobei dieses Verbot "im Lichte" der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG einschränkend auszulegen ist (vgl. nur OLG Naumburg, Urteil v. 10. Oktober 2003, 1 U 17/03 - NJW 2003, 3566, sowie Urteil v. 10. Juli 2007, 1 U 14/07, jeweils m.w.N.). Als schützenswertes Interesse der Allgemeinheit ist das Vertrauen der Rechtsberatung suchenden Personen darin anzusehen, dass der Rechtsanwalt seine Dienste nicht rein gewerblich und gewinnorientiert anbietet. Der Schutz einer unabhängigen, eigenverantwortlichen, gewissenhaften und verschwiegenen Aufgabenerfüllung ist alleiniger Maßstab für Beschränkungen der Werbemöglichkeiten eines Rechtsanwalts.

2. Nach diesen Maßstäben ist der öffentliche Auftritt des Verfügungsbeklagten unter der Bezeichnung "anwalt sofort" weder berufsrechtlich noch - worauf es hier ankommt - wettbewerbsrechtlich zu beanstanden.

2.1. Die Bezeichnung ist nicht unangemessen unsachlich i.S.v. § 4 Nr. 1 UWG oder verstößt gegen eine gesetzliche Vorschrift i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG.

Der Vorschrift des § 9 BORA, die Regelungen zum Namensrecht einer Rechtsanwaltskanzlei enthält, ist kein Verbot der Verwendung einer solchen Sozietäts- oder Kanzleibezeichnung zu entnehmen.

Die Bezeichnung "anwalt sofort" lässt (unter weiterer Berücksichtigung der Angaben zur vollständigen Anschrift und über den Namen und die Berufsbezeichnung des Verfügungsbeklagten) auch hinreichend klar erkennen, dass es sich hierbei um eine Rechtsanwaltskanzlei handelt, womit dem Gebot der Berufsbezogenheit und der Sachlichkeit von Auftritten eines Rechtsanwalts in der Öffentlichkeit nach § 6 BORA Rechnung getragen wird.

Vor allem aber ist es mit den vorgenannten Geboten auch zu vereinbaren, dass der Verfügungsbeklagte damit wirbt, dass ein Rechtsanwalt "sofort" zur Verfügung steht. Der Senat teilt insoweit die Auffassung der Kammer, dass der Aussagegehalt dieser Bezeichnung sich darauf beschränkt, dass dem Rechtsberatung Suchenden in dieser Kanzlei so bald als möglich ein Rechtsanwalt zur Verfügung steht. Im Flyer findet dies eine Verstärkung durch den erläuternden Zusatz "sofort - Beratung oder Termin". Der Werbende signalisiert mit und ohne diesen Zusatz der interessierten Öffentlichkeit, dass er in seinem Kanzleiführungskonzept der alsbaldigen persönlichen Rechtsberatung einen hohen Stellenwert einräumt. Für die Bewertung der Zulässigkeit einer solchen Werbebotschaft kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit dies eine Selbstverständlichkeit ist oder sein sollte, sondern allein darauf, dass der Verfügungsbeklagte mit dieser Aussage die o.a. Schranken einer erlaubten Selbstdarstellung nicht überschreitet. Letztere Voraussetzung ist hier erfüllt, denn die In-Aussicht-Stellung einer sofortigen Rechtsberatung lässt keinen Schluss auf eine ausschließlich gewinnorientierte oder sonst berufsordnungswidrige Motivation des Verfügungsbeklagten zu. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Verfügungsklägerin geschilderten sprachmelodischen Schwerpunktsetzung innerhalb der Bezeichnung.

2.2. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin entfaltet die Bezeichnung "anwalt sofort" auch kein Irreführungspotenzial i.S.v. § 5 Abs. 1 UWG. Der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Rechtssuchende, auf den nach wettbewerbsrechtlichen Maßstäben abzustellen ist, verbindet mit dem Begriff "anwalt sofort" vielmehr genau die gewollte und oben ausgeführte Vorstellung, wonach ein eigener Anspruch des Verfügungsbeklagten an sich selbst auf sofortige Bereitstellung einer Rechtsberatung beworben wird, der natürlich nur im Rahmen des Möglichen zu erfüllen ist. Der vorbeschriebene Verbraucher verknüpft mit dieser Werbeaussage nicht, wie die Verfügungsklägerin behauptet, dass ein Rechtsanwalt jederzeit, auch außerhalb üblicher Bürozeiten, an Sonn- und Feiertagen, sofort zur Verfügung steht. Der Senat darf den Aussagegehalt der Bezeichnung auch ohne weitere Sachaufklärung, insbesondere ohne Meinungsumfrage oder Sachverständigengutachten, bewerten, weil die entscheidenden Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören (vgl. BGH, Urteil v. 20. Februar 2002, I ZR 32/90 - GRUR 1992, 406; Urteil v. 2. Oktober 2003, I ZR 150/01 "Marktführerschaft" - BGHZ 156, 250 = NJW 2004, 1163).

Selbst wenn man aber von einem Irreführungspotenzial ausginge, so ist weder erkennbar noch vorgetragen, inwiefern aus einem etwaigen Irrtum einiger angesprochener Rechtssuchenden eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs mit der Verfügungsklägerin resultierte. Es käme allenfalls in Betracht, dass die irrtümliche Erwartung einer sofortigen Rechtsberatung u.U. enttäuscht wird, so dass es sogar näher liegt, dass diese Enttäuschung dazu führt, dass der Betroffene sich mit seinem Anliegen einer anderen Rechtsanwaltskanzlei zuwendet. Ein Wettbewerbsnachteil insbesondere der Verfügungsklägerin ist nicht ersichtlich.

3. Die Verfügungsklägerin hat gegen den Verfügungsbeklagten keinen Anspruch auf Unterlassung der Verteilung von Flyern der oben beschriebenen Art ohne den beschriebenen Aufkleber aus §§ 8 Abs. 1 i.V.m. 3, 4 Nr. 11 und 5 UWG.

3.1. In der Verteilung solcher Flyer liegt keine Werbung, die in unzulässiger Weise auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtet wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verteilung der Flyer gezielt an einen Personenkreis erfolgt wäre, bei dem jedenfalls teilweise ein konkreter, dem Werbetext entsprechender Erstberatungsbedarf bestand, und durch die Art oder den Ort der Verteilung dieser Personenkreis zugleich in einer aufdringlichen Weise mit dem Werbeanliegen konfrontiert worden wäre, d.h. in einer Weise, die geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Beworbenen zugunsten des Werbenden zu beinträchtigen (anders die Fallkonstellation in: OLG München, Beschluss v. 5. Dezember 2005, 29 W 2745/05 - MDR 2006, 720 Verteilung von Flyern in einer Gesellschafterversammlung eines notleidenden Kapitalanlagefonds). Die Verfügungsklägerin macht in der Berufungsinstanz einen Verstoß gegen das Verbot der Einzelmandatswerbung auch nicht geltend.

3.2. Der Inhalt des Flyers verstößt weder hinsichtlich einzelner Werbeaussagen noch in seiner Gesamtheit gegen das Verbot unlauterer Wettbewerbshandlungen.

3.2.1. Die Werbeaussagen auf der Vorderseite des Flyers sind sachlich und berufsbezogen.

a) Hinsichtlich der Angabe "sofort - Beratung oder Termin" ergibt sich dies aus dem Vorausgeführten.

b) Hinsichtlich der Angabe "sofort - Rechtsklarheit und -sicherheit" kann offen bleiben, ob sie bei isolierter Betrachtung unter dem Aspekt der Sachlichkeit bedenklich wäre oder nicht; jedenfalls im Zusammenhang mit der Erläuterung des Begriffs der beworbenen Erstberatung auf der Rückseite wird diese Angabe, wie die Verfügungsklägerin im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst eingeräumt hat, relativiert auf ein sachliches und zumindest auch typischerweise realisierbares Maß eines Leistungsversprechens. Mit der In-Aussicht-Stellung einer überschlägigen Prüfung und einer Darstellung von Lösungsansätzen verweist der Verfügungsbeklagte auch nicht etwa auf ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Rechtsanwälten, u.a. der Verfügungsklägerin, wie diese meint. Der Senat erachtet die Aufteilung beider Angaben auf Vorder- und Rückseite des Flyers hier für (noch) unschädlich. Der umsichtige Verbraucher, der eine Inanspruchnahme der Erstberatung des Verfügungsbeklagten ernsthaft in Erwägung zieht, wird beide Seiten des Flyers im A5-Format mit einer noch sehr überschaubaren Textmenge zur Kenntnis nehmen, umso mehr, als die Rückseite auch Preisangaben enthält, die der interessierte potenzielle Mandant regelmäßig lesen wird.

c) Schließlich verletzt auch die Anpreisung einer "Beratung bei Kaffee und Kuchen" das Sachlichkeitsgebot noch nicht. Der Senat erachtet die dramatisierte Darstellung der Verfügungsklägerin von einer angeblichen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit insbesondere älterer Menschen beim reklamehaften Angebot von Kaffee und Kuchen für unrealistisch. Dass sich Personen wegen des Angebots von Kaffee und Kuchen zur Inanspruchnahme einer kostenpflichtigen (!) Rechtsberatung entschließen, obwohl sie sie nicht benötigen, wie die Verfügungsklägerin behauptet, ist nicht glaubhaft und nicht glaubhaft gemacht. Die Werbung mag geeignet sein, die Hemmschwelle für das Aufsuchen eines Rechtsanwalts zu senken; zur Weckung eines Rechtsberatungsbedarfs im Sinne eines "Lockvogel"-Angebots ist sie jedenfalls ungeeignet. Hierbei ist nicht nur das Wertverhältnis zwischen dem Angebot von "Kaffee und Kuchen", u.U. auch für ein beratungsinteressiertes Ehepaar, und der anwaltlichen Erstberatung zu berücksichtigen, sondern auch der Umstand, dass eine Anwaltskanzlei nicht zu den allgemein bevorzugten Räumlichkeiten für ein Kaffeekränzchen gehört.

Soweit es um diejenigen Personenkreise geht, die eine Rechtsberatung ohnehin suchen bzw. deren Inanspruchnahme zumindest erwägen, ist der Schutzzweck des gesetzlichen Sachlichkeitsgebots nicht verletzt. Denn mit der Werbeaussage wird lediglich eine u.U. weniger nüchterne, entspanntere Gesprächsatmosphäre angepriesen. Dies widerspricht den berufsständischen Anforderungen an eine anwaltliche Tätigkeit jedoch nicht. Auch in einer entspannten Atmosphäre kann eine seriöse anwaltliche Auftragserfüllung stattfinden. Zumindest das Angebot von Getränken dürfte zudem in der anwaltlichen Beratungspraxis weitgehend üblich sein, ohne dass dies bislang, soweit gerichtsbekannt, jemals als ein wettbewerbsunlauteres Verhalten beanstandet worden ist.

3.2.2. Die Werbung mit sog. "ab"-Preisen für anwaltliche Erstberatungen in verschiedenen Rechtsgebieten ist nicht unlauter i.S.v. §§ 3 ff. UWG.

Eine Wettbewerbswidrigkeit von Preisen für eine anwaltliche Erstberatung kann vorliegen, wenn der Anwalt standardisiert die gesetzlichen Gebühren für eine Erstberatung unterschreitet (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 3. August 2004, 4 U 94/04 - NJW 2004, 3269); ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Gesetzliche Gebühren für die Erstberatung sind im RVG nicht mehr geregelt, das Gebührenrecht kennt lediglich eine Höchstgrenze für das im Übrigen frei zu vereinbarende Honorar für eine Erstberatung. Diese wird hier nicht tangiert. Im Übrigen konnte die Verfügungsklägerin die Darstellung des Verfügungsbeklagten im Termin auch nicht widerlegen, wonach dieser nach Eröffnung des konkreten Beratungsbedarfes durch den Rechtsberatung Suchenden zunächst eine bezifferte, u.U. höhere Honorarvorstellung äußert und ein Leistungsaustausch erst nach einer Einigung über das Honorar für die gewünschte Erstberatung erfolgt. Diese Form der Kostentransparenz beeinträchtigt die anwaltliche Berufstätigkeit nicht; vielmehr dürfte sie von weiten Kreisen der interessierten Bevölkerung eher gewünscht sein.

Eine Wettbewerbswidrigkeit ergibt sich auch nicht aus dem Vergleich mit der Rechtsprechung zur Gewährleistung eines gewissen Vorrats an der preislich beworbenen "Ware". In den dort angesprochenen Fällen ging es stets um eine fehlende körperliche Anwesenheit der angepriesenen Waren. Dem gegenüber hat ein Rechtsanwalt eine Leistung, wie hier die Erstberatung in verschiedenen Rechtsgebieten, quasi stets "vorrätig", sie kann nicht "ausgehen", weil die Erbringung dieser Dienstleistung nicht von einer Zulieferung eines Gegenstandes oder von einer Lagerhaltung abhängig ist, sondern vom Einsatz der persönlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der beratenden Person. Die Vorhaltung der angepriesenen Leistung beschränkt sich daher auf die Anwesenheit eines Rechtsanwalts, der zur rechtlichen Erstberatung in den genannten Rechtsgebieten nach seiner Qualifikation und seiner körperlichen Verfassung in der Lage ist. Dass das hier nicht der Fall wäre, hat die Verfügungsklägerin schon nicht dargelegt, jedenfalls aber nicht glaubhaft gemacht.

Schließlich sind die Preisangaben von einem mündigen Rechtssuchenden auch nicht dahin misszuverstehen, dass in dem besonderen Fall des Vorliegens der Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe gleichwohl eine Bezahlung der Erstberatung durch den Rechtssuchenden zu erfolgen hat. Die von der Verfügungsklägerin in Anspruch genommene Schlussfolgerung, dass hierdurch eine wettbewerbsrechtlich relevante Abschreckung von potenziellen Beratungshilfe-Mandanten verursacht wird, ist nicht zwingend.

4. Im Ergebnis ergibt sich hier auch aus der Verwendung des Aufklebers mit der Werbung für eine zeitlich eng begrenzte Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Verbraucherrechtsberatung zu einem Nettopreis zuzüglich Mehrwertsteuer keine unlautere Wettbewerbshandlung i.S.v. § 3 UWG.

Allerdings hat die Verfügungsklägerin zu Recht geltend gemacht, dass die Preisangabe auf dem Aufkleber gegen die Bestimmungen der Preisangabenverordnung verstößt. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV 2002 sind gegenüber Letztverbrauchern die Endpreise, d.h. Bruttopreise, anzugeben. Die Voraussetzung für die Ausnahme des § 9 Abs. 1 Nr. 3 PAngV, wonach keine Anwendung des Preisangaberechts auf Leistungen geboten ist, für die gesetzlich eine Werbung untersagt ist, liegt inzwischen für die Anwaltstätigkeit nicht mehr vor.

Eine Verletzung der Ordnungsvorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV ist allerdings nicht ohne Weiteres auch wettbewerbswidrig, auch wenn sie unmittelbar das Marktverhalten regelt (vgl. BGH, Urteil v. 21. Mai 1992, I ZR 9/91 "Kilopreise III" - GRUR 1993, 62; Urteil v. 5. Juli 2001, I ZR 104/99 "Fernflugpreise" - GRUR 2001, 1166 m.w.N. <in juris unter Rn. 30>). So liegt der Fall hier. Der Verstoß des Verfügungsbeklagten stellt sich hier als Bagatellverstoß i.S.v. § 3 UWG dar, d.h. die falsche Preisangabe ist hier ausnahmsweise nicht geeignet, den Wettbewerb mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen.

Allerdings ist regelmäßig Zurückhaltung bei der Bewertung eines Wettbewerbsverhaltens als Bagatell-Wettbewerbsverstoß geboten (vgl. Köhler, GRUR 2005, 1; so auch OLG Naumburg, Urteil v. 11. November 2004, 10 U 26/05 - OLGR 2006, 447 <nur Ls.>; Urteil v. 9. Juni 2006, 10 U 13/06 - OLGR 2007, 327). Für die Bewertung ist insbesondere der Grad der Einwirkung auf die wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Marktteilnehmer entscheidend. Eine "nicht nur unerhebliche" Beeinträchtigung kann auch bei geringen quantitativen Auswirkungen des Verstoßes aus einer Nachahmungsgefahr erwachsen. Für die Bewertung des Senats im vorliegenden Einzelfall ist von Bedeutung, dass der Verfügungsbeklagte nach eigener Darstellung nur versehentlich gegen das Gebot der Angabe von Endpreisen verstoßen hat, was die Verfügungsklägerin ihm nicht widerlegen konnte. Zum Zeitpunkt des Verstoßes gab es - und gibt es wohl bis heute - keine gerichtliche Entscheidung über die Anwendbarkeit der PAngV auf Preisangaben für anwaltliche Dienstleistungen, die er hätte kennen können. Der Senat geht davon aus, dass beim Verfügungsbeklagten auch kein Problembewusstsein vorlag. Denn Preisangaben waren für anwaltliche Dienstleistungen bislang weitestgehend unüblich. Ganz überwiegend bestand für Rechtsanwälte auch keine Verpflichtung zur Kostentransparenz bei Mandatsbegründung, weshalb sich die Frage nach der Art und Weise der Preisangabe typischerweise nicht stellte. Der Verstoß hatte hier zudem allenfalls marginale wettbewerbliche Auswirkungen. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass die Anreizwirkung des Aufklebers sehr gering ist. Gegenüber den umseitig auf dem Flyer angebotenen "ab"-Preisen bot der Festpreis für die Verbraucherrechtsberatung keinen auffälligen Preisvorteil, sondern z.T., wie die Verfügungsklägerin rechnerisch nachgewiesen hat, sogar eine geringfügige Verteuerung. Andererseits konnte die Verfügungsklägerin auch nicht widerlegen, dass es sich bei dem Aufkleber um eine einmalige Aktion gehandelt hat. Der Verfügungsbeklagte ist kein marktstarker Mitbewerber; im Aktionszeitraum von vier Stunden kann eine mehr als unerhebliche Abschöpfung des Bedarfs an "Verbraucherrechtsberatung" nicht erfolgt sein. Eine Nachahmungsgefahr ist nach Erlass dieser Entscheidung stark verringert.

5. Der Senat sieht schließlich auch bei Gesamtschau aller vorausgeführter Inhalte des konkreten Flyers (einschließlich des Aufklebers) keine Veranlassung für eine abweichende Bewertung. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der angesprochene Personenkreis den Inhalt des Flyers regelmäßig in räumlicher Entfernung von der Kanzlei des Verfügungsbeklagten zur Kenntnis genommen hat, so dass ihm für die Bewertung der darin gegebenen Informationen ausreichend Zeit zur Verfügung stand und durch die vom Verfügungsbeklagten herbeigeführte Situation kein äußerer Druck auf seine Entscheidungsfreiheit ausgelöst wurde.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 6, 711 S. 1, 713 sowie 542 Abs. 2 ZPO.

Die Festsetzung des Kostenwertes erfolgte nach §§ 47, 48 GKG nach Anhörung und im Einvernehmen der Verfahrensbeteiligten.

Ende der Entscheidung

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