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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 31.01.2008
Aktenzeichen: 1 U 72/07 (Baul)
Rechtsgebiete: EnteigG LSA


Vorschriften:

EnteigG LSA § 14 Abs. 3
1. Die von der Rechtsprechung in Baulandsachen entwickelten Grundsätze der "Vorwirkung" der Enteignung sind auch anwendbar auf eine spätere Teileinigung über den Eigentumswechsel an Grundstücksteilflächen.

Der eine Grundstücksteilfläche von der konjunkturellen Weiterentwicklung ausschließende Zugriff der späteren Enteignungsbegünstigten kann in einer Vereinbarung der vorzeitigen Besitzüberlassung und Gestattung der vorzeitigen baulichen Nutzung dieser Teilfläche zur Errichtung einer Erschließungsanlage (hier eines Regenüberlaufbeckens) liegen.

2. Die Vorschrift des § 14 Abs. 3 EnteigG LSA (entspricht § 99 Abs. 3 BauGB) ist hinsichtlich des früheren Beginns der Verzinsungspflicht entsprechend anzuwenden auf Fälle der einvernehmlichen vorzeitigen Besitzüberlassung und Zustimmung zur vorzeitigen baulichen Nutzung.

3. Die Hinterlegung des Mindestbetrages einer Enteignungsentschädigung beim Amtsgericht hat keine schuldbefreiende und damit auch keine die Verzinsungspflicht beendende Wirkung, wenn die Enteignungsbegünstigte nicht auf das Recht der Rückforderung verzichtet hat, und insbesondere auch dann nicht, wenn es an einem zulässigen Hinterlegungsgrund mangelt.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 72/07 (Baul) OLG Naumburg

verkündet am: 31. Januar 2008

In der Baulandsache

hat der Senat für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel, den Richter am Oberverwaltungsgericht Geiger und den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann auf die mündliche Verhandlung

vom 20. Dezember 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Antragstellers gegen das am 9. Juli 2007 verkündete Urteil des Landgerichts Halle, 3 O 20/06 (Baul), wird zurückgewiesen.

Der Enteignungsbehörde wird aufgegeben, die vorzeitige Ausführung der Teileinigung des Antragstellers und der Enteignungsbegünstigten vom 5. November 2001 nach Maßgabe der nachträglichen Vermessung ohne Sicherheitsleistung anzuordnen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Antragsteller kann die Zwangsvollstreckung durch die Enteignungsbegünstigte wegen ihrer außergerichtlichen Auslagen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Enteignungsbegünstigte Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des Antragstellers übersteigt 20.000 EUR.

und beschlossen:

Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 300.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Enteignungsbegünstigten eine betragsmäßig höhere Entschädigung für den Eigentumsverlust an Teilen eines Grundstücks nach Teileinigung über den Umfang der Enteignung sowie eine Neufestsetzung der Verzinsung der Enteignungsentschädigung.

Der Antragsteller erwarb im Jahre 1991 das in der Gemarkung F. , Flur 3, Flurstück 140 belegene Grundstück mit einer Größe von 27.180 qm, damals eingetragen im Grundbuch von F. , Blatt 289, für 3 DM pro Quadratmeter. Im Februar 1992 wurde er im Grundbuch als Eigentümer eingetragen (vgl. Grundbuchauszug, Verwaltungsvorgang Regierungspräsidium Halle / später Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, 21.05 - 11 510 / 0-290 - künftig: BeiA I - Bd. I Bl. 53 ff.).

Am 25. Juli 1991 fasste die Gemeinde F. , deren Rechtsnachfolgerin nach Eingemeindung mit Wirkung zum 1. April 1992 die Enteignungsbegünstigte ist, einen Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes für eine Ortsrandlage, in der das Gewerbegebiet K. entstehen sollte. Ursprünglich war vorgesehen, dieses Gewerbegebiet in zwei Bauphasen zu entwickeln, wobei in Bauabschnitt I ein Regenwasserüberlaufbecken (künftig: RÜB) errichtet und in Bauabschnitt II dieses dann erweitert werden sollte. Nach der im Bebauungsplan vorgesehenen baulichen Nutzung war das Grundstück des Antragstellers insgesamt in sechs Teilflächen unterteilt, die die Beteiligten der Baulandsache als Parzellen I bis IV sowie als Verkehrsflächen bezeichnen (vgl. Übersichten GA Bd. I Bl. 62 f.). Diese Teilflächen waren von der Planung unterschiedlich betroffen.

Zwei Parzellen waren als Betriebsfläche des RÜB ausgewiesen: Auf Parzelle II war das RÜB des ersten Bauabschnitts geplant, Parzelle III war als Vorratsfläche zur Erweiterung des RÜB im zweiten Bauabschnitt vorgesehen. Diese Parzellen II und III - jetzt Teilflächen des Flurstücks 294 - grenzen unmittelbar aneinander und haben eine Größe von ca. 17.000 qm.

Die weitere Restfläche des heutigen Flurstücks 294 bildet die Parzelle IV mit einer Größe von etwa 3.500 qm. Diese Parzelle war nie für eine öffentliche Nutzung vorgesehen. Sie war am Rande des Gewerbegebiets nach Bauabschnitt I gelegen und wurde begrenzt von der Parzelle III und einer stichartig in das Gesamtgrundstück ragenden Verkehrsfläche - jetzt Flurstück 296 mit einer Größe von 399 qm - zur Verkehrsanbindung der Betriebsfläche des RÜB. Wegen ihrer ungünstigen Lage hatte auch der Antragsteller kein gesteigertes Interesse an der Wahrung der Eigentümer- und Besitzerstellung für diese isolierte Teilfläche.

Die Parzelle I - jetzt Flurstück 295 mit einer Größe von 5.802 qm - ist direkt an der Straße gelegen. Für sie stand eine öffentliche Nutzung nie in Aussicht; sie war von Anfang an als Gewerbefläche ausgewiesen. Von ihr war lediglich ein schmaler Seitenstreifen zur Erweiterung der Straße als weitere Verkehrsfläche mit ca. 76 qm vorgesehen.

Der Beschluss wurde im Juni 1992 öffentlich bekannt gemacht.

Am 8. Juli 1992 fasste die Enteignungsbegünstigte den Beschluss zum Ankauf der erforderlichen Ackerflächen. Die Enteignungsbegünstigte erwarb im Sommer 1992 alle zur Umsetzung dieser Planung erforderlichen Flächen jeweils für 10 DM pro Quadratmeter mit Ausnahme des Grundstücks des Antragstellers. Dieser wandte sich zwar nicht prinzipiell gegen einen Verkauf, wollte aber die Zahlung einer Mehrerlösabschöpfungssteuer vermeiden durch Verzögerung des Verkaufs oder Durchführung eines Grundstückstauschs. Im Sommer 1992 wurden der Enteignungsbegünstigten Fördermittel für die geplanten Bau- und Erschließungsmaßnahmen bewilligt. Um mit der Umsetzung der Planungen beginnen zu können, vereinbarten die Enteignungsbegünstigte und der Antragsteller in einer sog. "Absichtserklärung" vom 11. August 1992, zu einem späteren Zeitpunkt einen Grundstückstausch vorzunehmen, wobei als Tauschobjekt ein gleich großes Grundstück, wie das Gesamtgrundstück des Antragstellers, im Bereich des Bauabschnitts II des Gewerbegebietes vorgesehen war. Zugleich stimmte der Antragsteller zu, dass die Enteignungsbegünstigte "... im Vorab Erschließungsmaßnahmen ..." durchführen dürfe (vgl. GA Bd. I Bl. 42 = BeiA I, Bd. I Bl. 12).

Kurz darauf begannen Tiefbauarbeiten auf dem Grundstück des Antragstellers in Form der Verlegung von Wasserleitungen, Mitte November beauftragte die Enteignungsbegünstigte ein Unternehmen mit der Errichtung des ersten RÜB. Der Antragsteller ging gegen einzelne Baumaßnahmen mehrfach erfolglos im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Enteignungsbegünstigte das gesamte Grundstück in Besitz und vorübergehende Nutzung genommen hat oder allenfalls die später an sie auch übertragenen Teilflächen.

Am 30. September 1992 wurde der Aufstellungsbeschluss durch die Enteignungsbegünstigte wiederholt, wobei die Durchführung des Bauabschnitts II aufgegeben wurde. Infolge dessen kam das ursprünglich vorgesehene Tauschobjekt als solches nicht mehr in Betracht. Die Enteignungsbegünstigte und der Antragsteller schlossen zu UR-Nr. 2647/1992 des Notars H. H. in N. vom 11. November 1992 einen Grundstückstausch-Vorvertrag, worin sich der Antragsteller zur künftigen Übertragung des gesamten Grundstücks (im Vertrag mit falscher Lage - Flurstück 104 statt 140 -, aber eindeutig bestimmbar bezeichnet) innerhalb von zwei Jahren nach dem Beurkundungstermin verpflichtete und die Enteignungsbegünstigte "im Gegenzug" ein voll erschlossenes Grundstück gleicher Größe überlassen wollte, sobald der Bebauungsplan für das Gewerbegebiet bestandskräftig geworden sei (vgl. GA Bd. I Bl. 43 bis 45). Der Bebauungsplan trat jedoch entgegen der Vorstellung der Vertragsparteien erst am 16. Dezember 1994, also nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist, in Kraft.

Nachdem es bis Dezember 1994 nicht zu einem Grundstückstausch gekommen war, erklärte der Antragsteller den Rücktritt vom Vorvertrag und forderte die Enteignungsbegünstigte zur Räumung seines Grundstücks, hilfsweise zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung auf. Neben außergerichtlichen Gesprächen wurden hierüber auch Rechtsstreitigkeiten geführt. Im Vorprozess 4 O 548/95 Landgericht Halle (= 9 U 277/96 Oberlandesgericht Naumburg = V ZR 140/97 und V ZR 208/99 Bundesgerichtshof) machte die Enteignungsbegünstigte erfolglos einen Anspruch auf Abschluss eines Tauschvertrages geltend; dem Antragsteller wurde auf dessen Widerklage hin ein Anspruch auf Herausgabe von in der Zeit von Januar bis Mitte März 1995 gezogenen Nutzungen aus § 988 BGB in Höhe von 13.590 DM nebst Verzugszinsen zuerkannt. Der Senat hat die Akten dieses Vorprozesses beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht (künftig: BeiA II). Ebenso beigezogen und erörtert hat der Senat die Akten 4 O 200/00 Landgericht Halle (= 11 U 168/00 Oberlandesgericht Naumburg), in denen der hiesige Antragsteller Nutzungsentschädigung für die Folgezeit ab Mitte März 1995 geltend macht. Dieser Rechtsstreit ist in zweiter Instanz wegen Vorgreiflichkeit der vorliegenden Baulandsache ausgesetzt worden.

Die Enteignungsbegünstigte zahlte am 8. Mai 2000 insgesamt 16.118,34 DM an den Antragsteller als Nutzungsentschädigung zzgl. Zinsen für den Zeitraum Januar bis Mitte März 1995 (= 8.241,18 EUR). Sie erklärte "vorsorglich", dass sie den Besitz an den Parzellen I, III und IV - mit Ausnahme der Verkehrsflächen - nicht (mehr) ausübe.

Am 14. Juni 2000 beschloss die Enteignungsbegünstigte, ein förmliches Enteignungsverfahren bezüglich der öffentlich genutzten Teilflächen (ohne nähere Beschreibung) bei der Enteignungsbehörde einzuleiten und zugleich eine vorzeitige Besitzeinweisung zu erwirken. Die entsprechenden Anträge gingen am 17. Juli 2000 bei der Enteignungsbehörde ein.

In der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2001 nahm die Enteignungsbegünstigte ihren Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung mangels Erfolgsaussicht zurück; die Enteignungsbehörde hatte darauf hingewiesen, dass nach vollendeter Errichtung der Anlage ein Eilbedürfnis nicht mehr bestehe. Die Enteignungsbegünstigte erklärte sich bereit, statt allein der Parzelle II, der Betriebsfläche des RÜB, daneben ebenfalls die Parzellen III und IV erwerben zu wollen und weitere Teilflächen auch künftig nicht für Leitungsverlegungen zu benutzen (vgl. Protokoll vom 5. November 2001, BeiA I, Bd. II Bl. 245 ff.). Die Beteiligten schlossen eine Teileinigung (vgl. BeiA I, Bd. I Bl. 256 ff.), wonach der Antragsteller der Begünstigten eine Teilfläche in der Größe von ca. 21.000 qm überträgt. Über die Höhe der Entschädigung konnte keine Einigung erzielt werden.

Die übertragenen Flächen wurden neu vermessen und erhielten die Flurstücksnummern 294 (21.069 qm Betriebsfläche) und 296 (399 qm Verkehrsfläche). Insgesamt wurden mithin 21.468 qm vom Antragsteller an die Enteignungsbegünstigte überlassen. Die Enteignungsbegünstigte beantragte unter dem 15. Januar 2003 den Erlass einer vorzeitigen Ausführungsanordnung; dieser Antrag ist bislang nicht beschieden worden.

Mit Beschluss vom 17. Oktober 2003 setzte die Enteignungsbehörde den Entschädigungsbetrag auf 5,11 EUR / qm (= 10 DM / qm), mithin insgesamt in Höhe von 109.701,48 EUR fest (Ziffer 1). Der Betrag soll ab dem 11. August 1992 " ... bis zur Auszahlung ..." zu verzinsen sein (Ziffer 2). Es wurde weiter festgestellt, dass die Verzinsung für 26.836,50 EUR am 14. Juli 2003 geendet habe (Ziffer 2 lit. b). Der Antragsteller hatte einen Teilbetrag seines Entschädigungsanspruchs in dieser Höhe an den Abwasserzweckverband N. zur Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit abgetreten; die Auszahlung der Enteignungsbegünstigten durch Überweisung war an diesem Tage bewirkt worden. Schließlich wurde bestimmt, dass der am 8. Mai 2000 bereits als Nutzungsentgelt gezahlte Betrag von 5.488,21 EUR voll auf die Verzinsung anzurechnen sei (Ziffer 3).

Die Begünstigte hinterlegte am 10. Dezember 2003 den restlichen Entschädigungsbetrag für die Enteignung in Höhe von 82.864,98 EUR beim Amtsgericht Naumburg unter Geschäftszeichen 00 HL 067/03 (vgl. GA Bd. I Bl. 240). Sie gab den Antragsteller als Berechtigten an. Mit Schreiben vom 27. September 2006, beim Amtsgericht Naumburg - Hinterlegungsstelle - eingegangen am selben Tage, erklärte sie den Verzicht auf die Rücknahme des hinterlegten Betrages.

Mit Schriftsatz vom 11. November 2003 hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung beantragt.

Er greift die Höhe der Entschädigung für den Eigentumsverlust an und vertritt insoweit die Auffassung, dass als sog. Qualitätsstichtag der Tag der Teileinigung, also der 5. November 2001 zu berücksichtigen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Grundstück eine bebaute Gewerbefläche gewesen, nicht Bauerwartungsland. Bei der Qualitätsbewertung seien die von der Enteignungsbegünstigten zuvor errichteten Bauwerke sowie die Erschließung des Gewerbegebietes zu berücksichtigen.

Dem gemäß sei eine Verzinsung der Entschädigung für die Enteignung der Parzelle II erst ab dem 6. November 2001 begründet. Im Übrigen habe er einen Anspruch auf Herausgabe der unberechtigt unentgeltlich gezogenen Nutzung durch die Enteignungsbegünstigte, der Gegenstand des ausgesetzten Rechtsstreits 4 O 200/00 sei.

Hinsichtlich der Parzellen I, III und IV habe er ebenfalls Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen seit dem 1. Januar 1995, was in einem (weiteren) Zivilrechtsstreit geltend zu machen sei.

Die Verzinsung ende nicht durch die Hinterlegung im Dezember 2003 beim Amtsgericht Naumburg, denn die Hinterlegung sei ohne Rechtsgrund vorgenommen worden und entspreche nicht einer Auszahlung. Jedenfalls sei Erfüllungswirkung nicht vor der Erklärung des Verzichts auf die Rücknahme eingetreten. Er hat behauptet, dass ihm die Annahme des hinterlegten Betrages nicht möglich gewesen sei, weil die Enteignungsbegünstigte die Freigabe stets an die Abgabe einer Erklärung über den Verzicht auf weitergehende Ansprüche geknüpft habe.

Die Enteignungsbegünstigte hat die Entscheidung der Enteignungsbehörde im Wesentlichen als zutreffend verteidigt. Zur erfolgten Hinterlegung hat sie die Auffassung vertreten, dass sich aus § 117 Abs. 2 BauGB die Berechtigung zur Hinterlegung ergäbe. Ab dem Tage der Hinterlegung sei der Entschädigungsbetrag nicht mehr zu verzinsen.

Die Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Halle hat mit ihrem am 9. Juli 2007 verkündeten Urteil den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen und im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung der Enteignungsbehörde bestätigt.

Der Antragsteller hat gegen das ihm am 16. Juli 2007 zugestellte Urteil mit einem am 15. August 2007 beim Oberlandesgericht Naumburg vorab per Fax eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufung innerhalb der ihm bis zum 1. Oktober 2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch begründet.

Mit seiner Berufung verfolgt er den erstinstanzlich gestellten Antrag weiter und wiederholt und vertieft seine Rechtsauffassungen hierzu. Er meint insbesondere, dass bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung für den Eigentumsverlust am Grundstück die Werterhöhungen nach dem angenommenen Qualitätsstichtag zu berücksichtigen seien, weil insoweit eine Vorwirkung nicht eingetreten sei. Er hält eine Erhöhung der Entschädigung um mindestens 300.000 EUR für angemessen. Als Beginn der Verzinsung sei erst der Zeitpunkt der Teileinigung über die Enteignung anzunehmen, weil eine Gleichsetzung einer vertraglichen Vereinbarung zur vorzeitigen Besitzüberlassung mit einer Entscheidung über den Enteignungsantrag nicht in Betracht komme. Hilfsweise wendet er sich zumindest gegen eine Einbeziehung der Parzellen II, III und IV in die Verzinsung ab August 1992. Der Antragsteller erachtet die Anrechnung der ihm rechtskräftig als Nutzungsentschädigung zuerkannten und gezahlten Beträge auf die Entschädigung als unzulässig. Schließlich wendet er sich auch gegen die Berücksichtigung der Hinterlegung bei der Verzinsung. Er habe sich weder im Annahmeverzug befunden noch die Annahme des Betrages als Teilzahlung abgelehnt. Da die Enteignungsbegünstigte ihrerseits keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt habe, habe der festgesetzte Betrag als Mindestbetrag der Entschädigung bereits festgestanden. Im Übrigen sieht es der Antragsteller als widersprüchliches Verhalten an, dass die Enteignungsbegünstigte die Auszahlung an den Abwasserzweckverband

N. vorgenommen hat, während sie den Restbetrag nicht ausgezahlt, sondern hinterlegt hat.

Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

den von der Enteignungsbegünstigten an den Antragsteller zu zahlenden Entschädigungsbetrag unter gleichzeitiger Abänderung der Ziffern 1 bis 3 des Tenors des Bescheids der Enteignungsbehörde vom 17. Oktober 2003 neu festzusetzen.

Die Enteignungsbegünstigte beantragt,

die Berufung des Antragstellers zurückzuweisen

sowie

den Antrag auf vorzeitige Ausführungsanordnung zu bescheiden.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und die Entscheidung der Enteignungsbehörde.

Der Senat hat am 20. Dezember 2007 mündlich zur Sache verhandelt; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls des Senats von diesem Tage Bezug genommen (vgl. GA Bd. II Bl. 107).

II.

Die Berufung des Antragstellers ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Klarzustellen ist lediglich, dass eine Auszahlung, wie sie in Ziffer 2 lit. a) des Tenors des Bescheids der Enteignungsbehörde vom 17. Oktober 2003 als Endzeitpunkt der Verzinsung des Entschädigungsbetrages in Höhe von 82.864,98 EUR benannt ist, bislang nicht stattgefunden hat. Dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrag auf gerichtliche Anordnung der vorzeitigen Ausführung war, wie geschehen, stattzugeben.

1. Entschädigung für den Eigentumsverlust

Der Antragsteller hat gegen die Enteignungsbegünstigte einen Anspruch auf Entschädigung für den Rechtsverlust in Gestalt des Verlustes des Eigentumsrechts an den von ihm an die Enteignungsbegünstigte übertragenen Teilflächen. Von der durch Teileinigung vom 5. November 2001 vereinbarten Grundstücksübertragung sind unstreitig insgesamt 21.468 qm betroffen. Die Enteignungsbehörde und das Landgericht haben jeweils zutreffend eine Entschädigung in Höhe von 5,11 EUR / qm als angemessen angesehen.

1.1. Die Bewertungen der Enteignungsbehörde und der Kammer gehen zu Recht von dem 11. August 1992 als Qualitätsstichtag aus. Spätere Wertsteigerungen der von der Eigentumsübertragung betroffenen Grundstücksflächen sind bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung nicht zu berücksichtigen.

Zwar beruft sich der Antragsteller zu Recht darauf, dass für die Bemessung der Entschädigung grundsätzlich der Zustand des Grundstücks in demjenigen Zeitpunkt maßgebend ist, in dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet bzw. in dem sich die Beteiligten über die Eigentumsübertragung einigen. Dieser Zeitpunkt war hier der 5. November 2001. Nach den von der Rechtsprechung in Baulandsachen entwickelten Grundsätzen der sog. "Vorwirkung" kommt es jedoch in denjenigen Fällen, in denen das Enteignungsobjekt Gegenstand eines sich länger hinziehenden Enteignungsvorgangs ist, für die Qualitätsbestimmung auf den Zeitpunkt an, in dem das Enteignungsobjekt endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurde (vgl. nur BGH, Beschluss v. 27. Februar 1992, III ZR 195/90 - BGHR BauGB § 95 Abs. 2 Nr. 2 Vorwirkung 1; OLG Frankfurt, Urteil v. 26. März 2007, 100 U 3/96 (Baul) - zitiert nach juris, dort Rn. 27 ff. m.w.N.). Diese Grundsätze haben vor allem in § 9 Abs. 2 Nr. 2 des Enteignungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 13. April 1994 (GVBl. LSA S. 508 ff. - EnteigG LSA -), der der Vorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 2 BauGB entspricht, und speziell für den Fall der vorzeitigen Besitzeinweisung in § 7 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 EnteigG LSA (entspricht § 93 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 BauGB) Niederschlag gefunden. Durch die Vorwirkung der Enteignung soll sichergestellt werden, dass sich die Entschädigung des Eigentumsverlustes nach der Qualität des Enteignungsobjekts bestimmt, welche es besaß, unmittelbar bevor es von dem Enteignungszugriff der öffentlichen Hand erfasst wurde. Im Sinne dieser Rechtsfortbildung erfolgte hier der enteignende Zugriff bereits am 11. August 1992.

a) Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Enteignungsbegünstigte bzw. deren Rechtsvorgängerin, die Gemeinde F. , einen Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes für die Erschließung und Entwicklung des Gewerbegebietes gefasst und öffentlich bekannt gemacht. Nach dem Inhalt des Beschlusses waren mehrere Teilflächen des Grundstücks des Antragstellers unmittelbar von den beabsichtigten Erschließungsmaßnahmen betroffen.

Die Enteignungsbegünstigte hatte den Ankauf der für die Entwicklung des Gewerbegebietes erforderlichen Grundstücke beschlossen und zumindest ganz überwiegend auch durchgeführt. Sie hatte auch Kauf- und Tauschverhandlungen mit dem Antragsteller über das letzte ihr noch fehlende Grundstück als Ganzes geführt. Der Senat geht aufgrund des unstreitigen Prozess-Stoffes davon aus, dass allen interessierten Verkehrskreisen im August 1992 bewusst war, dass die Enteignungsbegünstigte zur Entwicklung des Gewerbegebietes einschließlich der beabsichtigten Erschließungsmaßnahmen und damit auch zur Inanspruchnahme von Teilflächen des Grundstücks des Antragstellers fest entschlossen war.

Diese zunächst vorbereitende Planung und Beschlussfassung sowie die Umsetzung wesentlicher, auch mit finanziellem Aufwand verbundener Teile der Planung stellt den Beginn eines bei Gesamtbetrachtung einheitlichen Enteignungsvorgangs dar. Das Gewerbegebiet ist später so, wie für den Bauabschnitt I geplant, auch entstanden. Die beabsichtigten Erschließungsmaßnahmen, insbesondere die Errichtung des RÜB auf Teilflächen des Grundstücks des Antragstellers, sind realisiert worden. Eine stärkere Manifestation des Erwerbswillens der Enteignungsbegünstigten, als die vollständige Errichtung des RÜB und dessen Inbetriebnahme, ist kaum vorstellbar.

b) Durch die Vereinbarung vom 11. August 1992 einigten sich die Beteiligten zu 1) und zu 3) über eine Berechtigung der Enteignungsbegünstigten zum Besitz und zur baulichen Nutzung der später übertragenen Teilflächen.

Die "Absichtserklärung" enthält trotz ihres auf Unverbindlichkeit hindeutenden Titels am Ende eine uneingeschränkte Zustimmung des Antragstellers zur Durchführung von Erschließungsmaßnahmen auf seinem Grundstück. Für den Senat besteht kein Zweifel, dass mit den dort genannten "Erschließungsmaßnahmen" auch und gerade der Bau des RÜB und die Verlegung der zugehörigen Leitungen auf dem Grundstück des Antragstellers gemeint waren. Nur diese Auslegung der wechselseitigen Erklärungen entspricht der damaligen Interessenlage beider Beteiligter. Dabei ist das Interesse der Enteignungsbegünstigten am alsbaldigen Beginn der Baumaßnahmen unter Verwendung der bereits bewilligten Subventionen und an einer schnellen Verfügbarkeit des Gewerbegebietes zur Ansiedlung von Unternehmen im zeitlichen Wettlauf mit anderen Regionen offensichtlich. Für die Nutzbarkeit des Gewerbegebietes kam es gerade auf die Fertigstellung und Funktionsfähigkeit des RÜB an. Aber auch das Interesse des Antragstellers war gleichgerichtet, denn dieser hatte sich nicht nur einer Eigentumsübertragung nicht entgegen gestellt, sondern die künftige Eigentumsübertragung bereits selbst als unabwendbar bewertet. Hierfür mag von Bedeutung gewesen sein, dass der Antragsteller das Grundstück erst erworben und noch nicht gewerblich genutzt hatte. Jedenfalls hat der Antragsteller zu keiner Zeit irgendwelche Anstrengungen zur eigenen Nutzung des Grundstücks unternommen. Durch den nun möglichen Beginn der Baumaßnahmen verfestigte sich die Erwerbsabsicht der späteren Enteignungsbegünstigten, und dies war - zumindest aus Sicht des Antragstellers - eher geeignet, seine Verhandlungsposition beim Grundstückstausch oder -kauf zu stärken.

c) Auf die einvernehmliche Besitzübertragung und Zustimmung zur Durchführung von Baumaßnahmen auf dem Grundstück ist die Vorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 2 EnteigG LSA entsprechend anzuwenden. Sie stellt eine "Vorwirkung" der späteren Enteignung dar, weil sie hiermit in einem ursächlichen Zusammenhang steht und weil die im Dezember 1994 bestandskräftig werdende Bebauungsplanung, welche die Grundlage des förmlichen Enteignungsverfahrens bildete, bereits mit Sicherheit zu erwarten war. Letzteres wird von den Beteiligten, insbesondere vom Antragsteller, nicht in Frage gestellt.

Ebenso, wie bei einer vorzeitigen Besitzeinweisung durch eine hoheitliche Entscheidung (vgl. § 116 Abs. 3 BauGB), verschaffte hier die Einigung der Beteiligten über das Besitzrecht und die Zustimmung zur Durchführung der beabsichtigten Erschließungsmaßnahmen der Enteignungsbegünstigten eine rechtliche Grundlage für den sofortigen Ausführungsbeginn der Erschließung des Gewerbegebietes. Die spätere Existenz des RÜB einschließlich des zugehörigen Leitungssystems auf dem Grundstück des Antragstellers ist der Grund für die von 1992 an fortdauernde Erwerbs- und nötigenfalls Enteignungsabsicht der Enteignungsbegünstigten, die mit der Teileinigung vom 5. November 2001 umgesetzt worden ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Enteignungsbegünstigte nach dem vorläufigen Scheitern eines Grundstückstausches Ende 1994 erst im Jahre 2000 ein förmliches Enteignungsverfahren einleitete und im Mai 2000 die Aufgabe des Besitzes einiger Teilflächen des Grundstücks des Antragstellers erklärte. Die Enteignungsbegünstigte hat durch den von 1995 bis 2000 andauernden Rechtsstreit u.a. um die Durchsetzung eines Grundstückstausches hinreichend klar zu erkennen gegeben, dass sie nach wie vor einen Erwerb zumindest der selbst genutzten Teilflächen, insbesondere der Parzelle II und der beiden Verkehrsflächen, anstrebte und lediglich einer vertraglichen Lösung den Vorzug vor einer förmlichen Enteignung einräumte. Für den Fall des Scheiterns war die Einleitung und der erfolgreiche Abschluss eines Enteignungsverfahrens stets weiter zu erwarten.

Der Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Einräumung des Besitz- und Nutzungsrechts durch den Antragsteller am 11. August 1992 und der Teileinigung vom 5. November 2001 steht auch nicht entgegen, dass sich der Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme des Grundstücks des Antragstellers durch die Enteignungsbegünstigte in dieser Zeit u.U. veränderte, was offen bleiben kann.

Die Enteignungsbegünstigte hat allerdings - entgegen der noch in der Berufungsbegründung geäußerten Auffassung des Antragstellers - nie eingeräumt, das gesamte Grundstück auch genutzt zu haben. Nach Aktenlage gibt es keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche Nutzung der Parzellen I und III. Für die Parzelle I war eine öffentliche Nutzung und Bebauung nie beabsichtigt; die Parzelle III sollte lediglich für eine nicht realisierte Erweiterung des RÜB als Betriebsfläche vorgehalten werden. Dass sich der Leitungsbau auf andere als die Verkehrsflächen erstreckte, ist bislang nicht ersichtlich.

Die Vorwirkung der Teileinigung vom 5. November 2001 bezieht sich ungeachtet dessen auf die tatsächlich übertragenen Teilflächen, die die Beteiligten als Parzellen II, III und IV und als Verkehrsflächen bezeichnet haben. Denn für die Vorwirkung kommt es nicht auf die bauliche oder anderweitige tatsächliche Nutzung, sondern allein auf die Vorwegnahme des enteignenden Zugriffs, insbesondere auf den Ausschluss der Teilflächen von der weiteren konjunkturellen Entwicklung auf dem Grundstücksmarkt an. Hierfür wiederum ist maßgeblich, dass aus der Sicht eines Grundstücksinteressenten allenfalls die Parzelle I noch als künftiges, nach Trennung und Vermessung eigenständiges Grundstück und Erwerbsobjekt in Betracht kam. Hinsichtlich der Parzellen II und III waren deren Ausweisung als Betriebsflächen des RÜB im Falle einer Erweiterung und die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für deren bauliche Nutzung entsprechend der Planung, wie vorausgeführt, eindeutige Anzeichen für einen bevorstehenden Eigentumswechsel zur Enteignungsbegünstigten. Gleiches trifft auf beide Verkehrsflächen zu, deren Zuschnitt sich im weiteren Verlauf des Enteignungsvorgangs allenfalls unwesentlich veränderte. Von der Vorwirkung erfasst ist auch die Parzelle IV, weil deren eigenständige Nutzung durch den Antragsteller wirtschaftlich nicht sinnvoll war. Unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 5 Abs. 3 EnteigG LSA bzw. des § 92 Abs. 3 BauGB, wonach ein Grundstückseigentümer im Falle der beabsichtigten Enteignung von Teilflächen u.U. auch eine Gesamtenteignung verlangen kann, war eine Enteignung bzw. ein Eigentumserwerb auch dieser Teilfläche auf andere Weise sehr wahrscheinlich.

d) Infolge der Vorwirkung der Teileinigung vom 5. November 2001 auf den 11. August 1992 sind die nach dem letztgenannten Zeitpunkt eingetretenen Qualitätsveränderungen des Grundstücks, insbesondere Wertveränderungen durch die Bebauung, für die Höhe der Entschädigung unerheblich. Eine Bewertung als "bebaute Gewerbefläche" bzw. eine teilweise Berücksichtigung der nach dem 11. August 1992 u.U. eingetretenen Wertsteigerungen ist durch § 9 Abs. 2 Nr. 2 EnteigG LSA (= § 95 Abs. 2 Nr. 2 BauGB) ausgeschlossen.

1.2. Die Enteignungsbehörde und die Kammer sind zutreffend davon ausgegangen, dass das Grundstück des Antragstellers zum Qualitätsstichtag am 11. August 1992 als Bauerwartungsland einzuordnen ist. Diese tatsächliche Bewertung hat der Antragsteller mit seiner Berufung nicht mehr angegriffen. Die hierfür festgesetzte Entschädigung für den Eigentumsverlust in Höhe von 5,11 EUR / qm ist nicht zu beanstanden. Die Enteignungsbehörde hat zwei Gutachten zum Verkehrswert von Bauerwartungsland in der Gemarkung F. eingeholt. Die Ergebnisse der Begutachtung stimmen überein. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit dieser Ergebnisse bestehen nicht.

2. Verzinsung

Der Antragsteller hat gegen die Enteignungsbegünstigte einen Anspruch auf Verzinsung des Einmalbetrages der Entschädigung für den Rechtsverlust ab dem 11. August 1992. Die Verzinsung endet grundsätzlich mit der Auszahlung der Entschädigung. Hinsichtlich eines Teilbetrages ist eine wirksame Teilauszahlung erfolgt, wie die Enteignungsbehörde zu Recht angenommen hat. Eine weitere Zahlung der Enteignungsbegünstigten ist auf die Zinszahlungspflicht als Teilerfüllung anzurechnen. Die Einwendungen des Antragstellers gegen den Bescheid sind unbegründet. Zur Klarstellung ist auszuführen, dass die Einwendungen des Antragstellers gegen die Rechtsansichten der Enteignungsbegünstigten zur Hinterlegung des Restbetrages durchgreifen.

2.1. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 EnteigG LSA (= § 99 Abs. 3 Satz 1 BauGB) ist der Betrag der Entschädigung für den Rechtsverlust ab dem Tag des Wirksamwerdens der Enteignung zu verzinsen. In den Fällen der Vorwirkung der Enteignung wirkt auch die Verzinsungspflicht vor, wie Satz 2 der vorgenannten Vorschrift für den Fall der vorzeitigen Besitzeinweisung ausdrücklich regelt. Das frühere Entstehen der Verzinsungspflicht ist entsprechend anzuwenden auf Fälle der einvernehmlichen vorzeitigen Besitzüberlassung und Zustimmung zur vorzeitigen baulichen Nutzung, wie hier. Die Zulässigkeit der entsprechenden Anwendung des § 14 Abs. 3 Satz 2 EnteigG LSA ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber diese Konstellation zunächst unbewusst und später bewusst im Hinblick auf die für ausreichend erachtete bestehende Rechtsprechung nicht ausdrücklich geregelt hat, für beide jedoch ein gleicher Regelungsbedarf besteht. Die Verzinsung ist der abstrakt bestimmte Ausgleich dafür, dass die Enteignungswirkungen bzw. die Wirkungen der Eigentumsübertragung faktisch vorzeitig eintreten, die hierfür geschuldete Entschädigungsleistung aber erst später erbracht wird. Das Auseinanderfallen vom Zeitpunkt der Wirkungen des Eigentumsverlustes (Vorwirkung) und vom Zeitpunkt der Bewirkung der Entschädigung liegt in beiden Konstellationen vor, sowohl bei der geregelten Fallgruppe der vorzeitigen Besitzeinweisung als auch bei der nicht geregelten Fallgruppe der vorzeitigen einvernehmlichen Besitzüberlassung. Ein Grund für eine Schlechterbehandlung der Beteiligten, die eine konsensuale Lösung gefunden haben, ist nicht ersichtlich.

Da nach dem Vorausgeführten unter Abschnitt II. 1. dieser Gründe die Vorwirkung der späteren Teileinigung vom 5. November 2001 bereits am 11. August 1992 eintrat, beginnt zu diesem Zeitpunkt auch die Verzinsungspflicht. Sie bezieht sich auf den gesamten Einmalbetrag der Entschädigungsleistung für den Rechtsverlust und ist in ihrer Höhe durch das Gesetz bestimmt.

2.2. Die Verzinsungspflicht entfällt ab dem Zeitpunkt der Erfüllung der Hauptleistung i.S.v. § 362 BGB. Im vorliegenden Falle ist eine Teilerfüllung eingetreten, die die Enteignungsbehörde zutreffend berücksichtigt hat.

a) Für einen Teilbetrag in Höhe von 26.836,50 EUR endet die Verzinsungspflicht, wie in Ziffer 3 lit. b) des Beschlusses der Enteignungsbehörde ausgesprochen, am 14. Juli 2003. Der Antragsteller hatte zuvor am 13. Mai 2003 einem seiner Gläubiger einen Teilbetrag in dieser Höhe von seinem Entschädigungsanspruch abgetreten. Die Enteignungsbegünstigte hat am 14. Juli 2003 den Anspruch des neuen Gläubigers erfüllt; an diesem Tage wurde der Betrag dem Konto des Antragstellers beim Gläubiger gutgeschrieben. Diese Teilerfüllung ist zulässig, weil der Antragsteller selbst durch seine Abtretung eine isoliert erfüllbare Teilforderung geschaffen hatte.

b) Im Übrigen ist bislang eine Erfüllung der Hauptleistungspflicht, d.h. der Zahlung des Einmalbetrages der Entschädigung für den Rechtsverlust, nicht eingetreten. Insbesondere hat die Hinterlegung des Betrages in Höhe von 82.864,98 EUR durch die Enteignungsbegünstigte beim Amtsgericht Naumburg bislang keine schuldbefreiende Wirkung.

Die Erfüllungswirkung ist entgegen der Auffassung der Enteignungsbegünstigten schon deshalb nicht am 10. Dezember 2003 eingetreten, weil es bis zum 27. September 2006 an dem nach § 378 BGB vorausgesetzten Ausschluss der Rücknahme fehlte.

Die Enteignungsbegünstigte selbst hat auf ihr Recht der Rückforderung nach § 376 Abs. 1 BGB zunächst nicht verzichtet und den Verzicht i.S.v. § 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB erst am 27. September 2006 erklärt.

Der Antragsteller hat die hinterlegte Leistung auch nicht angenommen i.S.v. § 376 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Seine Verweigerung der Annahme ist nach dem bisherigen Prozess-Stoff nicht rechtsmissbräuchlich i.S.v. §§ 162 Abs. 1 bzw. 242 BGB. Die Enteignungsbegünstigte hat nicht dargelegt, dass - und ggfs. wann - sie dem Antragsteller die bedingungsfreie Annahme des hinterlegten Betrages, und zwar auch als eine Teilzahlung im Hinblick auf etwaige Mehrforderungen des Antragstellers im Verfahren auf gerichtliche Entscheidung angeboten habe. Der bisherige Prozess-Stoff spricht gegen ein solches Angebot.

Eine schuldbefreiende Wirkung hat die Hinterlegung aber vor allem deshalb noch nicht, weil es für sie an einem zulässigen Hinterlegungsgrund mangelt. Nach § 378 BGB hat nur die rechtmäßige Hinterlegung dieselbe Wirkung, wie die Zahlung an den Gläubiger (vgl. nur Grüneberg in: Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 378 Rn. 1). Eine - rechtlich mögliche - Heilung dieses Mangels durch Annahme der Hinterlegung durch den Antragsteller (vgl. BGH, Urteil v. 29. September 1992, XI ZR 9/92 - NJW 1993, 55) ist, wie vorausgeführt, nicht eingetreten noch kann sie derzeit fingiert werden.

In § 33 Abs. 1 EnteigG LSA (= § 118 Abs. 1 BauGB) ist ein besonderer obligatorischer Hinterlegungsgrund geregelt, dessen Voraussetzungen hier nicht vorliegen. Der Antragsteller ist einziger Forderungsprätendent. Nebenberechtigte gibt es nicht.

Weitere Hinterlegungsgründe regeln das EnteigG LSA und das BauGB nicht, sondern verweisen stattdessen auf die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen gleichlautend in § 33 Abs. 2 EnteigG LSA bzw. § 118 Abs. 2 BauGB. Entgegen der Auffassung der Enteignungsbegünstigten beinhalten weder § 32 Abs. 6 EnteigG LSA noch § 117 Abs. 2 und 3 BauGB eine Regelung eines weiteren Hinterlegungsgrundes bzw. eröffnen die Hinterlegung unter Verzicht auf das Recht der Rücknahme als generelle Erfüllungsmöglichkeit. Diese Vorschriften bestimmen vielmehr die Voraussetzungen, unter denen eine vorzeitige Ausführungsanordnung erlassen werden kann, u.a. erst nach Erfüllung des Entschädigungsanspruches. Die Hinterlegung wird als eine in Betracht kommende Erfüllungsmöglichkeit aufgezählt, ohne damit deren Zulässigkeit neu zu regeln. Dies zeigt sich in der jeweiligen Verknüpfung der Erwähnung des Hinterlegens mit den Adverbien "in zulässiger Weise" bzw. "zulässigerweise" sowie aus der Systematik der Regelung.

Ein Hinterlegungsgrund war und ist auch nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften nicht gegeben. Die Zahlung der Entschädigung ist nicht von einer Zug um Zug zu erbringenden Gegenleistung abhängig (§ 373 BGB). Die Enteignungsbegünstigte hat einen Annahmeverzug des Antragstellers vor Hinterlegung nicht dargelegt (§ 372 Satz 1 BGB), ebenso nicht für die Zeit nach der Hinterlegung. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Enteignungsbegünstigte dem Antragsteller persönlich die Auszahlung angeboten habe. Schließlich lagen auch sonst keine Hinderungsgründe in der Person des Gläubigers vor (§ 372 Satz 2 BGB); vor allem lag keine Ungewissheit über die Person des Gläubigers und die (Mindest-) Höhe der Hauptverbindlichkeit vor. Etwaige Ungewissheiten über die Kontoverbindung des Antragstellers wären schnell zu beseitigen gewesen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Enteignungsbegünstigte insoweit ihren Obliegenheiten zur Bewirkung der Auszahlung nachgekommen sei.

Die im Antrag auf vorzeitige Anordnung der Ausführung vom 15. Januar 2003 abgegebene Begründung rechtfertigt hingegen eine Hinterlegung nicht. Das Interesse, die Auszahlung erst nach Sicherung der Eigentumsumschreibung freizugeben, mag legitim sein; seine Berücksichtigung als Hinterlegungsgrund widerspräche jedoch der gesetzgeberischen Entscheidung, wonach die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit der Ausführung der Enteignung stets vorangehen soll (vgl. § 117 Abs. 1, 2, 3 BauGB; § 32 Abs. 1 und 6 EnteigG LSA).

2.3. Die Enteignungsbehörde und die Kammer sind auch zu Recht davon ausgegangen, dass ein weiterer Teilbetrag in Höhe von 6.948,46 EUR (= 13.590,00 DM) auf die Nebenforderung, d.h. auf die Pflicht zur Verzinsung als Erfüllung anzurechnen ist. Die Berufung des Antragstellers bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

Die vorgenommene Anrechnung ist geboten, um einen doppelten Ausgleich des Verlustes des Besitz- und Nutzungsrechts zu vermeiden. Die Verzinsung ist, wie oben ausgeführt, der abstrakt bestimmte Ausgleich dafür, dass dem Antragsteller das Grundstück ab dem 11. August 1992 nicht mehr so, wie vor diesem Zugriffsakt, zur eigenen Nutzung, jedoch die an die Stelle dieser Teilflächen tretende Enteignungsentschädigung noch nicht zur Verfügung stand (vgl. Battis in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB 10. Aufl. 2007, § 99 Rn. 5 m.w.N.; Schmidt-Aßmann in: Ernst/ Bielenberg/ Zinkhahn, BauGB, Lsbl. Stand 1. März 2007, § 99 Rn. 18 f. m.w.N.). Daraus folgt auch, dass eine andere Art der Entschädigung der entfallenen Nutzungsmöglichkeit neben der Verzinsung nach § 99 Abs. 3 BauGB bzw. § 14 Abs. 3 EnteigG LSA grundsätzlich weder geboten noch zu rechtfertigen ist; sie ist mithin ausgeschlossen (vgl. Battis, a.a.O., § 99 Rn. 3 m.N.; Schmidt-Aßmann, a.a.O., § 99 Rn. 29; ebenso schon BGH, Urteil v. 13. Oktober 1983, III ZR 154/82).

Dem steht die Rechtskraft der Entscheidung im Vorprozess 4 O 548/95 Landgericht Halle nicht entgegen. Dem Antragsteller ist dort ein bestimmter Betrag zuerkannt worden, gestützt auf den Rechtsgrund der Herausgabe unberechtigt erlangter Nutzungen. Die Gerichte, insbesondere auch der Bundesgerichtshof, konnten seiner Zeit den Umstand einer Anrechnung dieses Anspruchs auf einen inhaltlich und betragsmäßig weitergehenden, diese Nutzungen mit erfassenden Anspruch aus dem Enteignungsverfahren nicht berücksichtigen, weil vor Rechtskraft der Entscheidungen im Vorprozess das Enteignungsverfahren noch nicht einmal eingeleitet war. Ein Kausalzusammenhang mit einem Enteignungsakt bzw. einer gleichgestellten Vereinbarung und gar eine Konnexität zwischen Besitzeinräumung und Zustimmung zur baulichen Nutzung einerseits und künftigem Eigentumswechsel andererseits war damals nicht feststellbar, weil ein förmliches Enteignungsverfahren nicht betrieben wurde.

3. weitere Nutzungsentschädigung

Der Antragsteller hat daneben keinen enteignungsrechtlichen Anspruch auf weitere Nutzungsentschädigungen, insbesondere auch nicht für die Parzelle I. Hierfür kann offen bleiben, ob die Enteignungsbegünstigte die Parzelle I überhaupt jemals tatsächlich genutzt hat, was sie bestreitet.

Die Verzinsungspflicht nach § 14 Abs. 3 EnteigG LSA bezieht sich stets auf den konkreten Einmalbetrag der Entschädigung für den Rechtsverlust. Da die Parzelle I der Hauptforderung nicht zugrunde liegt, kann sie auch für die Nebenpflicht zur Verzinsung keine Bedeutung erlangen. Parzelle I verbleibt im Eigentum des Antragstellers.

Eine weitere enteignungsrechtliche Entschädigung käme nur in Betracht unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 4 Satz 1 EnteigG LSA (= § 116 Abs. 4 Satz 1 BauGB). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Der Senat erachtet allerdings die Vorschrift hier für entsprechend anwendbar. Wird durch einvernehmliche Besitzeinräumung und Zustimmung zur vorzeitigen baulichen Nutzung dieselbe Wirkung erreicht, wie durch eine vorzeitige Besitzeinweisung, so muss auch die für diese Interessenlage geltende Entschädigungsregelung anwendbar sein. Ein Anspruch auf weitergehende Entschädigung setzte aber voraus, dass die zugelassene und durch die Verzinsung grundsätzlich bereits entschädigte Inanspruchnahme der Parzellen II bis IV und der Verkehrsflächen auch zu Nachteilen bei der Nutzung der Parzelle I durch den Antragsteller geführt hätten. Dies ist hier nicht erkennbar. Für die Zeit bis Dezember 1994 hatte der Antragsteller der Enteignungsbegünstigten den - unentgeltlichen - Besitz eingeräumt. Denn sowohl das Besitzrecht der Enteignungsbegünstigten nach dem Inhalt der Erklärung vom 11. August 1992 als auch nach dem Vorvertrag vom 11. November 1992 erfassten das gesamte Grundstück. Eine Differenzierung nach Parzellen nahmen die Vertragspartner nicht vor. Anders, als für die Frage des Umfangs der Vorwirkung der Enteignung, kommt es für die Auslegung der Vereinbarungen und Erklärungen zur Einräumung des Besitzrechts auf die späteren Vorgänge nicht an. Für die Zeit ab Januar 1995 ist eine Nutzung der Parzelle I durch den Antragsteller, die beeinträchtigt hätte werden können, nicht erkennbar.

4. Antrag auf vorzeitige Ausführungsanordnung

Der Antrag der Enteignungsbegünstigten auf vorzeitige Ausführungsanordnung zur Teileinigung vom 5. November 2001 ist zulässig. Insbesondere kann er in jedem Stadium des gerichtlichen Verfahrens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden (vgl. BGH, Beschluss v. 12. Oktober 1976, III ZR 32/75).

Er ist auch begründet. Nach § 225 BauGB kommt eine vorzeitige Ausführungsanordnung in Betracht, wenn nur noch die Höhe der Geldentschädigung streitig ist. Diese Voraussetzung liegt hier vor. Der Senat erlässt die Ausführungsanordnung allerdings nicht selbst, sondern verpflichtet lediglich die Enteignungsbehörde zur Entscheidung über den Antrag auf vorzeitige Ausführung. Die Ausführung einer den Eigentumswechsel beinhaltenden Teileinigung darf jedoch erst angeordnet werden, wenn die Erfüllung des Entschädigungsanspruch in Höhe des nicht mehr umstrittenen Teils des Entschädigungsbetrages bewirkt ist (§ 32 Abs. 6 EnteigG LSA analog = § 117 Abs. 2 BauGB analog).

Der Festsetzung einer Sicherheitsleistung bedurfte es hier nicht, weil es sich bei der Enteignungsbegünstigten um eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft handelt und im Falle der Festlegung einer höheren Enteignungsentschädigung eine Zahlungsverweigerung bzw. Zahlungsunfähigkeit nicht zu besorgen ist.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 221 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Die Festsetzung des Streitwerts für die Gebührenberechnung im Berufungsverfahren beruht auf §§ 47, 48 GKG. Die Hauptforderung ist auf eine höhere Entschädigung gerichtet, wobei ein Betrag in der Größenordnung von 300.000 EUR für angemessen erachtet worden ist (vgl. GA Bd. II Bl. 11). Die weiteren Begehren sind rechtlich als Nebenforderungen zu bewerten, weshalb sie auf die Festsetzung des Kostenwertes keinen Einfluss haben (§ 43 Abs. 1 GKG; vgl. auch BGH, Beschlüsse v. 28.09.1967, III ZR 164/66 = NJW 1968, 153 und v. 16.02.1970, III ZR 73/69 = MDR 1970, 994; Schmidt-Aßmann, a.a.O., § 99 Rn. 19 a.E.).

Ende der Entscheidung

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