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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 02.03.2006
Aktenzeichen: 1 Verg 1/06
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB §§ 97 ff
GWB § 107 Abs. 3 Satz 1

Entscheidung wurde am 12.06.2006 korrigiert: im Leitsatz zu 3. wurde delegierende durch mandatierende ersetzt
1. Zur Zulässigkeit eines Feststellungsantrages nach endgültiger Abstandnahme des öffentlichen Auftraggebers von der Vergabe eines Dienstleistungsauftrages (hier: bei ursprünglicher Absicht einer Direktvergabe).

2.1. Auch in Fällen der Nichtbeachtung einer vermeintlichen Ausschreibungspflicht besteht grundsätzlich die Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Eine Rüge kann ausnahmsweise auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls entbehrlich sein.

2.2. Eine Rügeobliegenheit kann frühestens mit dem Begehen des Vergaberechtsverstoßes entstehen, d.h. mit einer Willensäußerung des öffentlichen Auftraggebers, die Rechtswirkungen entfalten kann (hier: Beschluss der Verbandsversammlung eines Zweckverbandes).

2.3. Zur Unverzüglichkeit einer Rüge innerhalb von vier Werktagen ab Kenntnis vom Verbandsversammlungsbeschluss.

3. Der Abschluss einer Zweckvereinbarung zwischen zwei Abwasserzweckverbänden, der auf eine mandatierende Übertragung der kaufmännischen und technischen Betriebsführung der Abwasserbeseitigung gerichtet ist, unterfällt nach bislang einhelliger Rechtsprechung der Ausschreibungspflicht im Verfahren nach §§ 97 ff GWB.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 1/06 OLG Naumburg

verkündet am: 2. März 2006

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend den Abschluss einer Zweckvereinbarung über die kaufmännische und technische Betriebsführung der Abwasserbeseitigung ohne förmliche Ausschreibung,

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom

20. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. Dezember 2005, 1 VK LVwA 43/05, aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner die Antragstellerin dadurch in ihren subjektiven Rechten verletzt hat, dass er ursprünglich beabsichtigte, eine Zweckvereinbarung mit dem Beigeladenen über die entgeltliche Erbringung von Leistungen der kaufmännischen und technischen Betriebsführung der Abwasserbeseitigung für sich ohne Durchführung eines transparenten Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff. GWB i.V.m. § 4 Abs. 1 VgV und dem 2. Abschnitt der VOL/A 2002 abzuschließen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben der Antragsgegner und der Beigeladene zu tragen.

Die Gebühren und Auslagen des Verfahrens vor der Vergabekammer betragen 3.369,82 EUR.

Im Verfahren vor der Vergabekammer war für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten notwendig.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner, eine Körperschaft öffentlichen Rechts zur Durchführung der Abwasserbeseitigung, hatte die kaufmännische Betriebsführung der Abwasserbeseitigung und die Leitung der technischen Betriebsführung bislang durch Dritte erbringen lassen, seit 1997 durch die Antragstellerin. Das Vertragsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2005.

Der Antragsgegner, der eine Reduzierung oder zumindest Begrenzung der alljährlich ansteigenden Kosten der Fremdbetriebsführung anstrebte, forderte die Antragstellerin im März 2005 auf, konkrete Aussagen über künftige Kosten einer kaufmännischen und technischen Betriebsführung durch sie nach Ablauf der Vertragslaufzeit zu treffen. Die Auskunft sollte es dem Antragsgegner ermöglichen, eine Entscheidung über die künftige Organisation der Betriebsführung vorzubereiten und zu fällen, und zwar entweder durch Ausschreibung eines in seinem Leistungsumfang klar definierten Betriebsführungsauftrages oder durch Aufbau einer eigenen Betriebsführung oder durch Zusammenschluss mit einem anderen Zweckverband. Die Antragstellerin bezifferte mit Schreiben vom 11. April 2005 eine voraussichtliche Angebotssumme in Höhe von 1,61 Mio. EUR brutto als Festpreis für das Jahr 2006.

Ebenfalls im April 2005 erstellten der Antragsgegner und der Beigeladene, ein örtlich benachbarter Zweckverband, nach entsprechenden Verhandlungen und Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe ein Konzept für einen künftigen Zusammenschluss beider Verbände. Dieses Konzept erhielt auch die Antragstellerin im April 2005. Im Juni 2005 wurde der Verbandsvorsitzende des Antragsgegners durch die Verbandsversammlung beauftragt, die Fusion der beiden Verbände vorzubereiten; die Verbandsversammlung hatte sich mehrheitlich gegen eine Ausschreibung der Fremdbetriebsführung entschieden. In der Sitzung war der Geschäftsführer der Antragstellerin St. anwesend. Der Fusion sollte ein Gutachten vorausgehen; zudem hatte ein Verbandsmitglied des Antragsgegners angekündigt, von seinem Veto-Recht nach § 157b WG LSA Gebrauch machen zu wollen. Deshalb wurde parallel der Abschluss einer Zweckvereinbarung zur Aufgabenübertragung erwogen und vorbereitet.

In ihrer Sitzung vom 14. September 2005, deren Tagesordnung der Antragstellerin seit dem 23. August 2005 bekannt war, beschloss die Verbandsversammlung des Antragsgegners nach dem Scheitern der Abstimmung über eine Fusion unter einem hierfür vorsorglich anberaumten Tagesordnungspunkt, die kaufmännische und technische Betriebsführung künftig in kommunaler Zusammenarbeit mit dem Beigeladenen zu besorgen. Hierzu wurde einer Zweckvereinbarung zugestimmt, wonach dem Beigeladenen die technische und kaufmännische Betriebsführung der Schmutz- und Niederschlagsabwasserbeseitigung im Gebiet einer Reihe von Verbandsmitgliedern des Antragsgegners sowie die gesamte Wirtschaftsführung einschließlich Rechnungswesen und Kalkulation der Gebühren zur Aufgabendurchführung übertragen werden sollte. Die Beschäftigten des Antragsgegners sollten auf den Beigeladenen übergeleitet werden. Für die Leistungserbringung sollte vom Antragsgegner ein Betriebsführungsentgelt gezahlt werden. Die Zweckvereinbarung sollte auf unbestimmte Zeit geschlossen werden und frühestens zum 31. Dezember 2008 kündbar sein. An der Sitzung nahm auch der Geschäftsführer der Antragstellerin St. teil.

Die Verbandsversammlung des Beigeladenen stimmte mit Beschluss vom 14. September 2005 dem Abschluss der Zweckvereinbarung zu.

Am 19. September 2005 unterzeichneten der damals mit der Geschäftsführung beauftragte Verbandsvorsitzende des Antragsgegners und die Verbandsgeschäftsführerin des Beigeladenen die Zweckvereinbarung über die Besorgung der kaufmännischen und technischen Betriebsführung der Abwasserbeseitigung im Bereich des Antragsgegners.

Die Zweckvereinbarung bedurfte zu ihrem Wirksamwerden nach § 3 Abs. 3 GkG LSA noch einer Genehmigung durch die Kommunalaufsicht des Landkreises M. sowie nach § 3 Abs. 5 GkG LSA ihrer Bekanntmachung. Die Genehmigung der Zweckvereinbarung beantragten der Antragsgegner und der Beigeladene jeweils nicht.

Mit Schreiben vom 16. September 2005, welches dem Verbandsvorsitzenden des Antragsgegners am 20. September 2005 übergeben wurde, rügte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner, dass der Abschluss der Zweckvereinbarung ohne vorherige Durchführung einer förmlichen Ausschreibung vergaberechtswidrig sei. Der Antragsgegner half dieser Rüge nicht ab.

Mit Schriftsatz vom 23. September 2005 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass der Antragsgegner verpflichtet werden möge, die Beschaffung der Dienstleistung der kaufmännischen und technischen Betriebsführung der Abwasserbeseitigung in einem transparenten Vergabeverfahren nach §§ 97 ff GWB vorzunehmen.

Mit Vereinbarung vom 5. / 7. Dezember 2005 haben der Antragsgegner und der Beigeladene die o.g. Zweckvereinbarung aufgehoben. Einen entsprechenden Beschluss haben die Verbandsversammlung des Beigeladenen am 7. Dezember 2005 und die Verbandsversammlung des Antragsgegners am 15. Februar 2006 gefasst. Der Antragsgegner führt seit dem 1. Januar 2006 die Abwasserbeseitigung technisch mit eigenen Mitteln durch und beabsichtigt, bis zum Erfolg der Bemühungen um eine Fusion mit dem Beigeladenen auf eine kaufmännische Betriebsführung zu verzichten.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 23. Dezember 2005 als unzulässig verworfen. Sie meint, dass die Antragstellerin ihre Rüge nicht unverzüglich erhoben habe. Diese Auffassung stützt die Vergabekammer auf ihre Feststellung, dass das Rügeschreiben bereits am 16. September 2005 gefertigt, aber erst vier Tage später an den Antragsgegner übergeben worden sei. Dieser Übermittlungszeitraum sei, so meint die Vergabekammer, zu lang.

Gegen diese ihr am 27. Dezember 2005 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 9. Januar 2006 erhobene und am 10. Januar 2006 vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

Die Antragstellerin rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs zur Frage der Unverzüglichkeit ihrer Rüge und trägt insoweit ergänzend und unter Beweisantritt vor, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin St. zwar das Rügeschreiben bereits am 16. September 2005 (Freitag) - als Entwurf - gefertigt habe, die Entscheidung über die Einreichung der Rüge erst am 20. September 2005 im Gespräch beider Geschäftsführer gefallen sei. Unmittelbar nach dieser gemeinschaftlichen Besprechung sei das Schreiben unterzeichnet und durch Boten dem Antragsgegner überbracht worden. Sie macht geltend, dass - soweit eine Rüge im Falle der de facto-Vergabe nicht ohnehin entbehrlich sei - eine Rüge der rechtswidrigen Nichtausschreibung im Falle vertraglicher interkommunaler Kooperation vier Werktage nach Kenntnis vom Beschluss der Verbandsversammlung jedenfalls noch unverzüglich sei. In der Sache wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen zum Bestehen einer Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung des Dienstleistungsauftrages. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 9. Januar 2006 Bezug genommen.

Nachdem die Beteiligten im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend die Erledigung der Hauptsache durch die Aufhebung der Zweckvereinbarung und die Abstandnahme des Antragsgegners von der Beschaffung von Betriebsführungsleistungen von Dritten eingeräumt haben, beantragt die Antragstellerin, den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 23. Dezember 2005, 1 VK LVwA 43/05, aufzuheben und festzustellen, dass die Antragstellerin durch den Abschluss der Zweckvereinbarung zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen ohne vorherige Durchführung eines transparenten Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff. GWB in ihren Rechten verletzt wurde.

Der Antragsgegner und der Beigeladene beantragen jeweils, die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Sie verteidigen im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung. Der Antragsgegner verweist insbesondere darauf, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, weil die Antragstellerin bereits viele Monate vor den Beschlüssen der Verbandsversammlung des Antragsgegners vom 14. September 2005 Kenntnis davon gehabt habe, dass die geplante Fusion zunächst scheitern werde und dass dann der Abschluss einer Zweckvereinbarung die naheliegendste Alternative der Leistungsbeschaffung gewesen sei.

Der Senat hat am 20. Februar 2006 mündlich zur Sache verhandelt. Wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tage Bezug genommen (vgl. GA Bl. 112 f.).

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie hat in der Sache mit dem Feststellungsantrag Erfolg.

Die Vergabekammer ist zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin ausgegangen. Die Antragstellerin ist mit der von ihr erhobenen Rüge, dass der Abschluss einer Zweckvereinbarung mit dem Beigeladenen über die Durchführung der kaufmännischen und technischen Betriebsführung ohne vorherige Durchführung eines transparenten Vergabeverfahrens vergaberechtswidrig sei, nicht präkludiert. Diese Rüge ist auch begründet.

1. Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig. Es wurde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Der ursprünglich als Hilfsantrag angekündigte und im Termin der mündlichen Verhandlung des Senats als Hauptantrag gestellte Feststellungsantrag ist auch statthaft.

1.1. Allerdings kann die Antragstellerin den s.g. Primärrechtsschutz, also eine unmittelbare Einwirkung des Senats auf das Vergabeverfahren, nicht mehr geltend machen. Der Antragsgegner hat inzwischen das Vorhaben einer Fremdbeschaffung der Dienstleistungen zur kaufmännischen und technischen Betriebsführung der Abwasserbeseitigung endgültig aufgegeben.

Die bereits unterzeichnete Zweckvereinbarung zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen ist wirksam aufgehoben worden. Die Parteien der Zweckvereinbarung haben deren einvernehmliche Aufhebung vereinbart, bevor die Zweckvereinbarung durch die Kommunalaufsicht genehmigt und durch den Antragsgegner bekannt gemacht worden ist. Die Aufhebungsvereinbarung ist durch entsprechende Beschlüsse beider Verbandsversammlungen wirksam geworden. Die Aufhebung einer nicht genehmigten Zweckvereinbarung bedarf ihrerseits weder einer Genehmigung noch einer Bekanntmachung. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 5 Abs. 3 und Abs. 5 GkG LSA, die sich lediglich auf die Änderung bzw. Aufhebung wirksam abgeschlossener Zweckvereinbarungen beziehen.

Der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargestellt, dass eine Fusion des Antragsgegners und des Beigeladenen angestrebt wird. Die Voraussetzungen für eine künftig erfolgreiche Abstimmung über die Fusion in der Verbandsversammlung des Antragsgegners seien durch Satzungsänderungen geschaffen worden. Im Übergangszeitraum erbringe der Antragsgegner seit dem 1. Januar 2006 die technische Betriebsführung mit eigenen Mitteln und verzichte vorübergehend auf einen Großteil der kaufmännischen Betriebsführung.

1.2. Der (Fortsetzungs-) Feststellungsantrag der Antragstellerin ist zulässig.

1.2.1. Die Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB liegen vor: Die s.g. de facto-Vergabe hat sich durch die endgültige Abstandnahme des Antragsgegners von einer Fremdvergabe der o.a. Dienstleistungen erledigt. Das Nachprüfungsverfahren ist vor der Erledigung der de facto-Vergabe eingeleitet worden. Der Nachprüfungsantrag ist am 23. September 2005 eingegangen; die angegriffene de facto-Vergabe ist erst am 15. Februar 2006 endgültig beendet worden.

1.2.2. Die Antragstellerin hat ein rechtlich schutzwürdiges Interesse an der begehrten Feststellung.

Insoweit kann hier offen bleiben, ob es für das Vorliegen eines Feststellungsinteresses im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren genügte, wenn eine Wiederholungsgefahr festgestellt werden könnte. Unabhängig davon, dass im konkreten Fall in tatsächlicher Hinsicht zweifelhaft sein könnte, ob eine Wiederholungsgefahr besteht, weil der Antragsgegner sich inzwischen für einen Lösungsweg entschieden hat, der künftige Fremdvergaben zumindest unwahrscheinlich werden lässt, sprechen ggf. auch rechtliche Gründe dagegen. Der vergaberechtliche Rechtsschutz ist als Individualrechtsschutz gegen konkrete, bereits eingetretene Vergabeverstöße ausgestaltet; vorbeugender Rechtsschutz wird nicht gewährt. Eine bloß auf Wiederholungsgefahr gestützte Nachprüfung käme seiner Wirkung nach einem vorbeugenden Rechtsschutz gleich.

Ebenso kann offen bleiben, ob das Kosteninteresse der Antragstellerin zur Bejahung des Feststellungsinteresses ausreichte. Allerdings liegt eine solche Rechtsauffassung unter Berücksichtigung des Vorliegens einer Regelungslücke im GWB für die Kostenerstattung bei Rücknahme des Nachprüfungsantrages oder bei Erledigung des Nachprüfungsverfahrens und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. Beschlüsse vom 9. Dezember 2003, X ZB 14/03 = VergabeR 2004, 414, und vom 25. Oktober 2005, X ZB 22 und 24 bis 26/05 = VergabeR 2006, 73) nahe.

Ein Feststellungsinteresse besteht jedoch im Hinblick auf mögliche Schadenersatzansprüche der Antragstellerin gegen den Antragsgegner. Wenn auch die Antragstellerin ein positives Interesse, also einen Anspruch auf Erstattung des entgangenen Gewinns, nicht erfolgreich geltend machen kann, weil der Antragsgegner die Absicht der Vergabe der Dienstleistungen an einen Dritten endgültig aufgegeben hat (vgl. BGH NZBau 2004, 283 m.w.N.), so kann sie u.U. ihr negatives Interesse, d.h. den Ersatz nutzloser Aufwendungen, beanspruchen. Ob solche Aufwendungen hier ersatzfähig sind, obwohl eine Ausschreibung gar nicht stattgefunden hat, ist nicht im Rahmen der Zulässigkeit des Feststellungsantrages zu klären; vielmehr bleibt die Klärung dieser Streitfrage einem etwaigen Schadenersatzprozess vorbehalten.

2. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig.

2.1. Soweit der Antragsgegner im Verfahren vor der Vergabekammer pauschal die Antragsbefugnis der Antragstellerin im Hinblick auf eine vermeintlich unzureichende Darstellung des drohenden bzw. eingetretenen Vermögensschadens in Abrede gestellt hat, nimmt der Senat auf die vorstehenden Ausführungen zum Feststellungsinteresse Bezug. Die Anforderungen an die Darstellung des drohenden Schadens dürfen im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht überspannt werden.

2.2. Der Senat vermag eine Verletzung der Rügeobliegenheit durch die Antragstellerin nicht festzustellen.

2.2.1. In der Literatur ist umstritten, ob in Fällen der Nichtbeachtung der Ausschreibungspflicht eine Rüge generell entbehrlich ist. Ein solcher genereller Verzicht auf eine vorherige Rüge ist nach Auffassung des Senats systemfremd, denn der vergaberechtliche Primärrechtsschutz wird subjektiv (durch das Erfordernis der Antragsbefugnis) und objektiv (durch das Erfordernis der Erfüllung der Rügeobliegenheit) nur eingeschränkt gewährt, und zwar ungeachtet der Schwere des vermeintlichen Vergaberechtsverstoßes.

In den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen der ausnahmsweise Entbehrlichkeit einer Rüge im konkreten Einzelfall ging es jeweils um Konstellationen, in denen ein wirksamer Vertragsschluss unmittelbar bevorstand, so dass die Forderung nach einer vorherigen Rüge de facto auf eine Versagung von effektivem Rechtsschutz hinausgelaufen wäre, und in denen zudem eine vorherige Rüge angesichts des entschlossenen Vorverhaltens der Vergabestelle als in der Sache zumindest nutzlose Förmelei hätte empfunden werden können. Dem gegenüber stand hier weder ein sofortiger wirksamer Vertragsschluss zu besorgen, weil für die Wirksamkeit der Zweckvereinbarung eine kommunalrechtliche Genehmigung einzuholen und eine öffentliche Bekanntmachung zu organisieren war. Auch hatte der Antragsgegner zuvor selbst über eine Ausschreibung der Dienstleistungen nachgedacht und insoweit eine Markterkundung durch Befragung der Antragstellerin betrieben. Insoweit war eine Rüge, die dem Antragsgegner seine Verpflichtung zur Ausschreibung der zu beschaffenden Dienstleistungen vor Augen führt, nicht etwa von vornherein aussichtslos.

2.2.2. Die Vergabekammer hat unter Verletzung des verfahrensrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör allein aus dem Datum des Rügeschreibens auf eine vorwerfbar verzögerte Übermittlung des Rügeschreibens geschlossen. Nachdem die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren schlüssig vorgetragen hat, dass die Übermittlung des Rügeschreibens unmittelbar nach der gemeinschaftlichen Entscheidung ihrer beiden Geschäftsführer, den Abschluss der Zweckvereinbarung als Vergaberechtsverstoß zu rügen, per Boten zum Verbandsvorsitzenden des Antragsgegners gebracht wurde, und der Antragsgegner die Übermittlung per Boten bestätigt hat, besteht für den Senat kein Anhaltspunkt mehr dafür, dass die Antragstellerin durch die Wahl des Übermittlungsmittels gegen ihre Rügeobliegenheit verstoßen haben könnte.

2.2.3. Der Senat erachtet auch die von der Antragstellerin in Anspruch genommene Überlegungsfrist als angemessen und somit die Rüge der Nichtbeachtung der Ausschreibungspflicht insgesamt vier Werktage nach Kenntnis vom Beschluss der Verbandsversammlung des Antragsgegners als noch unverzüglich i.S.v. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB.

Eine Rügeobliegenheit kann wegen des ausgeschlossenen vorbeugenden Rechtsschutzes frühestens mit dem Begehen des Vergabeverstoßes entstehen. Interne Vorüberlegungen zu einer Beschaffung von Leistungen ohne Ausschreibung, interne alternative Konzepte oder vergleichende Betrachtungen und selbst die Ladung zu einer Verbandsversammlung, auf deren Tagungsordnung die Entscheidung über ein internes Vergabekonzept steht, stellen noch keinen Vergaberechtsverstoß dar. Gerügt werden kann ein Verhalten des öffentlichen Auftraggebers erst dann, wenn dadurch ein Wille geäußert wird, der Rechtswirkungen entfalten kann. Das war hier erst der Beschluss der Verbandsversammlung des Antragsgegners vom 14. September 2005 über den Abschluss der Zweckvereinbarung mit dem Beigeladenen.

Die Antragstellerin erhielt als Anwesende der Verbandsversammlung mit der Beschlussfassung zugleich Kenntnis von den Tatsachen, auf die sie später ihre Rüge des Vergaberechtsverstoßes gestützt hat. Sie rügte den Beschluss am 20. September 2005 als vergaberechtswidrig, mithin sechs Kalendertage (vier Werktage) nach Kenntnis. Angesichts der Schwere des Vorwurfes, den die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner zu erheben überlegte, und angesichts der noch bestehenden Unsicherheiten bei der rechtlichen Beurteilung der Ausschreibungspflicht - dies insbesondere im Hinblick auf die jahrelange abweichende kommunale Praxis - erscheint es vertretbar, eine gemeinschaftliche Entscheidung beider Geschäftsführer herbeizuführen, wenn das - wie hier - innerhalb weniger Werktage möglich ist. Eine andere Bewertung führte u.U. zu einer erheblichen Mehrbelastung der Vergabestellen durch unüberlegte, vorsorgliche Rügen der Bieter, Bewerber und Interessenten sowie zu einer nicht hinnehmbaren Verkürzung des vergaberechtlichen Rechtsschutzes.

3. Der Feststellungsantrag der Antragstellerin ist begründet.

Die ursprünglich beabsichtigte Zweckvereinbarung zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen beinhaltet eine s.g. delegierende Aufgabenübertragung, und zwar hier eine entgeltliche Beschaffung einer Dienstleistung durch einen öffentlichen Auftraggeber bei einem anderen öffentlichen Auftraggeber. Diese Form der vertraglichen interkommunalen Zusammenarbeit unterfällt nach bislang einhelliger Rechtsprechung der Ausschreibungspflicht im Verfahren nach §§ 97 ff GWB (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Mai 2004, VII Verg 78/03 = VergabeR 2004, 619; OLG Frankfurt, Beschluss v. 7. September 2004, 11 Verg 11 und 12/04 = VergabeR 2005, 80; OLG Naumburg, Beschluss v. 3. November 2005, 1 Verg 9/05 = ZfBR 2006, 81) wenn - wie hier - der Schwellenwert nach § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 VgV überschritten ist und kein Ausschlussgrund i.S.v. § 100 Abs. 2 GWB vorliegt. Hiergegen hat sich der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren auch nicht mehr gewandt.

4. Die Entscheidung über die Kostentragung im Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3 S. 1 und 2 GWB; diejenigen zur Kostenfestsetzung auf § 128 Abs. 1, Abs. 4 GWB.

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 2 i.V.m. 100 Abs. 1 ZPO (zur Anwendung der §§ 91 ff ZPO vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2000, X ZB 14/00).

Den Gegenstandswert hat der Senat bereits in der Sitzung nach § 50 Abs. 2 GKG auf 241.500 EUR festgesetzt. Dem liegt die Annahme einer mindestens dreijährigen Vertragslaufzeit (frühestmögliche Beendigung der beabsichtigten Zweckvereinbarung) sowie der angekündigte Bruttoangebotspreis der Antragstellerin pro Jahr ohne Berücksichtigung einer etwaigen Preisgleitklausel zugrunde.

Ende der Entscheidung

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