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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 13.10.2006
Aktenzeichen: 1 Verg 12/06
Rechtsgebiete: GWB, VOB/A


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 1
GWB § 97 Abs. 2
GWB § 115 Abs. 3
GWB § 115 Abs. 3 Satz 1
VOB/A § 16 Nr. 1
VOB/A § 22 Nr. 3
1. Leitet ein öffentlicher Auftraggeber für einen identischen Beschaffungsvorgang, der nur einmal realisiert werden kann und soll, vor Abschluss der ursprünglichen Ausschreibung ein weiteres Vergabeverfahren ein, so verletzt die Doppelausschreibung für diejenigen Bieter, die im ursprünglichen Verfahren ein zuschlagfähiges Angebot abgegeben haben, sowohl deren Recht auf Durchführung eines fairen Wettbewerbs als auch auf Beachtung des Diskriminierungsverbots.

2. Die Anordnung der Aufhebung der Ausschreibung durch die Nachprüfungsinstanzen kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Aufhebung das einzig verhältnismäßige Mittel ist, um die drohende oder bereits eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 12/06 OLG Naumburg

verkündet am: 13. Oktober 2006

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juli 2006 (S-131) ausgeschriebene Vergabe des Bauauftrages "Bundesautobahn A ... Neubau (Erd- und Deckenbau) der Bundesautobahn auf 5,9 km Länge und Neubau des Bauwerks BW .... einschließlich Blendschutzwand",

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm und den Richter am Amtsgericht Dr. Giesen auf die mündliche Verhandlung vom

4. September 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. August 2006, 2 VK LVwA 27/06, aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird angewiesen, die Ausschreibung des Bauauftrages "Bundesautobahn A ... Neubau (Erd- und Deckenbau) der Bundesautobahn auf 5,9 km Länge und Neubau des Bauwerks BW ... einschließlich Blendschutzwand", bekannt gemacht u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juli 2006 (S-131), aufzuheben.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden auf 5.000 EUR festgesetzt.

Im Verfahren vor der Vergabekammer war die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin notwendig.

Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu tragen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 436.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, vertreten durch eine Beteiligungsgesellschaft privaten Rechts zur Planung, Bauvorbereitung und Baudurchführung für die Bundesfernstraßenprojekte Deutsche Einheit, deren Gesellschafter zu 50 % der Bund und zu je 10 % die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind, schrieb im März 2005 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Der geschätzte Auftragswert netto liegt bei mehr als 7,5 Mio. EUR.

Im März 2006 hob die Antragsgegnerin diese ursprüngliche Ausschreibung wegen der inzwischen eingetretenen zeitlichen Verzögerung der Auftragsvergabe auf. Zwei Bieterinnen des ursprünglichen Vergabeverfahrens, die hiesige Antragstellerin und die hiesige Beigeladene, rügten die Aufhebung als vergaberechtswidrig. Die Antragsgegnerin half den Rügen nicht ab. Auf die gleichgerichteten Nachprüfungsanträge der beiden Bieterinnen gab die 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 23. Mai 2006 auf, die Aufhebung rückgängig zu machen und das (ursprüngliche) Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsansichten der Vergabekammer fortzuführen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 12. Juni 2006 sofortige Beschwerde erhoben. In diesem Beschwerdeverfahren hat der erkennenden Vergabesenat mit Beschluss vom heutigen Tage die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin als unbegründet zurückgewiesen und die Anweisung der Vergabekammer dahin konkretisiert, dass sie die Antragsgegnerin angewiesen hat, im ursprünglichen Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot der hiesigen Antragstellerin zu erteilen.

Am 3. Juli 2006 sandte die Antragsgegnerin die Bekanntmachung der Vergabe eines Bauauftrags mit identischer Bezeichnung im Offenen Verfahren an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften; die Bekanntmachung wurde im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juli 2006 (S-131) veröffentlicht. Die Angebotsfrist für diese Ausschreibung (künftig: zweites Vergabeverfahren) endete ursprünglich am 11. August 2006, 12:00 Uhr. Die Bezeichnung des Auftrags, der allgemeine Gegenstand des Auftrags, der Ort der Ausführung und die Nichtaufteilung in Lose waren identisch. Auch die Aufführung der wesentlichen Leistungen unter Ziffer II. .2.1. der Vergabebekanntmachung war völlig identisch. Ausweislich der Verdingungsunterlagen sind diverse Leistungspositionen geändert, z. Bsp. ist statt der Leistungsposition "Bäume fällen und roden" nur noch die Leistung "Stubben roden" ausgeschrieben.

Die Antragstellerin rügte die zweite Ausschreibung am 10. Juli 2006 als vergaberechtswidrig und beantragte nach der ausdrücklichen Weigerung der Antragsgegnerin, dieses neue Vergabeverfahren bis zur Entscheidung über die Fortführung oder Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens auszusetzen, am 17. Juli 2006 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt. Gleichzeitig stellte die Antragstellerin einen Antrag nach § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB mit dem Begehren, der Antragsgegnerin möge vorläufig untersagt werden, das zweite Vergabeverfahren fortzuführen.

Die Vergabekammer hat den Aussetzungsantrag abgelehnt und mit Beschluss vom 2. August 2006 auch den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diese ihr am 7. August 2006 zugestellten Entscheidung hat die Antragstellerin am 8. August 2006 sofortige Beschwerde eingelegt.

Auf vorläufige Anordnungen des Senats nach § 115 Abs. 3 GWB analog sowie nachfolgend auch im Wege der freiwilligen Vornahme hat die Antragsgegnerin die Angebotsfrist insgesamt bis zum 17. Oktober 2006, 12:00 Uhr, verlängert.

Die Antragstellerin und die Beigeladene sind der Meinung, dass die erneute Ausschreibung vor Abschluss des ursprünglichen Vergabeverfahrens vergaberechtswidrig sei. Sie sehen darin einen Verstoß gegen § 16 Nr. 1 VOB/A, weil die Ausführung des Auftrags ungewiss ist. Angesichts des - unbestrittenen - Umstandes, dass die Antragsgegnerin den Bauauftrag insgesamt nur einmal vergeben wolle, komme eine Auftragsvergabe nur in Betracht, wenn das ursprüngliche Vergabeverfahren nicht mit Zuschlagserteilung abgeschlossen werde. Dies sei aber gerade Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens. Hilfsweise meinen die Antragstellerin und die Beigeladene, dass die zweite Ausschreibung rechtsmissbräuchlich sei, weil sie geeignet sei, einen effektiven Vergaberechtsschutz der Antragstellerin und der Beigeladenen im ursprünglichen Vergabeverfahren zu verhindern. Im Falle einer "überholenden" Zuschlagserteilung im zweiten Vergabeverfahren entfiele der Beschaffungsbedarf im ursprünglichen Vergabeverfahren, was zumindest nachträglich eine Aufhebung der Ausschreibung rechtfertige.

Der Senat hat mit seinem Beschluss vom 22. August 2006 darauf hingewiesen, dass eine Vergaberechtswidrigkeit in der vorliegenden konkreten Konstellation aus der Verletzung des Grundsatzes des Geheimwettbewerbes zum Nachteil der Antragstellerin zu sehen sein könnte.

Die Antragstellerin und die Beigeladene beantragen jeweils übereinstimmend,

den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 2. August 2006, 2 VK LVwA 27/06, aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, das o.a. Vergabeverfahren bis zu einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg im Beschwerdeverfahren 1 Verg 7/06 auszusetzen und für den Fall, dass im anderen Nachprüfungsverfahren die Aufhebung der Aufhebung des dort streitgegenständlichen Vergabeverfahrens bestätigt wird, das Vergabeverfahren einzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Sie verteidigt im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung und meint insbesondere, dass auch der Grundsatz des Geheimwettbewerbs gewahrt sei. Die Ausschreibung sei weder hinsichtlich der Leistungen noch hinsichtlich der Bedingungen identisch. Selbst wenn dies der Fall wäre, so hätte sich inzwischen das Preisniveau am Markt verändert. Im Übrigen schließe das Vergaberecht die Kenntnis fremder Angebotspreise nicht aus, wie sich aus § 22 Nr. 3 VOB/A ergebe. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 22. August 2006 darauf hingewiesen habe, dass der streitgegenständliche Auftrag nur einmal vergeben werden könne, sei dies missverständlich. Der Auftrag könne auch mehrfach vergeben werden, davon zu unterscheiden sei lediglich, dass er nur einmal ausgeführt werden solle. Rechtlich sei auch die Möglichkeit gegeben, einen durch Zuschlagserteilung im ursprünglichen Vergabeverfahren geschlossenen Vertrag sofort wieder zu kündigen. Die finanziellen Folgen einer solchen Kündigung seien u.U. geringer als das Preisrisiko wegen verzögerter Auftragsvergabe, so dass eine Auftragsvergabe in der zweiten Ausschreibung gleichwohl in Betracht komme.

Der Senat hat am 4. September 2006 einen Termin der mündlichen Verhandlung durchgeführt; wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokokoll vom selben Tage Bezug genommen (vgl. GA Bd. II Bl. 24 f.).

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.

Die Vergabekammer ist zu Unrecht von der Unbegründetheit des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin ausgegangen; die von der Antragstellerin erhobene Rüge, dass die erneute Ausschreibung des o.a. Bauauftrages vor Abschluss des ursprünglichen Vergabeverfahrens vergaberechtswidrig sei, ist begründet.

1. Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig. Es wurde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 bis 100, 102, 107 Abs. 1, 108 GWB) liegen vor.

2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Dies wird von den Verfahrensbeteiligten auch nicht in Abrede gestellt.

3. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist begründet. In der vorliegenden Konstellation, in der die ausgeschriebene Leistung unstreitig nur einmal erbracht werden kann, benachteiligt eine Doppelausschreibung dieser Leistung alle Bieter, die in einem der Vergabeverfahren ein zuschlagfähiges Angebot abgegeben haben. Im Hinblick auf die absehbare Befriedigung des Beschaffungsbedarfs der Antragsgegnerin im ursprünglichen Vergabeverfahren ist es ausnahmsweise gerechtfertigt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die zweite Ausschreibung aufzuheben.

3.1. Allerdings ist die Frage, ob eine Ausschreibung eingeleitete werden darf, grundsätzlich keine dem Vergaberecht unterfallende Fragestellung, sondern bei öffentlichen Auftraggebern vom Haushaltsrecht geprägt. Die Prüfung der Einhaltung des Haushaltsrechts ist nicht Gegenstand eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens. Der erkennende Senat hat eine doppelte Ausschreibung eines Auftrags im Bereich von Bauplanungs- und Bauüberwachungsleistungen durch Architekten und Ingenieure als vergaberechtlich nicht zu beanstanden bewertet (vgl. Beschluss v. 17. Mai 2006, 1 Verg 3/06 "Speicher als Denkfabrik"). In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist anerkannt, dass Parallelausschreibungen z. Bsp. von Bau- und Dienstleistungen (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 22. August 2001, KartVerg 3/01 "TU-Bibliothek" - VergabeR 2001, 392 = NZBau 2002, 402) oder von Generalunternehmerleistungen und Fachlosen innerhalb einer Ausschreibung (vgl. BayObLG, Beschluss v. 21. Dezember 2000, Verg 13/00 - VergabeR 2001, 131) unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein können.

Für die Parallelausschreibung ist aber ebenfalls anerkannt, dass sie ausnahmsweise dann unzulässig ist, wenn sie zugleich gegen Grundprinzipien des Vergabeverfahrens oder gegen Bieter schützende vergaberechtliche Einzelvorschriften verstößt (vgl. OLG Celle, Beschlüsse alle v. 8. November 2001, 13 Verg 9/01 - VergabeR 2002, 293 = NZBau 2002, 400, sowie 13 Verg 10/01 "Abwasser Buxtehude" - OLGR Celle 2002, 71; sowie 13 Verg 11/01 - OLGR Celle 2002, 56; vgl. auch Kaiser NZBau 2002, 553). Nichts Anderes gilt auch für s.g. Doppelausschreibungen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 5. März 2001, Verg 2/01 - VergabeR 2001, 234 <für eine irrtümliche zweite Ausschreibung im Hinblick auf eine nicht bestandskräftige und später aufgehobene Anweisung der Vergabekammer zur Aufhebung der ursprünglichen Ausschreibung>; generell unzulässig nach Prieß VergabeR 2001, 399, 401 unter Verweis auf VK Thüringen, Beschluss v. 20. März 2001, 216-4003.20 - 001/01 - SHL -S-). Ein solcher Fall der vergaberechtlich unzulässigen Doppelausschreibung liegt hier vor.

3.2. Der Senat geht ungeachtet der geringfügigen Veränderungen der Leistungsbeschreibung bzw. der Mengengerüste von einem identischen Beschaffungsvorgang aus, der sowohl Gegenstand der ursprünglichen als auch der zweiten, hier gegenständlichen Ausschreibung ist.

Gegenstand des Beschaffungsbedarfs sind Tiefbauleistungen zur Herstellung desselben Autobahnabschnitts. Die Ausführung des Auftrags aus der ursprünglichen Ausschreibung und die Ausführung des Auftrags aus der zweiten Ausschreibung schließen sich wechselseitig aus. Auch die Antragsgegnerin hat eingeräumt, dass die ausgeschriebenen Bauleistungen jedenfalls nur einmal ausgeführt werden können und sollen.

Bei funktionaler Betrachtung ist ein Unterschied zwischen beiden Ausschreibungen nicht zu erkennen. Die angeführten Mengenreduzierungen bzw. -mehrungen sind nicht Ausdruck eines veränderten Beschaffungsprofils, sondern Ergebnis veränderter Prognosen hinsichtlich der Mengengerüste derselben Leistungen. Soweit Teilleistungen inhaltlich reduziert sind, verändern sie den Charakter des Beschaffungsvorgangs nicht. Die Anforderungen an die Eignung der Bieter sind identisch. Es kommen im Hinblick auf die Veränderungen im Leistungsverzeichnis weder mehr noch andere Unternehmen als Bieter in Betracht.

3.3. Die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise, für einen identischen Beschaffungsvorgang nach der Einleitung der ursprünglichen Ausschreibung und vor Abschluss dieser Ausschreibung ein weiteres, formal anderes Vergabeverfahren einzuleiten, verletzt sowohl den vergaberechtlichen Grundsatz eines fairen Wettbewerbs nach § 97 Abs. 1 GWB als auch das Verbot der Diskriminierung einzelner Bieter nach § 97 Abs. 2 GWB. Denn hierdurch vermindern sich die Amortisierungschancen aller derjenigen Bieter des bereits laufenden ursprünglichen Vergabeverfahrens, die ein zuschlagfähiges Angebot abgegeben haben. Das sind hier die Antragstellerin und die Beigeladene, deren Angebote dort die vierte Wertungsstufe erreicht haben. Zudem sind die Bieter mit Zuschlagschancen in der ursprünglichen Ausschreibung zur Wahrung ihrer Chancen im Wettbewerb faktisch gezwungen, zur Erlangung desselben Auftrags einen erhöhten, weil zweifachen Aufwand zur Erstellung und ggf. Aufklärung ihres Angebots zu betreiben.

3.4. Zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens bleibt hier nur die Anordnung der Aufhebung der Ausschreibung.

3.4.1. Allerdings hat ein Bieter grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufhebung. Die Aufhebung einer Ausschreibung liegt im Ermessen der Vergabestelle. Eine Anordnung der Aufhebung der Ausschreibung durch die Nachprüfungsinstanzen kommt jedoch ausnahmsweise dann in Betracht, wenn allein die Aufhebung geeignet ist, die drohende oder bereits eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen (vgl. EuGH, Urteil v. 4. Dezember 2003, C-448/01 "EVN AG, Wienstrom GmbH ./. Rep. Österreich" - NZBau 2004, 105 = ZfBR 2004, 185; OLG Dresden, Beschluss v. 6. Juni 2002, W Verg 0005/02 - VergabeR 2003, 64; OLG Frankfurt, Beschluss v. 26. März 2004, 11 Verg 2/04 "Polizeisondertechnik"; OLG Celle, Beschluss v. 8. April 2004, 13 Verg 6/04, und v. 2. September 2004, 13 Verg 11/04 "SPNV" - NZBau 2005, 52; Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 5. Oktober 2004, Verg W 12/04 - ZfBR 2005, 84). So liegt der Fall hier.

3.4.2. Die Aufhebung der Ausschreibung ist hier zwar nicht das einzige geeignete, aber das einzig verhältnismäßige Mittel zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit.

a) Die vom Senat vorläufig ergriffene Maßnahme, nämlich die Verlängerung der Angebotsfrist, war zwar auch geeignet, vorübergehend einen Schaden von der Antragstellerin und der Beigeladenen abzuwenden. Die ständige Verlängerung der Angebotsfrist bzw. eine Aussetzung des Vergabeverfahrens auf unbestimmte Zeit ist aber den Beteiligten am zweiten Vergabeverfahren, und zwar sowohl den Bietern als auch der Vergabestelle, nicht zumutbar.

b) Die Aufhebung der Ausschreibung lässt demgegenüber zwar den bisherigen Aufwand der Verfahrensbeteiligten nutzlos erscheinen, wobei die Bieter sich ggf. schadlos halten können. Sie ist allen Beteiligten gegenüber aber vertretbar, weil letztlich eine Aufhebung der zweiten Ausschreibung sehr wahrscheinlich ist. Die Antragsgegnerin ist im Parallelverfahren 1 Verg 7/06 angewiesen worden, ihren Beschaffungsbedarf durch eine Auftragserteilung im ursprünglichen Vergabeverfahren zu befriedigen. Es ist für den Senat derzeit nicht vorstellbar, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der zu 100 % treuhänderisch mit fremdem Geld, nämlich mit öffentlichen Finanzmitteln agiert, der dem Haushaltsrecht unterworfen ist und dessen Mitarbeiter darüber hinaus disziplinarrechtlich und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wegen eines von ihm nicht quantifizierbaren Preisrisikos bewusst Vermögensschäden zu Lasten der öffentlichen Hand verursacht.

4. Die Entscheidung über die Kostentragung im Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3 Satz 1 sowie Abs. 4 Satz 2 GWB, hinsichtlich derjenigen im Beschwerdeverfahren auf §§ 91 Abs. 1, 100 ZPO (vgl. BGH, Beschluss v. 9. Februar 2004, X ZB 44/03 - u.a. NZBau 2004, 229 = ZfBR 2004, 399).

Der Senat hat die Gebührenbemessung durch die Vergabekammer übernommen. Zweifel an der Richtigkeit der Kostenfestsetzung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei die geprüfte Angebotssumme des Hauptangebotes der Antragstellerin im ursprünglichen Vergabeverfahren zugrunde, weil im vorliegenden zweiten Vergabeverfahren noch keine Angebotspreise bekannt sind.

Ende der Entscheidung

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