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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 13.05.2008
Aktenzeichen: 1 Verg 3/08
Rechtsgebiete: VOB/A, GWB


Vorschriften:

VOB/A § 25 Nr. 1
VOB/A § 22 Nr. 1 S. 1 Halbs. 2
GWB § 118 Abs. 1 S. 3
Laboreinrichtung II

1. Die angebliche Unklarheit, Zweifelhaftigkeit oder Mehrdeutigkeit eines Punktbewertungssystems, welches den Bietern mit den Verdingungsunterlagen bekannt gemacht worden ist, ist regelmäßig in der Angebotsphase zu rügen.

Für die laienhafte rechtliche Bewertung des Inhalts der Bekanntmachung der Zuschlagskriterien als nicht ausreichend transparent kommt es nur darauf an, ob ein Bieter sich aufgrund der gegebenen Informationen im Stande sieht, ein wettbewerbsfähiges Angebot zu erstellen, oder nicht. Es ist regelmäßig auch ohne rechtliche Beratung möglich zu entscheiden, ob der Inhalt der Verdingungsunterlagen aus fachlicher Sicht erkennen lässt, worauf es dem Auftraggeber ankommt und ob die vorgenommenen Einstufungen für die Punkteverteilung für einen branchen- und fachkundigen Bieter eindeutig verständlich sind oder nicht.

2. Ebenso kann ein fachkundiger Bieter ohne eingehende rechtliche Beratung beurteilen, ob "Ca."-Angaben bei den Abmessungen von Einrichtungsgegenständen die verlangte Leistung hinreichend genau beschreiben oder nicht.

3. Nach Aufhebung eines Offenen Verfahrens mit der Begründung, dass ausschließlich unvollständige bzw. von den Verdingungsunterlagen abweichende und daher nach § 25 Nr. 1 VOB/A auszuschließende Angebote eingegangen waren, kann der Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne (erneute) Vergabebekanntmachung auch unter Einbeziehung weiterer Unternehmen als der Bieter des vorangegangenen Offenen Verfahrens durchführen (§ 3a Nr. 6 lit. b) VOB/A). Für die Zulässigkeit seiner Wahl der Vergabeart ist es unerheblich, ob er sich von Anfang rechtlich darüber im Klaren war, auf welche Rechtsnorm er diese Wahl stützen kann.

4. Die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VOB/A - Bieteröffentlichkeit des Angebotseröffnungstermins - gilt nicht im Verhandlungsverfahren.

5. Zurückweisung des Antrags nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB trotz u.U. vorliegender Vergaberechtsverletzung, soweit durch deren Beseitigung eine Verbesserung der Zuschlagschancen des Antragstellers nicht zu erwarten ist (hier: maximal mögliche Veränderung des Punktestandes ohne Einfluss auf das Wettbewerbsergebnis).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

Beschluss

1 Verg 3/08

OLG Naumburg

1 VK LVwA 2/08

1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt LSA

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 4. Mai 2007 (S86) ausgeschriebene Vergabe des Bauauftrags "... , Umbau und Sanierung des Gebäudes D. -Platz als Forschungs- und Verfügungsgebäude, Baubereich I-III: Laboreinrichtungen / dezentrale Medienversorgung",

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm am 13. Mai 2008 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. April 2008, 1 VK LVwA 2/08, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner, ein Eigenbetrieb des Landes Sachsen-Anhalt u.a. zur Planung und Durchführung von Hochbaumaßnahmen, schrieb im Mai 2007 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2006 - zur Vergabe aus. Der Auftrag ist Bestandteil eines umfangreicheren Bauvorhabens. Das Offene Verfahren wurde im Oktober 2007 mit der Begründung aufgehoben, dass kein einziges wertungsfähiges Angebot vorläge; sie habe alle eingegangenen Angebote wegen Unvollständigkeit bzw. Änderungen der Verdingungsunterlagen ausschließen müssen. Hierüber sowie über die Neuausschreibung des Auftrags im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne (erneute) Vergabebekanntmachung wurden die Bieter des Offenen Verfahrens, darunter die Antragstellerin, zeitnah informiert.

Anfang November 2007 versandte der Antragsgegner eine Aufforderung zur Angebotsabgabe im Verhandlungsverfahren mit einer unveränderten Leistungsbeschreibung u.a. an die Antragstellerin. Die Verdingungsunterlagen wurden nicht nur den Bietern des vorangegangenen Offenen Verfahrens übersandt, sondern auch weiteren Unternehmen, deren Interesse an einem derartigen Auftrag aus einer parallelen Ausschreibung für den Baubereich IV desselben Bauvorhabens vermutet wurde, darunter der Beigeladenen. Von den zehn aufgeforderten Unternehmen reichten fünf Unternehmen je ein Hauptangebot, die Beigeladene darüber hinaus fünf Nebenangebote ein.

Der Antragsgegner beabsichtigt, den Zuschlag auf das Hauptangebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 15. Februar 2008 "rein vorsorglich" die Intransparenz des Ablaufs des Verhandlungsverfahrens sowie, dass die Submission der Angebote nicht bieteröffentlich erfolgt sei, weiter, dass die von der Beigeladenen angebotenen Abzüge nicht den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entsprächen sowie dass die Wertung der Angebote "hinsichtlich der genannten Wertungskriterien" vergaberechtswidrig sei. Sie forderte den Antragsgegner zur Wiederholung der Wertung auf und kündigte für den Fall der Nichtabhilfe die Einreichung eines Nachprüfungsantrages an. Der Antragsgegner half diesen Rügen nicht ab.

Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2008 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass der Antragsgegner verpflichtet werden möge, das Verhandlungsverfahren zu wiederholen. Im Verlaufe des Nachprüfungsverfahrens hat sie nach teilweiser Einsicht in die Vergabeakten weitere Rügen erhoben.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 25. April 2008 teilweise wegen Nichterfüllung der Rügeobliegenheit verworfen und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen diese ihr am 21. April 2008 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 30. April 2008 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihr Begehren nach Wiederholung des Verhandlungsverfahrens weiter verfolgt. Die Antragstellerin hat zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens beantragt. Die Verfahrensbeteiligten haben auf Aufforderung des Senats zu dem letztgenannten Antrag jeweils schriftlich Stellung genommen.

II.

Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung des prozessualen Zuschlagverbots ist nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zulässig; er hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat nach derzeitiger Bewertung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. In dieser Konstellation überwiegen ausnahmsweise die Interessen der Allgemeinheit, des Antragsgegners und auch der Beigeladenen an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens gegenüber dem möglicherweise geschädigten Erwerbsinteresse der Antragstellerin. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass grundsätzlich die Effektivität des individuellen Rechtsschutzes auch im allgemeinen Interesse an der Durchsetzung des Vergaberechts liegt. Ist jedoch ein Bieter mit einzelnen Rügen materiell präkludiert, weil er sich nicht aktiv und rechtzeitig um die Wahrung seiner vermeintlich verletzten subjektiven Rechte bemüht hat, oder sind die erhobenen Rügen offensichtlich unbegründet, wie hier mit nur einer Ausnahme, so kommt dem letztgenannten Aspekt der Rechtsverwirklichung auch im Interesse der Allgemeinheit ein sehr viel geringeres Gewicht zu.

Die Vergabekammer ist zu Recht von der Unzulässigkeit einzelner Rügen der Antragstellerin sowie von der Unbegründetheit der zulässig erhobenen Rügen ausgegangen. Zwar hat sie eine Rüge - diejenige der Nichtanwendung bzw. fehlerhaften Anwendung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien - nicht beschieden, jedoch ist im Ergebnis auch insoweit eine Erfolgsaussicht derzeit nicht erkennbar. Selbst bei Beseitigung eines möglichen Vergaberechtsverstoßes im Rahmen der Angebotswertung würde sich die Chance der Antragstellerin auf Zuschlagserteilung sehr wahrscheinlich nicht verbessern.

1. Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig. Es wurde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 bis 100, 102, 107 Abs. 1, 108 GWB) liegen unbestritten vor.

2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nur teilweise zulässig. Die Antragstellerin ist zwar antragsbefugt, insbesondere mit der von ihr erhobenen Rüge der mangelnden Transparenz der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung in der Angebotsphase ist sie jedoch nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert.

Die Antragstellerin hat diese Rüge erstmals in dem ab Mitte Februar 2008 laufenden Nachprüfungsverfahren erhoben, obwohl sie die erforderliche positive Kenntnis von den Umständen, aus denen sie die Vergaberechtswidrigkeit herleitet, bereits im November 2007 erlangt hatte. Ihre Rüge ist danach keinesfalls unverzüglich erhoben.

In rein tatsächlicher Hinsicht waren der Antragstellerin die Zuschlagskriterien, deren Gewichtung und die beabsichtigte Art der Punkteverteilung spätestens seit (erneutem) Zugang der Verdingungsunterlagen mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots im Verhandlungsverfahren Anfang November 2007 bekannt. Die Verdingungsunterlagen enthielten die vorgenannten Informationen; weitere, zusätzliche Haupt- oder Unterkriterien wurden weder bekannt gemacht noch später in der Wertung berücksichtigt. Die Antragstellerin hat auch weder im weiteren Vergabeverfahren nach Abgabe ihres Angebots noch im Nachprüfungsverfahren, z. Bsp. nach Gewährung von teilweiser Akteneinsicht, neue tatsächliche Umstände kennengelernt, die für den Umfang der Bekanntmachungspflichten des Antragsgegners von Bedeutung sein könnten.

Soweit darüber hinaus für eine Kenntnisnahme i.S. von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB eine wenigstens laienhafte und durch vernünftige Beurteilung hervorgebrachte rechtliche Wertung und Vorstellung der Antragstellerin dahin notwendig ist, dass die ihr bekannte Art der Bekanntmachung der Zuschlagskriterien vergaberechtswidrig ist, geht der Senat, wie die Vergabekammer, vom Vorliegen einer entsprechenden Erkenntnis aus. Die Antragstellerin konnte insbesondere auch ohne rechtliche Beratung einschätzen, ob für sie der Bedeutungsgehalt der einzelnen Kriterien an sich unklar, zweifelhaft oder mehrdeutig ist. Für die laienhafte rechtliche Bewertung des Inhalts der Bekanntmachung der Zuschlagskriterien als ausreichend transparent kam es nur darauf an, ob die Antragstellerin sich aufgrund dieser Informationen im Stande sah, ein wettbewerbsfähiges Angebot zu erstellen, oder nicht. Es war der Antragstellerin ohne Weiteres möglich, auch ohne rechtliche Beratung zu entscheiden, ob der Inhalt der Verdingungsunterlagen aus ihrer fachlichen Sicht erkennen lässt, worauf es dem Auftraggeber ankommt und ob die vorgenommenen Einstufungen für die Punkteverteilung für einen branchen- und fachkundigen Bieter eindeutig verständlich sind oder nicht. Es bedurfte entgegen der Ansicht der Antragstellerin noch keiner vertieften rechtlichen Überlegungen, ob und ggf. inwieweit ein Anspruch auf weiter gehende Informationen, wie die Bekanntgabe von Unterkriterien, besteht. Dies wäre allenfalls für die Frage nach der Art und dem Umfang einer geeigneten Abhilfemaßnahme erheblich gewesen, d.h. also u.U. frühestens für die Formulierung des Rügeschreibens. Diese folgt jedoch der Kenntnis des Vergabeverstoßes nach und hat innerhalb der zugebilligten und in ihrer Länge nach den Umständen des Einzelfalls bemessenen Rügefrist zu erfolgen. Die zeitliche Obergrenze liegt jedoch bei zwei Wochen und ist hier sehr deutlich überschritten.

Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie erst durch die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung erkannt haben will, dass die Gewichtung der Zuschlagskriterien vor allem einen Preiswettkampf auslöste. Unabhängig davon, dass dem öffentlichen Auftraggeber vergaberechtlich grundsätzlich bei der Auswahl der Zuschlagskriterien ein weiter Ermessensspielraum eröffnet ist, so dass ein Vergaberechtsverstoß eher sehr fern liegt, kann man sich bei der Bekanntmachung einer Gewichtung des Preiskriteriums mit 70 Prozent der Erkenntnis nicht verschließen, dass der Preis eine hohe Bedeutung für die Zuschlagserteilung haben wird und das gewichtigste Einzelkriterium darstellt. Sähe man hierin eine unzulässige Beschränkung des durch ein Vergabeverfahren zu organisierenden Wettbewerbs, so hat man i.S. von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB bereits eine ausreichende Kenntnis vom vermeintlichen Vergabeverstoß.

Entsprechendes gilt für die Rüge des Inhalts der Leistungsbeschreibung: Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass die in der Leistungsbeschreibung verwendeten Zirka-Angaben zu den Abmessungen z. Bsp. der Arbeitsflächen unter den Abzügen nicht hinreichend bestimmt seien, weil der Antragsgegner nicht zugleich angegeben habe, welche Toleranzen er zulasse, hätte eine solche Rüge nach Zugang und verständigem Lesen der Verdingungsunterlagen erfolgen müssen, um rechtzeitig zu sein. Denn soweit man hierin einen Vergaberechtsverstoß sähe, wie die Antragstellerin jetzt beanstandet, drängte sich diese Erkenntnis unmittelbar bei der Kenntnisnahme vom Text des Leistungsverzeichnisses auf.

3. Die weiteren Rügen im Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sind zulässig, insbesondere schadet die Formulierung der "rein vorsorglichen" Rüge hier nicht, weil das Verlangen nach Abhilfe und die Konsequenzen der Nichtabhilfe hinreichend deutlich zu Tage treten, sie sind aber unbegründet.

3.1. Die Wahl der Vergabeart Verhandlungsverfahren ohne Vergabebekanntmachung unter Einbeziehung weiterer Unternehmen als derjenigen des vorangegangenen Offenen Verfahrens ist vergaberechtlich zulässig gewesen.

Objektiv hat der Antragsteller ein Verhandlungsverfahren nach § 3a Nr. 6 lit. b) VOB/A gewählt; objektiv lagen die Voraussetzungen hierfür auch vor. Das vorangegangene Offene Verfahren war aufgehoben worden mit der Begründung, dass ausschließlich unvollständige bzw. von den Verdingungsunterlagen abweichende und daher nach § 25 Nr. 1 VOB/A auszuschließende Angebote eingegangen waren. Den Aufhebungsgrund muss die Antragstellerin als zutreffend gelten lassen, denn sie hat nach ihrer Information hierüber keine Rüge gegen die Aufhebung erhoben. Der Antragsgegner verfolgt mit dem jetzigen Verhandlungsverfahren den identischen Beschaffungsvorgang weiter, welcher Gegenstand des Offenen Verfahrens war, d.h. die Verdingungsunterlagen haben keine grundlegende Änderung erfahren. Er hat sich bewusst entschieden, den Wettbewerb dadurch zu erweitern, dass er das Verhandlungsverfahren nicht auf die Bieter des vorangegangenen Offenen Verfahrens beschränkt hat.

Für die Zulässigkeit seiner Wahl der Vergabeart ist es unerheblich, ob er sich von Anfang rechtlich darüber im Klaren war, auf welche Rechtsnorm er diese Wahl zulässigerweise stützen kann. Das interne Schreiben vom 8. Oktober 2007 spricht allerdings auch dafür, dass ihm die vorgenannte Vorschrift bekannt war. Die nationale Vorschrift stellt eine unmittelbare Umsetzung von Art. 31 Nr. 1 lit. a) VKR dar.

Entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin war der Antragsgegner nicht verpflichtet, das Verhandlungsverfahren ohne Vergabebekanntmachung auf die Teilnahme nur diejenigen für geeignet befundenen Bieter des Offenen Verfahrens zu beschränken.

Die Voraussetzungen für eine Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung nach § 3a Nr. 6 lit. a) VOB/A lagen gar nicht vor, weil keiner der Bieter des vorangegangenen Offenen Verfahrens hätte beteiligt werden dürfen. Die Vorschrift ist in EU-rechtskonformer Auslegung dahin zu ergänzen, dass eine Beschränkung der Teilnehmer des Verhandlungsverfahrens nur zulässig ist, wenn bei Rückgriff auf alle Bieter, die im vorangegangenen Offenen Verfahren ein vollständiges und rechtzeitiges Angebot abgegeben haben und als geeignet angesehen worden sind, ein ausreichender Wettbewerb gewährleistet wäre. Die Vorschrift des § 3a Nr. 6 lit. a) VOB/A stellt eine textlich unvollständige Umsetzung von Art. 30 lit. a) Abs. 2 VKR dar (vgl. Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss v. 3. April 2007, Verg 2/07 = VergabeR 2007, 517). Da keines der Angebote im Offenen Verfahren den formalen Voraussetzungen entsprochen hatte und mithin keiner der Bieter als Teilnehmer für ein Verhandlungsverfahren nach § 3a Nr. 6 lit. a) VOB/A in Betracht kam, fehlte dem Antragsgegner diese Option.

Selbst wenn der Antragsgegner jedoch auf das Verhandlungsverfahren nach § 3a Nr. 6 lit. a) VOB/A mit begrenzter Teilnehmerzahl hätte zugreifen dürfen, so hätte es grundsätzlich allein seiner Dispositionsbefugnis unterlegen, mehr oder weniger Wettbewerb durch die Festlegung des Teilnehmerfeldes entweder nach lit. b) oder nach lit. a) der genannten Vorschrift zu organisieren. Dieses Ermessen wäre lediglich durch die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, insbesondere durch den Wettbewerbsgrundsatz begrenzt gewesen. Die Wahl eines Verfahrens mit mehr Wettbewerb ist danach vergaberechtlich eher wünschenswert und keinesfalls rechtswidrig. Die Antragstellerin hat kein subjektives Recht auf Schutz vor Konkurrenz in einem fairen wettbewerblichen Verfahren.

Soweit die Antragstellerin rügt, dass sie über die Beteiligung zusätzlicher Bieter im Verhandlungsverfahren nicht informiert war, ist nicht ersichtlich, inwieweit hierdurch ihre Chancen für die Auftragserteilung beeinträchtigt sein könnten. Denn unabhängig von der Frage, ob eine Pflicht zur Unterrichtung aller Teilnehmer hierüber trotz fehlender ausdrücklicher Regelung besteht oder nicht, wäre hierdurch die Teilnahme der Beigeladenen am Verhandlungsverfahren nicht zu vermeiden gewesen. Der Antragstellerin wäre allenfalls die Option eröffnet worden, aus Sorge vor zu großer Konkurrenz von der Abgabe eines Angebots abzusehen. Damit hätte sie sich jedoch selbst ihrer Zuschlagschancen begeben.

3.2. Der Antragsgegner hat das Verhandlungsverfahren hinreichend transparent und fair durchgeführt.

In der Aufforderung zur Angebotsabgabe im Verhandlungsverfahren, dort unter Ziffer 5.4., hat der Antragsgegner bekannt gemacht, dass er nicht beabsichtigt, das Verhandlungsverfahren in verschiedenen Phasen der schrittweisen Begrenzung der Angebotsanzahl abzuwickeln. Damit war ihm eine Verhandlung mit einem sog. bevorzugten Bieter und vor allem ein schrittweiser Ausschluss einzelner Angebote verwehrt; er hat sich an die gleichzeitige Wertung der Angebote aller Bieter gebunden. Für die Bieter beinhaltete diese Bestimmung vor allem den Hinweis, dass u.U. eine Nachbesserung der Angebote in diversen Verhandlungsrunden nicht mehr möglich ist. Diese selbst gesetzte Ablaufregelung hat der Antragsgegner auch eingehalten. Alle Angebote blieben in der Wertung und sind Anfang Februar 2008 gleichzeitig geprüft und bewertet worden. Der Vergabevermerk enthält dem gemäß auch einen Vergleich aller fünf Hauptangebote. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist aus der Ankündigung jedoch nicht abzuleiten, dass der Antragsgegner keinerlei Verhandlungen mit einzelnen Bietern hätte führen dürfen. Es ist gerade Merkmal des Verhandlungsverfahrens, dass über den Inhalt des künftigen Vertrags, über Leistungen und Gegenleistungen noch Verhandlungsgespräche stattfinden und dass das Nachverhandlungsverbot des § 24 Nr. 3 VOB/A für das Verhandlungsverfahren nicht gilt.

Ebenso unbegründet ist die Rüge der Antragstellerin, dass der Antragsgegner pflichtwidrig unterlassen habe, den Angebotseröffnungstermin im Verhandlungsverfahren bieteröffentlich durchzuführen. Die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VOB/A gilt nicht im Verhandlungsverfahren. Anders als im Offenen und im Nicht offenen Verfahren haben die Bieter im Verhandlungsverfahren grundsätzlich die Möglichkeit, den Inhalt ihres Angebotes nach der Angebotseröffnung zu verändern. Um im Verhandlungsverfahren in gleicher Weise einen Geheimwettbewerb, wie in den anderen wettbewerblichen Verfahren, zu gewährleisten, ist es daher unabdingbar, dass zumindest die Angebotsinhalte einschließlich der Angebotspreise vor den beteiligten Bietern wechselseitig geheim gehalten werden. Inwieweit es der öffentliche Auftraggeber für zweckmäßig erachtet, den Bietern zumindest die Namen der anderen Bieter und die Zahl der Nebenangebote mitzuteilen, obliegt seinem Ermessen. Hier hat der Antragsgegner eine solche Information der Bieter in den Verdingungsunterlagen nicht angekündigt, so dass er sie auch nicht etwa wegen einer Selbstbindung an die zuvor bekannt gemachten Verfahrensregeln erteilen musste.

Die Angebotseröffnung ist nicht zu beanstanden. Nach § 22 Nr. 4 Abs. 2 VOB/A genügt die Unterzeichnung der Niederschrift durch den Verhandlungsleiter; weitere neben dem Verhandlungsleiter anwesende Personen, so auch weitere Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers, sind berechtigt, nicht aber verpflichtet zur Unterzeichnung. Im Übrigen ergibt sich aus dem als Anlage 3 zum Schriftsatz vom 20. März 2008 im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eingereichten Submissionsterminsplan, dass neben dem Verhandlungsleiter K. als Schriftführerin Frau R. anwesend war, so dass dem von der Antragstellerin geforderten Vier-Augen-Prinzip jedenfalls hier Rechnung getragen worden ist. Die vorliegenden fünf Angebote weisen in ihrer Gesamtheit eine Stanzung aller ihrer Bestandteile auf, wobei bei einigen Aktenordnern erkennbar ist, dass die Stanzung nicht "in einem Zuge", sondern nur mit zwei oder drei Ansätzen gelungen ist. Vor diesem Hintergrund geben auch die zeitlichen Erwägungen der Antragstellerin dem Senat keinen Anlass für Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Angebotseröffnung und -kennzeichnung.

3.3. Der beabsichtigten Zuschlagserteilung auf das Hauptangebot der Beigeladenen steht nicht entgegen, dass dieses Hauptangebot aus formellen Gründen nicht mit den anderen Angeboten vergleichbar ist.

Zunächst ist festzustellen, dass sich aus den Vergabeakten eindeutig ergibt, dass eine Prüfung der Vollständigkeit der geforderten Unterlagen und Erklärung durch den Antragsgegner stattgefunden hat.

Die Vollständigkeit der für die Beurteilung der Eignung der Beigeladenen geforderten Erklärungen und Nachweise hat der Antragsgegner allein geprüft. In Fach 15.1 der Vergabeakte befindet sich eine tabellarische Aufstellung der geforderten Erklärungen und Nachweise einschließlich der Eintragungen, dass diese im Angebot der Beigeladenen vorhanden waren. Die Aufstellung wurde am 8. Januar 2008 abgeschlossen und unterzeichnet; Kopien der maßgeblichen Unterlagen und Erklärungen wurden nachgeheftet. Zudem enthält der Vergabevermerk des Antragsgegners, gezeichnet im Zeitraum vom 28. Januar bis 1. Februar 2008, u.a. die Eintragung, dass die in den Vergabeunterlagen geforderten Nachweise zur Eignung vorliegen.

Hinsichtlich der Vollständigkeit der Angaben und Erklärungen zum Inhalt des Angebots ergibt sich aus dem Anschreiben des technischen Beraters des Antragsgegners vom 11. Januar 2008, dass dieser von der Aufführung der für unwesentlich erachteten Abweichungen vom Leistungsverzeichnis, d.h. der nicht vollständigen Übereinstimmungen mit den Zirka-Angaben, abgesehen hat, nicht jedoch von deren Vollständigkeitsprüfung. Im Übrigen lässt die inhaltliche Bewertung auf vollständige Angaben schließen. Die Empfehlung des technischen Beraters des Antragsgegners mit Bearbeitungsstand vom 10. Januar 2008 enthält solche inhaltlichen Bewertungen im Vergleich zu den Forderungen des Leistungsverzeichnisses und die Gesamteinschätzung, dass die Angebote der Beigeladenen und auch der Antragstellerin qualitativ sehr hochwertige Technik und Ausstattung beinhalteten, was ohne ausreichende produktidentifizierende Angaben nicht bewertbar gewesen wäre.

Die Beigeladene hat entgegen der Vermutung der Antragstellerin alle geforderten Angaben zu den angebotenen Einzelprodukten und Produktreihen gemacht. Sie hat insbesondere das vorgegebene Formular über die Aufstellung der im Leistungsverzeichnis angebotenen Fabrikate vollständig und nachvollziehbar ausgefüllt und in den Einzelpositionen z. Bsp. zu Laborausstattungsgegenständen und deren Zubehör, nicht nur die Produktreihen, sondern die spezifischen Produktbezeichnungen benutzt. Sie hat durch anliegende Prospekte und Erläuterungen auch die in Betracht kommenden Gestaltungsmöglichkeiten ohne Aufpreis, u.a. hinsichtlich der farblichen Gestaltung, aufgezeigt. Soweit die Empfehlung des technischen Beraters des Antragsgegners die Kurzbezeichnung "H. Produktsystem" enthält, handelt es sich um eine sprachliche Zusammenfassung und Verkürzung des detaillierten Angebotsinhalts durch den Berater.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hat der Antragsgegner den ihm eröffneten Beurteilungsspielraum für die Gleichwertigkeit der Abmessungen der angebotenen Abzüge, insbesondere der hierunter zur Verfügung stehenden Arbeitsflächen, nicht überschritten. Für die Bewertung der Übereinstimmung der angebotenen Arbeitsflächen unter dem Abzug mit den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses kommt es natürlich vor allem auf die Gesamtarbeitsfläche an und weniger auf Einzelmaße der Längen und Breiten. Maßgeblich ist die Funktionalität, d.h. die Möglichkeit, unter dem Abzug eine Versuchsanordnung aus einzelnen Laborgeräten, Behältern und beweglichen Verbindungsteilen aufzubauen. Es ist hier nicht ersichtlich und auch von der Antragstellerin nicht etwa vorgetragen, dass die in den physikalischen und chemischen Laboren des Gebäudes typischerweise zum Einsatz kommenden Gerätschaften auf der Arbeitsfläche der Abzüge der Beigeladenen nicht oder nur mit größeren Beeinträchtigungen aufgebaut werden könnten. Das Flächenangebot der Arbeitsflächen unter den Abzügen ist in den Angeboten der Beigeladenen und der Antragstellerin nahezu identisch, die Nutzfläche der Abzüge der Beigeladenen ist sogar etwas größer; beide Angebote weichen auch nur sehr geringfügig von den Flächenmaßen ab, die sich aus den Zirka-Angaben des Leistungsverzeichnisses ergeben.

3.4. Für den Senat erscheint derzeit eine Beanstandung der Antragstellerin als nicht offensichtlich ungerechtfertigt, insoweit fehlt es jedoch an einer Aussicht auf Verbesserung der eigenen Zuschlagschancen der Antragstellerin. Dies betrifft die Rüge der unvollständigen Anwendung aller bekannt gemachten Zuschlagskriterien.

Allerdings hat der Antragsgegner die Angebote im Verhandlungsverfahren auch einer Wertung hinsichtlich des technischen Werts der angebotenen Einzelprodukte, der Vertragsbedingungen und der Folgekosten unterzogen. Dies zeigt sich vor allem in den verbalen Bewertungen der Angebote. Die hierauf verteilten Punkte sind jedoch aus den Vergabeakten allein nicht nachvollziehbar. Dies betrifft zunächst die Punktvergabe für den technischen Wert. Der Antragstellerin ist aber darin zu folgen, dass bei ordnungsgemäßer Wertung zu erwarten gewesen wäre, dass alle Angebote, die den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses entsprechen, zumindest acht und höchstens zwölf Punkte hätten erhalten müssen. Tatsächlich hat der Antragsgegner auf die Angebote von drei Bietern, darunter auf dasjenige der Antragstellerin, null Punkte angerechnet. Eine Erklärung hierfür findet sich nicht. Ebenso erscheint die Verteilung von jeweils ein, zwei, drei und vier Punkten auf vier in der Tabelle aufeinanderfolgende Angebote für die Bewertung der Vertragsbedingungen und der Folgekosten auffällig und nicht nachvollziehbar. Nach der bekannt gemachten Punktematrix wäre eine Punktverteilung zwischen acht und zwölf Punkten zu erwarten gewesen. Die Punktbewertung widerspricht zudem der verbalen Bewertung, wonach z. Bsp. ein deutlicher Unterschied in den Wartungskosten zwischen den Angeboten der Antragstellerin und der Beigeladenen besteht. Soweit das Beschwerdeverfahren fortgeführt wird, ist insbesondere der Antragsgegner gehalten, hierzu ergänzend Stellung zu nehmen.

Selbst wenn der Senat jedoch unterstellte, dass insoweit eine teilweise Wiederholung der Wertung und insbesondere eine Änderung der Punkteverteilung erforderlich wäre, ist derzeit nicht ersichtlich, dass sich hierdurch die Reihenfolge zwischen dem erstplatzierten Angebot der Beigeladenen und dem zweitplatzierten Angebot der Antragstellerin verändern könnte. Denn die Punkteverteilung beim Kriterium Preis, die dem Angebot der Beigeladenen einen Vorsprung vor dem Angebot der Antragstellerin verschafft, ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Bei den Kriterien technischer Wert und Vertragsbedingungen sind Unterschiede zwischen beiden Angeboten bei nochmaliger Bewertung nicht zu erwarten. Denn nach der in sich schlüssigen verbalen Angebotsbewertung sind die Produkte beider Angebote von hoher technischer Qualität. Hinsichtlich der Vertragsbedingungen sind sie identisch, weil es sich jeweils um Hauptangebote, also solche Angebote ohne Änderung der vorgegebenen Vertragsbedingungen handelt. Hinsichtlich des Kriteriums Folgekosten schließlich wirkte sich ein etwaiger Vorteil des Angebots der Antragstellerin nicht aus, weil sich der Antragsgegner inzwischen endgültig entschlossen hat, die Option des gleichzeitigen Abschlusses eines Wartungsvertrages nicht auszuüben. Gegen die hierin u.U. liegende Teilaufhebung der Ausschreibung hat sich die Antragstellerin bisher nicht gewandt, inzwischen dürfte eine derartige Rüge nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert sein.

4. Unter Berücksichtigung der fehlenden Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde führt die nach § 118 Abs. 2 GWB vorzunehmende Abwägung hier, wie vorausgeführt, ausnahmsweise zu einer Geringerbewertung des Interesses der Antragstellerin an einer Verlängerung des prozessualen Zuschlagverbots.



Ende der Entscheidung

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