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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 26.06.2006
Aktenzeichen: 1 Verg 7/05
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
Im Rahmen der Kostenfestsetzung im Beschwerdeverfahren ist als Verfahrensgebühr für das Antragsverfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB lediglich eine 0,7-fache Gebühr anzusetzen (im Anschluss an KG Berlin VergabeR 2005, 402).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 7/05 OLG Naumburg

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 17. März 2005 ausgeschriebene Vergabe des Bauauftrages "Bundesautobahn A ... ; Erd- und Deckenbau und BW ...",

hier: Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung im Beschwerdeverfahren

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm

am 26. Juni 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Erinnerung der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg - Kostenrechtspfleger - vom 23. Januar 2006 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die von der Antragsgegnerin an die Antragstellerin zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 20.041,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 6. Oktober 2005.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; eine Erstattung der außergerichtlichen Auslagen der Beteiligten findet nicht statt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat sofortige Beschwerde gegen den am 7. Juli 2005 verkündeten Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt, 2 VK LVwA 19/05, eingelegt und zugleich die Anordnung der Verlängerung des Zuschlagverbots i.S.v. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB beantragt. Der Senat hat am 5. August 2005 die begehrte Verlängerung des Zuschlagverbots ausgesprochen. Mit seiner am 22. September 2005 verkündeten Entscheidung in der Hauptsache hat der Senat der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben. Mit selbem Beschluss hat der Senat die Kosten des Beschwerdeerfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin der Antragsgegnerin auferlegt und den Kostenwert des Beschwerdeverfahrens auf bis zu 1.400.000,00 EUR festgesetzt.

Die Antragstellerin hat mit Antrag vom 5. Oktober 2005, beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangen am Folgetag, die Festsetzung ihrer außergerichtlichen Auslagen gegen die Antragsgegnerin beantragt. Sie hat eine 2,3-fache Gebühr nach Nr. 3300 VV RVG als Verfahrensgebühr im Verfahren nach § 118 GWB sowie eine 1,6-fache Verfahrensgebühr und eine 1,2-fache Terminsgebühr im Hauptsacheverfahren geltend gemacht sowie Tage- und Abwesenheitsgeld, Reisekosten und eine Pauschale für Post- und Telekommunikation.

Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2005 hat die Antragsgegnerin zum Kostenfestsetzungsantrag der Antragstellerin erwidert und Einwendungen gegen den Ansatz einer 2,3-fachen Gebühr im Verfahren nach § 118 GWB erhoben.

Der Kostenrechtspfleger des Oberlandesgerichts hat die Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 23. Januar 2006 antragsgemäß festgesetzt. Gegen diese ihr am 26. Januar 2006 zugestellte Entscheidung hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 6. Februar 2006, beim Oberlandesgericht vorab per Fax eingegangen am selben Tage, Erinnerung eingelegt. Der Kostenrechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme; hiervon haben beide Beteiligte Gebrauch gemacht.

II.

Die Erinnerung der Antragsgegnerin ist zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.

Im Rahmen der Kostenfestsetzung im Beschwerdeverfahren ist als Verfahrensgebühr für das Antragsverfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB lediglich eine 0,7-fache Gebühr anzusetzen, wodurch sich die zugunsten der Antragstellerin festzusetzenden Kosten reduzieren.

1. Der Senat geht davon aus, dass das Verfahren nach § 118 GWB im Verhältnis zum Beschwerdeverfahren nach § 116 ff. GWB im kostenrechtlichen Sinne eine verschiedene Angelegenheit ist.

Zwar werden die genannten Verfahren nicht ausdrücklich im Katalog der §§ 16 bis 19 RVG aufgeführt, in dem der Gesetzgeber beispielhaft aufgeführt hat, welche Angelegenheiten er als einheitliche und welche als verschiedene Angelegenheiten i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG ansieht.

Das Verfahren nach § 118 GWB entzieht sich auch einer klaren Einordnung nach diesen Vorschriften: In Betracht käme eine Analogie zu § 17 Nr. 4 RVG, wonach Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gegenüber dem Hauptsacheverfahren getrennte Verfahren sind. Die dort aufgeführten Verfahren können jedoch isoliert vom Hauptsacheverfahren eingeleitet werden, anders als das Verfahren nach § 118 GWB, welches die Erhebung der sofortigen Beschwerde in der Hauptsache voraussetzt. Erwägenswert wäre u.U. auch eine analoge Anwendung des Rechtsgedankens aus § 19 Abs. 1 Nrn. 11 und 16 RVG, wonach unselbständige einstweilige Maßnahmen kostenrechtlich als Bestandteil des Hauptsacheverfahrens behandelt werden (vgl. BayObLG, Beschluss v. 19. Januar 2006, Verg 22/04). Diese Auffassung vertrat die Rechtsprechung nach alter Rechtslage vor Änderung der Kostenvorschriften ganz überwiegend (vgl. Weyand, ibr-online-Komm. Vergaberecht, Stand 27.04.2006, § 118 GWB, Ziff. 27.5.1 m.w.N.).

Dem gegenüber behandeln die Bestimmungen des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (KV, Anlage 1 z. GKG) und des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV, Anlage 1 z. RVG) das Hauptsacheverfahren nach § 116 GWB und das Eilverfahren nach § 118 GWB (gleiches gilt für das Eilverfahren nach § 121 GWB) als verschiedene Verfahren. So enthält das Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz neben den Kostenregelungen zum Verfahren nach § 116 GWB (KV Nr. 1220 bis 1223) auch gesonderte Kostenregelungen zu den Eilverfahren nach § 118 GWB bzw. § 121 GWB (KV Nr. 1640 und 1641). Im Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sind getrennte Gebührensätze (VV Nr. 3200 bis 3203 und VV Nr. 3300 und 3301) ausgewiesen. Während das Verfahren nach § 116 GWB in diesen Regelungen jeweils zutreffend als besonderes zweitinstanzliches Verfahren bewertet und bezeichnet wird, sollen die Verfahren nach § 118 GWB bzw. § 121 GWB aus kostenrechtlicher Sicht besondere erstinstanzliche Verfahren sein. Unabhängig davon, ob dieser Einschätzung zu folgen ist, zeigt sich auch hierin der gesetzgeberische Wille einer gesonderten kostenrechtlichen Betrachtung der Verfahren nach § 118 GWB bzw. nach § 121 GWB gegenüber dem Hauptsacheverfahren.

2. Der Senat folgt der Antragstellerin auch darin, dass eine Anrechnung der Verfahrensgebühr in der Hauptsache auf die Verfahrensgebühr im Eilverfahren nach § 118 GWB nicht in Betracht kommt. Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und insbesondere das Vergütungsverzeichnis hierzu enthalten keine entsprechende Anrechnungsregel (ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss v. 20. April 2005, VII Verg 42/04 = IBR 2005, 445 m. Anm. Müller-Stoy; OLG Rostock, Beschluss v. 28. Juli 2005, 17 Verg 9/05; vgl. auch Otting/Freytag BauRB 2005, 381; a.A.: BayObLG, a.a.O. und OLG Dresden, Beschluss v. 10. Juni 2005, W Verg 13/04).

3. Die Gebührenansätze im VV RVG Nr. 3300 und 3301 sind jedoch berichtigend auszulegen; danach fällt nach Nr. 3300 lediglich eine 0,7-fache Gebühr an (ebenso KG Berlin, Beschluss v. 14. Februar 2005, 2 Verg 13/04 und 14/04 - VergabeR 2005, 402 = NZBau 2005, 358= ZfBR 2005, 419; ebenso: Trautner VergabeR 2005, 405; a.A. Schons AnwBl. 2005, 367).

Zwischen den Gebührenansätzen nach VV RVG Nr. 3200 und Nr. 3300 besteht nach ihrem Wortlaut ein erheblicher Wertungswiderspruch.

Es ist sachlich nicht zu rechtfertigen, dass ein Eilverfahren, welches lediglich eine summarische Prüfung der Evidenz einer fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels und eine Interessenabwägung zum Gegenstand hat und auf eine vorläufige Entscheidung gerichtet ist, einen um mehr als 40 % höheren Gebührensatz auslöst als das Hauptsacheverfahren, in dem u.U. eine Vielzahl von Rügen im Detail geprüft und abschließend, in den Fällen des § 124 Abs. 1 GWB sogar mit Bindungswirkung über das konkrete Nachprüfungsverfahren hinaus beschieden werden müssen. Diese Charakteristik trifft trotz der im Übrigen bestehenden Unterschiede zwischen den Verfahren nach §§ 118 und 121 GWB einerseits und den Rechtsbehelfsverfahren nach §§ 115 Abs. 2 Satz 2 und 115 Abs. 2 Satz 3 GWB andererseits auf alle in VV RVG Nr. 3300 erfassten Verfahren zu (ebenso KG Berlin a.a.O.: "... es wäre ganz fernliegend ..."; BayObLG, a.a.O.: "... ist das Ergebnis unter mehreren Aspekten ungereimt ..."). Dem Umstand, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts in einem Eilverfahren zusätzlichen Arbeitsaufwand erfordert und unter erheblichem Zeitdruck steht, ist bereits durch die Einordnung als besondere, vom Hauptsacheverfahren verschiedene Angelegenheit Rechnung getragen worden.

Dem entspricht, dass das Kostenrecht sowohl für die gerichtlichen Gebühren als auch für die Rechtsanwaltsvergütung für keine andere vergleichbare Verfahrenssituation im Verhältnis von Hauptsacheverfahren und einstweiligem Rechtsschutz eine Höherbewertung des vorläufigen Verfahrens kennt. Im Gegenteil: Das Gerichtskostengesetz beinhaltet im Vergleich der Gebühren für das Verfahren nach § 116 GWB einen höheren Gebührensatz (KV 1220: 4,0 Gebühren), als für das Verfahren nach § 118 GWB oder § 121 GWB (KV Nr. 1640: 3,0 Gebühren).

Schließlich hat das Bayerische Oberste Landesgericht in seiner oben mehrfach zitierten Entscheidung zutreffend darauf verwiesen, dass es widersprüchlich erscheint, dass sich das Kostenrisiko des um Nachprüfung nachsuchenden Bieters vor allem dadurch deutlich erhöhen soll, dass ihm ein effektiver vergaberechtlicher Primärrechtsschutz gewährt wird, wozu die Bundesrepublik nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gerade verpflichtet ist.

Eine Korrektur dieses Wertungswiderspruchs über eine unterschiedliche Festsetzung des Kostenwerts ist nicht eröffnet (vgl. BayObLG, a.a.O.). Der Wertungswiderspruch ist durch berichtigende Auslegung der Vorschrift zu beseitigen.

Entscheidend hierfür ist, dass aus der Gesetzesbegründung ganz offensichtlich hervorgeht, dass es sich bei der Angabe der Gebührensätze in VV RVG Nr. 3300 (und 3301) um ein Versehen handelt.

Nach dem Inhalt der Gesetzesbegründung strebte der Gesetzgeber eine Gebührenerhöhung gegenüber der bisher geltenden Regelung des § 65a Satz 2 und 3 BRAGO um 30 % (mit Aufrundung) an (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 215 linke Spalte). Der vorzitierten (alten) Kostenvorschrift lag noch eine Bewertung von Hauptsache- und Eilverfahren als einheitliche Angelegenheit mit zwingender Anrechnung der Verfahrensgebühr der Hauptsache zugrunde, so dass der Gebührensatz faktisch 0,5-Gebühren betrug. Unter Berücksichtigung einer 30%-igen Anhebung und anschließenden Aufrundung ergibt sich der Gebührensatz von 0,7 Gebühren.

4. Die von der Antragsgegnerin an die Antragstellerin zu erstattenden Kosten der Verfahrensbevollmächtigten in den Verfahren vor dem Vergabesenat belaufen sich auf 20.041,00 EUR und berechnen sich wie folgt:

Kostenwert: Gebührenstufe bis zu 1.400.000 EUR

 Verfahrensgebühr VV RVG Nr. 3300 0,73.987,20 EUR
Verfahrensgebühr VV RVG Nr. 3200 1,69.113,60 EUR
Terminsgebühr VV RVG Nr. 3202 1,26.835,20 EUR
Tage- u. Abwesenheitsgeld ...  
VV RVG Nr. 7005 Nr. 2 zu 50 %17,50 EUR
Benutzung d. eigenen Kfz. ...  
VV RVG Nr. 7003 zu 50 %67,50 EUR
Post- u. Telekommunikationspauschale 
VV RVG Nr. 700220,00 EUR
 20.041,00 EUR

5. Die Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.

Ende der Entscheidung

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