Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 04.10.2007
Aktenzeichen: 1 Verg 7/07
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 102
1. Für die Feststellung des Bestehens einer Schadenersatzpflicht des Antragsgegners ist weder die Vergabekammer noch der Vergabesenat zuständig; dies ist Sache der Zivilgerichte.

2. Allgemeine Zugangsvoraussetzung für Nachprüfungsverfahren nach § 102 GWB ist, dass das zur Nachprüfung gestellte Vergabeverfahren eine Ausschreibung betrifft, die objektiv der EU-weiten Ausschreibungspflicht unterliegt.

3. Nachprüfung der Schätzung des Auftragswertes vor Beginn einer Ausschreibung (hier: Dienstleistungsauftrag mit einem geschätzten Netto-Auftragswert von 199.600 EUR).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 7/07 OLG Naumburg

verkündet am 4. Oktober 2007

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die nicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ausgeschriebene Vergabe des Dienstleistungsauftrags "Schülerbeförderung von Schülern mit dauernder oder vorübergehender Behinderung", VergabeNr. ...

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm im schriftlichen Verfahren mit dem Schlusstermin

am 27. September 2007

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 3. Juli 2007, 2 VK LVwA 11/07, wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 12.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner, eine kommunale Gebietskörperschaft, schrieb im Januar 2007 den oben genannten Personenbeförderungsauauftrag im sog. "freigestellten Schülerverkehr" landesweit im Wege der Öffentlichen Ausschreibung auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) - Ausgabe 2006 -, Teil A, 1. Abschnitt, zur Vergabe aus. Als Ausführungs- bzw. Vertragslaufzeit war ein Jahr, und zwar vom 1. August 2007 bis zum 31. Juli 2008, vorgesehen. Der Auftrag war in drei Lose unterteilt.

Der Antragsteller, der die ausgeschriebenen Leistungen im vorangegangenen Schuljahr erbracht hatte, beteiligte sich mit seinem Angebot vom 3. April 2007 an der Ausschreibung. Ihm wurde mit Schreiben vom 24. April 2007 mitgeteilt, dass sein Angebot wegen Unvollständigkeit der Bewerbungsunterlagen ausgeschlossen worden sei. Mit Schreiben vom 3. Mai 2007 rügte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner, dass der Ausschluss seines Angebotes vergaberechtswidrig sei. Der Antragsgegner half dieser Rüge nicht ab. Er erteilte am 31. Mai 2007 in allen drei Losen den Zuschlag an andere Bieter.

Nachdem der Antragsteller zunächst eine Überprüfung durch das Referat Wirtschaft - Öffentliches Auftragswesen - des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt veranlasst hatte, hat er mit Schriftsatz vom 6. Juni 2007 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag nur unter Berücksichtigung seines Angebots zu erteilen. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag nicht zugestellt und ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 3. Juli 2007 als offensichtlich unzulässig verworfen. Sie stützt ihre Entscheidung darauf, dass die vorliegende Ausschreibung den maßgeblichen Schwellenwert i.S.v. § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 VgV nicht erreicht.

Gegen diese ihm am 4. Juli 2007 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 17. Juli 2007 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde des Antragstellers.

Die Antragstellerin ist u.a. der Meinung, dass er die Leistungen in der Vergangenheit mit hoher Qualität erbracht habe und daher bei der Vergabe des Auftrages zu berücksichtigen gewesen wäre.

Der Senat hat den Antragsteller mit Beschluss vom 26. Juli 2007, mit dem sein gleichzeitig gestellter Antrag auf Anordnung einer Maßnahme zum vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen worden ist, darauf hingewiesen, dass der Nachprüfungsantrag von Anfang unzulässig gewesen sein dürfte, weil der Zuschlag bereits vor Einreichung des Nachprüfungsantrages erteilt worden sei und weil die Vergabekammer zu Recht davon ausgegangen sei, dass der Schwellenwert für den Zugang zum vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht erreicht werde.

Der Antragsteller hat sein Rechtsmittel aufrechterhalten und beantragt sinngemäß,

den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 3. Juli 2007, 2 VK LVwA 11/07, aufzuheben,

festzustellen, dass der Antragsteller durch den Ausschluss seines Angebots aus dem Wettbewerb in seinen Rechten verletzt ist

und den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller Schadenersatz in Form des Ersatzes der Angebotserstellungskosten zu leisten.

Der Antragsgegner beantragt,

die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

Er verteidigt im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat mit Beschluss vom 5. September 2007 im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten das schriftliche Verfahren angeordnet.

II.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig; sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Vergabekammer ist zu Recht von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages des Antragstellers ausgegangen.

1. Das Rechtsmittel ist nur zulässig, soweit die Feststellung einer Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers im Vergabeverfahren nach dessen Erledigung begehrt wird (§ 123 GWB Satz 3 und 4 i.V.m. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB). Der weiter gehende Antrag ist schon nicht statthaft. Für die Feststellung des Bestehens einer Schadenersatzpflicht des Antragsgegners ist weder die Vergabekammer noch der Vergabesenat zuständig; dies ist Sache der Zivilgerichte.

2. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, denn der Nachprüfungsantrag des Antragstellers war von Anfang an unzulässig. Im o.a. Vergabeverfahren ist ein Zugang zum sog. Primärrechtsschutz nach dem 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gar nicht eröffnet.

Allgemeine Zugangsvoraussetzung für Nachprüfungsverfahren nach § 102 GWB ist, dass das zur Nachprüfung gestellte Vergabeverfahren eine Ausschreibung betrifft, die objektiv der EU-weiten Ausschreibungspflicht unterliegt. Eine solche Verpflichtung besteht bei Dienstleistungsaufträgen von Kommunen und Landkreisen, wie hier, u.a. nur dann, wenn der geschätzte Netto-Auftragswert 211.000 EUR übersteigt (§ 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 VgV). Beim genannten oder einem höheren Auftragswert wird gesetzlich vermutet, dass der Auftrag auch für einen ausländischen Bieter innerhalb des EU-Binnenmarktes von Interesse sein könnte, weshalb ein EU-weiter Mindeststandard im Vergabeverfahren einzuhalten und ein effektiver Rechtsschutz zu gewährleisten ist. Dem letztgenannten Ziel dient das Nachprüfungsverfahren nach § 102 GWB.

Hier wird der sog. Schwellenwert jedoch nicht erreicht. Der Antragsgegner hat im Vorfeld der Ausschreibung und in deren Vorbereitung den Netto-Auftragswert der ausgeschriebenen Leistung auf ca. 199.600 EUR geschätzt.

Die vorgenommene Schätzung ist nicht zu beanstanden.

Der Antragsgegner hat zutreffend die Gesamtvergütung aller ausgeschriebenen Leistungen und aller drei Lose berücksichtigt (§ 3 Abs. 1 und 5 VgV).

Er hat seiner Schätzung in tatsächlicher Hinsicht zugrunde gelegt, dass im Vertragszeitraum Beförderungsleistungen für 37 Schulwochen á 5 Tage sowie täglich durchschnittlich 1.383 km anfallen und hat hieraus die Gesamtzahl der zu leistenden sog. Besetzt-Kilometer ermittelt, welche nach § 9 des Vertragsmusters Grundlage der Berechnung der Vergütung sind. Dieses Vorgehen hat der Antragsteller nicht angegriffen. Es erscheint auch sachgerecht. Die Tagesstrecken entsprechen im Wesentlichen der Vorjahresleistung, was bei unveränderten Schulstandorten, bei einer vergleichbaren Anzahl und vergleichbarer Verteilung der Wohnorte der zu befördernden Schülerinnen und Schüler auch nahe liegt.

Bei seiner wirtschaftlichen Bewertung hat der Antragsgegner als ihm bekannte Marktpreise für seine Prognose die Vergütung pro Besetzt-Kilometer der bisherigen Leistungserbringer in Höhe von durchschnittlich 0,78 Ct / km angesetzt. Hiergegen vor allem wendet sich der Antragsteller unter Berufung insbesondere auf gestiegene Energiepreise. Die Einwendung ist unbegründet. Es war hier mindestens vertretbar, den Kosten erhöhenden Einzelfaktoren die Kosten mindernde Wirkung einer erstmaligen öffentlichen Ausschreibung dieser Leistungen entgegenzuhalten. Die Vertretbarkeit dieser Schätzung wird hier auch bestätigt durch die Angebotspreise der teilnehmenden Bieter. Zwar ist die Höhe der späteren Angebotspreise für die Bewertung der Prognoseentscheidung der Vergabestelle nicht immer maßgebend; insbesondere kann eine Prognose auch dann unbeanstandet bleiben, wenn sie sich nur aufgrund von Umständen, die der Auftraggeber nicht vorhersehen konnte oder musste, nachträglich als fehlerhaft erweist. Da Angebotspreise jedoch regelmäßig Wettbewerbspreise sein sollten, weist der Umstand, dass sie in ihrer Höhe der vorgenommenen Schätzung entsprechen, darauf hin, dass die Vergabestelle bei ihrer Schätzung des Netto-Auftragswertes die betriebswirtschaftlich gebotene Sorgfalt eingehalten hat.

Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass der Antragsgegner den Wert des Auftrags geringer als angemessen geschätzt hätte etwa in der Absicht, den Auftrag der Anwendung der Bestimmungen für EU-weite Ausschreibungen zu entziehen (§ 3 Abs. 2 VgV). Die Überlegungen zum Auftragswert sind von Anfang an dokumentiert, selbst zu einer Zeit, als intern noch entschieden war, ob die Leistungen überhaupt öffentlich ausgeschrieben werden.

3. Der Nachprüfungsantrag des Antragstellers ist weiter unzulässig, weil er erst nach der Erteilung des Zuschlags in allen drei Losen bei der Vergabekammer eingereicht worden ist. Da der Auftrag nicht der EU-weiten Ausschreibungspflicht unterlag, sind die Bestimmungen des § 13 VgV nicht anwendbar.

4. Die Entscheidung über die Kostenlast im Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei die Summe der geprüften Brutto-Angebotspreise der Hauptangebote des Antragstellers in allen drei Losen zugrunde.

Ende der Entscheidung

Zurück