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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 25.09.2006
Aktenzeichen: 1 Verg 8/06
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 7
1. Ein Bieter kann die Vergabekammer auch dann noch in zulässiger Weise anrufen und geltend machen, dass er durch den Verzicht auf die Fortführung eines Verhandlungsverfahrens nach VOF in seinen subjektiven Rechten verletzt ist, wenn der öffentliche Auftraggeber den Verzicht auf die Fortführung bereits bekannt gegeben hat.

2. Zur tatsächlichen Feststellung einer vorgetäuschten Auftragsverhandlung und eines sachlich nicht gerechtfertigten Verzichts auf Fortführung des Verhandlungsverfahrens sowie der fiktiven Aussicht eines Bieters auf Auftragserteilung bei vergaberechtlich beanstandungsfreier Durchführung des Verhandlungsverfahrens.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 8/06 OLG Naumburg

verkündet am: 25.09.2006

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Februar 2005 (ABl. S-39) ausgeschriebene Vergabe des Dienstleistungsauftrags "Architektenleistungen und Fachingenieurleistungen zum Umbau und zur Umnutzung eines ehemaligen Silo-Getreidespeichers und eines Boden-Getreidespeichers zu einer Denkfabrik (Büronutzung mit bis zu 20 % Wohnnutzung)",

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm und die Richterin am Oberlandesgericht Engelhard im schriftlichen Verfahren mit dem Schlusstermin am

5. September 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. Mai 2006, 2 VK LVwA 18/06, aufgehoben, soweit er sich auf das o.a. Vergabeverfahren bezieht.

Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt hat, indem sie ohne sachlichen Grund auf die Fortführung des Verhandlungsverfahrens verzichtete bzw. das Verfahren nur noch zum Schein fortführte.

Im Übrigen hat sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin erledigt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin ist eine Kapitalgesellschaft privaten Rechts, die mit der Landeshauptstadt Magdeburg einen Entwicklungsträgervertrag geschlossen hat, wonach sie als Entwicklungsträgerin die ihr von der Stadt übertragenen Aufgaben nach deren Beschlüssen und Weisungen im eigenen Namen für die Rechnung der Stadt als deren Treuhänderin ausführt.

Sie schrieb den oben genannten Dienstleistungsauftrag mit einem Netto-Auftragswert von mindestens 1 Mio. EUR im Februar 2005 EU-weit im Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb auf der Grundlage der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Das Vergabeverfahren war nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens. Nach Wiederholung der Wertung im Teilnahmewettbewerb, Eingang der Angebote der zur Angebotsabgabe im Verhandlungsverfahren aufgeforderten Bieter und deren Wertung in der ersten Wertungsstufe verblieb nur eine Bieterin, die hiesige Antragstellerin. Die Antragsgegnerin beschloss darauf hin am 27. Dezember 2005, das Verfahren zu beenden und ein neues einzuleiten. Dies teilte sie der Antragstellerin mit Schreiben vom 5. Januar 2006, versandt mit einfacher Post, mit; das Schreiben ging der Antragstellerin am 9. Januar 2006 zu.

Die Antragstellerin rügte den Verzicht auf die Auftragserteilung im Vergabeverfahren am 13. Januar 2006 als vergaberechtswidrig. Nachdem dies erfolglos geblieben war, beantragte sie die Nachprüfung der Aufhebung der Ausschreibung. Die 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt gab der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 3. März 2006, 2 VK LVwA 2/06, auf, das im Februar 2005 begonnene Vergabeverfahren fortzuführen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wies der Senat mit seinem Beschluss vom 17. Mai 2006, 1 Verg 3/06, als unbegründet zurück.

Inzwischen, am 3. Januar 2006, hatte die Antragsgegnerin die Vergabebekanntmachung für die erneute Ausschreibung desselben Auftrags im beschleunigten Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb abgesandt. Die neue Vergabebekanntmachung war u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 6. Januar 2006 (ABl. S-3) veröffentlicht worden. Die Antragstellerin hatte sich auch in dieser Ausschreibung beworben, war aber nach der formalen Prüfung und der Prüfung auf Vollständigkeit der Bewerbungen ausgeschlossen worden. Die Antragsgegnerin hatte die Antragstellerin zunächst nicht über das Ergebnis des Teilnahmewettbewerbs informiert. Am 10. Februar 2006 hatte die Antragsgegnerin eine Verhandlungsrunde mit den zwei verbliebenen Bieterinnen des zweiten Vergabeverfahrens durchgeführt; am 13. Februar 2006 hatte sie ihre Vergabeentscheidung getroffen und kurz darauf diese den unterlegenen Bieterinnen mitgeteilt. Der Antragstellerin hatte sie mit Schreiben vom 24. Februar 2006, mit einfacher Post versandt und der Antragstellerin erst am 1. März 2006 zugegangen, mitgeteilt, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne, weil in ihrem Teilnahmeantrag eine - abweichend von den Teilnahmebedingungen der ursprünglichen Ausschreibung nunmehr auch für einen etwaigen Nachunternehmer geforderte - Erklärung nicht eindeutig sei. Die Antragstellerin hatte die Ausschlussentscheidung am 2. März 2006 als vergaberechtswidrig gerügt. Die Antragsgegnerin hatte mit Schreiben vom 6. März 2006, vom 8. März 2006 und vom 10. März 2006 eine inhaltliche Prüfung der Rüge in Aussicht gestellt und mit letzterem Schreiben mitgeteilt, dass sie - auch im Hinblick auf die zwischenzeitliche Zustellung der o.a. Entscheidung der Vergabekammer vom 3. März 2006 - das neu eingeleitete Vergabeverfahren aussetze und daher zunächst auch von einer weiteren Prüfung und Beantwortung der Rüge absehe. Es werde allein das ursprüngliche Vergabeverfahren betrieben werden. Mit Schreiben vom 16. März 2006 hatte die Antragsgegnerin nochmals bekräftigt, dass sie das neue Vergabeverfahren nicht vor Abschluss des s.g. alten Vergabeverfahrens fortsetzen werde. Tatsächlich hatte die Antragsgegnerin noch Mitte März Korrespondenz mit der Auftragsaspirantin um Ergänzungen des Vertragsentwurfes geführt.

Mit Schreiben vom 17. März 2006 (Freitag) lud die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu einem Verhandlungsgespräch im ursprünglichen Vergabeverfahren zum 21. März 2006 (Dienstag). Die Bitte der Antragstellerin um Terminsverlegung um einen Tag wegen der Verhinderung ihres Projektleiters wies die Antragsgegnerin ab. Am 21. März 2006 ab 14:30 Uhr führten die Antragstellerin und die Antragsgegnerin ein Verhandlungsgespräch im ursprünglichen Vergabeverfahren durch. Nach Abschluss des Gespräches, in dessen Verlauf die Antragsgegnerin der Antragstellerin kein endgültiges Ergebnis mitgeteilt hatte, erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen den Auftrag im zweiten Vergabeverfahren mit Schreiben vom 21. März 2006, vorab per Fax um 18:39 Uhr. Der Antragstellerin teilte sie mit Schreiben vom 27. März 2006 mit, dass deren Angebot im ursprünglichen Vergabeverfahren "im Hinblick auf die Übernahme der Termin- und Kostenverantwortung nicht die verlangte Gewähr für die von uns geforderte Leistungserfüllung" biete, weshalb sie sich entschlossen habe, das ursprüngliche Vergabeverfahren ohne Auftragserteilung zu beenden.

Die Antragstellerin rügte den Verzicht auf die Auftragserteilung im ursprünglichen Vergabeverfahren als vergaberechtswidrig und forderte die Antragsgegnerin auf, das zweite Verfahren zunächst nicht weiter zu führen. Darauf hin teilte ihr die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 3. April 2006 mit, dass sie das zweite Vergabeverfahren inzwischen fortgesetzt und mit einer Auftragserteilung abgeschlossen habe.

Mit Fax-Schreiben vom 30. März 2006 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass der Antragsgegnerin aufgegeben werden möge, das 2005 eingeleitete Vergabeverfahren fortzuführen.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr Nachprüfungsantrag zulässig sei, weil eine Nachprüfung des Verzichts auch nach dessen Bekanntmachung der vergaberechtlichen Nachprüfung unterliege. Sie hat behauptet, dass die Antragsgegnerin die Verhandlungen am 21. März 2006 nur zum Schein geführt habe und dass ein sachlicher Grund für den Verzicht auf die Auftragserteilung in der ursprünglichen Ausschreibung nicht vorliege. Hilfsweise für den Fall der inzwischen wirksamen Beendigung des ersten Vergabeverfahrens hat sie die Feststellung der Verletzung ihrer subjektiven Rechte beantragt.

Die Antragsgegnerin hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, weil er erst nach der Aufhebung der Ausschreibung eingereicht worden sei.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss vom 30. Mai 2006 als unzulässig verworfen. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass der Nachprüfungsantrag erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens durch den Verzicht auf die Fortführung eingereicht worden sei.

Gegen diese ihr am 6. Juni 2006 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 19. Juni 2006 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

Die Antragstellerin ist u.a. der Meinung, dass der Nachprüfungsantrag jedenfalls deshalb zulässig sei, weil bis zum Eingang des Nachprüfungsantrages bei der Vergabekammer ihr gegenüber der wahre Grund für den Verzicht auf die Fortführung des ursprünglichen Vergabeverfahrens noch nicht bekannt gegeben worden war. Sie habe Anspruch auf Fortführung und Abschluss des ersten Vergabeverfahrens vor Weiterführung und ggf. Abschluss des zweiten Vergabeverfahrens.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 30. Mai 2006, 2 VK LVwA 18/06, aufzuheben und

die Antragsgegnerin zu verpflichten, das am 17. Februar 2005 eingeleitete (erste) Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats fortzuführen,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Verzicht auf die weitere Durchführung dieses Vergabeverfahrens durch die Antragsgegnerin rechtswidrig war und die Antragstellerin in ihren subjektiven Rechten verletzte.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Sie verteidigt im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung und verweist insbesondere darauf, dass sie das Angebot der Antragstellerin eingehend geprüft und den Auftrag im zweiten Vergabeverfahren erst nach Abschluss der Verhandlungen mit der Antragstellerin im hier streitgegenständlichen Vergabeverfahren erteilt habe.

Der Senat hat mit Zustimmung beider Beteiligter durch Beschluss vom 2. August 2006 die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens mit Schlusstermin am 5. September 2006 angeordnet. Die Beteiligten haben diese Frist zur Ergänzung ihrer Stellungnahmen jeweils genutzt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie hat in der Sache mit ihrem Hilfsantrag auch Erfolg.

Die Vergabekammer ist zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin ausgegangen; die Nachprüfung des Verzichts auf die Fortführung des Verhandlungsverfahrens ist grundsätzlich und auch hier zulässig. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Wegen der inzwischen entfallenen Vergabeabsicht kommt eine Anordnung der Fortführung des Vergabeverfahrens, ggf. einschließlich einer Androhung von Zwangsgeld für den Fall der erneuten Missachtung der Rechtsauffassungen des Senats, nicht mehr in Betracht, so dass über den Hilfsantrag der Antragstellerin zu entscheiden war. Dieser ist begründet.

1. Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig. Es wurde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 bis 100, 102, 107 Abs. 1, 108 GWB) liegen vor.

2. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig.

Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes an, wonach ein Bieter die Vergabekammer auch dann noch in zulässiger Weise anrufen und im Nachprüfungsverfahren geltend machen kann, dass er durch die Nichtbeachtung der vergaberechtlichen Vorschriften zur Aufhebung einer Ausschreibung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt worden sei, wenn der öffentliche Auftraggeber die Ausschreibung bereits aufgehoben hat (vgl. Beschluss v. 18. Februar 2003, X ZB 43/02 = VergabeR 2003, 313). Diese zur Ausschreibung nach der VOB/A getroffene Entscheidung ist nach der Maßgabe ihrer Begründung, die sich der Senat zu Eigen macht, auf den Verzicht auf die Fortführung eines Verhandlungsverfahrens nach VOF übertragbar. Angesichts einer fehlenden Vorabinformationspflicht über eine beabsichtigte Aufhebung der Ausschreibung bzw. den der Aufhebung gleichstehenden Verzicht auf die Fortführung des Verhandlungsverfahrens nach VOF kann eine Nachprüfung dieser bedeutsamen Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers nur gewährleistet werden, wenn auch nach Bekanntwerden der Aufhebung noch Zugang zum vergaberechtlichen Primärrechtsschutz eröffnet ist. Der Unterschied zur Verwehrung des Zugangs zum Primärrechtsschutz nach wirksamem Zuschlag bzw. wirksamer Auftragserteilung ist dadurch sachlich gerechtfertigt, dass die Aufhebung der Ausschreibung rechtlich nicht irreversibel ist, d.h. dass effektive Möglichkeiten des Eingreifens der Nachprüfungsinstanz in das Vergabeverfahren i.S. einer Fortführung auch nach Bekanntgabe der Aufhebung bestehen.

3. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nur hinsichtlich des Hilfsantrags begründet.

3.1. Der Hauptantrag ist prozessual überholt. Die Antragsgegnerin hat inzwischen mit ihrer Antragserwiderung im Verfahren vor der Vergabekammer unmissverständlich erklärt, dass ihr Beschaffungsbedarf durch die Auftragserteilung im zweiten Vergabeverfahren befriedigt wird und sie eine weitere Auftragserteilung nicht beabsichtigt. Der im zweiten Vergabeverfahren geschlossene Vertrag ist auch wirksam. Insoweit nimmt der Senat auf seine Ausführungen in den Gründen seines Beschlusses vom heutigen Tage im Beschwerdeverfahren 1 Verg 10/06 Bezug.

3.2. Angesichts der Erledigung der Hauptsache war über den Hilfsantrag der Antragstellerin zu befinden; dieser ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Antragsgegnerin hat nach den Feststellungen des Senats in seinem Beschluss vom 17. Mai 2006 bereits im Dezember 2005 auf die Fortführung des ursprünglichen Vergabeverfahrens verzichtet, ohne hierfür einen sachlichen Grund zu haben. Sie hat damit gegen Bieter schützendes Vergaberecht verstoßen. Hierüber ist bereits bindend entschieden.

Die Antragsgegnerin hat aber auch unter bewusster Missachtung der Anordnungen in der Entscheidung der Vergabekammer vom 3. März 2006 das ursprüngliche Vergabeverfahren nur noch zum Schein fortgeführt und tatsächlich an ihrem Vorurteil, dass Verhandlungen mit nur einer Bieterin und jedenfalls mit dieser Bieterin kein annehmbares Ergebnis hervorbringen könnten, festgehalten. Der Senat schätzt ein, dass ordnungsgemäß durchgeführte Auftragsverhandlungen mit der Antragstellerin zu deren Beauftragung hätten führen müssen. Die angegebenen Gründe, aus denen das Angebot der Antragstellerin nicht annehmbar gewesen sein soll, sind sämtlich vorgeschoben und durch den Inhalt des Verhandlungsgespräches vom 21. März 2006 nicht gedeckt.

Dabei lässt der Senat noch unberücksichtigt, dass die Antragsgegnerin bis zur Entscheidung der Vergabekammer vom 3. März 2006 jegliche Vorkehrungen für eine u.U. für sie nachteilige Entscheidung im Nachprüfungsverfahren versäumte. Spätestens mit der vorgenannten Entscheidung wäre die Antragsgegnerin allerdings gehalten gewesen, ihr Vorgehen zu überdenken und auch zu ändern. Tatsächlich führte die Antragsgegnerin auch nach dem 3. März 2006 zunächst ausschließlich das zweite Vergabeverfahren weiter, um damit vollendete Verhältnisse zu schaffen. Während sie die Antragstellerin über den wahren Verfahrensstand arglistig täuschte und mit mehreren Schreiben bekräftigte, das zweite Verfahren auszusetzen und zunächst das erste Vergabeverfahren abzuschließen, betrieb sie allein das zweite Vergabeverfahren und setzte dort schriftlich die Auftragsverhandlungen mit der Vertragsaspirantin fort. Erst nachdem die Vertragsaspirantin am 17. März 2006 ein aus Sicht der Antragsgegnerin annehmbares Angebot vollständig vorgelegt hatte, wurde die Antragstellerin im ursprünglichen Verhandlungsverfahren überhaupt zu einem Gespräch geladen.

Dafür, dass die Antragsgegnerin dieses Gespräch nur als Scheinverhandlung führte, spricht neben der Kurzfristigkeit der Ladung - 14 Tage nach der Entscheidung der Vergabekammer eine Ladung auf den übernächsten Werktag - auch die unbegründete Ablehnung eines Terminsverlegungsgesuchs wegen Verhinderung des Projektleiters. Für ernsthafte Auftragsverhandlungen wäre die Teilnahme des Projektleiters sicherlich auch aus objektiver Sicht der Vergabestelle sachdienlich gewesen, mit der die Antragsgegnerin nach ihrer schriftlichen Ablehnung des Verlegungsgesuchs nicht mehr rechnen konnte.

Die bloße Vortäuschung einer Vertragsverhandlung ergibt sich auch aus einem Vergleich der Absagegründe mit dem Schwerpunkt der Auftragsverhandlungen mit der Antragstellerin. Die Gesprächsnotizen vom 21. März 2006 zur Organisation des Planungs- und Bauablaufs sind dürftig; das Gespräch wird vielmehr sofort auf eine pauschale Übernahme jeglicher Kosten- und Terminverantwortung durch die Antragstellerin gelenkt, ohne die Einzelheiten zu erörtern. Der Verweis auf die Bonus-Malus-Regelung des Vertragsangebots zur Sicherung der Kostenverantwortung sowie das Angebot von Vertragsstrafenregelungen zur Sicherung der Terminverantwortung werden von der Antragsgegnerin nicht hinterfragt. Eine Gelegenheit zur schriftlichen Ergänzung, wie sie zu erwarten gewesen wäre, wenn in diesen Punkten der größte Abstimmungsbedarf gesehen wird, wurde der Antragstellerin nicht eingeräumt.

Dass die Vertragsverhandlungen mit der Antragstellerin lediglich vorgetäuscht waren, zeigt sich weiter darin, dass die Antragsgegnerin die angeblich abschließende Entscheidung bereits wenige Stunden nach den Verhandlungen mit der Antragstellerin traf, noch bevor eine schriftliche Auswertung des Gesprächs vorlag. Die Antragsgegnerin bezog die Ablehnung auch nicht auf eine Gesamtbetrachtung, sondern auf zwei von elf Unterkriterien, wobei weiter festzustellen ist, dass eine pauschale Übernahme der Verantwortung u.U. noch eher Anlass zur Nachfrage hätte bieten müssen als der seriöse Versuch der Antragstellerin, mit klaren vertraglichen Regelungsinstrumenten eine Verantwortungszuweisung vorzunehmen.

Die schnelle Entscheidung überrascht umso mehr, als die Antragsgegnerin eine vergleichende Betrachtung mit dem Resultat des zweiten Vergabeverfahrens nicht vornahm, obwohl ihr doch nach ihren eigenen Angaben gerade die Vergleichbarkeit mehrerer Angebote am Herzen lag. Eine Vergleichbarkeit war auch nicht ohne Weiteres gegeben, denn in beiden Vergabeverfahren wurden trotz identischen Auftragsgegenstands und identischer Auftragskriterien erheblich voneinander abweichende Punktesysteme verwendet. Auffällig ist, dass eine Vielzahl der Antworten der Antragstellerin am 21. März 2006 und der jetzigen Vertragspartnerin am 10. Februar 2006 nahezu identisch ausfielen, in Bereichen, die die Antragsgegnerin vorher als maßgeblich angegeben hatte (Bürozeiten, Bürobesetzung) z.T. sogar mit Vorteilen für die Antragstellerin, und dass auch das Verhältnis zwischen erreichter und erreichbarer Gesamtpunktzahl zwischen beiden Bieterinnen kaum differiert.

Schließlich zeigt auch das Nachverhalten der Antragsgegnerin, d.h. insbesondere die zeitweise Verheimlichung des längst erfolgten Vertragsschlusses gegenüber der Antragstellerin sowie das Auftreten der hiesigen Antragsgegnerin in den Nachprüfungsverfahren, dass die Antragsgegnerin sich bewusst über die von ihr für falsch erachtete Entscheidung der Vergabekammer vom 3. März 2006 hinwegsetzen wollte und dabei eine Rechtsverletzung der Antragstellerin in Kauf nahm.

3.3. Hätte die Antragsgegnerin die Vertragsverhandlungen mit der Antragstellerin ernsthaft und mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses geführt, so wäre im Ergebnis dieser Verhandlungen von der Antragstellerin ein annehmbares Angebot unterbreitet worden, das auch zur Auftragserteilung geführt hätte.

4. Die Entscheidung über die Kostentragung im Beschwerdeverfahren beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Eine Kostenteilung kam trotz der Erledigung des Hauptantrags der Antragstellerin nicht in Betracht, denn ohne die anderweitige Befriedigung des Beschaffungsbedarfs der Antragsgegnerin wäre auch der Hauptantrag der Antragstellerin erfolgreich gewesen.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei die geprüfte Angebotssumme des Hauptangebotes der Antragstellerin zugrunde.

Ende der Entscheidung

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