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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 08.10.2009
Aktenzeichen: 1 Verg 9/09
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 n.F.
GWB § 131 Abs. 8
1. Zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB n.F.

1.1. Der Begriff des Beginns des Vergabeverfahrens in § 131 Abs. 8 GWB und in § 23 VgV ist dahin auszulegen, dass er in förmlichen Vergabeverfahren mit Vergabebekanntmachung die Absendung derselben an das Veröffentlichungsorgan, in Fällen der EU-weiten Ausschreibungspflicht die Absendung an das EU-Amtsblatt meint, in anderen Vergabevorgängen bei materieller Betrachtung diejenige Maßnahme der Vergabestelle, mit der ein erster Schritt zur Herbeiführung eines konkreten Vertragsabschlusses unternommen wird und die deshalb einer förmlichen Einleitung eines Vergabeverfahrens funktional gleich steht.

1.2. Dem gegenüber wird ein Vergabeverfahren nicht schon begonnen durch die Vornahme von Maßnahmen zur Markterkundung, von Machbarkeitsstudien, von vergleichende Wirtschaftlichkeitsberechnungen, durch Selbstauskünfte der Vergabestelle über künftige Beschaffungsvorhaben, z. Bsp. im Rahmen eines sog. "Beschafferprofils" und grundsätzlich auch nicht durch die Bekanntmachung einer Vorinformation.

2. Wird von der Vergabestelle ein Eignungsnachweis gefordert, der keine Eigenerklärung des Bieters bzw. Bewerbers ist (hier: steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes), so genügt die Vorlage einer einfachen Kopie dieser Fremderklärung nicht, wenn der Aussteller der Fremderklärung deren Gültigkeit ausdrücklich auf die Vorlage des Originals oder einer beglaubigten Kopie beschränkt hat.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 9/09 OLG Naumburg

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Mai 2009 (S 98 - 141615) ausgeschriebene Vergabe des Bauauftrages "Ersatzneubau Fußballstadion der Stadt H. ",

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann, Wiedemann und Grimm

am 8. Oktober 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. September 2009, 1 VK LVwA 49 und 50/09, wird zurückgewiesen.

Der Antragstellerin wird aufgegeben, bis zum 20. Oktober 2009 (einschließlich) dem Senat gegenüber zu erklären, ob die sofortige Beschwerde zurückgenommen werden soll, bzw. anderenfalls, ob Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren besteht.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, eine kommunale Gebietskörperschaft, schrieb im Mai 2009 den oben genannten Auftrag EU-weit im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem öffentlichen Teilnahmewettbewerb auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB)

- Ausgabe 2006 - zur Vergabe aus. Der Auftrag umfasst neben dem Abbruch des bestehenden Stadions die Planung und Ausführung des Ersatzneubaus eines überdachten Fußballstadions einschließlich des Neubaus eines Multifunktionsgebäudes und der Sanierung der denkmalgeschützten Bereiche des Sportareals. Weiter ist die Erbringung von Betriebsleistungen und diversen Leistungen des Facility Managements für eine Vertragsdauer von zunächst zehn Jahren vorgesehen. Das Vorhaben hat einen Netto-Auftragswert von etwa 17 Mill. Euro.

In der Bekanntmachung der Ausschreibung ist unter Ziffer III.2.2) als Teilnahmebedingung zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit u.a. eine "gültige Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes" gefordert (Ziffer 4), wobei alternativ eine Registrierung im Präqualifikationsverzeichnis zugelassen ist.

Der Bekanntmachung ist weiter zu entnehmen, dass minimal drei, maximal fünf Bewerber zur Teilnahme am Verhandlungsverfahren aufgefordert werden sollen.

Die Bewerbungsunterlagen enthalten eine "Information zum Vergabeverfahren sowie Musteraufstellung des Teilnahmeantrages", die in Abschnitt I. - "Beschreibung des Vorhabens" - dort Absatz 2 die nähere Beschreibung enthält:

"Die von den Bewerbern dem Teilnahmeantrag beizufügenden Unterlagen ergeben sich aus Abschnitt II. 'Anforderungen an die Teilnahmeanträge'. Die dort genannten Unterlagen sind von jedem Bewerber zwingend dem Teilnahmeantrag beizufügen. Die Vergabestelle behält sich vor, Bewerber, deren Teilnahmeanträge unvollständig sind, vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen. Soweit unter Pkt. II. Nachweise von den Bietern gefordert werden, die nicht in Eigenerklärungen bestehen, ist die Vorlage von Kopien hinreichend. Die Vergabestelle behält sich jedoch vor, von den Bewerbern, die zur Teilnahme an dem Verhandlungsverfahren aufgefordert werden sollen, die Originale nachzufordern, ohne dass es hierfür einer besonderen Begründung bedarf. Nachweise, bei denen die ausstellende Stelle ausdrücklich vermerkt hat, dass sie nur im Original Gültigkeit besitzen (häufig etwa bei Unbedenklichkeitserklärungen des Finanzamtes oder der Berufsgenossenschaft) müssen den Teilnahmeanträgen im Original beigefügt werden, ohne dass es hierzu einer gesonderten Aufforderung durch die Vergabestelle bedarf."

(S. 1 - Hervorhebungen durch den Senat)

In Abschnitt II. dieser Information ist unter "Registrierblattnummer 6" angeführt, dass als Nachweise für die Überprüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit für jedes Mitglied einer Bewerbergemeinschaft u.a. gefordert wird eine "gültige Unbedenklichkeitserklärung des Finanzamtes" (S. 6; dort unter Ziffer 6.2.).

Die Antragstellerin reichte als eine von insgesamt acht Bewerberinnen einen Teilnahmeantrag ein. Im Rahmen der formalen Prüfung dieser Teilnahmeanträge wurde die Bewerbung der Antragstellerin als unvollständig angesehen und - neben weiteren zwei als unvollständig bewerteten Teilnahmeanträgen - vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. Die Durchsicht der von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen hatte ergeben, dass lediglich eine einfache Kopie einer Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes P. vom 29. Juni 2009 beigefügt war. Auf der Bescheinigung befindet sich der Aufdruck: "Nur gültig im Original, ohne Streichungen, mit Dienstsiegel und Unterschrift oder als beglaubigte Fotokopie". Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23. Juli 2009 darüber, dass sie nicht zur Abgabe eines indikativen Angebotes aufgefordert werde, weil der Teilnahmeantrag unvollständig gewesen sei. Dem Teilnahmeantrag sei eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung nur in Kopie beigefügt gewesen, obwohl die Erklärung den Vermerk enthalte, dass sie Gültigkeit nur als Original oder als beglaubigte Kopie besitze. Lediglich informativ teilte die Antragsgegnerin weiter mit, dass der Teilnahmeantrag auch bei Vollständigkeit keine Aussicht auf Berücksichtigung gehabt habe, weil er bei inhaltlicher Bewertung ohne Berücksichtigung seiner Unvollständigkeit lediglich den siebten Platz aller eingegangenen Teilnahmeanträge belegt habe.

Mit Fax-Schreiben vom 27. Juli 2009 rügte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin, dass der Ausschluss ihrer Bewerbung im Teilnahmewettbewerb wegen Unvollständigkeit vergaberechtswidrig sei. Der Vergabebekanntmachung sei nicht zu entnehmen gewesen, ob die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes im Original oder in Kopie vorzulegen sei. Im Übrigen rügte die Antragstellerin eine mangelnde Transparenz und Bestimmtheit der Auswahlkriterien im Teilnahmewettbewerb sowie der Zuschlagskriterien für das Verhandlungsverfahren. Ihr Vorbringen vertiefte sie mit Schriftsatz vom Folgetag. Die Antragsgegnerin half diesen Rügen jeweils nicht ab, was sie der Antragstellerin mit einem am 27. Juli 2009 abgesandten Schreiben mitteilte. Diesem Schreiben waren weitere Informationen zu den Einzelheiten der Auswahl der Teilnehmer des Verhandlungsverfahrens beigefügt. Die Antragstellerin erhob am 31. Juli 2009 weitere Rügen, die die Antragsgegnerin mit einem am 3. August 2009 an die Antragstellerin abgesandten Schreiben zurückwies.

Mit Schriftsatz vom 7. August 2009 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden möge, sie - die Antragstellerin - zur Abgabe eines indikativen Angebotes aufzufordern (Verfahren 1 VK LVwA LSA - 49/09). Neben den bereits erhobenen Rügen hat sie ihren Nachprüfungsantrag zusätzlich auf fehlerhafte Bewertungen ihrer Referenzobjekte gestützt. Zugleich hat sie die Anordnung von Maßnahmen nach § 115 Abs. 3 GWB beantragt (Verfahren 1 VK LVwA LSA - 50/09). Beide Verfahren sind verbunden worden.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 8. September 2009 als teilweise unzulässig verworfen, im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass die Rügen im Hinblick auf die angeblich fehlende vollständige Benennung der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung sowie auf die angeblich fehlende Gewichtung der Auswahlkriterien im Teilnahmewettbewerb und die angeblich unzureichende Konkretisierung eines der Auswahlkriterien jeweils präkludiert seien, weil die Antragstellerin diese vermeintliche Vergabeverstöße nicht innerhalb der Bewerbungsfrist geltend gemacht habe (§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3 GWB n.F.). Der rechtzeitig gerügte vermeintliche Vergabeverstoß eines unzulässigen Ausschlusses des Teilnahmeantrages wegen Unvollständigkeit liege indessen nicht vor. Die Antragstellerin habe letztlich eine ungültige Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes vorgelegt und die Antragsgegnerin habe auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine nicht zu beanstandende Ausschlussentscheidung getroffen.

Gegen diese ihr am 11. September 2009 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 24. September 2009 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

Die Antragstellerin ist u.a. der Meinung, dass für das Vergabenachprüfungsverfahren das GWB in seiner bis zum 23. April 2009 geltenden Fassung (künftig: a.F.) anzuwenden sei. Es sei insoweit nicht auf den Zeitpunkt der Absendung der Vergabebekanntmachung, sondern auf den Zeitpunkt des internen Entschlusses der Vergabestelle zur Vornahme der Beschaffung abzustellen. Dieser habe angesichts der Größenordnung des Projekts mindestens ein halbes Jahr vor der Absendung der Bekanntmachung der Ausschreibung gelegen. Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. werde der Lauf der Rügefrist erst durch positive Kenntnis vom Vergabeverstoß ausgelöst; diese Kenntnis sei erst nach anwaltlicher Beratung nach Zugang des Informationsschreibens der Antragsgegnerin vom 23. Juli 2009 entstanden.

Die Antragstellerin hält insbesondere auch den Ausschluss ihres Teilnahmeantrages wegen der Ungültigkeit ihrer steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung für nicht gerechtfertigt. Die oben zitierte Spezialregelung sei nicht anwendbar, da sie sich nur auf Nachweise beziehe, deren Gültigkeit zwingend und ausschließlich von der Vorlage im Original abhängig seien. Das sei hier gerade nicht der Fall gewesen. Eine Vorlage als einfache Kopie sei deshalb ausreichend gewesen.

Im Übrigen stehe die vorgenannte Spezialregelung im Widerspruch zum Text der Vergabebekanntmachung und entfalte deshalb keine Verbindlichkeit.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 24. September 2009 Bezug genommen.

Die Antragstellerin hat u.a. beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde bis zur abschließenden Entscheidung im Beschwerdeverfahren zu verlängern.

Die Antragsgegnerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Eilantrag, die sie mit Schriftsatz vom 29. September 2009, vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangen am 1. Oktober 2009, wahrgenommen hat.

II.

Der Antrag auf Anordnung der Verlängerung des prozessualen Zuschlagsverbots ist nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zulässig; er hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat nach derzeitiger Bewertung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. In dieser Konstellation überwiegen die Interessen der Allgemeinheit und der Antragsgegnerin an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens gegenüber dem möglicherweise geschädigten Erwerbsinteresse der Antragstellerin. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass grundsätzlich die Effektivität des individuellen Rechtsschutzes auch im allgemeinen Interesse an der Durchsetzung des Vergaberechts liegt. Ist jedoch ein Bieter mit einzelnen Rügen materiell präkludiert, weil er sich nicht aktiv und rechtzeitig um die Wahrung seiner vermeintlich verletzten subjektiven Rechte bemüht hat, oder sind die erhobenen Rügen offensichtlich unbegründet, wie hier, so kommt dem letztgenannten Aspekt der Rechtsverwirklichung auch im Interesse der Allgemeinheit ein sehr viel geringeres Gewicht zu.

Die Vergabekammer ist zu Recht von der Unzulässigkeit einzelner Rügen der Antragstellerin sowie von der Unbegründetheit der zulässig erhobenen Rügen ausgegangen. Wegen der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses des Teilnahmeantrages der Antragstellerin im Rahmen der formellen Wertungsstufe des Teilnahmewettbewerbes hat die Antragstellerin keine Aussicht auf Auswahl als Bieterin und natürlich erst recht - mangels Mitwirkung im Verhandlungsverfahren - keine Zuschlagschance.

1. Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig. Es wurde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 bis 100, 102, 107 Abs. 1, 108 GWB) liegen unbestritten vor.

2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nur teilweise zulässig.

2.1. Die Antragstellerin ist zwar antragsbefugt, denn ihr Interesse am Auftrag ist durch ihre Bewerbung hinreichend manifestiert, die im vorliegenden Verfahrensstadium beanstandete Nichtberücksichtigung als Bieterin durch ein Absehen von der Aufforderung zur Abgabe eines indikativen Angebotes ist geeignet, ihre Zuschlagschancen im Vergabeverfahren vollständig und endgültig zu beseitigen.

2.2. Sie ist aber mit den von ihr erhobenen Rügen der mangelnden Transparenz der Auswahlkriterien im Teilnahmewettbewerb und deren Gewichtung und insbesondere der Unklarheit des Kriteriums der "Erfahrungen mit Lebenszyklusbetrachtungen" nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB n.F. präkludiert. Gleiches betrifft die Rügen der bisherigen Bekanntmachung der Wirtschaftlichkeitskriterien. Hierzu im Einzelnen:

2.2.1. Auf das vorliegende Vergabeverfahren ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner Neufassung durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 790) anzuwenden.

(1) Nach § 131 Abs. 8 GWB ist auf Vergabeverfahren, die vor dem 24. April 2009 begonnen haben, einschließlich der sich an diese anschließenden Nachprüfungsverfahren das bis zum 23. April 2009 geltende Recht anzuwenden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass das GWB n.F. in zeitlicher Hinsicht nur auf Vergabeverfahren anwendbar ist, welche am 24. April 2009 oder danach begonnen haben. Dem entspricht im Hinblick auf die im Vergabeverfahren anzuwendenden Vorschriften auch die Regelung des § 23 VgV, der durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz nicht verändert worden ist.

Der Beginn eines Vergabeverfahrens ist im GWB nicht legaldefiniert. Er bedarf daher seiner Bestimmung durch Auslegung.

Für seine Auslegung ist bereits die semantische Bedeutung des Begriffs zielführend: Ein Vergabeverfahren ist eine nach außen wirkende Tätigkeit der Vergabestelle i.S. eines Verwaltungsverfahrens, die auf den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages gerichtet ist. Ein Vergabeverfahren wird regelmäßig durch die Vergabestelle selbst eingeleitet. Zur Abgrenzung zwischen der - überwiegend intern vorgenommenen - Vorbereitung des Vergabeverfahrens und dem Beginn seiner Durchführung ist ggfs. auf eine förmliche Entscheidung über die Einleitung des Vergabeverfahrens oder auf eine konkludente Einleitung durch Ergreifen einer Maßnahme abzustellen, die auf die Herbeiführung eines Vertragsschlusses gerichtet ist.

In förmlichen Vergabeverfahren mit Vergabebekanntmachung bei EU-weiter Ausschreibungspflicht, wie hier, ist die erste Maßnahme, zu deren Vornahme die Vergabestelle in einem Vergabeverfahren verpflichtet ist, die Absendung der Vergabebekanntmachung an das EU-Amtsblatt (vgl. §§ 17 Nr. 1 Abs. 1, 17a Abs. 2 Nr. 5 VOB/A, entspricht Art. 35 Abs. 2, Art. 36 Abs. 5 VKR, so auch Dreher in: Dreher/Stockmann, Kartellvergaberecht, 2008, § 97 GWB Rn. 15 unter Verweis auf OLG Koblenz, Beschluss vom 5. September 2002, 1 Verg 2/02 "Westerwaldnetz" - NZBau 2002, 699, 700; aber auch schon OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2000, Verg 6/00 "Euromünzplättchen III" - BauR 2000, 1603). Bloße Vorbereitungshandlungen, wie die Markterkundung, ggfs. auch unter Anfrage bei Marktteilnehmern, interne Beratungen einschließlich der Erstbefassung der späteren Entscheidungsgremien, leiten das Verfahren hingegen noch nicht ein. In konsequenter Weiterführung der Auslegung nach dem Wortlaut beginnen nur Vergabeverfahren ohne Vornahme einer Vergabebekanntmachung - und zwar unabhängig davon, ob eine Pflicht zur Vergabebekanntmachung bestanden hätte oder nicht - mit einer anderen Maßnahme. Für diese Maßnahme gilt, dass sie nach ihrem objektiven Erklärungswert den Wechsel von einem Gedankenspiel - z.T. mit durchaus aufwendigen Erkundungsmaßnahmen und z. Bsp. vergleichenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen - zur Herbeiführung eines konkreten Vertragsschlusses darstellt (vgl. z. Bsp. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Juni 2001, Verg 3/01 - NZBau 2001, 696; BayObLG, Beschluss v. 22. Januar 2002, Verg 18/01 "Abfallzweckverband" - NZBau 2002, 397; dass. Beschluss v. 27. Februar 2003, Verg 1/03 - VergabeR 2003, 329; OLG Rostock, Beschluss v. 5. Februar 2003, 17 Verg 14/02 "Forschungsschiff II" - VergabeR 2003, 321).

Nach dem Normzweck ist zu berücksichtigen, dass die Bestimmung des Beginns des Vergabeverfahrens hier eine Rückwirkung neuen Rechts und insbesondere u.U. neuer Verhaltensanforderungen an die Vergabestelle zur hinreichenden Organisation eines fairen, nicht diskriminierenden und transparenten Wettbewerbs vermeiden soll. Hieraus ergibt sich, dass der Beginn des Vergabeverfahrens im Sinne des § 131 Abs. 8 GWB und des § 23 VgV ein klar bestimmbarer Zeitpunkt sein muss (vgl. auch Dokumentationspflichten nach § 17a Nr. 2 Abs. 3 VOB/A, entspricht Art. 36 Abs. 7 VKR). Diesem Normzweck widerspräche es, wenn die durch die erste Alternative - Beginn mit Absendung der Vergabebekanntmachung - geschaffene Rechtsklarheit durch die zweite Alternative - sonstige Einleitung - wieder aufgehoben werden würde. In teleologischer Auslegung macht die zweite Alternative nur Sinn, als eine Auffangregelung für diejenigen "sonstigen" Vergabeverfahren, in denen keine Vergabebekanntmachung abgesendet wird. Der Beginn des Vergabeverfahrens muss des weiteren ein Zeitpunkt sein, der eine Zäsur darstellt, und zwar in dem Sinne, dass die Vergabestelle ab diesem Zeitpunkt an den objektiven Erklärungswert ihrer Handlungen selbst gebunden ist und hiervon nicht mehr ohne Weiteres abweichen kann (insoweit weiter als Weyand, ibr-online-Komm., Rn. 3522 unter Verweis auf VK Sachsen, Beschluss vom 23. Mai 2001, 1/SVK/34-01, der lediglich auf die Überschaubarkeit der Übergangszeit zwischen alter und neuer Regelung abstellt). Dies trifft auf den Zeitpunkt der Absendung der Vergabebekanntmachung an das EU-Amtsblatt zu. Mit diesem Zeitpunkt werden des weiteren Fristen zur Bewerbung, Angebotsabgabe oder auch zum Abschluss des Vergabeverfahrens in Gang gesetzt. Die Veröffentlichung liegt zeitlich nicht mehr im Einflussbereich der Vergabestelle; der Inhalt der Veröffentlichung bindet die Vergabestelle und erfordert zur Abänderung regelmäßig mindestens die nochmalige Veröffentlichung einer Berichtigung oder Ergänzung.

Zur Auslegung des Begriffs des Beginns des Vergabeverfahrens kann ergänzend eine Betrachtung rechtlicher Regelungen mit ähnlichem Regelungsgehalt herangezogen werden.

Dies betrifft in erster Linie die Rechtsvorschriften zur Ermittlung des Schwellenwertes, also § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. §§ 2, 3 VgV. Die Schwellenwertsermittlung soll aus gleichen Gründen auf den Zeitpunkt des Beginns des Vergabeverfahrens bezogen sein. Insoweit enthält § 3 Abs. 10 VgV (entspricht Art. 9 Abs. 2 VKR) eine teilweise Begriffsbestimmung, die sich mit dem vorausgeführten Auslegungsergebnis deckt: "Tag der Absendung der Bekanntmachung der beabichtigten Auftragsvergabe". Daneben verweist sie aber auch "die sonstige Einleitung des Vergabeverfahrens". Insoweit stellt sich dasselbe Auslegungsproblem, wie bei § 131 Abs. 8 GWB und § 23 VgV, nämlich ob diese sonstige Einleitung generell gilt oder, wie vom Senat angenommen, nur für diejenigen Verfahren, in denen eine Vergabebekanntmachung nicht abgesendet wird. Es ist lediglich offensichtlich, dass die Auslegung des Begriffs "Beginn des Vergabeverfahrens" und "Einleitung des Vergabeverfahrens" identisch zu erfolgen hat.

Die Vorschrift des § 16 Abs. 2 VOB/A enthält eine Vorschrift zum frühest möglichen rechtlich zulässigen Zeitpunkt des Beginn des Vergabeverfahrens. Sie enthält mithin eine rechtliche Verhaltensanforderung, keine Beschreibung eines tatsächlichen zeitlichen Anknüpfungspunktes. Sie bestätigt aber, dass dem Beginn einer Ausschreibung grundsätzlich eine Vorbereitung vorausgeht, in der die Voraussetzungen für ein Vergabeverfahren zu schaffen sind, und die nicht zum Vergabeverfahren selbst gehört (vgl. nur: Franke/Mertens in: Franke/ Kemper/ Zanner/ Grünhagen, VOB Kommentar, 3. Aufl. 2007, § 16 Rn. 5 ff.).

In der vergaberechtlichen Literatur wird der Begriff des Beginns des Vergabeverfahrens häufig im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Eröffnung des Zugangs zum vergaberechtlichen Primärrechtsschutz behandelt (vgl. Prieß/Niestedt, Rechtsschutz im Vergabeverfahren, 2006, S. 41 f. m.w.N.; Byok in: Byok/Jaeger, Komm. z. Vergaberecht, 2. Aufl. 2005, § 107 Rn. 967 f.; Kus in: Kulartz/ Kus/ Portz, Komm. z. GWB-Vergaberecht, 2006, § 104 Rn. 13). Dieser letztgenannte Zeitpunkt ist zwar faktisch häufig identisch mit dem Beginn des Vergabeverfahrens, weil die am Auftrag interessierten Unternehmen zuvor keine Kenntnis von der Vergabeabsicht der Vergabestelle haben, er ist rechtlich jedoch vorgelagert. Denn der durch §§ 102 ff. GWB eröffneten Nachprüfung unterliegt nicht nur die Durchführung des Vergabeverfahrens bis (einschließlich) zur verfahrensbeendigenden Entscheidung, sondern auch schon die Einleitung bzw. Nichteinleitung des Verfahrens selbst (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2005, X ZB 27/04 - VergabeR 2005, 328; ebenso EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, C-26/03 "Stadt Halle ./. RPL GmbH" - VergabeR 2005, 44; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2005, VII-Verg 78/04 - VergabeR 2005, 503). Dies schließt jede Maßnahme der Vergabestelle ein, die im Zusammenhang mit der Erteilung eines öffentlichen Auftrages getroffen wird, ohne dass es auf den Zeitpunkt ihres Erlasses ankommt, mithin auch Entscheidungen im Vorfeld einer Ausschreibung (vgl. insbesondere EuGH, a.a.O., Rn. 28, 29, 34).

In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist die Auslegung des § 23 VgV - soweit ersichtlich - noch nicht abschließend vorgenommen worden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. September 2002, Verg 48/02 - NZBau 2003, 349: "Das Vergabeverfahren beginnt spätestens mit der förmlichen Vergabebekanntmachung im Bundesausschreibungsblatt." - zitiert nach juris).

Zusammenfassend ist nach hier vertretener Auffassung der Begriff des Beginns des Vergabeverfahrens so auszulegen, dass er in förmlichen Vergabeverfahren mit Vergabebekanntmachung die Absendung derselben an das Veröffentlichungsorgan, in Fällen der EU-weiten Ausschreibungspflicht die Absendung an das EU-Amtsblatt meint, in anderen Vergabevorgängen bei materieller Betrachtung diejenige Maßnahme, mit der der erste Schritt zur Herbeiführung eines konkreten Vertragsabschlusses unternommen wird und die deshalb einer förmlichen Einleitung eines Vergabeverfahrens funktional gleich steht.

Daraus folgt, dass durch die Vornahme von Maßnahmen zur Markterkundung, Machbarkeitsstudien, von vergleichende Wirtschaftlichkeitsberechnungen u.ä. ebensowenig ein Vergabeverfahren schon begonnen wird, wie durch Selbstauskünfte der Vergabestelle über künftige Beschaffungsvorhaben, z. Bsp. im Rahmen eines sog. "Beschafferprofils" (vgl. Art. 35 Abs. 1 VKR). Grundsätzlich stellt auch die Bekanntmachung einer Vorinformation i.S. von § 17a Nr. 1 VOB/A noch nicht den Beginn eines konkreten Vergabeverfahrens dar. Schon nach seinem Wortlaut ist die Vorinformation eine vor dem Beginn des Vergabeverfahrens liegende Maßnahme. Sie kann dem Primärrechtsschutz zugänglich sein, leitet aber das konkrete Vergabeverfahren noch nicht ein. Dieses Wortverständnis widerspiegelt sich auch in den bei EU-weiter Ausschreibungspflicht vorgegebenen Bekanntmachungsmustern (vgl. § 17a Nr. 1 Abs. 3 VOB/A i.V.m. derzeit Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 der Kommission vom 7. September 2005 - Standardformularverordnung - <EG ABl. L 257/1 ff.>). Das unter Anhang I vorgegebene Formular zur "Vorinformation" enthält in Abschnitt II a. für Bauleistungen, dort unter Ziffer II.6), und in Abschnitt II b. für Lieferungen und Dienstleistungen, dort unter Ziffer II.5), jeweils die Rubrik "voraussichtlicher Beginn des Vergabeverfahrens", jeweils mit dem Zusatz "falls bekannt". Die gleiche Formulierung wird bei den Angaben zu den Losen in Anhang B dieses Formulars, dort unter Ziffer 4), wiederholt. Diese Regelungen machen deutlich, dass die Vorinformation das Vergabeverfahren jedenfalls grundsätzlich nicht einleiten (so auch VK Thüringen, Beschluss v. 28. Mai 2001, 216-4002.20-028/01-GTH <bestandskräftig> - hier zitiert nach VERIS - für die vorangegangene Fassung der Standardformularverordnung; ebenso Weyand, a.a.O., Rn. 3521). Die vorausgeführte Auslegung wird auch dem Sinn der Vorinformation gerecht, der darin besteht, dass die Vergabestelle so bald wie irgend möglich (vgl. Art. 35 Abs. 2 und 3 VKR) das Vergabeverfahren den potentiellen Interessenten am Auftrag ankündigt, damit auch diese sich auf das Verfahren vorbereiten können, ohne dass die Vergabestelle hierdurch bereits zeitlich, inhaltlich oder hinsichtlich der Rahmenbedingungen des künftigen Verfahrens gebunden wird. Nur ergänzend, weil es im vorliegenden Falle nicht entscheidungserheblich ist, ist darauf zu verweisen: Nach der hier vertretenen Auffassung läge auch dann in der Bekanntgabe einer Vorinformation kein Beginn des Vergabeverfahrens, wenn mit der Bekanntmachung der Vorinformation eine gegenüber den künftigen Bietern verbindliche Regelung für das Fristenmanagement im Vergabeverfahren getroffen wird und deshalb ausnahmsweise eine Bekanntgabepflicht besteht (vgl. § 17a Nr. 1 Abs. 2 VOB/A, entspricht Art. 35 Abs. 1 UA 5 VKR). Hierfür könnte zwar die Vorwirkung der Vorinformation auf das künftige Vergabeverfahren sprechen (so VK Saarland, Beschluss vom 23. April 2007, 3 VK 2/2007 - zitiert nach VERIS). Gleichwohl hätte es die Vergabestelle in der Hand, mit der Vergabebekanntmachung von der Möglichkeit der Fristverkürzung wieder Abstand zu nehmen. Entscheidend bleibt, dass eine solche Vorinformation nur in Verfahren in Betracht kommt, in denen eine Vergabebekanntmachung nachfolgt, so dass für eine Anwendung der Alternative "sonstige Einleitung des Vergabeverfahrens" kein Raum ist.

(2) Nach diesen Maßstäben hat das vorliegende Vergabeverfahren am 20. Mai 2009 begonnen. An diesem Tage ist aktenkundig die Vergabebekanntmachung an das EU-Amtsblatt abgesendet worden. Eine Vorinformation mit dem Ziel einer Verkürzung der Angebots- bzw. Bewerbungsfrist ist hier nicht erfolgt.

Selbst wenn man - entgegen der Ansicht des Senats - davon ausginge, dass auch in förmlichen Verfahren mit Vergabebekanntmachung ein früherer Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens in Betracht käme, so könnte dieser Zeitpunkt jedenfalls nicht vor der internen Entscheidung der Vergabestelle zur Einleitung des Vergabeverfahrens liegen. Diese interne Entscheidung ist erst am 29. April 2009 in der Sitzung des Stadtrates getroffen worden durch die Beauftragung der Verwaltung mit der Vorbereitung und Durchführung eines Vergabeverfahrens mit konkreten Maßgaben sowie durch den Beschluss zur Beauftragung externer Berater zur Unterstützung der Verwaltung bei der Vorbereitung und Durchführung dieses Vergabeverfahrens.

Beide genannte Zeitpunkte liegen nach dem 24. April 2009, dem Tage des Inkrafttretens der Neuregelungen im GWB.

2.2.2. Die von der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren erhobenen Einzelrügen der angeblich unzureichenden Transparenz des Bedeutungsgehalts und der Gewichtung der Auswahlkriterien für den Teilnahmewettbewerb sowie der Wirtschaftlichkeitskriterien für das nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs durchzuführende Verhandlungsverfahren stützen sich allein auf tatsächliche Grundlagen aus den Bewerbungsunterlagen. Diese Bewerbungsunterlagen lagen u.a. auch der Antragstellerin mehrere Wochen vor Ablauf der Bewerbungsfrist vor und wurden von ihr zur Erstellung des Teilnahmeantrages bearbeitet. Auch nach dem Vorbringen im Nachprüfungsverfahren sind für die Antragstellerin keinerlei tatsächliche Erkenntnisse hinzugetreten, die etwa erst später die Bewertung als vermeintlich vergaberechtswidrig eröffnet hätten. In dieser Situation ist von einer bloßen objektiven Erkennbarkeit des vermeintlichen Vergabeverstoßes i.S. von § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB n.F. auszugehen.

Dem steht nicht etwa entgegen, dass die Antragstellerin die Vergaberechtswidrigkeit erst nach Hinzuziehung eines Rechtsberaters erkannt haben will. Auf eine positive Kenntnis des Verstoßes - wie nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB n.F. - kommt es für die Entstehung der Rügeobliegenheit nicht an. Selbst wenn hinsichtlich der Erkennbarkeit aber ein objektiver Maßstab auf niedrigem Niveau oder gar ein subjektiver Maßstab anzulegen wäre, so wären doch hier die o.a. vermeintlichen Vergaberechtsverstöße aus den Bewerbungsunterlagen selbst erkennbar gewesen. Wie der Senat im Hinblick auf die Anforderungen des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. (!) bereits ausgesprochen hat, bedurfte es für die laienhafte rechtliche Bewertung der Intransparenz von Wertungskriterien keiner rechtlichen Beratung (vgl. nur Beschluss vom 13. Mai 2008, 1 Verg 3/07 "Laboreinrichtung II" - VergabeR 2009, 91). Denn insoweit geht es allein um die Einschätzung des fachkundigen Bieters, ob er sich aufgrund der ihm erteilten Informationen im Stande sieht, ein wettbewerbsfähiges Angebot oder, wie hier, einen wettbewerbsfähigen Teilnahmeantrag zu erstellen, d.h. ob er hinreichend erkennen kann, worauf es dem öffentlichen Auftraggeber für seine Auswahlentscheidung unter den Bewerbern ankommt.

3. Die zulässigerweise erhobene Rüge der fehlerhaften Bewertung ihres Teilnahmeantrages im Rahmen der formellen (Vollständigkeits-)Prüfung ist offensichtlich unbegründet.

Die Vergabekammer hat zu Recht darauf erkannt, dass die von der Antragstellerin vorgelegte einfache Kopie einer Unbedenklichkeitsbescheinigung des für sie zuständigen Finanzamtes keinen gültigen Nachweis i.S. der Bewerbungsbedingungen der Antragsgegnerin darstellte.

3.1. Die Antragstellerin hat einen geforderten Nachweis, nämlich die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des für sie zuständigen Finanzamtes, bei der Antragsgegnerin nur in einfacher Kopie vorgelegt, obwohl die Originalerklärung ausdrücklich eine formale Beschränkung ihrer Gültigkeit enthielt - einen Aussagewert sollte nur das Original oder eine beglaubigte (vollständige) Kopie besitzen. Diesen von der ausstellenden Behörde wirksam gesetzten Maßstab hat die Antragstellerin nicht eingehalten. Die von ihr vorgelegte einfache Kopie war in einem höheren Maße unsicher im allgemeinen Rechtsverkehr als das Original oder eine beglaubigte Kopie.

3.2. Die mangelnde Gültigkeit des vorgelegten Nachweises zwang die Antragsgegnerin zum Ausschluss des Teilnahmeantrages. Denn die Antragsgegnerin hat mit der oben zitierten "Vorinformation zum Vergabeverfahren ...", dort Abschnitt I Abs. 2, einen eindeutigen Maßstab definiert, an den alle Bewerber und auch sie selbst im weiteren Teilnahmewettbewerb gebunden sind. Danach werden unvollständige Angebote zwingend ausgeschlossen.

Die Bewerbungsbedingungen lassen eindeutig erkennen, dass ein Angebot als unvollständig nicht nur dann gilt, wenn ein geforderter Nachweis gar nicht vorgelegt wird, sondern auch dann, wenn ein geforderter Nachweis in ungültiger Form vorgelegt wird. In den o.a. Bewerbungsbedingungen hat die Antragsgegnerin weiter erklärt, dass sie dort, wo sie Nachweise anfordert, die nicht in Eigenerklärungen bestehen, grundsätzlich die Vorlage einfacher Kopien akzeptiert. Hiervon hat sie jedoch eine Ausnahme gemacht: Dort, wo die den Nachweis ausstellende Behörde selbst formale Bedingungen für die Gültigkeit ihrer Erklärung aufstellt, setzt sich die Antragsgegnerin über diese Beschränkungen gerade nicht hinweg. In diesem Sinne ist die in den Bewerbungsunterlagen aufgeführte Alternative der Beschränkung der Gültigkeit der eigenen Erklärung auf das Original auch nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizonts als beispielhaft zu verstehen. Sie erfasst auch den hier vorliegenden Fall, dass die ausstellende Behörde die formalen Anforderungen an die Gültigkeit ihrer Erklärung in anderer Weise festlegt. Dies gilt umso mehr, wenn, wie hier, die formalen Anforderungen niedriger und für den Bewerber leichter zu erfüllen sind, als diejenigen formalen Anforderungen, die die Vergabestelle ausdrücklich als bindend aufgeführt hat.

3.3. Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die näheren Bewerbungsbedingungen erst den Bewerbungsunterlagen zu entnehmen waren.

Die Antragsgegnerin hat in der Vergabebekanntmachung die von ihr geforderten Nachweise konkret benannt, darunter auch die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des örtlich zuständigen Finanzamtes. Damit war allen Interessenten am ausgeschriebenen Auftrag das Anforderungsprofil für eine Bewerbung bekannt. In den Bewerbungsunterlagen erfolgte lediglich eine - vergaberechtlich zulässige - Konkretisierung dieses Profils, und zwar überwiegend i.S. einer Reduzierung der formalen Anforderungen.

4. Auf die Begründetheit der weiteren Rügen im Nachprüfungsverfahren, also im Hinblick auf konkrete Punktzahlen bei einzelnen Auswahlkriterien, kommt es nach dem Vorausgeführten nicht mehr an. Ist ihr Teilnahmeantrag zu Recht aus formalen Gründen wegen Unvollständigkeit ausgeschlossen worden, so stand er für eine inhaltliche Bewertung gerade nicht zur Verfügung. Die entsprechenden Angaben der Antragsgegnerin erfolgten informationshalber; an ihrer Überprüfung besteht auch kein rechtliches Interesse der Antragstellerin mehr. Nur ergänzend sei darauf verwiesen, dass das Antragsziel einer Anordnung (!) im Nachprüfungsverfahren an die Antragsgegnerin, die Antragstellerin zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern, allenfalls in Betracht gekommen wäre, wenn der Teilnahmeantrag der Antragstellerin bei zutreffender Bewertung auf einem der ersten drei Plätze - also der bekannt gemachten Mindestzahl der Teilnehmer des Verhandlungsverfahrens - hätte ankommen müssen. Im Übrigen wäre allenfalls eine Wiederholung der Auswahlentscheidung mit einem angesichts des Beurteilungs- und Ermessensspielraums der Antragsgegnerin ungewissen Ergebnis aus Sicht der Antragstellerin in Betracht gekommen.

5. Unter Berücksichtigung der fehlenden Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde führt die nach § 118 Abs. 2 GWB vorzunehmende Abwägung hier, wie vorausgeführt, ausnahmsweise zu einer Geringerbewertung des Interesses der Antragstellerin an einer Verlängerung des prozessualen Zuschlagverbots.

Ende der Entscheidung

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