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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 29.04.2008
Aktenzeichen: 1 W 14/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 78 Abs. 1 S. 2
ZPO § 78 Abs. 1 S. 1
1. Primärrechtsschutz bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen kann jedenfalls dann nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn der Auftrag bereits erteilt ist.

2. Für Feststellungen besteht regelmäßig kein Feststellungsinteresse.

3. Es kann offen bleiben, inwieweit im Vergabeverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB subjektive Rechte der Bewerber bzw. Bieter auf Einhaltung der Verfahrensvorschriften der VOB/A bestehen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

BESCHLUSS

1 W 14/08

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann als Einzelrichter am 29. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 28. Januar 2008 wird verworfen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Kostenwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.600 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb im November 2007 Baumfällarbeiten an einer Bundesstraße auf der Grundlage der VOB/A bundesweit aus. Das Ende der Angebotsfrist sowie der Submissionstermin waren auf den 18. Dezember 2007 angesetzt. Die Antragstellerin forderte mit Schreiben vom 10. Dezember 2007 mit einfacher Post die Übersendung der Verdingungsunterlagen. Das Schreiben ging erst am 13. Dezember 2007 bei der Antragsgegnerin ein. Diese versandte die Unterlagen am 14. Dezember 2007.

Die Antragstellerin behauptet, dass ihr die Verdingungsunterlagen erst am 18. Dezember 2007 zugegangen seien. Sie forderte die Antragsgegnerin zur Verlegung des Submissionstermins auf; dieser Aufforderung kam die Antragsgegnerin nicht nach. Auf der Grundlage der Eröffnung der Angebote am 18. Dezember 2007 und der nachfolgenden Wertung der rechtzeitig eingegangenen Angebote erteilte die Antragsgegnerin am 18. Januar 2008 den Zuschlag.

Die Antragstellerin wandte sich zunächst mit verschiedenen Schreiben an die Antragsgegnerin, darunter auch mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Am 3. Januar 2008 beantragte sie beim Verwaltungsgericht Magdeburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung; die Sache wurde mit Beschluss vom 4. Januar 2008, Geschäftszeichen: 3 A 1/08 und 3 B 2/08, zuständigkeitshalber an das Landgericht Magdeburg verwiesen.

Die Antragstellerin hat sinngemäß beantragt, der Antragsgegnerin vor rechtskräftiger Entscheidung im vorliegenden Verfahren den Zuschlag im Vergabeverfahren zu erteilen (künftig: Ziffer 1), festzustellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet war, die Ausschreibungsunterlagen sofort auf den Postweg zu bringen, so dass die Unterlagen rechtzeitig von ihr bearbeitet und für den Submissionstermin hätten versandt werden können, und weiter festzustellen, dass der Ausschluss eines verspäteten Angebots der Antragstellerin unzulässig wäre, da ein Verschulden der Antragstellerin nicht vorliege (Ziffer 2), sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, das von der Antragstellerin nachgereichte Angebot auszuwerten, das Wertungsergebnis der Antragstellerin mitzuteilen und den Zuschlag ggf. auf das Angebot der Antragstellerin zu erteilen (Ziffer 3).

Die 10. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg hat nach Anhörung der Antragsgegnerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unbegründet abgewiesen und ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass ein Verfügungsgrund fehle, weil es grundsätzlich und so auch hier in den Risikobereich der Antragstellerin falle, wenn die Anforderung der Angebotsunterlagen so spät erfolge, dass ihr die Fertigstellung eines wettbewerbsfähigen Angebots nicht mehr möglich war.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer privatschriftlichen Beschwerde.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist bereits unzulässig, weil sie von der Antragstellerin persönlich ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist. Nach § 78 Abs. 1 Satz 2 ZPO müssen sich Parteien vor dem Oberlandesgericht durch einen bei einem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen; sie selbst können prozesswirksam keine Erklärungen abgegeben und insbesondere auch nicht wirksam Rechtsmittel einlegen.

Darüber hinaus wäre die sofortige Beschwerde selbst bei wirksamer Einlegung auch in der Sache aus mehreren Gründen ohne Erfolg geblieben.

Zunächst wäre der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ebenfalls bereits als unzulässig zu verwerfen gewesen, weil auch vor dem Landgericht der sog. Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO gilt.

Die Antragstellerin hat darüber hinaus keinen prozessual zulässigen Antrag in der Hauptsache gestellt, so dass es ihr an einem Rechtsschutzinteresse für ihr Begehren fehlt.

Der Antrag zu Ziffer 1) war kein Hauptantrag, denn er war letztlich auf ein Zuschlagsverbot während des laufenden Verfügungsverfahrens gerichtet. Er setzt einen zulässigen und nicht offensichtlich unbegründeten Hauptantrag voraus.

Mit den Anträgen zu Ziffer 2) wurden Feststellungen der Rechtswidrigkeit bestimmter Handlungen der Vergabestelle begehrt. Im einstweiligen Rechtsschutz müssen die Anträge auf Sicherung oder Regelung eines Zustandes gerichtet sein, im Ausnahmefall kommen auch Leistungsverfügungen in Betracht. Für Feststellungen besteht regelmäßig, so auch hier, kein Rechtsschutzinteresse im einstweiligen Rechtsschutz. Insbesondere könnten Feststellungen keine Bindungswirkung in einem künftigen Schadenersatzprozess entfallten, wie es § 124 Abs. 1 GWB für Feststellungen in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nach §§ 102 ff. GWB für die Vergabe öffentlicher Aufträge bei EU-weiter Ausschreibungspflicht vorsieht.

Der Antrag zu Ziffer 3) ist auf eine Verpflichtung der Vergabestelle gerichtet, allerdings auf eine Verpflichtung zu einer rechtswidrigen Handlung. Die Antragstellerin begehrt letztlich die Wertung ihres nach Submission eingegangenen Angebots. Nachdem die für alle Bieter gleichermaßen geltende Angebotsfrist abgelaufen war, inzwischen auch der Submissionstermin bereits abgehalten und mithin die Angebote der Bieter eröffnet und im Submissionsprotokoll verzeichnet worden waren, kam die Berücksichtigung eines danach eingehenden Angebots aus Gründen der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs und einer Gleichbehandlung aller Bieter auf keinen Fall mehr in Betracht. Ein verspätetes Angebot ist zwingend von der weiteren Wertung auszuschließen (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. a) VOB/A).

Im Zivilverfahren ist das Gericht an die gestellten Anträge gebunden; es kann nicht - wie im Nachprüfungsverfahren nach § 114 GWB - die geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung einer vermeintlichen Rechtsverletzung ohne Antragsbindung selbst auswählen, so dass hier die unzulässigen bzw. auf eine rechtswidrige Verpflichtung gerichteten Anträge der Antragstellerin bereits zu einer Verwerfung des gesamten Rechtsschutzbegehrens der Antragstellerin hätten führen müssen.

Die fehlerhafte Antragstellung ist inzwischen auch nicht mehr heilbar, so dass ein entsprechender Hinweis an die Antragstellerin unterbleiben kann. Denn ein sog. Primärrechtsschutz ist nicht mehr zu erlangen, weil der Auftrag am 18. Januar 2008 wirksam an einen Dritten erteilt ist.

Es kann hier offen bleiben, inwieweit die Antragstellerin als Bewerberin in einem Verfahren der Vergabe eines öffentlichen Auftrages außerhalb des Geltungsbereiches des 4. Teils des GWB überhaupt subjektive Rechte auf Einhaltung der Verfahrensvorschriften der VOB/A innehatte. Jedenfalls hat die Antragstellerin gegen keine der hier geltenden Vorschriften der VOB/A, 1. Abschnitt, verstoßen.

Die von der Antragsgegnerin festgesetzte Angebotsfrist von mehr als vier Wochen ab bundesweiter Bekanntmachung war angemessen und ausreichend (§ 18 VOB/A). Soweit sich diese Angebotsfrist für die Antragstellerin individuell verkürzt hat, weil sie von der Ausschreibung erst später Kenntnis nahm, erwachsen hieraus für die Antragsgegnerin keine besonderen Verpflichtungen. Insbesondere ist die Antragsgegnerin deswegen nicht gehalten, die Angebotsfrist zu verlängern. Sie war hier auch nicht verpflichtet, im Hinblick auf etwaige Postlaufzeiten die Verdingungsunterlagen anders als auf einfachem Postwege zu versenden. Es wäre Sache der Antragstellerin gewesen, einer weiteren Verkürzung des ihr zur Verfügung stehenden Zeitraums für die Angebotserstellung durch geeignete Maßnahmen, z. Bsp. Abholung der Verdingungsunterlagen oder Beauftragung eines Expressdienstes, vorzubeugen.

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Festsetzung des Kostenwerts auf §§ 48, 47 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Der Senat hat sich bei seiner Schätzung vom Rechtsgedanken des § 50 Abs. 2 GKG leiten lassen, wonach das wirtschaftliche Interesse am Erlass der einstweiligen Verfügung nach dem zu erwartenden Gewinn im Falle einer Auftragserteilung an die Antragstellerin zu bemessen und dieser Gewinn pauschalisierend mit fünf Prozent der Bruttoangebotssumme geschätzt werden kann.



Ende der Entscheidung

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