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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 27.03.2007
Aktenzeichen: 1 W 25/06 (EnWG) (1)
Rechtsgebiete: EnWG


Vorschriften:

EnWG § 23a
EnWG § 79 Abs. 2
1. In energiewirtschaftlichen Beschwerdeverfahren, deren Gegenstand eine Entscheidung der Landesregulierungsbehörde für Elektrizität und Gas im Verfahren nach § 23a EnWG ist, ist die Bundesnetzagentur weder in unmittelbarer Anwendung von § 79 Abs. 2 EnWG noch in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift Beteiligte kraft Gesetzes.

2. Die fehlende ausdrückliche Regelung zur Beteiligung der Bundesnetzagentur an solchen Beschwerdeverfahren stellt keine planwidrige Gesetzeslücke dar.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 W 25 / 06 (EnWG) OLG Naumburg

In dem Energiewirtschaftsverfahren (Beschwerdeverfahren)

hat der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm

am 27. März 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Rüge der Bundesnetzagentur vom 15. März 2007 wird zurückgewiesen.

Die mündliche Verhandlung wird nicht wieder eröffnet.

Es wird festgestellt, dass die Bundesnetzagentur keine notwendige Beteiligte des Beschwerdeverfahrens i.S.v. § 79 Abs. 2 EnWG ist.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat am 28. Oktober 2005 bei der Landesregulierungsbehörde einen Antrag auf Genehmigung von Netzentgelten für das Jahr 2006 gestellt. Die Landesregulierungsbehörde hat im Genehmigungsverfahren nach § 23a EnWG außer der Antragstellerin niemanden beteiligt. Mit Bescheid vom 26. Juli 2006 hat sie der Antragstellerin eine Genehmigung von - gegenüber der Antragstellung um ca. 23 % reduzierten - Netzentgelten mit Wirkung ab dem 1. August 2006, befristet bis zum 31. Dezember 2007 erteilt.

Hiergegen hat sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, die form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, gewandt. Der Senat hat am 5. Februar 2007 mündlich in der Sache verhandelt. Mit Beschluss vom 2. März 2007 hat er den Beteiligten rechtliche Hinweise im Verfahren erteilt und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, hierzu bis zum 26. März 2007 abschließend Stellung zu nehmen. Der Verkündungstermin ist auf den 12. April 2007 anberaumt.

Mit Schreiben vom 15. März 2007 hat die Bundesnetzagentur ihre Nichtbeteiligung an der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2007 gerügt, eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt und die Ansicht vertreten, dass sie selbst nach § 79 Abs. 2 EnWG notwendige Beteiligte des Beschwerdeverfahrens sei.

Der Senat hat die Beteiligten des Beschwerdeverfahrens zum vorgenannten Schreiben der Bundesnetzagentur angehört.

II.

Die Rüge der Bundesnetzagentur ist unbegründet. Die Bundesnetzagentur ist am vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu beteiligen. Danach besteht auch keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

1. Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur ist diese an Beschwerdeverfahren nach § 75 EnWG, die einen Bescheid der Landesregulierungsbehörde betreffen, regelmäßig nicht zu beteiligen. Eine notwendige Beteiligung ergibt sich insbesondere nicht aus § 79 Abs. 2 EnWG.

1.1. Die o.a. Vorschrift ist bereits nach ihrem Wortlaut nicht einschlägig. Danach erfasst sie nur Beschwerdeverfahren, in denen eine Entscheidung "einer nach Landesrecht zuständigen Behörde" Gegenstand ist. Die Entscheidungen der Landesregulierungsbehörde fallen hierunter nicht, denn die Landesregulierungsbehörde wird kraft bundesrechtlicher Kompetenzzuweisung tätig, § 54 Abs. 2 EnWG. Der Begriff der "nach Landesrecht zuständigen Behörde" wird im Energiewirtschaftsrecht in den §§ 4 und 36 Abs. 2 EnWG gebraucht; auf Beschwerden gegen solche Entscheidungen bezieht sich auch § 79 Abs. 2 EnWG. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass zweifelhaft sein mag, ob sich der Begriff "Regulierungsbehörde" in jedem Falle auf die Bundesregulierungsbehörde, also die Bundesnetzagentur, bezieht. Denn als "Regulierungsbehörde" sind in § 54 Abs. 1 EnWG sowohl die Bundesnetzagentur als auch die Landesregulierungsbehörden legal definiert.

1.2. Ein Hinweis auf eine notwendige Beteiligung der Bundesnetzagentur an Verfahren über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Landesregulierungsbehörde ergibt sich auch nicht aus dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens. Die Einrichtung von Landesregulierungsbehörden war nach dem Inhalt des Regierungsentwurfs des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (u.a. BT-Drs. 15/3917 zu § 54 EnWG-E) noch nicht vorgesehen. Sie war in der Stellungnahme des Bundesrats (u.a. BT-Drs. 15/3917, ab S. 78, insbesondere S. 92 u. 93 f.) gefordert worden, jedoch ohne eine Änderung der Regelung in § 79 EnWG-E. Im weiteren Verfahren beschloss der Vermittlungsausschuss ohne Begründung, dass eine Kompetenzteilung zwischen Bundesnetzagentur und Landesregulierungsbehörde hinsichtlich der Aufgaben der Regulierung vorgenommen wird. Es wurden eine Reihe von Vorkehrungen für einen informationellen Austausch zwischen den verschiedenen Regulierungsbehörden vorgesehen. Die "nach Landesrecht zuständigen Behörden" wurden in den Verfahren nach §§ 4 bzw. 36 Abs. 2 EnWG ausdrücklich verpflichtet, die Bundesnetzagentur über ihre Verfahren zu informieren, soweit diese den Zuständigkeitsbereich der Bundesnetzagentur berühren, § 55 Abs. 2 EnWG (vgl. BT-Drs. 15/3736 (neu), S. 6). Eine gleichartige Informationsverpflichtung für Landesregulierungsbehörden wurde nicht aufgenommen; § 79 Abs. 2 EnWG wurde nicht verändert.

1.3. Schließlich drängt sich auch bei systematischer und vergleichender Betrachtung mit der Vorbild gebenden Regelung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine Beteiligung der Bundesnetzagentur kraft Gesetzes nicht auf. In § 67 Abs. 2 GWB findet sich zwar eine gleichartige Regelung, wie in § 79 Abs. 2 EnWG über die zwingende Beteiligung des Bundeskartellamts in Beschwerdeverfahren, deren Gegenstand eine Entscheidung der obersten Landeskartellbehörde ist. Dem liegt aber zugrunde, dass § 54 Abs. 3 GWB bereits eine Beteiligung des Bundeskartellamtes am vorangehenden Kartellverwaltungsverfahren vorschreibt, so dass sich die Regelung bereits aus dem Grundsatz der Kontinuität der Verfahrensbeteiligung ergibt. Eine vergleichbare Verpflichtung der Landesregulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur an den eigenen energiewirtschaftlichen Verfahren zu beteiligen, kennt das EnWG nicht.

2. Entgegen der auch von Salje vertretenen Auffassung (in: Komm. EnWG, 2006, § 79 Rn. 6) sieht der Senat keine Veranlassung für eine analoge Anwendung von § 79 Abs. 2 EnWG auf die Beschwerdeverfahren, in denen Entscheidungen der Landesregulierungsbehörde angefochten werden.

2.1. Fraglich ist schon, ob überhaupt eine Regelungslücke vorliegt. Zwar könnte hierfür sprechen, dass die Beteiligung der Bundesnetzagentur im Beschwerdeverfahren geeignet wäre, eine einheitliche Rechtsanwendung in der Bundesrepublik zu befördern. Soweit es die Rechtsprechung angeht, obliegt diese Aufgabe jedoch dem Bundesgerichtshof. Insbesondere dann, wenn es um Fragen der Rechtsanwendung geht, in denen sich u.U. im Länderausschuss einheitliche Positionen der Landesregulierungsbehörden und der Bundesnetzagentur herausgebildet haben, besteht kein Bedarf, dass diese Positionen von der Bundesnetzagentur im Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden. Denn dann kann auch die ohnehin beteiligte Landesregulierungsbehörde diese im Beschwerdeverfahren vertreten. Eine Beteiligung der Bundesnetzagentur im Beschwerdeverfahren über Entscheidungen der Landesregulierungsbehörde zielte mithin stärker darauf, abweichende Positionen der Landesregulierungsbehörde von den Auffassungen der Bundesnetzagentur druch diese korrigieren zu können. Dass der Gesetzgeber eine solche quasi-Fachaufsicht regeln wollte oder hätte regeln wollen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Das Zweite Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts hat die Aufgaben der staatlichen Regulierung verteilt auf die Bundesnetzagentur und die Landesregulierungsbehörde. Der Aufteilung lag natürlich zugrunde, dass die Einführung eines flächendeckenden Genehmigungsverfahrens für Netzentgelte aller Energienetzbetreiber zu einer hohen Zahl von Genehmigungsverfahren ab Herbst 2005 führen musste, die durch eine einzige Behörde kaum zeitgerecht abzuarbeiten waren. Wäre dies jedoch das einzige Motiv der Einrichtung mehrerer Behörden gewesen, so hätte ein zwei- oder dreistufiger Aufbau von Bundesbehörden erfolgen können. Die Zentralstufe hätte über eine Fach- und ggf. sogar Dienstaufsicht die einheitliche Rechtsanwendung des Energiewirtschaftsrechts besser gewährleisten können. Die tatsächlich vorgenommene Kompetenzteilung zwischen einer Obersten Bundesbehörde, der Bundesnetzagentur, und den Landesregulierungsbehörden in § 54 zeigt, dass dem förderalen System der Bundesrepublik Rechnung getragen werden sollte. Diese Kompetenzteilung geht auf die Intervention des Bundesrates, also der Bundesländer zurück. Die Bundesländer hatten bereits vor der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts im Rahmen der Genehmigungsverfahren nach § 12 BTOEltV z.T. sehr unterschiedliche Praktiken der Rechtsanwendung entwickelt. Ihr Bestreben war offensichtlich darauf gerichtet, eine eigene Zuständigkeit auch in einem Teilbereich der nunmehr eingeführten Regulierung zu bewahren.

Schließlich spricht auch das Verhalten der Bundesnetzagentur selbst gegen eine Regelungslücke. Dem Senat ist nicht bekannt, dass die Bundesnetzagentur auch nur in einem einzigen Verfahren der Landesregulierungsbehörde für Elektrizität und Gas des Landes Sachsen-Anhalt um eine Beteiligung nachgesucht hätte. Jedenfalls in den derzeit hier anhängigen Beschwerdeverfahren, die sich auf Antragsverfahren von zwölf Strom-Verteilungsnetzbetreibern beziehen, ist in keinem einzigen eine Initiative der Bundesnetzagentur zur Beteiligung ersichtlich. Dies ist angesichts der hohen Belastung der Bundesbehörde mit Genehmigungsverfahren in eigener Zuständigkeit auch nachvollziehbar.

2.2. Selbst wenn man jedoch in der unterlassenen ausdrücklichen Regelung, dass die Bundesnetzagentur in allen Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes beteiligt sein solle, die Entscheidungen der Landesregulierungsbehörde zum Gegenstand haben, eine Regelungslücke sehen wollte, so wäre diese nicht planwidrig.

Indem der Gesetzgeber, dem die Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtsanwendung durchaus bewusst war, eine Kompetenzaufteilung auf Bund und Länder vorgenommen hat, hat er eine zumindest zeitweise unterschiedliche Genehmigungspraxis wohl in Kauf genommen. Gerade für die Netzentgeltgenehmigungsverfahren war nämlich vorrangig zu gewährleisten, dass die Einzelentscheidungen im Verwaltungsverfahren zeitnah nach der jeweiligen Antragstellung ergehen können. Die Beteiligung einer weiteren Regulierungsbehörde ist stets auch geeignet, den Fortgang des Verfahrens, und zwar sowohl des Genehmigungsverfahrens selbst als auch eines u.U. nachfolgenden Rechtsmittelverfahrens, zu verzögern. Dem jeweiligen Antragsteller würde dadurch zusätzlich das Risiko auferlegt werden, dass ihm Netzentgelte, auf deren Genehmigung er einen Rechtsanspruch hat, allein wegen der Meinungsverschiedenheiten zwischen der für ihn zuständigen Regulierungsbehörde und einer für ihn nicht zuständigen Regulierungsbehörde vorübergehend verwehrt werden. Dem gegenüber hat ein möglicher Erkenntnisgewinn, den die Beteiligung einer zweiten Regulierungsbehörde am Verfahren bringen könnte, geringere Bedeutung. Insoweit besteht auch ein Unterschied zu den Kartellverwaltungs- und Kartellbeschwerdeverfahren: Die Anordnungen sind regelmäßig nicht sofort vollziehbar; Rechtsmittel haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung, so dass eine Verzögerung des Verfahrens die Rechtsposition des bzw. der betroffenen Unternehmen regelmäßig nicht in gleicher Weise berührt.

Anders als im Kartellverfahren hat der Gesetzgeber im Energiewirtschaftsgesetz selbst zudem umfangreiche Informations- und Koordinierungsmöglichkeiten geschaffen, um die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung durch alle Regulierungsbehörden auf anderem Wege, als durch Beteiligung der Bundesnetzagentur an allen Einzelverfahren kraft Gesetzes zu gewährleisten. Hervorzuheben sind insbesondere die Einrichtung eines Länderausschusses (§ 60a EnWG) sowie die Regelungen zum Informationsaustausch (§ 64a EnWG). Eine systematische, aktuelle Koordinierung ist auch einfacher als im Kartellrecht zu leisten, weil vordergründig eine flächendeckende, d.h. alle Energienetzbetreiber gleichzeitig erfassende Vorab-Regulierung erfolgt und nicht eine nur reagierende, nachlaufende Missbrauchsaufsicht, die z.T. auch von zufälligen Erkenntnissen initiiert ist. Die einzelnen Entscheidungen der Landesregulierungsbehörden haben regelmäßig auch eine kürzere Geltungsdauer, z. Bsp. wegen der Befristung der Entgeltgenehmigungen oder der Möglichkeit der neuen Antragstellung vor Fristablauf. Das bedeutet, dass solche für fehlerhaft gehaltene Einzelentscheidungen, aber vor allem die für fehlerhaft erachteten methodischen Ansätze viel eher einer Korrektur durch nachfolgende Entscheidungen zugänglich sind.

3. Eine Beteiligung der Bundesnetzagentur am vorliegenden Beschwerdeverfahren ist auch nicht aus anderen Gründen geboten. Insbesondere ist eine Betroffenheit eigener Interessen der Bundesnetzagentur nicht erkennbar. Die Antragstellerin unterliegt auch als Gasnetzbetreiberin der Zuständigkeit der Landesregulierungsbehörde.

4. Nach dem Vorausgeführten bestehen aufgrund des Schreibens der Bundesnetzagentur vom 15. März 2007 auch keine Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Es verbleibt bei den im Beschwerdeverfahren getroffenen Anordnungen.

Ende der Entscheidung

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