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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 05.08.2004
Aktenzeichen: 1 W 27/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2 S. 2
Zum Umfang der Eingriffs- und der Risikoaufklärung für eine operationsbegleitende Allgemeinnarkose.

Eine Aufklärung über hypothetische Verläufe des Eingriffs schuldet der behandelnde Arzt regelmäßig nicht.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 W 27/03 OLG Naumburg

In dem Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann, den Richter am Amtsgericht Fölsing und den Richter am Landgericht Straube am

5. August 2004

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Dessau vom 9. Mai 2003, 4 O 31/03, wird zurückgewiesen.

Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen; außergerichtliche Auslagen der Beteiligten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässig; sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass die beabsichtigte Prozessführung der Antragstellerin gegen den Antragsgegner keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

1. Die Antragstellerin stützt ihr Schmerzensgeld- und ihr Feststellungsbegehren allein auf eine Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts durch die Durchführung einer gynäkologischen Operation ohne wirksame Einwilligung. Sie meint, die von ihr am Vortag der Operation erteilte Einwilligung sei unwirksam, weil sie über ein spezielles Risiko der geplanten und auch ausgeführten Allgemeinnarkose nicht aufgeklärt worden sei.

Das Landgericht hat dem gegenüber zu Recht darauf abgestellt, dass die Aufklärung zur Narkose ordnungsgemäß und vollständig erfolgt ist. Dem Anästhesisten des Antragsgegners oblag es im Rahmen dieser Aufklärung nicht, die Antragstellerin ausdrücklich auf das Risiko eines Magenausflusses in den Mund, der deswegen u.U. notwendigen Verlegung einer Magensonde unter Nutzung vorzugsweise des nasalen Körperzugangs und auf ein damit etwa zusammenhängendes Risiko einer stärkeren kurzzeitigen Blutung aus der Nase und ggfs. sogar einer stärkeren Verbiegung der Nasenscheidewand hinzuweisen.

1.1. Im Rahmen der Risikoaufklärung soll dem Patienten ein allgemeines Bild von der Schwere des Eingriffs vermittelt werden. Hinsichtlich der den gynäkologischen Eingriff begleitenden Allgemeinnarkose ist insbesondere deutlich zu machen, dass die Narkose selbst kein unerheblicher und kein risikofreier Eingriff ist, dass aber andererseits die beabsichtigte gynäkologische Operation ohne eine Schmerzbetäubung nicht durchführbar ist. Insoweit ist es ärztlicher Standard, auf allgemeine Risiken, wie Thrombosen und Embolien, Infektionen u.ä., sowie auf typische, für den Patienten ggfs. unerwartete Risiken, wie Stimmband- oder Zahnschäden, und auch auf selten auftretende Risiken, wie Herz-, Kreislauf- und Atemversagen, hinzuweisen. Regelmäßig wird auch ein pauschaler Hinweis auf das Risiko von Eingriffserweiterungen geboten sein. Diesen Anforderungen ist die vorliegende Patientenaufklärung nach dem derzeitigen Sachstand gerecht geworden, wie er sich aus dem Inhalt des verwendeten perimed (r) - "Aufklärungs- und Anamnesebogen zur Narkose Erwachsener und Jugendlicher" (Stand: 1996) und der Dokumentation des Aufklärungsgespräches am 6. Dezember 1998 ergibt. Das stellt auch die Antragstellerin nicht in Abrede.

1.2. Dem gegenüber ist es nicht Sinn einer ärztlichen Aufklärung, jede entfernt liegende Möglichkeit der Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Patienten nach der Operation in Betracht zu ziehen oder die möglichen Eingriffserweiterungen, Reaktionsmöglichkeiten auf etwaige hypothetische Komplikationen und die sich hieraus ergebenden Risiken im Detail aufzuzählen. Eine solch umfangreiche Aufklärung wäre aus medizinischer Sicht eher schädlich und zudem mit zumutbarem Aufwand nicht zu leisten.

1.2.1. Die Rechtsprechung hat als Ausnahme anerkannt, dass ein Hinweis auf spezielle Risiken von Eingriffserweiterung bzw. Reaktionen auf Komplikationen in Betracht kommt, wenn dadurch eine Erhöhung des allgemeinen Eingriffsrisikos eintritt. Eine Erhöhung des allgemeinen Eingriffsrisikos einer Intubationsnarkose, die bereits durch die Einführung eines Beatmungsschlauches durch Mund und Luftröhre gekennzeichnet ist, durch die hinzutretende Einführung einer Magensonde durch die Nase behauptet schon der Antragsteller nicht; sie liegt nach derzeitigem Erkenntnisstand auch nicht vor.

1.2.2. Der Senat hat eine erweiterte Hinweispflicht auch dann in Betracht gezogen, wenn bereits präoperativ hinreichende Anhaltspunkte für eine konkrete intraoperative Eingriffserweiterung vorliegen (vgl. OLGR Naumburg 2003, 525). Auch diese Konstellation ist hier indessen nicht gegeben. Denn die Eingriffserweiterung, die bei der vorliegenden Operation eingetreten ist, lag im gynäkologischen Bereich, und zwar darin, dass von der Bauchspiegelung sogleich zur Entfernung der dabei aufgefundenen Zysten am Nebeneierstock weitergeschritten wurde, ohne die Allgemeinnarkose zu unterbrechen. Der gynäkologische Eingriff wurde über den diagnostischen Abschnitt hinaus zum therapeutischen Eingriff erweitert. Die Allgemeinnarkose wurde lediglich aufrechterhalten. In der bloßen Reaktion auf den Magenausfluss ist keine Eingriffserweiterung i.S. der vorgenannten Rechtsprechung zu sehen.

1.3. Soweit der Antragsteller geltend macht, er hätte auch darüber aufgeklärt werden müssen, dass im Falle der notwendigen Verlegung einer Magensonde der Körperzugang über die Nase oder über den Mund in Betracht käme, verlangt er eine Eingriffsaufklärung, bezogen auf hypothetische Eingriffsverläufe. Eine solche schuldet der behandelnde Arzt regelmäßig, so auch hier, nicht.

2. Das Landgericht hat - nach derzeitigem Sach- und Streitstand zutreffend - festgestellt, dass ein Behandlungsfehler des Anästhesisten nicht vorliegt; einen solchen hat die Antragstellerin bisher auch nicht geltend gemacht.

Allerdings verkennt der Senat nicht, dass die Ausführungen der Antragstellerin, sie habe die Fragen des Anamnesebogens aus ihrer Sicht vollständig beantwortet und habe nicht erkennen können, dass Informationen über ihre HNO-fachärztliche Behandlung in den Jahren 1992 bis 1997 für den Anästhesisten u.U. von Interesse gewesen wären, ihrem dogmatischen Charakter nach auf den - nach derzeitiger Prozesslage unbegründeten - Vorwurf eines Behandlungsfehlers, nämlich einer unzureichenden präoperativen Befunderhebung, zielen könnten. Zu näheren Ausführungen sieht sich der Senat jedoch angesichts der ausdrücklichen Beschränkung der Klagebegründung auf eine Verletzung der Pflichten im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung nicht veranlasst.

3. Das Landgericht hat seine ablehnende Entscheidung weiter darauf gestützt, dass die Antragstellerin selbst im Falle des Vorliegens einer ärztlichen Pflichtverletzung den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Komplikation bei der Operation am 7. Dezember 1998 und den z.T. unsubstantiiert behaupteten Beschwerden (Behinderung der Nasenatmung durch starke Verbiegung der Nasenscheidewand, Kopfschmerz und häufige Nasennebenhöhlenentzündungen) nicht wird führen können.

Zwar hat die Antragstellerin hierfür Beweis durch Vorlage eines HNO-Arztberichtes sowie durch Antrag auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens angetreten; im Prozesskostenhilfeverfahren ist jedoch eine Beweisantizipation in maßvollen Grenzen zulässig. Danach folgt der Senat der vorläufigen Auffassung des Landgerichts, wonach der Antragstellerin der ihr obliegende Nachweis misslingen dürfte.

Hierfür ist zunächst maßgeblich, dass die kurzzeitige Blutung bzw. die zu ihrer Behandlung eingesetzte Tamponage allein die behauptete Verbiegung der Nasenscheidewand wohl nicht verursacht haben können. Es bleibt theoretisch die Möglichkeit einer traumatischen Einwirkung der Sonde auf die Nasenscheidewand. Der Antragstellerin obliegt aber der Nachweis, dass nur diese Ursache für die Verbiegung der Nasenscheidewand in Betracht kommt, d.h. sie muss regelmäßig andere ernsthafte Ursachen ausschließen.

Soweit sich die Antragstellerin hierfür auf behauptete Indizien stützt, lassen diese keinen zwingenden Schluss auf die Beweistatsache zu. Denn die Antragstellerin hat nach eigenen Angaben bereits mehrere Jahre vor der Operation über unspezifische Symptome, wie starke Kopfschmerzen, geklagt und diese auch ärztlich behandeln lassen. Insoweit fehlt es bereits an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen Operation und Einsetzen der Kopfschmerzen.

Die körperliche Ursache der Beschwerden, die Verbiegung der Nasenscheidewand, ist erstmals im November 1999, mithin nahezu ein Jahr nach der Operation, ärztlich festgestellt worden.

Angesichts des Umstandes, dass sie jedenfalls bei der röntgenologischen Untersuchung der Antragstellerin im Juni 1995 noch nicht vorgelegen hatte, ist der Entstehungszeitraum zunächst auf diese fünf Jahre einzugrenzen. Innerhalb dieses Zeitraums liegt jedoch eine mehrwöchige Nasenatmungsbehinderung im Frühjahr 1996, hinsichtlich der die Antragstellerin zwar andere Ursachen angibt, deren Ursachen aber ärztlich nicht untersucht worden sind. Insbesondere hat ein bildgebende Diagnostik nicht stattgefunden. Hieraus resultiert bereits eine Beweisunsicherheit.

Selbst wenn man weiter unterstellt, dass bis Dezember 1998 noch keine Verbiegung der Nasenscheidewand eingetreten war, weil die Nasenatmung der Antragstellerin im Zeitraum Ende März 1996 bis Anfang Dezember 1998 wohl nicht eingeschränkt war und eine vorhandene Einschränkung u.U. von den behandelnden Ärzten des Antragsgegners festgestellt worden wäre, bleibt ein Zeitraum von nahezu einem Jahr, innerhalb dessen ggfs. ein anderes Trauma als Ursache der Deviation nicht ausgeschlossen werden kann, z.Bsp. ein Faustschlag, ein Sturz oder ein Anstoß.

Dafür, dass die Verbiegung selbst sichere Rückschlüsse auf die Art ihrer Entstehung zuließe, sind schließlich keinerlei Anhaltspunkte vorhanden. Der auf Arzthaftungssachen spezialisierte Senat schließt derzeit auch aus, dass ein solcher unmittelbarer Nachweis zu führen ist.

4. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 1 GKG und §§ 97 Abs. 1 und 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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