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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 19.09.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 343/01
Rechtsgebiete: StPO, StrVollO
Vorschriften:
StPO § 453 Abs. 2 | |
StPO § 453 Abs. 2 Satz 1 | |
StPO § 465 | |
StrVollO § 43 Abs. 2 a) Satz 2 |
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS
1 Ws 343/01 OLG Naumburg
In der Bewährungssache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 19.09.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hennig, die Richterin am Oberlandesgericht Henze von Staden und den Richter am Oberlandesgericht Sternberg
beschlossen:
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Stendal - kleine Strafvollstreckungskammer - vom 02. August 2001 aufgehoben.
2. Die mit Beschluss der 4. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal vom 08. Mai 2000 (504 StVK 930/2000) gewährte Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung des Restes der gegen den Verurteilten mit Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12.10.1998 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten (26 Ns 119/98) wird widerrufen.
3. Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 13.7.1998 in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichts Magdeburg vom 12.10.1998 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden.
Nach Teilverbüßung der Strafe hat die 4. Strafkammer des Landgerichts Stendal - Strafvollstreckungskammer - am 08. Mai 2000 die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Durch Urteil des Schöffengerichts Magdeburg vom 15.03.2001 ist der Angeklagte wegen Diebstahls in 12 Fällen sowie wegen Hausfriedensbruchs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilt worden.
Das Schöffengericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zu den zwischen dem 14.06. und 30.09.2000 liegenden Tatzeiten fortgeschritten drogenabhängig und somit in seiner Fähigkeit, entsprechend seiner Unrechtseinsichtsfähigkeit zu handeln, erheblich eingeschränkt war.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Stendal - Strafvollstreckungskammer - den Antrag der Staatsanwaltschaft Magdeburg auf Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt. Es hat zur Begründung angeführt, dass der Verurteilte zwar die Erwartungen, die mit der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung verbunden gewesen seien, nicht erfüllt habe. Es sei aber zu berücksichtigen, dass er sich angesichts seiner Drogensucht um eine Behandlung bemüht habe und dass mit der neuerlichen Verurteilung die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden sei. Bei Widerruf der Aussetzung des Strafrestes würde zunächst der Strafrest vollstreckt und damit die notwendige Therapie unterbrochen werden. Auch eine Verlängerung der Bewährungszeit hat die Kammer nicht für angezeigt gehalten.
Gegen den am 07.08.2001 zugestellten Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Magdeburg mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 08.08.2001, eingegangen beim Landgericht Stendal am 09.08.2001. Mit der sofortigen Beschwerde will die Staatsanwaltschaft erreichen, dass die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung widerrufen wird.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
In Rechtsprechung und Literatur ist es allerdings sehr umstritten, welches der in § 453 Abs. 2 StPO vorgesehenen Rechtsmittel einzulegen ist.
Grundsätzlich ist gegen die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung beziehen, die einfache Beschwerde zulässig, die dann auch nur darauf gestützt werden kann, dass eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist.
Mit einer sofortigen Beschwerde können bei Strafaussetzung zur Bewährung der Widerruf der Aussetzung, der Erlass der Strafe und der Widerruf des Erlasses angefochten werden.
Welches Rechtsmittel im Fall einer Negativentscheidung - hier der Ablehnung eines Widerrufs - einzulegen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes. Das zwingt aber nicht zu dem Schluß, daß dann nur eine einfache Beschwerde zulässig ist. Das OLG Stuttgart (NStZ 1995, 53) hat insoweit überzeugend aus den Gesetzesmaterialien (BT Wahlperiode 1949, BT-Dr. 3713 S. 56) abgeleitet, dass unter "getroffene Anordnungen" im Sinne des § 453 Abs. 2 Satz 1 StPO nur die nachträgliche Anordnung von Auflagen und Weisungen gemeint ist, nicht jedoch die Ablehnung des Widerrufs.
Für die Befürworter einer sofortigen Beschwerde spricht als Hauptargument, dass innerhalb kurzer Zeit abschließend entschieden sein muss, ob eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt bleibt oder verbüßt werden muss. Eine solche Frage kann nicht längere Zeit in der Schwebe bleiben (OLG Hamm, 4. Strafsenat, NStZ 1988, 291; HansOLG Hamburg MDR 1990, 564; OLG Saarbrücken MDR 1992, 505 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung - NStZ 1983, 430; OLG Stuttgart NStZ 1995, 53; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, 45. Aufl., Rdn. 13 zu § 453; HK/Krehl, StPO, 3. Aufl., Rdn. 6 zu § 453; LR/Wendisch StPO, 25. Aufl., Rdn. 30 zu § 453 - unter Aufgabe der gegenteiligen Ansicht in der 24. Aufl. -, der ergänzend geltend macht, dass das, was für einen Widerruf ausdrücklich vorgesehen sei auch für entsprechende Negativentscheidung gelten müsse).
Von der Gegenmeinung wird die Anwendung der sofortigen Beschwerde abgelehnt und die einfache Beschwerde für zulässig gehalten (OLG Hamm, 3. Strafsenat, Beschluss vom 27.04.1989 -3 Ws 257/89, zitiert in JURIS; OLG Stuttgart MDR 1994, 195, OLG Düsseldorf MDR 1994, 931; OLG Köln NStZ 1995, 151; KK/ Fischer StPO, 4. Aufl., Rdn. 16 zu § 453; KMR/ Stöckel StPO, Rdn. 33 zu § 453, AK/ Rössner, Rdn. 7 zu § 453, SK/ Paeffgen Rdn. 18 zu § 453, Funck NStZ 1995, 568).
Die Vertreter dieser Ansicht machen geltend, dass die Ansicht, eine sofortige Beschwerde sei das zulässige Rechtsmittel, vom Wortlaut des Gesetzes, der eine enumerative abschließende Regelung sei, nicht gestützt werde und dass die Anfechtbarkeit eines Widerrufs anders zu beurteilen sei als die der Ablehnung. Dass die Entscheidung wegen der dann längere Zeit möglichen Anfechtung der Ablehnung des Widerrufs damit für eine geraume Zeit offenbleibe, sei durch den allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes zu verhindern. Das Rechtsmittel werde nicht mehr zuzulassen sein, wenn es nicht unverzüglich, sondern ohne trifftigen Grund erst nach längeren Zeitablauf eingelegt werde (OLG Hamm, 3. Strafsenat aaO).
Der Senat hält die sofortige Beschwerde für das gebotene Rechtsmittel. Auch für ihn spricht der Wortlaut der Bestimmung nicht dagegen. Mit dem OLG Stuttgart (aaO) ist auch für ihn angesichts der Gesetzesmaterialien (BT Dr. 1949, 56) die einfache Beschwerde für Fälle "getroffener Anordnungen" bestimmt.
Im Übrigen ist es zwingend geboten, dass über die Frage, ob eine Strafe zu verbüßen ist oder weiter zur Bewährung ausgesetzt bleibt, schnell und verbindlich abschließend entschieden wird. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für den Verurteilten wird dem dabei nicht ausreichend gerecht. Zum einen handelt es sich dabei (so auch OLG Stuttgart NStZ 1995, 53 (54)) um einen höchst dehnbaren Begriff, der weder exakte zeitliche noch sachliche Grenzen setzen kann, noch wird er den Belangen des Verurteilten gerecht. Dieser muss sich, wenn eine Strafverbüßung droht, umgehend auf eine geänderte Situation einrichten können. Es ist nicht zumutbar, dass er sich in beruflicher Hinsicht und in seiner Lebensführung entweder unzutreffend darauf einstellt, dass er nicht erneut inhaftiert wird oder aber angesichts der Ungewissheit überhaupt nichts tun kann.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Der Verurteilte hat in der Bewährungszeit eine neue Straftat begangen, und mit dieser Straftat gezeigt, dass die Erwartung, die in der Aussetzung der Reststrafe im Jahre 2000 verbunden war, er werde keine neuen Straftaten begehen, sich nicht erfüllt hat. Er hat unmittelbar nach der Entlassung aus der Strafhaft erneut solche Straftaten begangen, für die er gerade eine längere Strafe verbüßt hatte.
Die Begründung der Strafvollstreckungskammer für die Ablehnung des Widerrufs, dieser werde dazu führen, dass die für den Verurteilten notwendige Therapie durch zunächst zu vollstreckende Strafhaft abgebrochen würde, trifft im Übrigen nicht zu.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu ausgeführt:
"Rechtsirrig geht die Strafvollstreckungskammer davon aus, dass der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung dazu führen würde, dass zunächst der Strafrest zu vollstrecken wäre und der Verurteilte danach möglicherweise erneut auf das Freiwerden des zur Verfügung gestellten Therapieplatzes warten müsste. Nach der Regelung des § 44 b Strafvollstreckungsordnung wird, wenn neben einer Freiheitsstrafe Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollstrecken ist, auf die in einem anderen Verfahren erkannt wurde, die Maßregel grundsätzlich vor der Strafe vollzogen. Diese Regelung über die Reihenfolge der Vollstreckung gilt auch dann, wenn Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und widerrufener Strafrest zusammentreffen. Dass Widerrufsstrafen, wenn sie mit anderen Strafen zusammentreffen, vorweg vollzogen werden [§ 43 Abs. 2 a) Satz 2 StrVollO], ändert an der Gültigkeit der speziellen Regelung über den grundsätzlichen Vorrang des Maßregelvollzugs nichts (OLG Stuttgart in NStZ 1989, 344)."
Dem tritt der Senat bei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO in entsprechender Anwendung.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein weiteres Rechtsmittel.
Ende der Entscheidung
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