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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 18.10.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 370/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 35 a
StPO § 44 S. 2
StPO § 46 Abs. 3
StPO § 170 Abs. 2
StPO § 311
StPO § 311 Abs. 2
StPO § 386 Abs. 2
StPO § 386 Abs. 4
Bei einem vom Finanzamt geführten Ermittlungsverfahren (hier wegen Steuerhinterziehung) kann sich das Finanzamt bei Versäumung der Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht auf eine Unkenntnis der Rechtsmittelfrist berufen, weil die Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter nicht der Verwaltung zuzuordnen sind, so dass - wie bei den Staatsanwaltschaften (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 49. Aufl., § 35 a, Rn. 5) - die Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung unangebracht ist.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ws 369/06 OLG Naumburg 1 Ws 370/06 OLG Naumburg

In dem Ermittlungsverfahren

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 18. Oktober 2006 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Harbou, den Richter am Oberlandesgericht Sternberg und den Richter am Oberlandesgericht Manshausen

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Finanzamts Magdeburg I - Bußgeld- und Strafsachenstelle - gegen die Beschlüsse der 4. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg vom 13. Juli 2006, mit denen die Anträge des Finanzamtes Magdeburg I - Bußgeld- und Strafsachenstelle - vom 13. Juni 2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet verworfen worden sind, wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Finanzamt Magdeburg I - Bußgeld- und Strafsachenstelle - führte gegen die Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. Mit Verfügung vom 20. März 2006 hat es das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Mit Beschlüssen vom 11. Mai 2006 (5 Gs 836/06) und vom 30. Mai 2006 (5 Gs 840/06) hat das Amtsgericht Magdeburg festgestellt, dass die Beschuldigten für die infolge der am 28. Oktober 2003 - aufgrund der Beschlüsse des Amtsgerichts Magdeburg vom 15. September 2003 (5 Gs 2332/03 und 5 Gs 2336/03) - erfolgten Durchsuchung sowie der am 28. Oktober 2003 anlässlich zuvor genannter Durchsuchung sichergestellten bzw. beschlagnahmten Gegenstände sowie für die - aufgrund des mit Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2003 (5 Gs 2664/03) angeordneten dinglichen Arrests - entstandenen Schäden aus der Staatskasse zu entschädigen sind. Die Beschlüsse vom 11. Mai 2006 und 30. Mai 2006 sind dem Finanzamt Magdeburg I - ohne Rechtsmittelbelehrung gemäß § 35 a StPO - am 01. Juni 2006 zugegangen. Mit beim Landgericht Magdeburg am 08. Juni 2006 eingegangenen Schreiben vom 06. Juni 2006 hat das Finanzamt Magdeburg I gegen diese Beschlüsse sofortige Beschwerde eingelegt. Aufgrund Verfügung des Landgerichts Magdeburg vom 12. Juni 2006 ist die sofortige Beschwerde am 13. Juni 2006 beim Amtsgericht Magdeburg eingegangen. Am 13. Juni 2006 hat das Finanzamt Magdeburg I Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, dass die Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung zwingend erforderlich gewesen sei. Mit Beschlüssen vom 13. Juli 2006 hat die 4. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg die sofortige Beschwerde des Finanzamts Magdeburg I wegen Versäumung der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO als unzulässig verworfen. Ferner hat es den Antrag des Finanzamts Magdeburg I auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet verworfen. Mit Schreiben vom 27. Juli 2006 hat das Finanzamt Magdeburg I gegen die Verwerfung der Wiedereinsetzungsanträge sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die gemäß den §§ 46 Abs. 3, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Finanzamt Magdeburg I ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 StPO einzuhalten (§ 44 S. 1 StPO). Vorliegend war es nicht erforderlich, den Beschlüssen des Amtsgerichts Magdeburg vom 11. Mai 2006 und vom 30. Mai 2006 eine Rechtsmittelbelehrung i. S. d. § 35 a StPO beizufügen, so dass die Vermutung des § 44 S. 2 StPO keine Anwendung findet. Zutreffend hat das Landgericht Magdeburg in seiner angefochtenen Entscheidung insoweit ausgeführt, dass sich das Finanzamt Magdeburg I nicht auf eine Unkenntnis der Rechtsmittelfrist berufen kann, weil die Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter nicht der Verwaltung zuzuordnen sind, so dass - wie bei den Staatsanwaltschaften (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 49. Aufl., § 35 a, Rn. 5) - die Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung unangebracht ist. Hierauf ist das Finanzamt Magdeburg I mit richterlicher Verfügung vom 09. August 2006 hingewiesen worden. Auch das weitere Vorbringen im Rahmen des Schreibens vom 19. September 2006 rechtfertigt keine andere Bewertung der Sach- und Rechtslage. Das Finanzamt Magdeburg I verkennt, dass den Finanzämtern gemäß § 386 Abs. 2 AO - solange keine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft nach § 386 Abs. 4 AO begründet ist - das Ermittlungsverfahren bei Steuerstraftaten zur selbständigen Durchführung übertragen ist. Hieran vermag die konkrete Ausgestaltung der Organisation der Finanzbehörde im Einzelfall nichts zu ändern. Deshalb kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Magdeburg I sowohl personell als auch sächlich unzureichend ausgestattet ist. Folglich bedarf es zu dem Vorbringen des Finanzamtes Magdeburg I keiner Feststellungen, wonach es sich bei den Sachbearbeitern und Sachgebietsleitern hinsichtlich der erforderlichen Fachkenntnisse um Autodidakten handelt (S. 2/3 des Schreibens vom 19. September 2006), Teilzeitbeschäftigte zeitweise zu Hause bleiben, der die Beschlüsse des Amtsgerichts Magdeburg vom 11. Mai 2006 und 30. Mai 2006 zur Kenntnis nehmende "Strafsachenbearbeiter Stl W. " nicht der eigentliche Sachbearbeiter war, die gesamte Dienststelle lediglich über einen Text des Strafverfolgungsentschädigungsgesetzes verfügte und dieser - bis zum 07. Juni 2006 - nur in einem die §§ 1 bis 7 umfassenden Auszug mit Stand 29. Oktober 1992 bestand (S. 3 des Schreibens vom 19. September 2006). Von Bedeutung ist das Schreiben des Finanzamts Magdeburg I vom 19. September 2006 allein insoweit, dass nunmehr eine positive Feststellung eines Verschuldens des Finanzamts Magdeburg I an der Fristversäumung möglich ist. Denn nach dem eigenen Vorbringen des Finanzamtes Magdeburg I war die am 07. Juni 2006 mit der Bearbeitung befasste zuständige Sachbearbeiterin im Besitz eines vollständigen und aktuellen Exemplars des Strafverfolgungsentschädigungsgesetzes. Aufgrund dessen war sie in die Lage versetzt, zu ermitteln, bei welchem Gericht die sofortige Beschwerde einzulegen war. Dass sie hieran durch einen "erheblichen Zeitdruck" gehindert war, ist angesichts des Umstandes, dass ihr insoweit mehr als 24 Stunden für die Bearbeitung zur Verfügung standen, nicht nachvollziehbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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