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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 14.06.2006
Aktenzeichen: 10 W 30/06
Rechtsgebiete: ZPO, RPflG, BRAGO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 104 Abs. 3 S. 1
ZPO §§ 415 ff
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 567 Abs. 2
ZPO § 568 S. 1
ZPO § 569
ZPO § 613
RPflG § 11 Abs. 1
BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 3
BGB § 812
BGB § 951
BGB § 946
Das Beiziehen und Durchlesen von Urkunden - hier: Grundakten - kann nicht in jedem Fall eine Beweisgebühr auslösen. Unabhängig von einer förmlichen Beweisanordnung ist dies nur der Fall, wenn das Gericht streitige Tatsachenbehauptungen der Parteien zu klären hat.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

10 W 30/06 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 14. Juni 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht Mertens als Einzelrichterin

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Dessau vom 3. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beklagten.

Beschwerdewert: 2.265,48 Euro.

Gründe:

I.

Das Landgericht Dessau - Rechtspflegerin - hat mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. Mai 2006 die von der Klägerin an die Beklagten zu erstattenden Kosten des Rechtsstreits auf 8.922,55 Euro festgesetzt. Dabei hat es eine von den Beklagten zur Festsetzung beantragte Beweisgebühr für die Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten im ersten Rechtszug in Höhe von 1.953,00 Euro netto und 2.265,48 Euro brutto abgesetzt.

Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beklagten mit der sofortigen Beschwerde und legen dar, die Absetzung sei zu Unrecht erfolgt, da sich aus dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils ergebe, dass die Grundakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden seien. Das Landgericht habe diese demnach zu Beweiszwecken verwertet und eine öffentliche Urkunde in Augenschein genommen und sich durch eigene Wahrnehmung ein eigenes Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen gebildet. Ferner sei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1988, 1902, 1903, zu verweisen.

Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist nach §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 S. 1 ZPO, 569 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG zulässig.

Die sofortige Beschwerde hat indes in der Sache keinen Erfolg, denn die Rechtspflegerin hat rechtsfehlerfrei davon abgesehen, zu Gunsten der Beklagten eine Beweisgebühr für die Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten im ersten Rechtszug zu berücksichtigen.

Die Beweisgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO entsteht, wenn der Rechtsanwalt seinen Auftraggeber in einem gerichtlichen Beweisaufnahmeverfahren oder eventuell bei der Vernehmung oder Anhörung einer Partei nach § 613 ZPO vertritt. Sie bezweckt, den Mehraufwand an Zeit, Tätigkeit und Verantwortung Rechnung zu tragen, den eine Beweisaufnahme für den Prozessbevollmächtigten bedingt (vgl. von Eicken in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Ma- dert, BRAGO, 15. Auflage, § 31 BRAGO, Rn. 82).

Das Heranziehen von Urkunden, wie sie vorliegend die Grundakten darstellen, in einem Verfahren lässt eine Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO dann anfallen, wenn diese nach §§ 415 ff ZPO zu Beweiszwecken verwendet und verwertet werden.

Allerdings kann nicht jedes Beiziehen und Durchlesen von Urkunden durch das Gericht als eine Beweiserhebung angesehen werden. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn die Einsichtnahme in die Urkunden dem Gericht erkennbar dazu dient, streitige Tatsachenbehauptungen der Parteien zu klären. Um die anwaltliche Beweisgebühr auszulösen, muss mithin immer der Wille des Gerichts erkennbar werden, sich durch eigene Wahrnehmung ein Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen zu bilden. Etwas anderes gilt indessen dann, wenn es sich durch das Studium der Urkunden lediglich eine bessere Anschauung und einen eigenen Eindruck von den tatsächlichen Verhältnissen, hier etwa den zeitlichen Abläufen der Grundbucheintragungen, verschaffen will (vgl. OLG Oldenburg JurBüro 1992, 604; OLG Saarbrücken JurBüro 1988, 1674; OLG Stuttgart, Justiz 2001, 487; OLG Stuttgart JurBüro 2002, 195; OLG Frankfurt JurBüro 2000, 138; OLG Jena JurBüro 2000, 199; von Eicken in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 31 BRAGO Rdn. 100; Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl., § 31 BRAGO Rdn. 144).

Gemessen hieran liegt ein eine Beweisgebühr auslösender Sachverhalt hier nicht vor: Denn das Landgericht hat die Grundakten nicht erkennbar zum Zwecke der Beweiserhebung verwertet.

Eine gerichtliche Beweisanordnung ist nach Aktenlage nicht ergangen. Dies steht der Annahme einer Beweisaufnahme zwar grundsätzlich nicht entgegen. Eine Beweiserhebung ist nämlich auch ohne förmliche Beschlussfassung möglich (OLG Koblenz JurBüro 1993, 422; OLG Koblenz AnwBl. 1977, 72). Das Fehlen einer Beweisanordnung kann jedoch als Indiz dafür gewertet werden, dass die Durchführung einer Beweisaufnahme zur Klärung strittiger Punkte durch das Gericht auch nicht beabsichtigt war.

Eine Verwertung der Grundakten zu Beweiszwecken kann auch nicht darin erblickt werden, dass die Grundakten nach dem landgerichtlichen Urteil beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind. Für die Entstehung der Beweisgebühr wäre nämlich erforderlich, dass das Gericht Feststellungen darüber getroffen hätte, ob eine zwischen den Parteien streitige Tatsachenbehauptung aufgrund der Einsichtnahme in die Grundakten bewiesen worden sei. Daran aber fehlt es hier. Durch die Grundakten sind dem Landgericht keine beweiserheblichen Erkenntnisse zu bestrittenen Tatsachenbehauptungen vermittelt worden. Das Landgericht hatte für die Beantwortung der Frage, ob der Erbengemeinschaft nach V. M. ein Schadensersatzanspruch analog §§ 951, 946 BGB i.V.m. § 812 BGB zusteht, ausschließlich Rechtsfragen zu beantworten, da es auf die streitigen Fragen im Hinblick auf eine gemeinschaftliche Verfügung der Miterben nach J. M. nicht ankam. Vielmehr hat sich das Landgericht bei seiner Entscheidung darauf gestützt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Grundstück um Bodenreformland gehandelt hat. Dies war allerdings zwischen den Parteien unstreitig, so dass es zur Aufklärung des Sachverhalts einer Beweisaufnahme nicht bedurfte.

In Ansehung der vorstehenden Ausführungen geht auch der Hinweis auf die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fehl. Für jenen Fall hatte das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt, dass die objektiven Voraussetzungen für die Durchführung einer Beweisaufnahme durch Anhörung eines Sachverständigen vorlagen, so dass es darauf, wie das erkennende Gericht dies gesehen hatte, nicht ankam. Vorliegend können aber - wie ausgeführt - objektive Anhaltspunkte, die das Landgericht zur Durchführung einer Beweisaufnahme hätten veranlassen müssen, dem Akteninhalt nicht entnommen werden.

Sonstige Gründe, welche der sofortigen Beschwerde der Beklagten zum Erfolg verhelfen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Hinblick auf den Schriftsatz vom 12.06.2006 sei noch erwähnt, dass die Frage der Eigentumsstellung eine Rechtsfrage ist.

Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs.1 ZPO, 1 GKG sowie Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses zum GKG.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 2, 3 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 574 Absätze 2 und 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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