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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 18.12.2000
Aktenzeichen: 10 W 40/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 406 Abs. 1
ZPO § 406 Abs. 5
ZPO § 577 Abs. 1
ZPO § 577 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 406
ZPO § 43
ZPO § 406 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 165 Satz 1
ZPO § 97 Abs. 1
Leitsätze:

1. Eine Prozesspartei verliert ihr Recht zur Ablehnung des Sachverständigen u. a. auch dadurch, dass sie nach Abschluss der Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung die Sachanträge gestellt bzw. wiederholt hat, ohne die ihr in diesem Zeitpunkt bereits bekannten Ablehnungsgründe geltend zu machen.

2. Eine Prüfungs- und Überlegungsfrist hat die Partei in diesem Fall, wenn ein eindeutiger Ablehnungsgrund während der Vernehmung des Sachverständigen hervortritt, zur Vermeidung einer Verfahrensverzögerung nicht.

OLG Naumburg, Bes vom 18.12.2000, 10 W 40/00; vorgehend LG Halle, Bes vom 04.10.2000, 11 O 94/99


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

10 W 40/00 OLG Naumburg 11 O 94/99 LG Halle

In dem Rechtsstreit

...

wegen Besorgnis der Befangenheit,

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung der Präsidentin des Oberlandesgerichts Neuwirth, des Richters am Oberlandesgericht Kühlen und des Richters am Landgericht Wiedemann

am 18. Dezember 2000

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 04. Oktober 2000 (Geschäftsnummer: 11 O 94/99) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 45.900,- DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Ersatzvornahmekosten sowie Zahlung eines Kostenvorschusses für Mängelbeseitigung an den von der Beklagten hergestellten 12 elektrotechnischen Ausrüstungen für Bunkerentleerungswagen in Anspruch. Das Landgericht holte mit Hinweis- und Beweisbeschluss vom 08. März 2000 zur Frage des Vorliegens bestimmter Mängel das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. K. ein und ordnete dessen persönliches Erscheinen zur mündlichen Erläuterung des schriftlich erstellten Gutachtens in der mündlichen Verhandlung am 06. September 2000 an. Auf Vorhalt des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gab der Sachverständige an, vor etwa 11/2 bis 2 Jahren für die Klägerin ein Privatgutachten über ein Rohrkettenfördersystem, das der streitgegenständlichen Anlage direkt nachgeschaltet ist, erstellt zu haben. Nach der Vernehmung des Sachverständigen verhandelten die Parteien zum Ergebnis der Beweisaufnahme. Im Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 06. September 2000 heißt es sodann:

"Im übrigen bleibt es bei den gestellten Anträgen. Herr Rechtsanwalt Dr. B. erklärt ebenfalls, es bleibt bei den gestellten Anträgen. Herr Rechtsanwalt Dr. B. erklärt nunmehr:

Der Gutachter Prof. Dr. K. wird wegen Befangenheit abgelehnt, er hat bereits für die Klägerin Privatgutachten erstellt. Deshalb bestünden Zweifel an seiner Befangenheit, es werde gebeten, das Ablehnungsgesuch innerhalb von 2 Wochen schriftlich zu begründen."

Mit einem am 14. September 2000 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz begründete die Beklagte deren Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen damit, dass dieser ein Privatgutachten für die Klägerin hinsichtlich der Anlage erstellt habe, bei der auch Energieketten zum Einsatz kamen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 04. Oktober 2000 das Ablehnungsgesuch der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt, das Gesuch sei unzulässig, weil sie es nach Verhandlung der Parteien über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu einem Zeitpunkt angebracht habe, zu dem sie ihr Ablehnungsrecht bereits verloren hatte. Denn der Sachverständige habe bei seiner Vernehmung zur Sache auf ausdrücklichen Vorbehalt ihres Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, für die Klägerin im Rahmen eines Privatauftrages einen Rohrkettenförderer begutachtet zu haben. Dennoch habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten daraufhin die Befragung des Sachverständigen fortgesetzt und mit ihm umfangreich und intensiv auch Detailfragen zur Sache besprochen, obwohl er bereits von der Tatsache eines Ablehnungsgrundes Kenntnis gehabt habe. Nach Abschluss der Anhörung des Sachverständigen und dessen Entlassung hätten die Parteivertreter, und damit auch die Beklagte, über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt und abschließend Anträge gestellt, was den endgültigen Verlust des Ablehnungsrechts der Beklagten zur Folge gehabt habe.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Sie meint, den Sachverständigen noch rechtzeitig abgelehnt zu haben, da die Ablehnung noch in der mündlichen Verhandlung erfolgt sei. Da § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO einer Partei eine zweiwöchige Überlegungsfrist zur Stellung eines Befangenheitsgesuches einräume, werde diese rechtliche Regelung unterlaufen, wenn nach Auffassung des Landgerichts bereits mit Stellung der Anträge und Verhandlung zum Ergebnis der Beweisaufnahme das Ablehnungsrecht verwirkt sei. Die Tatsache, dass der Sachverständige für die Klägerin bereits als Privatgutachter tätig gewesen sei, habe die Beklagte noch nicht abschließend zu der Auffassung gelangen lassen, er sei befangen. Diese Auffassung sei erst im Zuge der weiteren Vernehmung des Sachverständigen gereift. Entgegen des Wortlautes des Sitzungsprotokolls sei das Ablehnungsgesuch zeitgleich, wenn nicht sogar vor der Wiederholung der gestellten Anträge angebracht worden.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 406 Abs. 1 und 5, 577 Abs. 1 und 2 Satz 1 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.

2. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte ihr Recht zur Ablehnung des Sachverständigen dadurch verloren hat, dass sie nach Abschluss der Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung die Sachanträge gestellt hat, ohne die ihr in diesem Zeitpunkt bereits bekannten Ablehnungsgründe geltend zu machen. Die Ablehnung eines Sachverständigen ist spätestens binnen zweier Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen (§ 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Mit der durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2847) neu gefassten Absatz 2 des § 406 ZPO sollten vor allem die Fälle erfasst werden, in denen der Ablehnungsgrund im schriftlichen Gutachten liegt. In diesen Fällen hat die Partei, wenn sie nicht ihr Ablehnungsrecht verlieren will, den Ablehnungsantrag unverzüglich nach erlangter Kenntnis vom Ablehnungsgrund anzubringen, bei einem schriftlichen Gutachten somit unverzüglich nach Kenntnis des Gutachtens, wobei der Begriff "unverzüglich", d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), so verstanden wird, dass der Partei eine den Umständen des Falles (Umfang oder besondere Schwierigkeit eines Fachgutachtens) angepasste Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen ist, innerhalb derer das Ablehnungsgesuch gestellt werden muss (BT-Drucksache 11/3621, S. 74; OLG Koblenz NJW-RR 1999, 72, 73; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 933, 934; OLG Koblenz MDR 1994, 1147; OLG Koblenz NJW-RR 1992, 1470, 1471; BayObLG FamRZ 1986, 829, 830; OLG Köln MDR 1983, 412; Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., § 406 Rdn. 11; Damrau in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 406 Rdn. 6 f). Aus dem Zweck der Vorschrift, Prozessverzögerungen vorzubeugen und zu verhindern, dass Ablehnungsgründe aus prozesstaktischen Erwägungen zurückgehalten werden (OLG Köln MDR 1983 a.a.O.), folgt für mündliche Gutachten, dass die Ablehnung bei Kenntnis vom Ablehnungsgrund entweder bis zur Vernehmung des Sachverständigen zur Sache (Damrau a.a.O., Rdn. 6) oder, falls sich der Ablehnungsgrund erst während der Vernehmung des Sachverständigen ergibt, bis zur Stellung der Sachanträge zu erfolgen hat (OLG Düsseldorf MDR 1994, 620). Eine Prüfungs- und Überlegungsfrist hat die Partei in diesem Fall, wenn ein eindeutiger Ablehnungsgrund während der Vernehmung des Sachverständigen hervortritt, zur Vermeidung einer Verfahrensverzögerung nicht. Dabei kann offen bleiben, ob sich der Verlust des Rechts zur Ablehnung eines Sachverständigen in diesen Fällen aus einer entsprechenden Anwendung des § 43 ZPO (so OLG Düsseldorf MDR 1994 a.a.O.) ergibt oder aus dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO, das Ablehnungsgesuch anzubringen, sobald die Partei von dem Ablehnungsgrund Kenntnis erhält.

So liegt der Fall hier. Die Beklagte erhielt von sämtlichen ein Ablehnungsrecht begründenden Tatsachen, nämlich der Erstellung eines Privatgutachtens durch den Sachverständigen für die Klägerin, während der Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung Kenntnis. Der im Termin anwesende Geschäftsführer der Beklagten und ihr Prozessbevollmächtigter wären in diesem Zeitpunkt, ggfs. nach einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung, in der Lage und nach dem Grad der im vorliegenden Fall erforderlichen prozessualen Sorgfalt auch gehalten gewesen, das Ablehnungsgesuch sofort anzubringen oder endgültig davon abzusehen. Mit der Fortführung der Anhörung des Sachverständigen nach Kenntniserlangung vom Ablehnungsgrund, an dem sich die Beklagte durch Fragen aktiv beteiligte, spätestens aber nach Wiederholung der Sachanträge im Anschluss an die Anhörung des Sachverständigen, hatte sie ihr Ablehnungsrecht verloren.

Soweit die Beklagte behauptet, das Befangenheitsgesuch sei entgegen dem Protokollwortlaut zeitgleich, wenn nicht sogar vor Wiederholung der Sachanträge gestellt worden, kann sie damit nicht durchdringen. Denn gem. § 165 Satz 1 ZPO beweist das Protokoll, dass eine in die Niederschrift aufgenommene Förmlichkeit, wie etwa der äußere Hergang des Verfahrens, auch tatsächlich beachtet worden ist (Zöller/Stöber, § 165 Rdn. 2). Eine Ausnahme gilt nur für den Nachweis der Fälschung des Protokolls, d.h. die wissentlich falsche Beurkundung einer Förmlichkeit (§ 165 Satz 2 ZPO). Es mag bereits zweifelhaft sein, ob die Beklagte eine Fälschung des Protokolls ernsthaft behaupten will. Im vorliegenden Verfahren ist dieser Einwand jedoch unbeachtlich, da eine Abhilfe bei Unrichtigkeit nur durch eine Protokollberichtigung (§ 164 ZPO) möglich ist, die den Urkundspersonen obliegt, die das Protokoll unterschrieben haben (§ 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Berichtigung des Protokolls hat die Beklagte aber nicht beantragt.

Die sofortige Beschwerde war daher zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes findet ihre Grundlage in §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 1, 22 Abs. 1, 25 Abs. 2 Satz 1 GKG, 3 ZPO.



Ende der Entscheidung

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